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Kubas kontrollierte Auffahrt auf die Datenautobahn
16. April 2004, Neue Zürcher Zeitung
Die zwei Seiten des Kommunikationsbooms
Kubas kontrollierte Auffahrt auf die Datenautobahn
Kuba präsentiert sich modern, wenn es um die Nutzung von Computern geht. Eine IT- Universität wurde erst vor zwei Jahren eingerichtet, und alle kubanischen Schulen sind mittlerweile mit Computerräumen ausgerüstet. Vorbildlich für ein Entwicklungsland sind auch die Computerkurse, die für die ältere Generation angeboten werden. Doch mit dem freien Zugang zum Internet tut sich das offizielle Kuba schwer.
Miguel Salcines steht im kleinen Büro der Landwirtschaftsgenossenschaft am Stadtrand von Havanna und liest einen Brief der staatlichen kubanischen Telefongesellschaft Etecsa. Er hat einen Antrag gestellt, um die Kommunikation der kleinen Genossenschaft in Alamar einfacher zu gestalten. Neben ihm, auf einem Schreibtisch, steht der Computer, über den fortan ein Teil der Kommunikation mit Lieferanten und Kunden laufen soll. Die Genossenschaft zieht im grossen Stil Setzlinge heran, die in der ganzen Provinz Havanna gefragt sind. Es ist ein erfolgreiches Projekt, das kontinuierlich ausgebaut wird - moderne Kommunikationstechnik kann da nur hilfreich sein. Salcines wartet nur noch auf grünes Licht seitens der Telefongesellschaft. Doch die verlangt 15 US-Dollar für den Service. «Was soll das?», fragt sich der Agrartechniker, der jahrelang im Agrarministerium gearbeitet hatte, bevor er die Kooperative aufbaute. Diese wirtschaftet ausschliesslich in kubanischen Pesos, und eine Abrechnung in kubanischer Landeswährung erwartet Salcines auch von der Telefongesellschaft.
Für die meisten Kubaner kaum zahlbar
Doch seitdem die Zahl der zum Teil illegalen Zugriffe auf den staatlichen Server über Leitungen, die in Pesos abgerechnet werden, stetig zunahmen, haben die Regierungsstellen die Telefongesellschaft angewiesen, den Missbrauch einzudämmen. Im Januar kündigte Etecsa in einem Brief an ihre Kunden an, nur denjenigen einen Internet-Zugang in Landeswährung zu gewähren, die über eine Erlaubnis der Regierung verfügten. Alle andern Privatnutzer, laut Schätzungen immerhin einige tausend, hätten für das Surfen und E-Mailen in harten US-Dollars zu zahlen. Pro Minute, so die Gesellschaft, seien 8 US-Cent fällig. Für das Gros der Kubaner ist das kaum zu bezahlen. Amnesty International warf den zuständigen Stellen daraufhin die Verletzung der Meinungsfreiheit vor. Kuba wies die Anschuldigung zurück, vertagte die Massnahme aber auf unbestimmte Zeit.
Demzufolge hat auch Miguel Salcines Anspruch auf einen Internet-Account in nationaler Währung. Doch solche scheinen seitdem nur noch unter Vorbehalt eingerichtet zu werden. Der offizielle Grund ist die Überlastung der Leitungen, denn immer mehr Angestellte staatlicher Einrichtungen benutzen ihre Passwörter und Zugangsdaten, um auch privat zu surfen. Auf dem Schwarzmarkt werden zudem Codes und Passwörter genauso gewinnbringend an zahlungskräftige Internet-Nutzer verkauft wie Computer. Computerfreaks, die sich vernetzen, um gemeinsam im Netz zu surfen, gibt es mittlerweile auch in Kuba.
Ohnehin stieg die Zahl der User in Kuba in den letzten Jahren sprunghaft an. Auf 98 000 Personen beziffern die offiziellen Stellen die Zahl der autorisierten Nutzer, doch mehr als 480 000 Kubaner haben mittlerweile einen E-Mail- Account. Landesweit gibt es inzwischen 270 000 Rechner, von denen 65 Prozent Internet-tauglich sind. Das Gros ist allerdings nur ans kubanische Intranet angeschlossen, wo 750 Websites kubanischer Institutionen besucht werden können. Aber auch über das Intranet lassen sich E-Mails versenden. Noch vor fünf Jahren waren bloss 22 000 Rechner auf der Insel registriert, von denen 4000 Zugang zum kubanischen Intranet und etwa 2000 zum Internet hatten. Der Kommunikationsboom hat auch Kuba erreicht; seitdem kämpft die nationale Telefongesellschaft mit chronisch überlasteten Leitungen.
Das ist offiziell der Grund, den Zugang zum Web zu regulieren. In einem Interview machte Kubas Kommunikationsminister Ignacio González Planas Anfang Januar deutlich, wo die Prioritäten liegen: Vorrang haben die staatlichen Stellen, die Wirtschaft, das nationale Gesundheitsnetz sowie die Wissenschaft und die Kultureinrichtungen - erst zuletzt kommen die privaten Nutzer. Die klare Hierarchie ist, so der Minister, auch den ökonomischen Nöten eines Entwicklungslandes geschuldet. Noch ist Kuba auf teure Satellitenverbindungen angewiesen, weil die USA der Verlegung eines leistungsstarken Glasfaserleitung nach Florida nicht zustimmten. Derartige Argumente stossen bei den Usern auf wenig Verständnis, sind angesichts der latenten Finanzprobleme jedoch nicht von der Hand zu weisen.
Gleichwohl finden die Kubaner immer wieder Wege, ins Netz zu kommen. Für viele ist der E-Mail-Austausch hingegen wichtiger als das Surfen. Miguel Salcines will den Kontakt zu Kollegen in Venezuela aufrechterhalten und die Kommunikation mit Nichtregierungsorganisationen erleichtern, die beim Aufbau der Genossenschaft halfen. Marieta González, die im Internetcafé in der Akademie der Wissenschaften arbeitet, nutzt nach der Abrechnung die Zeit, um Freunden im Ausland ein Lebenszeichen zu übermitteln. Natürlich lässt sie hin und wieder einen Freund oder eine Freundin an einen der acht Rechner, die zur Verfügung stehen. In Kuba ist das eher die Regel als die Ausnahme, denn eine Hand wäscht die andere. Ähnlich dürfte es in den meisten der mittlerweile 233 Internetcafés sein, die es allein in Havanna derzeit gibt und wo in Dollar bezahlt werden muss.
Tabu-Websites
Die Zeiten, wo rigide kontrolliert wurde, welche Seiten angeklickt werden, sind weitgehend vorbei. Vor einigen Jahren wurden noch ganze Institute über Monate vom Netz genommen, weil unliebsame Seiten angeklickt wurden. Heute vertraut man auf die Selbstverpflichtungserklärung, die alle Nutzer unterschreiben müssen. Pornografische, rassistische und «anti-kubanische» Websites sind Tabu. Alles andere, so auch der Besuch der Websites von CNN oder der spanischen Zeitung «El País», wird toleriert. Die kubanische Regierung hat sich dazu durchgerungen, dem chinesischen Beispiel zu folgen. Freie Fahrt auf der Datenautobahn, aber mit detaillierter Strassenverkehrsordnung. Die wird auch Miguel Salcines unterschreiben müssen, falls er grünes Licht von Etecsa bekommen will.
Knut Henkel
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