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Fischzug am Nachmittag
Fischzug am Nachmittag
Luxustourismus an Bord einer kubanischen Segelyacht. Der Mojito vor dem Dinner ist garantiert, das Dinner manchmal nicht. Die Gäste
an Bord verbringen ihren Urlaub auf Booten, die so komfortabel sind wie kleine, perfekt ausgestattete Ferienwohnungen. Eine Seefahrt
VON OLIVER BURGARD
Sein Platz ist ganz vorn auf der Spitze der linken Kufe eines schneeweißen Katamarans. Dort steht Alberto seit einer guten Stunde und hält Ausschau. In der rechten Hand hat der schnauzbärtige Kubaner einen kleinen Enterhaken, in der linken ein Paar Taucherflossen und eine Taucherbrille - seine Ausrüstung für die Jagd nach Langusten. Alberto Lohan ist kein Fischer. Er arbeitet als Skipper auf Yachten, die von reichen Touristen gechartert werden. Während sein Boot durch die Wellen der Karibischen See pflügt, dümpeln ein paar Seemeilen entfernt ein zweiter Katamaran und eine Segelyacht in einer geschützten Bucht vor der Insel Cayo Blanco.
Die Gäste an Bord verbringen ihren Urlaub auf Booten, die so komfortabel sind wie kleine, perfekt ausgestattete Ferienwohnungen. In die Kufen der Katamarane sind vier holzgetäfelte Kabinen eingelassen, von denen jede ein eigenes Badezimmer hat. Durch die Bullaugen in der Kabinendecke sieht man nachts die Sterne am Himmel leuchten. Ein Segeltörn vor der kubanischen Küste dauert meist ein paar Tage, deshalb sind die Boote mit üppigen Vorräten ausgestattet: Reis, Bohnen, Karotten, dicke Bananenstauden, Süßkartoffeln. Was an Bord nicht gelagert werden kann, holen die Skipper aus dem Meer: frische Fische und Langusten.
Skipper an Bord einer Luxusyacht zu sein, das ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Der Skipper bestimmt den Kurs, er entscheidet, wann die Segel gehisst werden und in welcher Bucht das Boot abends ankert. Der Skipper kümmert sich aber auch um all die lästigen Arbeiten, die man reichen Touristen an Bord einer Segelyacht nicht zumuten kann. Er schrubbt das Deck und die Kombüse, während seine Gäste im warmen Wasser planschen oder auf dem Oberdeck ein Sonnenbad nehmen.
Alberto ist 46. Er macht den Job seit ein paar Jahren, davor war er Ingenieur in der kubanischen Papierindustrie. Vermutlich hat er mehr von der Welt gesehen als viele seiner Landsleute, denn als Student hat er eine Weile in der Tschechoslowakei gelebt. Dort hatte er eine Freundin und vielleicht auch ein Kind. So genau kann man das nicht sagen, denn Alberto ist freundlich, aber wortkarg. Das haben seine Gäste an Bord gleich am ersten Abend gemerkt, als sie nach dem Essen die Rommee-Karten ausgepackt und ihn zum Mitspielen eingeladen haben. Ein wenig schüchtern hat der Skipper da den Kopf geschüttelt. Ein paar Minuten hat er den Kartenspielern stumm über die Schulter geschaut, zwischen den Fingern eine filterlose Zigarette. Dann hat er sich mit einem leisen "Good night everybody" in seine Kajüte zurückgezogen und das Licht ausgemacht.
Als Alberto damals seinen Ingenieursjob an den Nagel gehängt hat, war nicht abzusehen, ob sein neues Dasein als Skipper mehr als ein Intermezzo sein würde. Mitte der Neunzigerjahre haben Reiseveranstalter aus dem kapitalistischen Ausland angefangen, die kubanischen Küstengewässer für den Segeltourismus zu erschließen. Heute kann man sich in den Marinas an der Küste und auf den vorgelagerten Inseln mit allem eindecken, was an Bord gebraucht wird: Trinkwasser, Benzin, Proviant. Außerdem Rum, Soda, Limettensaft und frische Minze, denn was wäre ein kubanischer Segeltörn ohne den obligatorischen Mojito zum Sonnenuntergang?
Während auf der Insel eine Infrastruktur für Segler entstand, haben die Skipper ein paar Meilen vor der Südküste ihren Teil dazu beigetragen. Alberto erzählt, dass er und die anderen in den letzten Jahren hunderte von Langustenfallen im Meer versenkt haben. Es sind weiß angepinselte Bretterverschläge von der Größe einer Tür, unter denen die Schalentiere gern Schutz suchen. Auf der Suche nach den Fallen orientieren sich die Kubaner am Muster der Sandbänke, die im flachen Wasser den Meeresgrund bedecken. Flach, das heißt fünf oder sechs Meter Wassertiefe. Tief genug, um einem Taucher, der die Langustenfallen auf dem Meeresgrund inspiziert, körperlich das Letzte abzuverlangen. Und tief genug für die Haie, die sich in den Gewässern südlich von Kuba tummeln.
Gegen Mittag ist Alberto mit zwei anderen Männern hinausgefahren, um die Fallen zu inspizieren. Doch die Männer haben Pech, es ist kein guter Tag für einen Fischzug. Vor die karibische Sonne haben sich dunkelgraue Wolkenpakete geschoben, die Sandbänke auf dem Meeresgrund sind im diffusen Licht kaum zu erkennen. Um die Masten des Katamarans pfeift ein kalter Wind, und ein kurzer Blick durch die Taucherbrille reicht aus, um auch noch die letzten Gedanken an tropische Idylle zu verdrängen. Unter dem Boot gibt es kein kristallklares Wasser, keine Korallen, keine bunten Meerestiere. Stattdessen ein undurchdringliches Dunkelgrün, das jeden Fisch verbirgt. Plötzlich fuchtelt der Skipper mit dem Enterhaken, sein Arm zeigt nervös auf eine Stelle links vom Boot, "Abajo! Abajo!" Hinunter. Endlich eine Fangstelle.
Sekunden später springen er und der junge Norberto vom Bug des Katamarans. Einen Moment lang paddeln sie im Wasser, dann steigen sie mit kräftigen Flossenschlägen kopfüber in die Tiefe hinab. Zwei oder drei Minuten halten sie es unten aus, ohne Luft zu holen. Gerade genug Zeit, um am Meeresgrund den Bretterverschlag anzuheben und mit den Enterhaken die Langusten zu angeln, die sich unter den Holzbohlen verkrochen haben. Sie gehen immer zu zweit hinunter, denn einer allein würde es nicht schaffen, die Holzverschläge zu bewegen. Außerdem fühlen sie sich zu zweit sicherer. Die Haie.
Die Langusten liegen in einer Ecke hinten im Boot auf einem Haufen. Lange Fühler zucken ohne Orientierung, staksige Beine zappeln hilflos in der Luft. Die Stimmung an Bord ist mies. Gerade mal sieben Langusten hat die Tour eingebracht. Viel weniger, als die Männer eigentlich mitbringen wollten.
Für die Touristen auf Albertos Katamaran ist heute der letzte Urlaubstag. Morgens beim Kaffee hat er angekündigt, dass jeder von ihnen abends beim Dinner einen Lobster auf dem Teller haben soll. "Something special for tonight." Obwohl er das ganz nebenbei gesagt hat, rechnen seine Gäste an Bord mit einem fulminanten Abendessen, denn Alberto hat bereits bewiesen, dass er ausgezeichnet kochen kann. Einen Tag früher hat er zum Mittagessen einen gegrillten Red Snapper serviert, den er nachts aus dem Meer gezogen hat. Die Kubaner haben ihre ganz eigenen Methoden, einen Fisch zuzubereiten. Einen ganzen Tag lang hat der Skipper den Red Snapper in einem Plastikeimer in der prallen Sonne gammeln lassen, bevor der Fisch schließlich im Ofen landete. Darüber haben sich Albertos Gäste gewundert, aber ihre höflich vorgetragenen Einwände - "Maybe some ice?" - hat er mit einem autoritären "No!" weggewischt. Und als der Fisch tags darauf auf den Teller kam, frisch aus dem Ofen geholt und mit karibischen Gewürzen verfeinert, hat niemand mehr darüber nachgedacht, wie lange das tote Tier in der Sonne gelegen hat.
Bei den Langusten steht Alberto nun vor einem ganz anderen Problem. Er hat jedem an Bord einen Lobster versprochen, doch er muss die magere Ausbeute mit Norberto und einem anderen Skipper teilen. Auf dem Spiel steht nicht nur die Ehre des Kapitäns. Das Dinner am letzten Tag soll die Gäste in Spendierlaune versetzen und für üppige Trinkgelder sorgen. Die Skipper brauchen Devisen. Nur wer US-Dollars besitzt, kommt auf Kuba über die Runden. Längst ist das Geld des Klassenfeindes auf Castros Insel zur inoffiziellen Leitwährung geworden.
Mit seinem Anteil des Fischzugs verzieht sich Alberto schweigend in die Kombüse. Er öffnet Dosen, schüttet ihren Inhalt in Kochtöpfe, mixt nebenbei ein paar Mojitos, um die Leute an Bord bei Laune zu halten. Draußen ist es dunkel geworden. Die See ist ruhig, der Katamaran schaukelt sanft. Eine halbe Stunde später stehen zwei große Schüsseln dort, wo am Abend zuvor die Rommee-Karten ausgebreitet waren. Aus einer der Schüsseln steigt der Dampf von weich gekochten Spaghetti auf. In der anderen schwappt ein hellroter Brei, Tomatensauce auf kubanische Art, abgeschmeckt mit Chilis, Langustenfleisch - und Bier. Something special for tonight. Der Skipper hat sein Versprechen gehalten. Als nach dem Essen jemand das Kartenspiel auspackt, kommt er aus der Kombüse, um das Geschirr abzuräumen. Alberto, der Schweigsame, sagt kein Wort. Beide Schüsseln sind leer. Unter seinem grauen Schnauzbart zeichnet sich ein Lächeln ab.
taz Nr. 7375 vom 5.6.2004, Seite 13, 277 Zeilen (TAZ-Bericht), OLIVER BURGARD
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