Die Rathausspitze lässt die Tage zählen. Heute fehlen noch 19 bis zum großen Jubiläum. Darauf weisen Tafeln sowohl am Rathaus als auch am Sitz der Provinzregierung hin. 19 Tage bis zum 65. Jahrestag des Angriffs auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba. Der von Fidel Castro angeführte Umsturzversuch – leben außer Raul eigentlich noch damals beteiligte? - ist bis heute der Ursprungsmythos der kubanischen Revolution und der offizielle Revolutionsfeiertag. Dabei spielt keine Rolle, dass der Sturm schmählich scheiterte und die Niederlage mit einem hohen Blutzoll bezahlt wurde.

Während die alten Revolutionäre ihre Orden putzen und Losungen wie "65 y mas" an die Wände pinseln - lebt das junge Santiago auf ein anderes Ereignis hin: am 21. Juli beginnt der Karneval. Conga-Gruppen üben bereits ihre Umzüge und schlagstockbewehrte Polizisten ihren Einsatz. Verlief zwei Umzüge vor zwei Wochen im Stadtteil Flores noch ohne Vorkommnisse und auch ohne Polizei, so war das am vergangenen Freitag auf dem Paseo Marti und San Pedrito schon ganz anders. Eine Reihe von acht Polizisten schaffte es tatsächlich nacheinander drei Taschendiebe aus der aufgeputschten Menge zu holen und in ihre weißen Ladas zu verfrachten, später eskalierte die Situation weiter. Es flogen Flaschen und Bierbüchsen. Ein Polizeioffizier lenkte von erhöhter Position aus den Einsatz, in dem er mit seinem Schlagstock nicht nur die Bewegungen seiner Umgebungen koordinierte, sondern auch den Takt den Knüppeleinsatzes vorgab. Schließlich verstummte die Musik.

Eine weitere Generalprobe für den traditionellen Karneval ist das seit Dienstag stattfindende einwöchige Festival de Caribe. Am Donnerstag fand der große Umzug statt, der die vom Plaza de Marte zum Cespedes führte. Unter den Arkaden des Rathauses waren Plastestühle für die Gäste aufgebaut, davor saßen Trommler auf der Straße. Angeführt wurde der Umzug von den Bikern auf ihren Oldtimer-Maschinen. Hinter ihnen stauten sich die Gruppen bis zum Boulevard: drei Stunden Festumzug und nachts dann ein grandioses Konzert am Fuß der Kathedrale.

Auf dem früheren Abstellplatz für Busse, rechterhand wenn man von der Autopista auf den Revolutionsplatz zufährt, entsteht ein neuen Fünf-Sterne-Plus-Hotel. Am Platz selbst sind die Art-Deco-Gebäude der alten Busstationen (Viazul und Astro) abgerissen wurden. Dafür steht hier jetzt ein einstöckiger weißer Zweckbau, ein Super-Mercado für Lebensmittel und Technik. Es gibt sogar Einkaufswagen. Auch auf der anderen Seite, hinter dem Plakat mit dem ein Gewehr schwingenden Fidel, wird abgerissen und neu gestaltet, ebenso oberhalb der Calle 4.

Die Gebäude auf beiden Seiten der Enramadas wurdden einschließlich der Papierkörbe neu gestrichen und werden nachts mit bunten Neonlampen angeleuchtet. Am Ende des Einkaufsboulevars – kurz vor der Alameda - wird einem alten Hotel neues Leben eingehaucht. Laut aushängenden Zeichnungen soll es durch einen futuristisch wirkenden Neubau ergänzt werden. Ein weiteres Hotel entsteht ein Stück weiter in Richtung Bahnhof.

Auch der neue Containerhafen entwickelt sich. Meistens liegen jetzt drei Frachtschiffe an den Terminals. Und der neue Malecon wird von den Santiagueros tatsächlich angenommen. Hier sitzen sie abends mit Faßbier aus dem Coliseo und schauen verträumt auf die Bucht und mitunter auf ein weißes Kreuzfahrtschiff. Gastronomisch gibt es aber einen Rückschritt. Das kleine als Restaurant umgebaute Schiff, auf dem für MN gegessen werden konnte, liegt nicht mehr am Kai.

Baumaßnahmen ansonsten flächendeckend in der Stadt. Wo immer die Stadtverwaltung Grundstücksbesitzer von verfallenen Objekten überzeugen kann, diese gegen Neubauwohnungen einzutauschen, lässt sich sofort abreißen und neue, mehrstöckige Gebäude auf dem Gelände errichten. Der Nachteil ist, dass die gewachsenen Sozialstrukturen damit zerreißen.Und ein handfestes Problem ist die Wasserversorgung. Die Wohnungen verfügen zwar über Duschen und Wassertoiletten, aber wenn die Stadt kein Wasser durch die Leitungen schickt...

Ansonsten ist es jetzt Anfang Juli in Santiago de Cuba unangenehm schwül. Zwar blitzt und donnert es regelmäßig nachmittags, aber nur selten kommt es zu einem Regenguss.

Wen die Santiagueras übrigens als Deutschen identifizieren, der bekommt derzeit von ihnen ein von einer Handbewegung, bei der der Zeigefinger über den Daumen schnipst, begleitetes, mitleidiges Lächeln und der Mund formt dabei ein lautloses: Mexiko.

Gestern Abend ist das Festival de Caribe mit einem neuerlichen Umzug zu Ende gegangen. Diesmal ging es direkt bis runter zur Alameda, wo in Höhe des Uhrenturmes eine vielleicht sechs Meter große Puppe verbrannt wurde. Anschließend Konzert und kräftiger Umdrunk.