Bitte geben Sie einen Grund für die Verwarnung an
Der Grund erscheint unter dem Beitrag.Bei einer weiteren Verwarnung wird das Mitglied automatisch gesperrt.
Havanna zu Fuß/November 2009
#1 Havanna zu Fuß/November 2009
1. Tag/ Kolumbus-Friedhof
Der Bus ist pünktlich. Auf die Minute 6.35 Uhr fährt er in die Viazul-Station ein. Während sich die Kubaner beeilen, ihr Gepäck in Empfang zu nehmen, lassen sich die Touristen Zeit. Wozu auch hetzen, halb sieben morgens. Toilettenbesuch. Obwohl es der erste Bus des Tages ist, stehen die weißen Fliesen unter Wasser, ein Drittel der Becken mit Wappen als defekt gekennzeichnet, das nächste Drittel eklig-unbenutzbar. Bleibt das letzte Drittel. Vor dem Busbahnhof ist es ruhig. Zwei Taxisfahrer warten auf Kundschaft, aber sie wollen angesprochen werden. Kein Mensch winkt mit einer Casa-Visitenkarten. Havanna scheint noch zu schlafen. Nach einer kurzen Orientierung auf der Karte beschließe ich in die Innenstadt zu laufen. Der Station ist zwar viel weiter draußen, als ich Erinnerung habe - oder gibt es noch einen anderen Halt? - aber ein Taxi kann ich mir auch später noch nehmen. Als Fußmarsch von der calle 26/Avenue Zoologico in die Richtung, wo ich den Malecon vermute. Als Gepäck habe ich nur einen Stadtrucksack. Die Wasserflasche ist noch fast voll. Also, willkommen Havanna. Den Zoo zur rechten wissend laufe ich los. Die Straße fällt leicht ab, als würde mich die Stadt sanft in ihr Zentrum schubsen wollen. Unterwegs nur ein paar verschlafene Hauptstädter, die an den Haltestellen auf den Linienbus warten. Von einer weißen Wand grüßt ein Logo der „Estudio Trabajo Fusil“ mit den Köpfen von Che, Camilo und einen mir nicht bekannten Dritten, wohl ein Studentenführer. Daneben eine Zeichnung der Hochhäuser Havannas, dominiert von der Jose-Marti-Memorial und glücklichen Menschen um die Schmetterlinge flattern. Im Vordergrund allerdings ein mit einem Sturmgewehr bewaffneter Milizionär. Ein paar Meter eine Tankstelle mit der Leuchtreklame „Acapulco“ und einem elegant-geschwungenen Betondach. Hier sind nur die Zapfzäulen neu, alles andere original aus dem Anfang der 50er Jahre. Ich marschiere tapfer die Calle 26 entlang, stoße dann linker Hand auf einen kleinen chinesischen Friedhof, der von einige Pagoden geschmückt wird. Das Eingangstor ist mit chinesischen Schriftzeichen versehen und verschlossen. Hinter dem Friedhof zieht sich die schmucklose weiße Mauer eines Fabrikgebäudes. Auf der anderen Straßenseite scheint ein hellgrüner Mississippi-Flußdampfer angelegt zu haben. Ich kenne die Dinger nur aus dem Mosaik von Hannes Hegen, aber genau sieht das Haus auf der anderen Seite aus. Breite weiße Terrassen umlaufen in jeder der vier Etagen - die oberste als Sonnendeck etwas zurückgenommen - die Fassade. „Edifico Pilar“ steht am Gebäude an der Ecke Zapata/Pasaje.
Eine gelb verputzte Mauer die große aufgemauerte weiße Kreuze trägt, lockt mich von der Calle 26 weg. Nach drei Mauerstreifen kommen immer drei Zaunfelder mit Eisengitter. Dahinter träumt der Cementerio de Colon, einer der weltgrößten Friedhöfe, vor sich hin. Ich laufe an der Mauer entlang. Die Pracht der Totenstadt ist auch von hier aus zu erahnen. Unzählige weiße Gräber, dazwischen verrostete Gestelle, die bemooste Ziegeldächer tragen. Hinter Palmen leuchtet gelb verputzt und mit rot-weißem Dach die zentrale Kapelle, die einst die sterblichen Überreste von Christoph Kolumbus aufnehmen sollten. Und noch weiter entfernt grüßt der Platz der Revolution mit dem Jose-Marti-Memorial. Für kurze Zeit wird mein Aufmerksamkeit von dem Friedhof ablenkt. In einer Seitenstraße hat ein Volkskünstler die Umrisse von Menschen an eine Wand gemalt: Spielende und herum tollende Kinder, aber auch ein Biertrinker und jede Menge Sterne, Blumen und Schnecken. Teilweise sind sie von Kindern schon in bunten Farben ausgemalt worden. Davor sind, eingerahmt von Steinen, kleine Gärten mit Gras und Blumen angelegt. Ein Mann jätet gerade das Unkraut. Auf der anderen Straßenseite ist eine steinerne Sitzgruppe aus einem Tisch und zwei Bänken vor einen Wandbild mit kubanischen Farben aufgestellt. In der Mitte der Wand steht die obligatorische Büste Jose Martis, des wohl kleinsten gemeinsamen Nenners alle Kubaner. Ich laufe auch noch in die nächste Querstraße, um mir zwei sehr unterschiedliche Wandbilder von Che Guevara anzuschauen. Eines ziert der Spruch „Hasta la victoria siempre“. Che schaut skeptisch. Wieder ein Stück weiter steht vor einem Haus moderne Kunst aus Metall und Marmor. Schwer deutbar, daher hier nicht genauer zu beschreiben. Und endlich kommt ein großes, weit geöffnetes Friedhofstor. Eine breite, vierspurige Straße führt direkt zur Kapelle. Ich marschiere rein, werde aber sofort von zwei Sicherheitsleuten abgefangen. Hier sei kein Eingang für Touristen. Ich müsse zum Haupteingang und dort bezahlen. Ich versuche einen Deal: Ich könnte ja auch bei ihnen bezahlen und sie müssten mich ja nicht gesehen haben. Aber die Totenwächter in ihren Uniformen sind unbestechlich. Also wird der Außen-Rundgang fortgesetzt. Einige der Mausoleen sind aus schwarzen Quadern zusammengefügt. Erinnern entfernt an die Vorbauten des Leipziger Völkerschlachtmuseums. Über den Eingängen tragen sie Darstellungen Christus in einem sachlichen Jugendstil. Andere sind im Eingangsbereich verspielt wie gotische Kirchen. Erneut werde ich ablenkt. Auf der anderen Straßenseite scheint eine ganze Flotte von Schiffen angelegt zu haben. Die Architekten der Wohnhäuser haben in ihrer Formensprache nicht gespart. Die unmöglichst geschnittenen Grundrisse wurden platzsparend, aber architektonisch abwechslungsreich bebaut. Ein Haus scheint nur aus Rundungen zu bestehen, während am Nachbargebäude diese wahrscheinlich verboten waren. Verspielt das eine, streng der Formensprache untergeordnet das andere. Es gibt Balkonlandschaften zu bewundern, bei denen die Balustraden von den Mietern persönlich ausgebessert worden. Einer kam offenbar an Eisenstangen heran, ein anderer an Ziegel, ein dritter hatte nur Holz. An einem der „Dampfer“ hängt ein Rettungsring. Der Schaukelstuhl unter den Sonnensegel ermöglicht seinem Besitzer einen Blick in die Zukunft - den Friedhof. Der glänzt hier mit einem frisch sanierten Gebäude mit Glockenturm. „Naturales de Ortigueira“ steht über dem Eingang. Flankiert wird er von zwei Figurenreliefs Trauernder. Ein Stück weiter ragt eine marmorne Harfe aus dem Meer der Gräber. „Al cantor Da Terrina“ steht darauf und „Sv Esposa e hijos“, 1858 bis 1920, „Non mais emigracion“, „Caldo de grelos“, „Aturuxos“, „Milicroques“. Über einem anderen Grab wacht eine Engelsfigur. Unter hier ist ein schwarz-weißes Bild der Verstorbenen zu sehen, vor dem sich wiederum eine Katze sonnt, die quicklebendig ist. Neben der benachbarten Todesstätte weht die kubanische Fahne. Sie zeigt an, dass hier jemand beerdigt wurde, der für die Freiheit und Unabhängigkeit Kubas sein Leben gelassen hat. Eine kostbare Intarsienarbeit mit einer von einem blauen Kreis umkreisten weißen Sonne, die ihre gelben Strahlen quer über die braune Platte aussendet, ist ein kleines Grab. Es trägt außerdem zwei rosa Rosen mit grünen Blättern und die Initialien JHS. Unter dem Stein steht „Dominguez-Sardinas“.
Der Blick öffnet sich frei über die Totenstadt. Dutzende von Figuren fallen ins Auge, alle individuell gestaltet. Ein Mädchen mit langen Haaren, dem Umhang gerafft, hält in der linken Arm Blüten, die sie mit der rechten streut. Eine Engelfigur hält ein Kreuz, ein Christus eine Kleinkind auf dem Arm. Einige stehen leicht vorn übergebeugt, andere aufrecht, wieder andere lehnen trauernd am Grab. Frauenfiguren lehnen an großen Kreuzen und blicken sehnsüchtig zum Himmel, ein Christus betet mit nach oben gewandten Blick zu Gott Vater. Ein Mönch im langen Gewand segnet ein Grab.
In dem Weiß der Figuren fällt ein Mann mit gelbem Gärtnerhut und kariertem, kurzärmeligem Hemd auf. Er wischt den Stein ab, richtet die Kunstblumen und entfernt die verwelkten Blumen von einem neuen Grab. Er und die Blüten sind die einzigen Farbtupfer im weißen Marmormeer, das erst ein paar hundert Meter tief in der Stadt vom satten grünen Blätterwerk großer Bäume gestoppt wird. Sie verbergen eine der Straßen, die den 56 Hektar großen Friedhof durchschneiden und in Bezirke einteilen. Ich bewundere derweil das Grab von Lily de la Moneda y Planas. Es zeigt ebenfalls die Begrabene in einem Profilbild. Vor einer anderen Stätte liegt ein trauernder Löwe an den sich ein nachdenklicher Engel lehnt. Und eine Männerfigur mit wallenden Haar hält nicht etwa die Hände segnend nach oben, sondern schaut eher verzweifelt mit hängenden Armen über den Friedhof. Versteht hier einer die Welt nicht mehr?
Endlich erreiche ich den Haupteingang des Friedhofs. Das prächtige Haupttor mit seinen großen Bögen ist eingezäunt. Der gesamte Bereich eine große Baustelle mit provisorischen Gehwegen und wegen der unübersichtlichen Ampel wütend hupenden Autofahrern. Das Tor trägt drei Figuren, die die christlichen Tugenden Hoffnung, Glauben und Liebe darstellen und trägt den Spruch „Janua sum pacis“ - „Ich bin das Tor des Friedens“.
Der Eintritt kostet hier fünf Cuc. Allerdings ist die Kassiererin gerade erst eingetroffen. Es ist ja erst viertel neun. Und sie findet den Schlüssel für die Ticketkassette nicht. Ich zahle also fünf Cuc, bekomme keine Eintrittskarte und denke mir meinen Teil. Die Aufgabe lautet nun: Wie erobert man einen so großen Friedhof, eine Friedhofstadt auf der knapp zwei Millionen Menschen seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts beerdigt worden? Nachdenklich laufe ich die Avenida Colón entlang, die zentrale Straße. Der Erbauer der Anlage, der spanische Architekt Calixto de Loira hat sie wie ein römisches Militärlager angelegt. Das ganze Gebiet ist schachbrettartig aufgebaut. Das erste Grab, das mir auffällt, zeigt das Medaillon eines schnauz- und kinnbärtigen Gelehrten mit Nickelbrille und zurückgekämmten Haaren. Das muss Maximo Gómez sein. Einer der Anführer im Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien. Sicher bin ich mir nicht. Laut Reiseführer müsste die Anlage viel größer sein. Und der Stein selbst weist nur den Namen seines Künstlers aus, eines gewissen F. Astudillo. Anhaltspunkte gibt nur ein kleines weißes Kreuz davor mit den Angaben „M.G.T. 1877-1954“. Also doch der Generalissimo und spätere Präsident Kubas. Es folge neogotische Kirchlein, verzierte weiße Kapellen mit Türmchen, die an Kleckerburgen am Ostseestrand erinnern, trutzig-abweisende Mausoleen mit schlichten Kreuzen und andere, die mit ihren Kuppeldächern und Mosaiken an den Orient erinnern. Besonders sticht aber ein weißer Rundbau mit schmalen Fenstern ins Auge. Ein früher Vorläufer des legendären Dresdner Kugelhauses? Aber es ist keine Kugel, sondern lediglich ein Halbrund, das sich an einen Quader anlehnt. Juan Pedro Baró hat es für die aus seiner Sicht schönste Frau Havannas errichtet: Catalina. Vor dem Grabmal stehen zwei Königspalmen, die alles auf dem Friedhof überragen. Das höchste steinere Grab ist dagegen „Las Victimas de la Caridad“. Es erinnert an die Opfer eines Brandes, der sich 1890 in einem Eisenwarengeschäft ereignete. Ein Engel mit Augenbinde hält einen leblosen Feuerwehrmann in den Armen.
Rechts im Schatten der Avenida Colón stehen die ersten Bestattungsfahrzeuge. Es sind schwarz lackierte japanische Kombis auf deren Dächern sich die Kränze türmen. Hinter ihnen stehen die schwarz-gelben Lada-Taxis der Trauergesellschaften. Sie warten darauf, dass der Geistliche in der Kapelle, ein mit einer lila Schärpe bekleideter Schwarzer, Zeit für sie findet. Einige Familien sind sogar mit Bussen angereist, die um die Kapelle parken. Der Sarg wird aus dem Auto geschoben und in das Gebäude transportiert. Interessant ist, dass die Trauernden normale Straßenbekleidung tragen. Frauen wie Männer teilweise sogar in Dreiviertelhosen und ärmellosen Shirts. Die Kosten für die Beerdigung übernimmt übrigens der Staat. Wie überhaupt der einst katholische Friedhof seit Ende der 60er Jahre dem Staat gehört.
Anzunehmen ist allerdings, dass die derzeit laufenden Restaurierungsmaßnahmen der Kapelle aus Kirchengeldern finanziert werden. Das Gebäude ist außen wie innen eingerüstet. Einige junge Restauratoren sind überdies dabei, Heiligenfiguren neu zu bemalen.
#2 RE: Havanna zu Fuß/November 2009
Bei dem was um diese Uhrzeit in Havanna los ist, kann man schon mal auf die Idee kommen, Architekturstudien zu betreiben.
Schön geschrieben übrigens, wenn auch für die meisten hier wahrscheinlich nicht unbedingt interessant. Aber es kommen ja bestimmt noch weitere Berichte, wo hoffentlich bissel mehr los ist.
#3 RE: Havanna zu Fuß/November 2009
Tja, leider nur tote Chicas auf dem Friedhof. Die lebenden treffe ich erst später. Der folgende Teil spielt auch nur auf dem Friedhof.
Ich laufe weiter, staune über Gräber mit geheimnisvollen Zeichen: eine Fackel beispielsweise, die von einem Kreuz und einer Sense durchkreuzt wird. Darunter ist ein Totenschädel mit gekreuzten Knochen abgebildet. Ein Symbol wofür? Was erzählt es über die hier liegenden Menschen? Bekannt ist dagegen die Geschichte des Grabmals von Amelia Goyri de la Hoz. Die 24-Jährige starb 1901 bei der Geburt ihrer Tochter und wurde mit dieser zu Füßen auf dem Cementerio Cristóbal Colon beigesetzt. Als das Grab 13 Jahre später geöffnet wurde, soll das Neugeborene an der Brust der Mutter gelegen haben. Seit dem ist Amelia als die „La Milagrosa“ - die Wundersame - bekannt und gilt als Schutzpatron der Schwangeren und Neugeborenen. Werdende Mütter besuchen das Grab, das seit 1909 eine Statue von José Vilalta de Saaveda ziert, und bitten um Unterstützung. „Gracias Amelia, muchas Gracias“, steht auf vielen der mit Blumen geschmückten Steintafeln vor dem Grab.
Andere Gräber sind geschändet worden. Man hat die Figuren gestohlen oder ihnen die Köpfe abgeschlagen. So kann die einstige Schönheit des Grabmals von Julia Aznar de Galban verstorben am 17. September 1952, nur noch erahnt werden. Alle drei Figuren sind kopflos.
Ein Relief fällt mir auf. Hier erinnert ein Habanero an seinen noblen Freund Facundo Saronias y Sardinas. Immerhin 79 Jahre ist dieser geworden. Allerdings ist die Grabinschrift mit „tu flora“ unterzeichnet. Also wird das Grabmal wohl eher eine Habanera spendiert haben. In den Marmor gehauen ist auch eine vom gramgebeugte alte Dame. Ein Stück weiter wirft ein Engel den letzten Anker in eine Felslandschaft. Oder zieht er ihn hinauf? Ein blühender Kaktus in einem zerbröselten Plastetopf steht auf einem anderen Grab. Es stammt von 1996. Eduardo Sanchez de Fuentes (1874 bis 1944) dagegen war ein Musiker. Sein Grabmal ziert nicht nur ein charakteristischer Profilkopf, sondern auch eine Melodie mit Notenschlüssel.
Ich stoße auf eine Anlage für die Arbeiter „de la energia electrica“. Offenbar hat man in Havanna einst Begräbnisstätten für ganze Berufsgruppen errichtet. Auch hier steht ein fassungsloser Engel vor einem auf den Boden gesunkenen Menschen. „Colegio de Corredores de la Propiedad Inmueble Habana“ entziffere ich ein Stück weiter. Ein Grabmal für Grundstücksverkäufer? Langsam wünsche ich mir einen fach- und sprachkundigen Begleiter. Ein Stern ist in das Mauerwerk dem Mausoleums des „Clubs deportivo la Estrella“ geritzt, gekennzeichnet mit den Jahreszeiten 1935 und 1947. Es folgt der „Club Candamo“ bekrönt mit einem Wappen. An der Ecke Calle 17/Avenida Obispofray Jaciento ist Pause angesagt. Die Wasserflasche lehrt sich und der Akku in der Kamera zeigt ebenfalls Ermüdungserscheinungen an. Der Himmel bleibt bewölkt. Eigentlich das ideale Wetter für eine Friedhofsbesichtigung. Nicht auszudenken, die Sonne würde knallen. Kurz nach neun ist es inzwischen. An mir zieht eine Familie vorbei, die ihre Rollenkoffer ziehen. Wo wollen die bloß hin? Oder ist der Friedhof für einige vielleicht eine Abkürzung? Ich spaziere an dunklen Mausoleen vorbei, die mich an Bunker erinnern. Einige von ihnen haben noch kleine bleiverglaste Fenster mit christlichen Darstellungen. Die Reliefs an den Außenwänden sind dagegen verwittert und mitunter nur noch schwer zu erkennen. Gut in Schuss ist dagegen die Pavillon der „Sociacion de detallistas de viveres de la Habana“ mit einem Bronzewappen. Daneben geht es in die Gruft der „Sociedad de Naturales del Ayuntamiento de Puentes de Garcia Rodrigeuz“. Glänzender schwarzer Marmor, steile Treppen, ein Eisengittertor. Ich bin langsam gräbersatt und erfreue mich an mehreren Ameisenhügeln, die ihre Larven von A nach B schleppen. Das hat irgendwas Lebendiges. Dann fällt mein Blick auf eine künstliche Grotte mit einer vielleicht 50 Zentimeter hohen Marienfigur mit Kind. Davor steht eine trauernde Madonna. Über ein paar Grabreihen hinweg beobachtet mich ein Kolonialkrieger. Zumindest sieht die weiße Figur mit Säbel und Ordensschnalle fast wie ein alter Südwestler aus. Aber der Weg zu dem Mann ist nicht einfach. Das golden-farbige Grabmal „Sociedad de Beneficencia de Natyrales de Galicia“ stellt sich dazwischen und will samt vier Wappen gewürdigt werden. „La Union Manonesa“ steht über dem nächsten Bauwerk, „Union Cabranense“ am übernächsten, „Union-Club Pilones“ am folgenden. Und weiter geht es mit „De Empleados de la Cerveceria ´La Tropical`“, der „Union de Dependientes del Ramo de Tabaco“, des „Clubs Tinetense“. Ein großer Anker schmückt das Grabmal der „Asociacion de Capitanes y Pilotos de la Marina Mercante de Cuba“. Daneben liege andere Flieger „Asociacion Maquinistas Navales“. Ein bronzener Propeller vor einem fünfzackigen Stern schmückt die Gedächtnisstätte. Auf Ricardo Galvo Formoso und die Jahreszahl 1962 kann ich mir keinen Reim machen. Das Bronzerelief des Mannes erinnert mich irgendwie an einen Russen, aber dessen Grab wäre nicht mit einem Kreuz geschmückt. Ein Junge trägt einen Stern durch eine hügelige Landschaft und rechts ist ein von zwei Königspalmen umrahmtes Schriftstück zu sehen. Auch eine Erinnerung an die Veteranen des spanischen Krieges gibt es. Es erinnert in englischer Sprache und mit dem amerikanischen Adler an die us-amerikanischen Toten eines Krieges, bei dem den kubanischen Revolutionären der Sieg geraubt und Kuba zumindest quasi zu einer US-Kolonie wurde. Die Bronzeplakette trägt nicht nur den Schriftzug Kubas, sondern auch den der Philippinen und Puerto Ricos. Beide Territorien kaufen die USA damals den am Boden liegenden Spanien ab.
Bin ich eigentlich der einzige Touri in dieser Totenstadt? Im am äußerten Rand wohl schon. Ich stoße auf ein „Monumento al Hombre Comun“. Nur ein Stückchen weiter steht ein abgestorbener Baum auf dem ein Dutzend Truthahngeier sitzt. Im Hintergrund ein mit Regen drohender, verhangener Himmel. Richtige Gottesackerstimmung. In all dem Weiß und Grau freu ich mich langsam über jedes Grab mit bunten Blumen.
Trotz trüben Wetters glänzt auch das Denkmal zu Ehren der beim Angriff auf den Präsidentenpalast Batistas 1957 ums Leben gekommen Studenten. Für Fidel war der fast geglückte Umsturz eine Lehre. Er vereinte die verschiedenen revolutionären Strömungen fortan unter seiner Führung. Niemand sollte ihm bei der Machtübernahme mehr zuvor kommen können.
Salutierend begrüßt mich ein Bronzesoldat. Ich habe mich bis zum Panteón de las Fuerzas Armadas Revolucionarias vorgearbeitet, einem Stätte für die Helden der revolutionären Armee. Der andere Soldat präsentiert das Gewehr. Aber ich werde abgelenkt. Ein blauer Oldtimer spuckt eine Familie aus, die die Gräber ihrer Liebsten besucht. Und für mich interessieren sich zwei blau-uniformierte Sicherheitsbeamte. Sie wollen meine Eintrittskarte sehen. Ich erkläre, warum ich keine habe. Beschreibe die Dame vom Einlass. Seltsamerweise geben sie sich damit zufrieden, fragen nicht einmal mit ihren Funkgeräten nach.
Ich laufe wieder Richtung Capilla Central. Das Gebäude ist von dem Engel des jüngsten Gerichts bekrönt, der in seine Posaune bläst.
Gegenüber der Kapelle steht ein Mausoleum mit einem Bronzerelief. In dessen Mitte steht seltsamerweise ein Ritter in vollem Harnisch. Er hält ein Schuld mit einem Kreuz vor sich und ist umgeben von vier Trauernden. Das Wappen über dem Eingang zeigt einen gefiederten, ja was, Löwen mit Greifenkopf? Beeindruckend die Grabanlage der Familie Falla Bonet. Zwei marmorne Frauenfiguren verneigen sich trauernd vor einer Bronzetür. Diese zeigt ein Relief von Männern, die einen Sarg geschultert, sich vom Betrachter entfernen. Das Grabmal in Form einer Pyramide bekrönt eine Christusstatue. Es ist nicht das einzige Grab in dieser form. Auch Jóse F. Mata, der 1920 verstarb, ließ sich eine Pyramide errichten.
Zahlreiche Gräber erinnern auch an Logen. Kuba ist das einzige sozialistische Land, in dem das Freimaurertum nicht verboten wurde. Der Grund ist leicht erklärt: Jóse Marti und die meisten seiner engsten Mitstreiter waren Freimaurer. Auf dem Friedhof sind zahlreiche Logen vertreten, die „Union Latina“ beispielsweise, deren Begräbnisstätte eine Fackel kennzeichnet oder „Benemerita Logia Martires de la Libertad“. Eine andere „Logia de Libertad“ trägt nur die Nummer 77. Auch ein Mausoleum für die japanischen Habaernos gibt es hier. Es wird gerade restauriert. Nur das für die Deutschen finde ich nicht. Schließlich sollen hier zwei Matrosen liegen, die bei einem Gefecht mit einem französischen Kanonenboot in der Bucht von Havanna getötet wurden. Das war während des deutsch-französischen Krieges 1870/71. Da war zwar der Cementario Cristóbal Colón noch nicht eröffnet, aber beerdigt wurde schon. Vielleicht liegen die beiden aber auch auf den alten Zentralfriedhof „Espada“.
Auch Skurriles gibt es zu entdecken: Eine Anlage, die aus der Entfernung aussieht, als seien ihre Tore aus uralten Wurzeln geflochten und mit Muschelkalk verkleidet. Es handelt sich aber nicht um Naturmaterialien, sondern um ein Kunstwerk aus eisenbewehrten Gips.
Sorgfältig gepflegt sind die Begräbnisstätten der Märthyrer der Revolution. Sergio Gonzales Lopez - Spitzname El Curita - zählt zu ihnen. Seinen Grabstein ziert nicht nur ein Bildnis, sondern auch eine brennende Fackel mit rotem Stern. Die kleine Anlage ist von grünen Hecken eingegrenzt und von zwei steinernen Bänken gesäumt. Auch hier weht die Nationalflagge.
Inzwischen bin ich wieder am Haupteingang angelangt. Ich gehe zur der Dame vom Einlass und verlange mein Billett. Schließlich habe ich keine Lust, von der nächsten Sicherheitsstreife erneut verhört zu werden. Vielleicht ist es ja auch als Andenken ganz hübsch. Die Dame mault zwar rum, die Security solle bloß still sein, händigt mir aber ein verholztes Stück Papier aus. Ein Cuc kostet darauf der Eintritt. Nur ein blauer Stempel teilt mit, dass man jetzt fünf Cuc verlange. Ich setze mich auf eine eiserne Bank und studiere im Reiseführer, was ich alles noch nicht gesehen habe. Da ist beispielsweise das Grab des Schriftstellers Alejo Carpentier. Ich mache ich auf, es zu finden. Trotz eigentlich genauer Beschreibung vergeblich. Dafür stoße ich auf das Mausoleum „Sindicato de Empleados y Obreros Autobuses de Modernos“. Ein köstliches Stück Zeitgeschichte, denn es zeigt auf der linken Seite einen die Zügel schwingenden Lenker einer Pferdebahn von 1899 und rechts einen Kraftomnibusfahrer über sein Lenkrad gebeugt. Rätsel gibt mir dagegen der Davidsstern über einem schwarzen Marmordenkmal auf, befinde ich mich doch auf einem katholischen Friedhof.
Bei Alfredo Hornedo, der in der Pose eines römischen Geldherrn auf seinem marmornen Stuhl sitzt, gibt der Akku endgültig seinen Geist auf. Ich ersetze ihn durch Nummer zwei. Inzwischen ist es elf Uhr und auch andere Touristen sind unterwegs, einige sogar mit Reiseleiter. Ich entdecke noch ein paar wunderschöne Bronzereliefs im Jugendstil. Dann ein Mausoleum über dem „Steinhart“ steht. Wer wird hier begraben sein? Ich finde keine Hinweise.
Überhaupt ist es jetzt genug. Ich erfreue mich noch an den Gartenkunst der Habaneros. Viele der Bäume sind wie kleine Kunstwerke geometrisch geschnitten worden. Ein letzter Blick auf den Friedhof mit seinen Skulpturen und Mausoleen, dann schreite ich durch das Portada Principal und das Havanna des 21. Jahrhunderts hat mich wieder kurz nach halb zwölf wieder. Leider sind es nicht die hübschen Habaneras, die mir nun als erstes begegnen, sondern Revolutionsplakate: „Solo uns Revolucion de Pueblo Puede Aemar al Pueblo“, zitiert die MNR mahnend Fidel Castro. Ich laufe Richtung Platz der Revolution. Das richtig bin, merke ich erst, als ich auf eine breite Straße stoße an deren Ende das Jose-Marti-Memorial aufragt. Köstlich amüsiere ich mich über eine Wand voller Losungen. „Viva la unidad Latinoamericana!“ steht geschrieben und darunter trägt ein RAF-Kommunarde mit rotem Stirnband eine weiße Fahne mit der Aufschrift „Abajo el Bloqueo“. Noch gefährliche rsiehr der nachfolgende Trommler aus, der auf einen roten Stern einschlägt. Die nachfolgende Frau mit einem Schild, das Freiheit für die fünf in den USA eingekerkerten Kundschafter verlangt, hat der Regen das Gesicht weggewaschen. Rechter Hand kommen ein paar sorgfältig angelegte Gemüsefelder. Ob die deutsche Welthungerhilfe hier aktiv ist? Dem Repräsentanten in Havanna würde ich es zutrauen, unmittelbar vor dem Platz der Revolution aktiv geworden zu sein. Schließlich ist er durch Santiago geprägt. Eine vergammelte Werkstatt versucht es dagegen allein mit Losungen „En el Ano 50 de la Revolucion mas compromiso trabajo y entrego“. Fehlt da ein „no“? Auf der großen Allee steht eine einsam Tramperin. Irgendwann stoppt sogar ein Auto und nimmt sie mit. Und jetzt sehe ich endlich die Neuigkeit, weswegen ich zum Platz der Revolution laufe: Da ist Camilo Cienfuegos. Genau so groß wie Che heftet er jetzt an der Wand eines Hauses. „Vas bien Fidel“ steht daneben. Auch hier schaut Camilo verschmitzt, auch wenn er nicht so grient, wie auf den meisten Plakaten. Ob seine Leiche irgendwann noch einmal gefunden wird und die ganze Wahrheit ans Licht kommt?
#4 RE: Havanna zu Fuß/November 2009
Jetzt geht es bis auf die Calle Virtudes.
Weiter geht es jetzt in Richtung Malecon. Vor der Astro-Station stehen zahlreiche Oldtimer geparkt. Ich bin ich schon mal böse mit den Besitzern zusammengestoßen, nur weil ich Autos fotografiert hatte und die plötzlich Kohle wollten. Diesmal streiche ich so lange rum, bis ich gefragt werde, ob ich nicht Bilder machen möchte. Ich willige nach einigen Zögern ein. Jetzt fühlen die sich geehrt und alles ist gut. In der Post nebenan decke ich mich mit Postkarten mit aufgedruckten Briefmarken ein. Stückpreis ein Peso nacional. Die Motive: Jose Marti mit kubanischer Fahne, Kleinkind mit kubanischer Fahne und Tauben plus diverse Sprüche. Die mit Fidel sind für die eher links angehauchten Freunde in Europa, die mit Marti für die übrigen. Losungen begleiten mich auch weiterhin. „50 anos y seguimos para siempre“ seht an einer weißen Wand, die Wörter sind immerhin in schwarz und blau, die Zahl in grüner Farbe gehalten. Architektonisch interessant wird es wieder auf der Allee Salvador Allende. Hier befindet sich eine Schule für Veterinärmediziner mit sehr interessanten Reliefs. Es wurde 1943 von Manuel de Tapia Ruano errichtet. Weiter geht es zu dem „Edificio Manzanares“, 1944 erbaut. Da ich auf dem Rückweg zur Busstation von Viazul von hier aus ein Taxi genommen habe: Der Fahrer wollte sechs Cuc. Es war ein Coco-Taxi. Ich denke mal, dass der Taxometer eines regulären Taxis vielleicht vier Cuc angezeigt hätte. Amüsiere mich über eine Wandzeitung eines CDR. Die Zeitungsausschnitte handeln ausschließlich von Frauen. Dann kommt das große Warenhaus: Carlos III. Zeigt es Euern kubanischen Frauen oder Freundinnen lieber nicht. Eine Parallelstraße weiter befindet sich übrigens eine Hochgarage aus dem Anfang der 50er Jahre, auch recht interessant. Ich stoße auf die Belascoain mit dem großen gelben Gebäude der Freimaurerloge auf dem sich einst die Weltkugel drehte. Wer sich für Freimauerei interessiert, man kann das Erdgeschoss besichtigten.
In dem kleinen Park mit dem Karl-Marx-Relief verschnaufe ich erst einmal. Der zweite Akku in der Kamera ist auch nicht mehr richtig in Form. Offenbar ist er in Santiago nicht so richtig geladen worden. Ich muss mir also bald eine Casa suchen. Zwischendurch hatte ich schon mit der Idee geliebäugelt, mit dem Nachtexpress wieder zurück nach Santiago zu fahren. Schließlich stand nur noch Malecon, Centro und Altstadt auf dem Programm. Bei dem Tempo wäre das bequem zu schaffen. Ein Blick auf die Uhr zeigt. Es ist erst 13 Uhr. Also noch vier Stunden Licht und eine Stunde Dämmerung.
Die Gullydeckel hier stammen aus dem Jahr 1953 und wurden in Kanada gefertigt. Ich laufe die Straßen zum Malecon herunter und biege dann rechts auf die Virtudes ein. Die Kamera blinkt rot, ich benötige dringend Strom. Also muss eine Casa gesucht werden. Die ersten Chicas rufen aus dem ersten Stock eines Hauses. „Eh chico!“ Sie winken, ich soll hochkommen. Aber ich habe anderes vor. Es ist wie immer, wenn man eine Pension sucht. Kein einziges der blauen Schilder ist zu sehen.
#6 RE: Havanna zu Fuß/November 2009
Zitat von Jose Ramon
Die Kamera blinkt rot, ich benötige dringend Strom. Also muss eine Casa gesucht werden. Die ersten Chicas rufen aus dem ersten Stock eines Hauses. „Eh chico!“ Sie winken, ich soll hochkommen. Aber ich habe anderes vor. Es ist wie immer, wenn man eine Pension sucht. Kein einziges der blauen Schilder ist zu sehen.
Meinst du, die Chicas hätten für dich keine freie Steckdose gehabt?
Gelb?
.
.
Aufgrund eingeschränkter Benutzerrechte werden nur die Namen der Dateianhänge angezeigt Jetzt anmelden!
#10 RE: Havanna zu Fuß/November 2009
@jan: Das mit den Fotos hatten wir schon mal: Trotzdem die Strecke http://www.cubaencuentro.com/revista/lay...abana-en-obras/(filter)/slider kann ich mir immer wieder ansehen
#12 RE: Havanna zu Fuß/November 2009
Casa gefunden und Ausflug zum Capitolio
Das erste Casa-Schild. Ich stoße fast mit der Nase drauf. Klingle. Eine ältere Dame macht auf und bittet mich herein. Im Wohnzimmer hocken noch mehrere Frauen. Über einen kleinen Innenhof geht es zu den Zimmern. Eins ist besetzt, das andere wird gerade sauber gemacht. Das einzige, was mir gefällt, ist das Zimmermädchen, das gerade die Dusche putzt. Überdies will die Casa-Inhaberin 25 Cuc und nimmt auch meine Bemerkung, dass mir das zu teuer sei, nicht zur Kenntnis. Also verabschiede ich mich aus der „Hospedaje Casa Isbel“ auf der Animas. Auf der Straße werde ich aber von zwei anderen Frauen, eben jenen aus dem Wohnzimmer, zurückgerufen. Sie schreiben mir eine Casa nahe des Capitolio auf. Sie sei genauso gut wie diese und koste nur 20 Cuc. Sie würden auch gleich Bescheid sagen, dass ich komme. Ich will zuvor wissen, wo sich denn diese Calle Orelly befinde und halte ihnen einen Stadtplan vor die Nase. Aber wie so oft bei Kubanern können sie mit derartigen Karten nicht umgehen. Also bedanke ich mich und laufe weiter. Ich will jetzt zu Marta auf der Escobar vorbeischauen. Da habe ich schon öfters übernachtet, auch wenn sie das letzte Mal - und nach der Renovierung ihrer neu erhandelten Wohnung - die Preise unverschämt angezogen hat. Aber bei ihr hört auf mein Klingeln niemand. Eine Querstraße weiter dann die nächste Casa. Ich werde in die Küche gebeten. Auf dem Kühlschrank steht ein TV-Gerät. Es dient als Überwachungs-Bildschirm. Ich hatte nicht bemerkt, dass über der Haustür eine kleine Kamera angebracht war. Die anwesende Frau ist Hausangestellte und bemüht sich mit drei oder vier verschiedenen Telefonnummern die Besitzerin zu erreichen, aber die hört nicht. Im Innenhof taucht ein asiatischer Tourist auf. Die Casa hat offenbar drei zu vermietende Zimmer. Zu meinem führt eine schmale eiserne Wendeltreppe. Darauf habe ich überhaupt keinen Bock. Da mit die Hausangestellte nicht einmal den Preis für das Zimmer nennen kann, verabschiede ich mich. Zwei Häuser weiter dann die nächste Casa. Eine skeptisch blickende Weiße macht auf. Hier gibt es zwei Zimmer, eins davon mit einem Italiener besetzt. Ich schaue mir das Zimmer an und wir werden bei 20 Cuc handelseinig. Ich buche erst einmal zwei Nächte. Der Akku bekommt wieder Saft und ich dusche endlich. Dann wird der Kühlschrank angeschlossen. Jetzt muss ich Wasser, Rum und Cola besorgen.
Ich bin auf der Companario untergekommen, die unmittelbar zum Malecon führt bzw. führen würde, denn zwischen der Uferstraße und der San Lazaro ist der Durchgang wegen eines baufälligen Hauses gesperrt. Ich laufe eine Straße weiter und stehe einem wütenden Meer gegenüber. Hoch schlagen die Wellen über die Mauer. Nichts ist, mit auf der Mauer sitzen, Rum trinken und träumen. Ich gehe zurück auf die San Lazaro. Viele Häuser sind nur noch Ruinen. Vor allem die Eckhäuser, die die ganze Zeile halten, sehen arg lädiert aus. Ganze Teile der Fassade sind herausgebrochen.
Unterwegs fotografiere ich - ganz sparsam mit dem fast leeren Akku - ein paar (unpolitische) Graffiti: Ein Typ mit Baskenmütze und Joint. Nett auch zwei Chicas - eine in Schuluniform und eine nach neuester Mode angezogene, die gleichzeitig aus zwei neben einander befindlichen Türen auf die Straße treten.
Auf der Avenida Italia gibt es Wasser, aber keine Cola. Dafür spricht mich ein Verkäufer an, der wohl aufpasst, dass kein Touri aus den langen Regalen mit Rum ein Fläschlein klaut. Ob ich Deutscher sei? Er habe in Sinkwitz im Mähdrescherwerk gearbeitet und in Bautzen gelebt. Im Sommer 1989 sei er zurück nach Kuba. Wer zu früh gehe, den bestrafe das Leben, bemitleide ich ihn. Zwischendurch scheißt sein Chef zwei Touristen an, die die Rumregale fotografieren. Das sei verboten. Mein Verkäufer schüttelt den Kopf. Da gebe es mal volle Regale und dann dürften nicht einmal diese fotografiert werden. Ich frage ihn nach dem nächsten Rumstand für MN und er weist mich die Straße hinauf. Mit einer 1,5-Liter-Flasche con Gas für 60 Cent verlasse ich den Laden.
Die Rumpreise sind verrückt. 110 oder 145 MN wollen die haben. An einer Hausfassade schwebt ein Mann auf einem Brett und verputzt einen Balkon. Nebenan schauen zwei Chicas aus dem Fenster. Die eine tiefschwarz, die andere weiß mit blondgefärbten Haaren. Ein schöner Kontrast.
Stoße jetzt auf das Getümmel entlang des Prados. Die Bronzelöwen sind wie immer beeindruckend. In einem Park sitzt ein alter Weißer. Graue, nach hinten gekämmte Haare, langer weißer Bart, Adlernase. Mache ein Foto. Den kann ich als Fidel verkaufen. Auf einer anderen Bank sitzen zwei recht offenherzige Chicas. Die eine hat ihren kleinen Sohn dabei, was wohl vor eventuellen polizeilichen Nachfragen schützen soll. Überhaupt sind hier die Blusen weit aufgeknöpft.
In einem Café unter den Kolonnaden spielt eine Band, die Neugierige, Touristen wie Einheimische anlockt. Putas schauen sich um. Raúl kommt plötzlich auf mich zu. Ein Bekannter aus Santiago, den ich schon Jahre nicht mehr gesehen habe. Er arbeitet jetzt in Havanna für ein Reiseunternehmen. Endlich scheint er es geschafft zu haben. Das einst in Chemnitz gelernte Deutsch macht sich bezahlt.
Vor dem Capitolio, dem Capitol in Washington D.C. nachempfunden, stehen scharfe Bräute. Eine Schwarze mit fast kahl rasiertem Schädel und im eng anliegenden roten Hosenanzug läuft mir idealerweise direkt vors Tele. Neben ihr vier andere Chicas, die alle eine Nuance heller bis zu einer ganz Weißen sind. Alte Frauen mit Zigarren im Mund und bunten Strohhüten ermuntern die Touristen, sie zu fotografieren. Im Gegensatz zur Altstadt arbeiten die Frauen wohl auf eigene Rechnung, sind keine Staatsangestellten. Ich klettere die Stufen zum Capitolio hinauf und bewundere die großen Figuren, die die Arbeit und die Gerechtigkeit symbolisieren, aus der Nähe. Vor dem Eingang stehen Touristen Schlange, um das Innere mit der 17 Meter hohen, Blattgold überzogenen Statute der Republik zu besichtigen.
Der Blick von oben ist nicht gerade schön. Alles wirkt viel verfallener, als ich es vom letzten Jahr in Erinnerung habe. Ein Bettler spielt Che Guevara und hofft, dass ihm die Touristen Dollar zustecken, eine Familie möchte, dass ihre (sehr hübsche) Tochter für Devisen fotografiert wird. Ein Polizist mit Schäferhund kontrolliert Chicas. An der Colon steht eine aparte Schwarze in kurzer weißer Hose und weit aufgeknöpfter Bluse, traut sich aber nicht weiter in Richtung Prado. Eine andere Chica spricht mich in einer teuren Boutique an. Welches Kleid ihr am besten passen würde und ob ich ihr es nicht kaufen wolle? Ich schaue auf das Preisschild: 76 Cuc. Die Mutter der Kleinen kommt gleich noch mit ein paar Schuhen an. „Regalo?“ Ich schüttle den Kopf. Sie bezahle 30 und ich den Rest, flüstert mir die Chica zu. Nicht schlecht, die Anmache. Da weiß man wenigstens gleich, wie es läuft.
#13 RE: Havanna zu Fuß/November 2009
Auf dem Rückweg gerade ich wohl auf die Lagunas, die von der Italia aus beginnt. Entdecke ein weißes Haus mit drei hellgrünen, in die Wand eingelassenen Jugendstilreliefs. Wunderschön.
Dann ein Devisenladen. Hier gibt es an der einen Kasse Cola, an der anderen Bier. Finde diese Aufteilung seltsam, aber bitte schön. Ich finde zwei, drei Läden, die Rum zum Abfüllen anbieten, aber ich habe keine leere Flasche dabei. Dann eine fast leere Eckkneipe. Laut Tafel wird hier auch nur der für 150 angeboten, aber ich frage den Wirt nach dem billigen. Der nickt und verschwindet nach hinten. Offenbar füllt er irgendwas ab. Ich muss inzwischen den einzigen Gast fotografieren, wie der zwei der teueren Rumflaschen fotografiert. Dafür das der dann den Rum verkosten, die der Wirt jetzt aus seinem Hinterraum bringt. Ich zahle 57 MN und seltsamerweise ist die Plastekappe richtig verschlossen. Das schmale Stück Plaste fällt wie im „richtigen Geschäft“ beim Aufdrehen ab. Der Mann kostet, ich nehme auch einen Schluck. Dann verabschiede ich mich.
Auf einer kleinen Straße stehen Kinder in zwei Reihen. Sie machen unter Anleitung ihres Lehrers Sportübungen. Eine Nebenstraße ist nicht nur durch Poller für den Verkehr gesperrt, hier scheint es auch Gesundheitsapostel zu geben. Auf einem gelben Schild steht „Actividad Fisica + Dieta adecuada = Salud“. Überdies sind mehrere Hausfassaden in bunten Farben neu gestrichen.
Leo heißt ein Künstler, der hier seine Spuren hinterlassen hat. Meist sind es Dachziegel, die er auf Hauswände aufgebracht und mit der kubanischen Fahne bemalt hat. Am Donnerstag entdecke ich sogar seine Galerie, die aber leider geschlossen ist. Von einer hellgrünen Wand start mich ein rötlicher Che an. Auf der Mauer steht auch, was er den Passanten sagen soll: „En la tierra hacen falta personas que trabajen mas y critiquen menos, que construyan más y destruyan menos y resuelvan mas, que esperen recibir menos y das más, que digan mejor ahóra que manana.“ Natürlich interessiert das keinen Einheimischen, nur den Touristen. Schön doppeldeutig die Plakate am Obst- und Gemüsemarkt am Straßenrand. Es gibt Knoblauch und Süßkartoffeln. Die beiden Verkäufer haben an ihrer grüngestrichenen Wellblechwand drei große Poster angebracht. Das eine zeigt einen die Faust in die Höhe reckenden Fidel vor der kubanischen Fahne und mit der Aufschrift „Triunfo de la Revolución Cubana“ auf spanisch und englisch. Daneben hängt ein Bild von einem jubelnden Paar in einem Cabrio-Oldtimer mit der Aufschrift „Viva Cuba“, was wohl aus einem Reisebüro stammt. Das dritte Poster aber zeigt einen übervollen Obstkorb mit Ananas, roten Äpfeln, Birnen, Orangen, Zitronen, Bananen, Weintrauben...
Ich marschiere in meine Casa und lade die Fotos auf den Computer. Gegen 19 Uhr gehe ich am Malecon entlang, um noch ein Bierchen zu trinken. Es ist ziemlich dunkel. Angler stehen auf der Ufermauer. An der Ecke San Lazaro/Belascoain studiere ich die Speisekarte, werde aber gleich von einem Kellner gestört und an einen Tisch geführt. Will eine kleine Pizza, deren Preis ich im Kopf habe. Aber der Typ meint, die wäre sehr sehr klein. Na gut, da nehme ich eine große. Die ist dann auch ganz, ganz groß und schmeckt gut. Die Rechnung bringt später eine Kellnerin und mir ist klar, dass ich gerade wohl um zwei Cuc betrogen werde, aber auf Diskussionen habe ich einfach nach diesem Tag keinen Bock. Zu Hause in der Casa mache ich mir noch zwei, drei Cuba libre und schaue mir ein Video von Cola Loca an, die aus Santiago stammen und nun wohl auch in Havanna zu Hause sind. Morgen will ich systematisch das Viertel abgehen und vor allem die Häuser fotografieren.
#14 RE: Havanna zu Fuß/November 2009
Wohltuend unaufgeregt geschrieben (obwohl man Vieles zwischen den Zeilen lesen kann, was aber wohl die mit der nicht sehen werden/wollen...) Apropos "Raul" aus Santiago: der mit "Nicht verzagen, Raul fragen"
#15 RE: Havanna zu Fuß/November 2009
#17 RE: Havanna zu Fuß/November 2009
Zitat von gringo09
die strasse heißt O'Reilly und läuft mitten in der altstadt
paralell zur Obispo und war mal das Paradies für selbstgebrannte Musik-CDs. Mittlerweile werden dort auch schon die selben, unverschämten Preise ausgerufen, welche die von-Bar-zu-Bar ziehenden Ramschmusik-Verkäufer verlangen. Schade O'Reilly, warst mal ein bei mir sehr begehrter Anlaufpunkt. Früher wurden mir dort 2 Giga mp3s auf den Stick gespielt, ohne gleich Kohle zu verlangen (sie bekamen dafür ja einen 1-2 Giga-Werbegeschenk-Stick geschenkt oder 1-2 Giga "westlicher Musik" auf ihre PC-Mühlen transferiert).
Deine Reiseberichte, José Ramon, finde ich absolut lesenswert. Erfrischend schnörkellos und geradlinig geschrieben. Schön, dass Dich der offenbar vorhandene Blick für fleischliche Schönheit und der verständliche Hang zu flüssigen Gelüstbefriedigern nicht derart einlullt, dass Du Details wie Kunst, Architektur, Verfall und alltägliche Strassenszenen nicht mehr wahrnimmst. Schreib weiter, freu mich schon auf mehr.
user
(
gelöscht
)
#19 RE: Havanna zu Fuß/November 2009
#20 RE: Havanna zu Fuß/November 2009
Zitat von gringo09
...friedhof cementerio colon war ich. war ich auch zu fuß.
Naja, auf einem Friedhof sollte man sich ja auch zu Fuß bewegen Sehenswert, keine Frage
Aufgrund eingeschränkter Benutzerrechte werden nur die Namen der Dateianhänge angezeigt Jetzt anmelden!
user
(
gelöscht
)
#21 RE: Havanna zu Fuß/November 2009
Zitat von Manzana ProhibidaZitat von gringo09
...friedhof cementerio colon war ich. war ich auch zu fuß.Naja, auf einem Friedhof sollte man sich ja auch zu Fuß bewegen Sehenswert, keine Frage
ich bin sogar zu fuß hingelaufen. allerdings auch nur von der plaza de la revolucion.
#22 RE: Havanna zu Fuß/November 2009
Havanna/2. Tag.
Der Kühlschrank lärmt derart, dass ich schlecht schlafe. Bin so zeitig munter, dass ich noch in einem Krimi lese und komme letztlich später als gedacht aus dem Bett. Dafür sind die Kamera-Akkus beide wieder voll. Havanna will erobert werden. Maria, die Wirtin, bietet mir noch einen Kaffee an, aber ich will los. Ich möchte die Animas bis zum Prado kaufen und dann die nächste Parallelstraße wieder zurück. Dann müsste ich eigentlich alles zu Gesicht bekommen. Irrtümlicherweise gehe ich davon aus, dass Havanna als alte spanische Kolonialstadt wie ein Schachbrett angelegt ist. Aber schon bald bringen mich Straßen wie die Bernal oder die Crespo, die quasi aus dem Nichts auftauchen, völlig aus dem Konzept. Es wird schwierig werden, die fotografierten Häuser ihren Straßen zuzuteilen.
Auf den Dächern haben sich viele Habaneros grüne Oasen mit Palmen und vielen Grün- und Heilpflanzen in Töpfen geschaffen. Ich entdecke weitere Spuren von „Leo“, wieder sind es Dachziegel an Fassaden. Auf der San Miguel schaue ich den Tanzschülern zu. Vor dem Gemüseladen halten alte Frauen ihren Tratsch. Ein grüner Chevi-Oldtimer steht vor einer grünen Hauswand. Eine Fahrradwerkstatt wirbt um Kunden. Erneut ein ruinöses Eckhaus. Das Erdgeschoss ist mit vergammelten Brettern zugenagelt. Plötzlich klopfen drei Männer an eine Tür. Die öffnet sich nach einiger Zeit und sie verschwinden rasch dahinter. Trotzdem konnte ich erkennen, dass sich hinter den Brettern ein Lager befindet. Von Nachbarhaus stehen nur noch die Außenmauern, aber auf den Resten des Balkons wächst ein prächtiger Baum. Das übernächste Haus sieht dagegen gepflegt aus. „Plomero el payo“ steht auf einem Schuld mit einer Lizenznummer. Ein Klempner? Zwei Gipsputen klettern um den Schlussstein des Einganges.
Schon wieder stehe ich am Prado. Unter den Bäumen laufen gerade Kinder im Krebsgang um die Wette. Der Sportlehrer feuert sie an. Ein fairer Mann. Bei den dickeren Kindern drückt er ein Auge zu, wenn die - trotz Staffelwettbewerbs - ein paar Meter aufrecht laufen.
Wie schön Havanna sein könnte, zeigt das 1908 eröffnete Hotel „Sevilla“ mit seiner sorgfältig restaurierten Fassade im maurischen Stil. Eine Gruppe ebenso schmucker Oldtimer steht davor.
Ich laufe zurück Richtung Vedado. Zwei Schuster hocken in ihrer Werkstatt und kleben Absätze. Auch die haben ihre Sprüche und Weisheiten, aber nicht Che oder Fidel werden zitiert, sondern ein anonymer Schuster: „El pago es anticipado, exija su recibo, sin el mismo no se entregara el calzado.“ Dahinter türmen sich in einem Regal zu reparierende Schuhpaare.
Auf einer Mauer aus weißen Blocksteinen hat ein Künstler zwei Fische gemalt. An dem größeren hält sich ein schwimmendes Mädchen fest. Ein anderer Künstler hat seinen Hauseingang aus Kachelresten gestaltet. Sie zeigen ein Schiff auf dem Meer und ein lachendes Gesicht. Politischer mag es der Nachbar: „Cuban Herores“ hat er unter seinen Balkon geschrieben und die Gesichter von Marti, Che, Fidel und Camilo gemalt. Letzterer sieht aus wie der böse Referent aus den Digedags in Amerika und Guevara schielt greulich. Vielleicht sollte man mal einen Bildband in revolutionären Losungen herausbringen. Mitunter sind die nämlich richtig komisch.
Müllmännern in Blaumännern und dunklen Sonnenbrillen lärmen die Straße herauf. An der Kreuzung trennt sich die Brigade. Angler präsentieren ein paar Touristen einen riesigen Fisch. Auf dem Balkon darüber hängt eine blasse, etwas pummlige Blondine Wäsche auf.
Die „Bar Cofinal“ bietet Ron Bucanero, die Flasche für 145 MN, an. Außerdem gibt es Ron Bocoy, Galeón, Ronda, Yucayo und El Valle für jeweils 57 MN die 0,7-Liter-Flasche an. Zu spät. Die Bar hätte ich gern gestern entdeckt. Außerdem gibt es Cerveza Mayabe für 18 MN und Cigarro Criollo für sieben MN. Dann zeigt die Tafel nichts mehr an, nur ganz unten kommt noch ein Schild: Preservativo zum Stückpreis von 15 Centavos. Scheint ja allerlei abzugehen.
Ein schönes Beispiel späten Jugendstils ist das Edificio San Miguel mit seinen abgerundeten Balkons und ovalen Flurfenstern. Ich entdecke eine Plakatdruckerei. Ein Che-Plakat liegt gerade auf der Druckerplatte. Daneben ist ein Trainingszentrum. Ich werde hereingebeten. Männer schwitzen an Kraftmaschinen. Auch Karate wird gelehrt. Der Lebensmittelladen an der Ecke ist leer und hat geschlossen, aber auf den Wandfliesen verspricht Jose Marti unter einer kubanischen Fahne den Menschen eine bessere Zukunft. Auf einer Brache basteln ein paar Männer an einem Haus, das sie aus Holzbrettern gebaut haben. Es ist bewohnt, wie die auf einer Leine flatternden Wäschestücke beweisen.
#23 RE: Havanna zu Fuß/November 2009
Das Ende des 2. Tages
Auf einem kleinen Park sitzen drei alte Frauen im Schatten. Eine liest den anderen beiden etwas aus einem Buch vor. Ich muss zwei Blocks vor der Calzada sein. Neben dem Park befindet sich das „Palacio de la Rumba“. Ein Denkmal erinnert an General Quintin Banderas Betancourt. Über die Häuserdächer grüßt die Figur der Kirche „Nuestra Senora del Carmen“. Von hier sieht es aus. Als würde sie auf einem der zahlreichen Wasserspeicher auf den Dächern stehen. Ein roter Pontiac mit bernsteinfarbener Kühlerfigur steht vor dem blau-weißen „Edificio el Cristal“ aus dem Jahr 1940.
Auf der Calzada genehmige ich mir ein Brötchen mit Fleisch. Während ich es verspeise, beobachte ich eine hübsche Chica, die ob des fließenden Verkehrs mehrere Minute benötigt, um die Straße zu queren. Als sie es schließlich schafft, sieht sie recht gequält aus. Den herumstehenden Touristen haben inzwischen zwei andere Chicas entdeckt. Eine ist ganz in weiß gekleidet mit den üblichen Ketten. Ich werde ausgefragt und schließlich gefragt, ob ich mir typisch afrikanischen Kult ansehen möchte. Warum nicht? Aber bald merke ich, wo es hingehen soll. Den Callejon de Hammel mit seinen exotischen Wandmalereien und alten Schreibmaschinen und Badewannen kenne ich bereits von anderen Aufenthalten. Ich sage das den beiden und laufe zurück. Auf einem kleinen Platz mit einem Revolutionsdenkmal ist wieder eine Sportstunde. Hier spielen die Mädchen gegen die Jungen Fußball und sind eindeutig besser. Die beiden Chicas tauchen wieder auf. Wir nicken uns freundlich zu. Diesmal haben sie eine Frau aus Australien im Visier.
Ich laufe Richtung Universität. Ein Haus, das „Edificio America“, mit Fahrstuhl schaue ich mir genauer an: Mamorfußboden, eine Bank, auf der drei alte Damen Schwätzchen halten. Der Fahrstuhl funktioniert, denn er fährt plötzlich mit einem Ruck an und verschwindet nach oben.
Letztlich biege ich in kleinere Straßen ein und entferne mich von der Universität. Stattdessen stehe ich plötzlich vor dem Havana Libre, dem ehemaligen Hilton. Im Foyer des Hotels steht ein Modell des Hauses samt Pool. Fotografien erinnern an die Zeit, als es von den Rebellen um Castro besetzt wurde und ihnen als Hauptquartier diente. Ich schlendere durch das Foyer und schau mir die Gemälde an. Weiter geht es zur berühmten Eisdiele „Coppelia“. Die Schlangen werden auf Abstand gehalten. Das Angebot ist mager. Bei A, B1 und B2 gibt es gar nichts, lediglich C hat wenigstens vier Eissorten im Angebot: Varadero, Chocolate, Vainilla und Mantecado. Dafür stehen hier eine Handvoll Putas auf der Lauer. Ich gehe zur Kreuzung zur Calle J und schaue mir den nackten Don Quijote auf seinem Pferd an. Sergio Martinez hat das Denkmal geschaffen und irgendwie erinnert mich der Ritter an eine andere traurige Gestalt. Auf einer der Bänke sitzen zwei junge Frauen im eifrigen Gespräch: Eine dunkle Mulata und eine Weiße. Ich schieße eine Fotoserie und frage dann offiziell. Die Weiße stimmt zu, die Dunkle ziert sich und die Kamera hat Probleme, den starken schwarz-weiß Kontrast auszugleichen.
Weiter geht es die Calle 23 entlang. Tatsächlich hängt hier noch ein Anti-Bush-Plakat. Ganz hat Havanna im Propagandakrieg noch nicht abgerüstet: „Culpables - el gobierno de estados unidos ampara al terrorismo“. Vor einer Villa ein Kopf, der aussieht wie Leo Trotzki aber Juan Gualberto Gómez Ferrer (1854.1933) darstellt. Auch ein Revolutionär, Patriot und kubanischer Journalist. Ich spaziere am „Rivera“ vorbei und stoße auf die Ecke Calle 25/Avenida de los Presidentes. Die Häuser im us-amerikanischen Stil sind beeindruckend. Ich spaziere in eines hinein, kann mich dann aber doch nicht entschließen, die Treppen hinaufzugehen.
Ein alter Ford-Abschleppwagen hat einen genauso alten Ami-Schlitten am Haken. Ich sitze auf einer Bank in der als durchgehender Park angelegten Mitte der Allee und beobachte die Hauptstädter. Auf vielen Bänken haben sich Jugendliche in blauen Uniformen breit gemacht. Irgendwo muss es Eis geben, den fast jeder hat eins in der Hand. Eine Frau winkt mir zu, weil mein Stadtplan ist auf den Boden gefallen ist. Dann laufe ich die Straße hinauf zum Denkmal. An der Bushaltstelle neben dem Hospital Infantil „Pedro Borras Astorca“ steht eine gestylte Chica. Golden glänzende Kreolen, dicke Silberkette, tief ausgeschnittenes T-Shirt und eine Tätowierung auf der Brust „Rosana“. Das Denkmal ist „Mayor General Jose Miguel Gomez“ gewidmet und reich geschmückt. Im Schatten des Generals liegt ein Penner.
Ich laufe die Allee wieder herunter. Bewundere eine dicke schwarze Frau, die sich in eines dieser weißen „Ganzkörperkondome“ gezwungen hat, das jetzt wirklich jede Körperfalte weiter gibt. Sie aber steht in ihrer ganzen Fülle selbstbewusst an einer Haltestelle. Von der Ave. de los Presidentes biege ich wieder auf die Calle 23 ab. Vor dem Denkmal für Martin Luther King liegt ein Penner auf der Bank. Es geht vorbei an einer Kirche im viktorianischen Stil und einem Hochhaus. Ein kleiner Park ist fest in der Hand von Teenies. Sie sitzen im Schatten unter den Bäumen und auf dem Denkmalsockel. Das Denkmal zeigt eine Mutter, die wohl ihren Sohn in den Händen hält und ihm mit ausgesteckter Hand den Weg weist. „A Mariana Grajales madre de los Maceo el pueblo de Cuba“ steht auf dem Sockel. Die Villen rings um den Park beherbergen zum Großteil Schulen. Ein Teil der Pioniere mit ihren roten und blauen Halstüchern kaspert rum, andere halten Mittagsschlaf auf Klappliegen. Ich biege von der Calle 23 in die Calle D ab. Hier stehen eine interessante Gebäude. Ein Stelzenhaus beispielsweise. Prächtige Villen sind heute Kindergärten oder Kulturhäuser und je nach dem Geschick und den Beziehungen der Direktoren saniert oder verfallen.
Zurück auf der Avenida de los Presidentes schaue ich mir einen grasgrünen Austin an. Der Engländer sieht wie eine geschrumpfte Ami-Kiste aus. Die Denkmale auf der Allee sind teilweise sehr interessant gestaltet. Omar Torrijosh beispielsweise besteht aus einem Rumpf mit Kopf und Armen, der sich auf einen Gesteinblock stützt. Auch Ecuadors Präsident Eloy Alfaro wächst bronzen aus weißem Stein und schwingt seinen Säbel. Hoch zu Ross dagegen Simon Bolivar „El Liberatador“. Unbeweglich und mit kühlen Madonnenblick sitzt dagegen eine kubanische Latina aus Fleisch und Blut auf einer Bank. Der Bus kommt nicht und sie leidet. Zwei prächtige Oldtimer parken vor einem Haus mit der Aufschrift „America Arias“. Der letzte Sockel auf der Allee der Präsidenten ist von seiner Figur befreit. Lediglich eine bronzene Protokollführerin sitzt mit dem Griffel in der einen und einer Tafel in der anderen Hand am Fuß des Sockels. Enden tut die Straße mit der Casa de las Américas, das an eine Kirche erinnert, aber ein Kulturinstitut ist, das erst nach dem Sieg der Revolution errichtet wurde. Ihm gegenüber befindet sich ein Sportstadion auf dessen Tribüne ein einsamer Musiker auf seiner Trompete übt. Hoch zu Ross reitet General Calixto Garcia auf das Meer zu. Bronzetafeln berichten von den kriegerischen Auseinandersetzungen.
Ich laufe den Malecon entlang in Richtung Centro. Vor der US-Vertretung stechen die weißen Fahnenstangen in den Himmel. Nur noch eine Handvoll der schwarzen Fahnen mit den weißen Sternen weht. Die Mehrzahl der Masten ist leer, mehrere liegen gar am Boden und wirken arg durchrostet. „Patria o Muerte“ steht in roten Buchstabe in Blickrichtung der Vertretung. Polizisten bewachen wie eh und je das Areal. Ein Stück weiter zeigt ein grüne José Marti, mit der rechten Hand ein Kind an seine Brust drückend, auf die US-Vertretung. Derweil springen zwei Chicas über die Straße, bekommen aber trotzdem einen Schwall Meerwasser ab, als ein Lada durch eine Pfütze rauscht. Hier am Malecon spricht mich auch die erste Puta an. Eine kleine, unscheinbare dünne Weiße. Ich bin so verblüfft, dass ich überhaupt nicht reagiere.
Laufe dann die Rampa hoch. Ich muss dringend neues Wasser kaufen. Aber hier liegen die Preise für die Flasche bei 1,50 Cuc. Das ist fast das Dreifache des Tienda-Preises. Ich gelange wieder ans Kino und die Eisdiele. Blöderweise kaufe ich mir für fünf Peso eine Tropfpizza, die das restliche Wasser aus dem Körper saugt. In einer Seitenstraße entdecke ich zum Glück einen Stand mit Refresco für einen Peso. Ich stürze mehrere hinunter und trolle mich wieder zum Malecon. Laufe zum Reiterdenkmal von Antonio Maceo und die Belascoain hinauf. Ein knallroter Oldtimer, ein Zweitürer, biegt auf die Hauptstraße ab. Ich schieße mit der Kamera eine Serie. Das Rot hebt sich herrlich von dem Weiß der Fassaden ab. Dann klettere ich die Treppen zum Parkplatz vor dem Hospital hinauf. Im Haus gegenüber lehnt eine Mulata auf der Brüstung ihres Hauses und gewährt tiefe Einblicke. Ich lege die Kamera auf die Mauerkrone. Es dämmert bereits wieder.
Die Mulata winkt. Ich steige die schmalen Treppen hoch. Das Haus besitzt einen großen Innenhof in dem Fahrradtaxis abgestellt sind. Von schmalen Fluren gehen die Wohnungen ab. In der letzten wohnt die Frau. Ein kleiner Küche mit Kochecke und einem nagelneuen chinesischen Kühlschrank. Eine hölzerne Hühnerleiter führt nach oben, wo sich das Schlafzimmer befindet. Auf der Treppe sitzt der 14-jährige Sohn. Nebenan wohnt die Mutter der Mulata. Und dann sind da noch zwei Brüder. Wir unterhalten uns ein wenig. Ich holen die beiden Bier aus dem Stadtrucksack. 18 Uhr muss die Chica los, zur Abendschule. Ob ich gegen halb zehn noch mal vorbeikommen wolle? Ich sage ab, mir sei es hier auf den Straßen zu dunkel. Laufe die Virtudes entlang in meine Casa.
#25 RE: Havanna zu Fuß/November 2009
- 🇨🇺 Das Kubaforum 🇨🇺
- 🇨🇺 Kubaforum
- 🇨🇺 Neu im Kubaforum?
- ℹ️ Info-Sparte!
- 📄 Visa: Fragen und Probleme zum Thema Visa
- 🇩🇪 🇪🇸 Übersetzungshilfe vom spanischen ins deutsche und umgekehrt
- 📜 Einladung eines kubanischen Staatsbürgers:
- 📰 Presseveröffentlichungen und Medienberichte über Kuba
- ⛈ Wetter 🌪 Hurrikan Nachrichten
- 🛫 Reiseforum
- ✈ Kubaflüge 🛳 Kreuzfahrten 🧳 Hotels 🚗 Mietwagen 🚕 Transfers 🚌 Busverbi...
- 🛏 Casas Particulares
- 📕 Sprachkurse in Kuba/Deutschland? Wo gibt es 🕺💃 Tanzkurse usw?
- 🌐 Reiseberichte
- 🕯 In Gedenken an Guzzi
- 🇨🇺 Allgemeines und Sonstiges mit Kubabezug
- ⚾ 🏐 🥊 Das Kuba Sport-Forum.
- 📖 Literatur und Kunst aus/über Kuba
- 🏝 Flora und 🐊 Fauna auf Kuba
- 👨🍳 Kubanische Küche
- ⚙ Technikforum: Fragen zu Themen 🖥︎ Computer,📱 Smartphone, ☎ Telefonve...
- Für Mitglieder und Kubafreunde:
- Sonstige Themen
- 🇪🇸 Foro en español 🇪🇸
- 🗣 Debate de Cuba
- 🎶 Música de Cuba
- 🤡 Los Chistes - Risas y humor sin limite
- ✈ Vuelos 🧳 Hoteles 🛏 Casas
- 🇪🇸 Forum in spanisch-Foro en espanol. für alle die es können oder noc...
- 🌎 Lateinamerika und karibische Inseln ( kleine und große Antillen )
- 🌎 Lateinamerika und karibische Inseln ( kleine und große Antillen)
- 👥 Administration und Moderation:
Ähnliche Themen
Thema | Antworten | Aufrufe | Letzte Aktivität | |||
---|---|---|---|---|---|---|
Corona-Update für Kuba (1): Ausgangssperre in Santiago, keine Quarantäne in Havanna?Corona-Update für Kuba (1): Ausgangssperre in Santiago, keine Quarantäne in Havanna? |
0
reyney
07.04.2020 |
261 |
|
|||
Experte: Wirtschaftskrise trifft Kuba 2009 schwerExperte: Wirtschaftskrise trifft Kuba 2009 schwer |
2
(
Gast
)
27.05.2009 |
188 |
|
|||
Reisebericht Januar/Februar 2009Reisebericht Januar/Februar 2009 |
321
(
Gast
)
17.05.2009 |
6761 |
|
|||
Santiago de Cuba und Baracoa, 13. - 26. März 2009Santiago de Cuba und Baracoa, 13. - 26. März 2009 |
17
(
Gast
)
30.03.2009 |
773 |
|
|||
Reise nach Kuba 15.1. bis 15.2.2009Reise nach Kuba 15.1. bis 15.2.2009 |
30
(
Gast
)
05.04.2009 |
886 |
|
Jetzt anmelden!
Jetzt registrieren!