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Fäuste und Federn
In Antwort auf:
Die Wirtschaftskrise und der Tourismus bringen in Kuba die Geschlechterverhältnisse gründlich durcheinander.
Von Miriam Lang»Schauen Sie sich das an.« In der Stimme des Taxifahrers schwingt Abscheu mit. »Jeden Abend sind die hier, 200, 300. Alles Homosexuelle. Stellen Sie sich das mal vor. Jeden Abend.« Der Pulk entlang der Mauer des Malecón, über die ab und zu die Gischt spritzt, ist ausgelassen. Eine Gruppe Musiker spielt für zwei alternde Holländer mit Dollars in der Tasche »La vida es un carnaval« von Celia Cruz. Hinter ihnen auf der Mauer tanzt ein Transvestit mit weißblonder Perücke. Die Leute teilen Rum aus Plastikflaschen und Zigaretten.
Am Malecón treffen sich Havannas Lesben und Schwule immer dann, wenn das Meer es erlaubt. Manchmal schlagen die Wellen über die Mauer und überschwemmen die Straße bis zu den gegenüberliegenden Häusern. Aber an lauen Abenden ist der Malecón eine der besten locations in der Stadt: kein Eintrittspreis, billige, mitgebrachte Getränke, gute Musik und gute Stimmung. Doch meistens ist die Party irgendwann zu Ende. Blau uniformierte Polizisten setzen ihre Trillerpfeifen ein und räumen das Areal, als Vorwand dient Lärmbelästigung. Die so Vertriebenen ziehen murrend davon, sie sind Willkür gewohnt.
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Gesellschaftliche Folgen der Período Especial
Die Período Especial, so heißt die Wirtschaftskrise in Kuba nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, und insbesondere ihre akute Phase in den Jahren 1993 und 1994, stellt für die Bevölkerung bis heute ein Trauma dar. Insbesondere die Frauen, die auch in Kuba in den allermeisten Fällen immer noch die Verantwortung für die Familienökonomie tragen, hatten unter dem plötzlichen Zusammenbruch der staatlichen Lebensmittel- und Konsumgüterversorgung zu leiden. Eine Bevölkerung, die bereits seit zwei Generationen soziale Sicherheit und eine flächendeckende Versorgung von oben gewöhnt war, erlebte den Zusammenbruch dieses Verteilungssystems.
Die bodegas, wo Kubaner bisher regelmäßig ihre Lebensmittelrationen, aber auch Reinigungs- und Hygieneartikel erhalten hatten, blieben leer oder so gut wie leer. Mujeres, die Frauenzeitschrift der kubanischen Frauenföderation FMC, veröffentlichte, solange sie überhaupt noch erschien, Rezepte, wie man aus dem weißen Teil von Grapefruitschalen leckere Ersatz-steaks zaubern könne. Wer etwas halbwegs Schmackhaftes essen wollte, war auf sich selbst gestellt und musste etwas »erfinden« – inventar, ein Wort, das für das Kuba von heute charakteristisch ist.
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Jineterismo: Die neue Herausforderung
Im letzten Jahrzehnt ist vor allem in den touristischen Zentren eine Generation herangewachsen, die extremen Wert auf gesellschaftlichen Status und materielle Werte legt. Sie lebt von kommerziellen Kontakten unterschiedlicher Art mit Touristen und hat den Jineterismo geprägt.
Der Begriff, der in etwa das »Aufspringen« auf eine Person meint, bezeichnet eine spezifisch kubanische Variante der Prostitution oder des Schwarzhandels. Sie basiert auf der persönlichen Begleitung eines Ausländers oder einer Ausländerin während eines Teils oder der Gesamtheit des Ferienaufenthaltes. Diese Begleitung kann neben sexuellen auch verschiedene andere Dienstleistungen beinhalten, z.B. die Beschaffung von Schwarzmarktgütern wie Zigarren oder Drogen, Hilfe bei der kulturellen Freizeitgestaltung oder Tipps im Umgang mit Behörden. Vom Jineterismo leben sowohl Frauen als auch Männer. Auch wenn mehrheitlich sexuelle Dienstleistungen von Frauen angeboten und nachgefragt werden, hat sich daneben eine beträchtliche homosexuelle und bisexuelle männliche Prostitution entwickelt.
Die Gesellschaft hat in Bezug auf diese lukrative Einnahmequelle eine eigentümliche Doppelmoral entwickelt. Häufig sind es die Mütter, die ihre (zum Teil noch minderjährigen) Töchter dazu anhalten, bloß nicht mit einem »Freund« nach Hause zu kommen, der keine Dollars in der Tasche hat. Der Übergang ist hier fließend, er reicht von der Sorge um die materielle Zukunft des Kindes bis hin zur direkten Aufforderung an das Mädchen, ungeachtet der Mittel und Wege für das Familieneinkommen zu sorgen.
Dabei werden die Begriffe Prostitution oder Jinetera in der Regel nicht verwendet. Die Mutter wird den europäischen Rentner, der zweimal im Jahr ein paar Wochen mit ihrer Tochter verbringt und damit die Familie ernährt, den Nachbarn gegenüber konsequent als Verlobten oder Geliebten der Tochter bezeichnen, obwohl alle Beteiligten wissen, dass es sich in erster Linie um eine kommerzielle Beziehung handelt.
Ehemänner oder Lebenspartner betätigen sich sogar als Zuhälter ihrer Frau, indem sie sie auf die Straße begleiten und ihnen die künftigen Kunden aussuchen oder auch gleich mit diesen einen Erstkontakt herstellen. Weil eine besondere sexuelle Befähigung zu den kollektiv imaginierten Elementen kubanischer Nationalkultur gehört, gelten lukrative Ausländer generell nicht als sexuelle Nebenbuhler.
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Den kompletten Artikel findet man unter:
http://www.jungle-world.com/seiten/2003/43/1916.php
Nummer 44 vom 22. Oktober 2003
Schon ein wenig betagter Artikel, nichtsdestotrotz lesenswert...
Moskito
In Antwort auf:
Weil eine besondere sexuelle Befähigung zu den kollektiv imaginierten Elementen kubanischer Nationalkultur gehört, gelten lukrative Ausländer generell nicht als sexuelle Nebenbuhler.
LOL das gefällt mir.
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Que te diviertas bien
y gastes poco
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Zitat von Moskito
Die Gesellschaft hat in Bezug auf diese lukrative Einnahmequelle eine eigentümliche Doppelmoral entwickelt.
Was ist daran eigentümlich in einem System, in dem die Vermittlung moralischer Werte zu einem hohlen Propagandaritual verkommen ist, einer Schale ohne Kern, und wo die Kirche als Vermittlerin eben dieser Werte weitgehend ausfällt, da sie jahrzehntelang systematisch in ein Nischendasein gedrängt wurde??
Serafina
(
gelöscht
)
#4 RE: Fäuste und Federn
In Antwort auf:
(...)Insofern untergräbt der Jineterismo patriarchale Treue- und Keuschheitsgebote für Frauen (...)
Dann waren vor der Período Especial die Habaneras mehrheitlich monogam?!?! Kann dazu jemand der langjährigen und sehr erfahrenen Kubareisenden Auskunft geben
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@Chaval
In Antwort auf:In Antwort auf:
und wo die Kirche als Vermittlerin eben dieser Werte weitgehend ausfällt, da sie jahrzehntelang systematisch in ein Nischendasein gedrängt wurde??Hinzu kommt, dass die Macht der katholischen Kirche, die auf der Insel im lateinamerikanischen Vergleich hitstorisch nicht besonders gefestigt war, durch die kubanische Revolution noch weiter gebrochen wurde. Die traditionelle patriarchale Kontrolle über den weiblichen Körper in Sachen Reproduktion und Sexualität, über die traditionell sowohl Familienerbe als auch Familienehre abgesichert worden waren, wurde in entscheidenden Punkten durch weibliche Selbstbestimmung ersetzt. Ungewollte Schwangerschaften können legal und kostenlos unterbrochen werden, und uneheliche Kinder sind in ihren Rechten dem legitimen Nachwuchs gleich gestellt.Verhütungsmittel sind – allerdings nur in dem Rahmen, der vom US-Embargo und von der Mangelwirtschaft gesetzt wird – frei erhältlich.
Die insbesondere seit dem Ende der siebziger Jahre auch über das staatliche Fernsehen durchgeführte Sexualerziehung, die sich an Materialien aus der DDR orientierte, propagierte eine lustbetonte und freie Sexualität für beide Geschlechter anstelle der katholischen Sexualmoral, die den Geschlechtsverkehr für die ehrbare Ehefrau streng an die Reproduktion koppelt. Frauen wurden explizit als sexuelle Wesen mit einem Recht auf Lust dargestellt und die Möglichkeiten zu ihrer Befriedigung wurden genau erläutert.
Dazu meine ich: Zum Glück der Frauen (und Männer) wurde die (katholische) Kirche in ein Nischendasein gedrängt und konnte ihre absurde Sexualmoral nicht in der Gesellschaft implimentieren, wie sie dies in allen anderen Lateinamerikanischen Ländern geschafft hat.
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In Antwort auf:
Eines der wichtigsten Männlichkeitsattribute ist in Kuba die Zurschaustellung sexueller Potenz. Die ehemalige DDR-Bürgerin Monika Krause-Fuchs, die lange Jahre für Sexualerziehung auf der Insel zuständig war, sagt dazu: »Der kubanische Mann braucht nach außen wie auch für sich selbst die Bestätigung seines sexuellen Vermögens, um vor der Gesellschaft als potenter Mann zu bestehen und keinerlei Verdacht homosexueller Andersartigkeit aufkommen zu lassen. (…) Dieser ständige ›Beweisdruck‹ begleitet die meisten kubanischen Männer ein Leben lang. Es ist auch fester Glaube, dass Männlichkeit sich darin ausdrückt, möglichst täglich sexuell aktiv zu sein, ob man Lust hat oder nicht. Wenn dieses ›Programm‹ mit der eigenen Frau nicht erfüllt werden kann, dann ist es ›schon immer‹ üblich gewesen, es außerehelich zu tun.«
Da springt mir ja die durch Monika Krause aufgestellte These, "Cubanos sind mehrheitlich nicht monogam", entgegegen
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In Antwort auf:
Allerdings unterscheidet sich diese Potenzverpflichtung in Kuba von derjenigen in anderen lateinamerikanischen Ländern wie z.B. Mexiko insofern, als sie nicht nur an der Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs oder an der Zahl der Nachkommen gemessen wird, sondern auch an der Fähigkeit, die Partnerinnen sexuell zu befriedigen.
menos mal....
Den kompletten Artikel findet man unter:
http://www.jungle-world.com/seiten/2003/43/1916.php
Nummer 44 vom 22. Oktober 2003
Zitat von Serafina
Da meine ich: Zum Glück der Frauen (und Männder) wurde die (katholische) Kirche in ein Nischendasein gedrängt und konnte ihre absurde Sexualmoral nicht in der Gesellschaft implimentieren, wie sie dies in allen anderen Lateinamerikanischen Ländern geschafft hat.
Einverstanden! Nur könnten Kirche und Religion auch wichtige moralische und ethische Werte hinsichtlich des menschlichen Zusammenlebens vermitteln, wenn z.B. der Staat mangels Diskreditierung ausfällt!
Und in Kuba klafft da eine große Lücke!!
#6 RE: Fäuste und Federn
Siehe hier: https://www.kubaforen.de/t511818f11258-Ne...n-Sexfront.html
e-l-a
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