Inside Cuba - Ein anderes Land

07.05.2006 13:21
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Ein anderes Land - Bücher

Der Fotoband "Inside Cuba" zeigt farbenfrohe Bilder der kolonialen Architektur der Insel - und läßt Wesentliches weg

von Roland Wildberg

Abends spielte Carmen Inés Kinderlieder am Klavier. Eins fängt an mit "Schau, wie schön ist Kuba ...". Das sang sie mit strahlendem Lächeln und begleitete sich dabei auf dem ramponierten Instrument. In dem Zimmer standen noch zwei abgenutzte Stühle und zwei Tische. Nichts, was es wert gewesen wäre zu fotografieren.


Das Kuba von Carmen Inés, Mitte 30, Lehrerin, alleinerziehend, arbeitslos, für die zwei Dollar eine Woche frei von Sorgen bedeuten, wird in keinem Buch jemals abgebildet sein. Obwohl es für die Mehrheit der elf Millionen Kubaner Alltag ist. Der Bildband "Inside Cuba" zeigt ein ganz anderes Land - er wirkt wie eine fotografische Interpretation von Carmen Inés' Kinderlied. Wer Kuba jedoch schon gesehen hat, erkennt es auf den folgenden 416 Seiten nicht wieder.


Sie zeigen vor allem Architektur: prachtvolle Fassaden, Räume wie Kathedralen, verblichener Prunk aus der Kolonialära. Trotz des harten tropischen Lichts zeichnet sich alles deutlich und farbenfroh ab, perfekt ausgeleuchtet - und tot. Von Menschen weitgehend bereinigt, wirken die dekorativen Kulturspuren eigentümlich steril.


Inszeniert wird vor uns etwa die Villa Hemingways, wo er 1954 "Der alte Mann und das Meer" schrieb, heute ein Museum, in dem die Möbel des Schriftstellers ausgestellt sind. Das prachtvolle "Hotel Nacional" im Neokolonialstil, schon immer Treffpunkt der Reichen, zu dem normale Kubaner heute keinen Zutritt haben. Oder das Haus von José Rodríguez Fuster, Künstler mit Anleihen bei Gaudí, im Hof lustige Skulpturen aus bunten Mosaiken, die Küche in Großaufnahme. Herumstehende Lebensmittel signalisieren Eingeweihten, daß der Künstler relativ begütert ist. Die Autoren sehen das nicht. Sie schreiben lieber Platitüden, etwa über die Stadt Cienfuegos: Sie "beeindruckt durch ihre klare Struktur, neoklassizistische Gebäude und besonders durch die Freundlichkeit ihrer Einwohner". Leider bleiben die beeindruckend freundlichen Einwohner unsichtbar. Lediglich auf einer Handvoll Fotos sind Menschen zu sehen - in einem Land, wo der Mensch fast nie allein ist, im Gegenteil immer gehäuft auftritt, in Gruppen, in Brigaden, vor allem in Schlangen. Wartend, so trifft man die Mehrheit der Kubaner an, wartend vor allem auf bessere Zeiten.


Wann wird ein Land zur Legende, die sich selbst überlebt hat? Wenn es Stereotype produziert, die eingängig und penetrant genug sind, um sich in unseren Köpfen gegen die so anstrengende Komplexität der Wahrheit durchzusetzen. Die zerzauste Visage Ernesto "Che" Guevaras etwa, auf Millionen Postern und T-Shirts verewigt, hat die Leiden der politischen Gefangenen, den Hunger und den Frust der Kubaner dauerhaft verdrängt. Wen interessiert Carmen Inés' altes Klavier, wenn jeder dank Che, Salsa und Zigarren Bescheid zu wissen glaubt? "Inside" Kuba ist doch auch: die Hauptstadt Havanna mit ihren Ruinen, die Warteschlangen, die Huren in den Touristenvierteln, die Revolutionsbüros mit ihren Spitzeln - warum nicht ein einziges Foto dieses realen, gleichwohl fotogenen Kuba? Es fehlt.


Das Buch zeigt ein so verfälschtes, weil gefiltertes Bild der Insel, daß es nicht "Inside Cuba" hätte heißen, nicht in olivengrünem Cover mit rotem Stern hätte gebunden werden dürfen. Sondern "Schönes Kuba" oder so ähnlich, denn schön ist die Publikation wirklich. Doch die Assoziationskraft des Wörtchens "Inside" geht über das einer Ortsangabe weit hinaus; sie suggeriert Exklusivität und geheime Erkenntnisse. Diesen Anspruch kann das Opus aber nicht halten.

"Mixen Sie sich einen Mojito, legen Sie eine CD von Compay Segundo ein und zünden Sie sich eine Zigarre an", heißt es im Pressetext des Verlags - alte Legenden werden süffisant und üppig nacherzählt, doch es kommen weder neue hinzu, noch wird mit dem Muff der Vergangenheit aufgeräumt. Kuba von innen, das kann sich nicht nur auf Hemingway-Kult, Mojito-Seligkeit und leere Prachtbauten beschränken. Denn wer nur das gesehen hat, der hat eigentlich nichts gesehen.

Bewertung 3

http://www.wams.de/data/2006/05/07/882238.html?s=1


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