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Die Macht als Schwäche
Die Macht als Schwäche
VON CARLOS A. AGUILERA (Die Presse) 13.11.2004
Eine Stimme aus dem Exil für die politischen Häftlinge in Kuba.
Über Fidel Castros Repression der Intellektuellen
Wir haben alle zu Jahresbeginn in den Medien die Bilder eines Lastwagens (zu einem Boot um funktioniert) mit zehn Personen an Bord gesehen, der das Meer in Richtung Florida zu überqueren versuchte. So komisch und originell diese Bilder auch erscheinen mögen, sind sie doch der Ausdruck einer Tragödie. Und zwar des Versuchs, dem kubanischen Totalitarismus zu entkommen und an irgendeinem Ort der Welt wieder zu Menschen zu werden, aus der "Inselhaft" auszubrechen und zum ersten Mal zu fühlen, dass man etwas anderes sein kann als nur eine Marionette des Staates. Um das zu verhindern, hat die Regierung unter Fidel Castro (der sich immer als Herrscher der Karibik verstanden hat) alles Mögliche unternommen. Von Konzentrationslagern bis zum Abschuss von Flugzeugen, von wirtschaftlichen Selbstmordplänen bis zum Verbot des US-Dollars, von der polizeilichen Kontrolle der Medien bis zu Massenerschießungen am Anfang der Revolution. Erschießungen, die nie gegen Terroristen oder "Kriegsfürsten" gerichtet waren, wie es uns die Che-Mythologie weismachen will, sondern gegen jene, die anderer Meinung waren und dies laut kundtaten.
Aus diesem Grund bedeutet die Flucht für die Kubaner nicht nur die Suche nach besseren wirtschaftlichen Bedingungen, wie das heute bei den meisten Lateinamerikanern der Fall ist, sondern etwas Geheimnisvolleres, das mit dem Sein selbst verknüpft ist: die Freiheit. Gibt es denn eine andere Möglichkeit, wenn man in einem Staat lebt, der alles kontrolliert, auch dein Innenleben und alles (was du liest, was du denkst, was du isst . . .) in etwas Politisches verwandelt?
Ich glaube nicht, dass die 300 politischen Häftlinge auf der Insel Ausdruck dieser allgegenwärtigen Kontrolle sind. Mehr sitzen nur in Nordkorea und in ein paar anderen asiatischen Staaten. Der Großteil dieser politischen Häftlinge hat ebenso wie die 75 Intellektuellen, die im März 2003 zu bis zu 28 Jahren Haft verurteilt wurden, nichts anderes getan, als zu schreiben und für Kuba die Einführung einer wirklichen "Demokratie" zu fordern. Eine, in der es ohne ideologische Zwangsjacke möglich ist, Wirtschaft zu treiben und seine Meinung frei zu äußern. Eine, in der sich die Menschen nicht andauernd gegenseitig bewachen müssen.
Unter den Häftlingen befindet sich auch einer der besten kubanischen Dichter der Siebziger Jahre, Raúl Rivero. Rivero veröffentlichte in Kuba verschiedene Gedichte und erhielt mehrere staatliche Preise, bevor er in Ungnade fiel. Trotzdem siecht er heute im Gefängnis von Canaleta dahin, leidet an einem Lungenemphysem und mehreren Zysten an einer Niere, bekommt verschmutztes Wasser und schläft in einer von Ratten heimgesuchten Zelle.
Seine Dichtung gehört zu einer Richtung, die man auf der Insel als "Konversationalismus" bezeichnet, und veränderte sich mit jedem Buch, das er veröffentlichte. Was am Anfang eher in pamphletistischer Tradition stand, wurde später zur ironischen Reflexion über die politische und menschliche Katastrophe in Kuba. Diese Reflexion hat schließlich dazu geführt, dass er 1995 die unabhängige Nachrichtenagentur "Cuba press" gründete und versuchte, eine andere Wahrheit zu verbreiten als jene des kubanischen Staates. Eine Agentur, der es auch gelungen war, dem Journalismus wieder eine seiner wichtigsten Funktionen zurückzugeben: die der Polemik.
Kann ein Mensch, der schreibt, so gefährlich sein? Ein kleines Monster, wie Foucault ironisch sagen würde? Für einige Regierungen schon. So war das in Pinochets Chile oder im China Maos, ganz zu schweigen von den kurdischen Journalisten in der Türkei. Für diese Art Regierungen sind die, die schreiben, immer die Gefahr selbst, das Übel. Sie werfen nicht einmal eine Bombe, sie regen nur zum Nachdenken an, zum Denken und das genügt, um vor den anderen ihre Hinrichtung zu rechtfertigen. Nachdenken und denken und vom Dialog sprechen . . ., als ob das nötig wäre.
Vor Jahren fragte mich der Anthropologe Michael Taussig, warum totalitäre Staaten im Grunde so schwach sind. Er, der Bücher über die Macht und ihr "Nervensystem" geschrieben hat, stellt sich immer wieder diese Frage ohne eine Antwort zu finden. Es erübrigt sich, dass ich ad hoc keine Antwort geben konnte. Ich sah zum Himmel, zog die Schultern hoch. "Die Macht . . .", stotterte ich. Wenn mich aber jetzt jemand fragen würde, dann würde ich antworten, weil sie nicht ertragen können, dass der Mensch denkt. Das Denken jenseits jeglicher ideologischer Zwänge scheint an sich ein subversiver Akt zu sein, das Jenseits der Manipulierbarkeit. Totalitäre Staaten dürfen sich bestimmte Dinge nicht erlauben. Sonst würden wir sehen, wie zerbrechlich sie sind. (Übersetzt von Udo Kawasser)
Der Autor aus Kuba lebt in Graz, die Stadt gab ihm ein Stipendium. "Die Chinamaschine" (Steirische Verlagsgesellschaft) erschien 2004. Am 15. 11. findet zum 24. Mal der "International Day of Writers in Prison" statt.
Quelle:http://www.diepresse.com/Artikel.aspx?ch...ort=g&id=451827
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