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Silvester im campo cubano
Nein, ich bin nicht seit Silvester auf der Insel. Aber erst jetzt komme ich dazu, meine Notizen aufzubereiten und möchte euch teilhaben lassen. War dieses Silvester doch besonders interessant.
Wie schon seit 7 Jahren jedes Mal bin ich auch diesmal wieder zum Jahreswechsel in Kuba. Offensichtlich hat es mir die Insel angetan. Diesmal verbringe ich den Jahreswechsel das erste Mal in campo cubano, falls man Florida als campo sehen will.
Die Tage zuvor und danach bin ich in Camagüey. Begegnete ich doch dort sehr interessante und ungewöhnliche Menschen, die zu treffen mich immer wieder reizt, auch wenn es sehr anstrengend ist mit ihnen. Aber zum Jahresende sind alle beschäftigt. Guardia in einer Apotheke und das gerade zu Silvester? Nicht schön und nichts, was ich teilen wollte! Familientreffen auf dem Land, das klingt schon besser. Aber die Gastgeber und Autoritätspersonen sind die Großeltern. Das sind noch echte revolucionarios, Großvater war unter den ersten, die mit Fidel kämpften und würde einen Yuma in seinem Haus nie akzeptieren. Schon die Bekanntschaft mit mir muss verheimlicht werden. Also wäre ich allein zu Silvester in Camagüey, das klingt gar nicht gut für mich.
Es trifft sich somit gut, dass mich eine Bekannte zum Jahresende zu ihrer Familie in der Nähe eingeladen hat. Ich bin mir allerdings im unklaren, wieso sie das will. Dass aus uns kein Paar wird, das ist schon lange klar. Dennoch besteht sie auf einem Besuch in der Nochevieja und da will ich, schon aus eigener Not der Einsamkeit heraus, nicht unhöflich sein.
Ok, ich denke schon an die Rechnung, denn an eine uneigennützige Einladung zu glauben fällt mir schwer. In Cuba erwarte ich so etwas schon lange nicht mehr. Aber was gibt es eigentlich zu fürchten? Schlimmes kann nicht resultieren und so kaufe ich ein. Rum in hell und eine Kiste voll mit Bier und refresco. Das schreibt sich leicht, ist es aber nicht. Eine ganze Weile bin ich schon durch Camagüey gefahren und finde weder Bier noch Cola noch sonst etwas. Aber wozu hat man Bekannte! Ich bin schließlich in Kuba, was erwarte ich eigentlich.
Also halte ich zum Schwatz bei einer casa an, in der ich schon mehrfach nächtigte und plausche. Eine Tafel Schokolade aus Deutschland tut das ihre und schon springt die dueña in mein Auto. Wir fahren zu einer ihrer Bekannten. Der Laden ist zwar noch geschlossen, aber für den Freund einer guten Freundin spielt das natürlich keine Rolle. So kann ich das Geschäft rasch mit all dem Gewünschten verlassen, das natürlich nicht in den Regalen zu finden ist.
Es kann nun losgehen und nach kurzem Weg bin ich in Florida. Interessant ist der Ort nicht. Obwohl nicht klein bietet er sehr wenig. Zählt das Nest wirklich schon als Großstadt, wie es das Navi behauptet? Meine Gastgeber können den Weg zu ihrem Haus nicht beschreiben, das würde ich auch mit GPS nicht finden. Also werde ich im parque José Martí abgeholt. Es kommt eine große, jüngere und schlankere Ausgabe meiner Bekannten, ihre kleine Schwester. Sie lotst mich und ich muss zugeben, dass der Weg wirklich nicht zu beschreiben gewesen wäre und auch das Navi eine unzureichende Hilfe. Aber so komme ich problemlos an.
Doch wo komme ich denn hier an? Ich kenne zwar schon vieles in Kuba, aber das verblüfft mich denn doch.
Ein Gebäude aus Holz, ca. 60m lang und 12m tief, separiert in 15 casas durch Holzwände bis in ca. 3m Höhe. Das Objekt selber ist etwa doppelt so hoch.
Dass die Trennwände zwischen den casas ausreichend Lücken und Löcher haben, um vom Nachbarn nicht nur akustisch und olfaktorisch sondern auch optisch genügend Eindrücke zu bekommen, wird mir sofort bewusst. Den Fußboden, der ein Mosaik ist aus zerbrochenem Beton und festgetretenem Erdreich, nehme ich erst später bewußt war.
Ob das wohl ein Viehstall war vor der Umwidmung oder schon ursprünglich als Sklavenunterkunft geplant wurde, würde ich gern wissen. Das Alter wird jedenfalls mit mehr als 100 Jahren angegeben, älter als der
Großvater, der schon vor der Revolution hier wohnte, und so sieht das Ganze auch aus.
Meine Gastgeber sind also Inhaber einer dieser Abteilungen, einer casa von ca. 3,80m Breite und 12m Tiefe, unterteilt in 4 Zimmer durch 2m hohe Pappwände an Holzständern. Natürlich sind die Zimmer nicht abgeschlossen sondern am einer Seite offen, denn irgendwie muss man ja die Wohnung durchqueren können, um in die als letztes gelegene Küche zu kommen und in den Hof dahinter. In diesem ist der Abort, eine winzige Holzhütte mit einem Loch in einer uralten und durch Urin und andere Einflüsse deutlich mitgenommenen Betonplatte.
Es gibt erst einmal einen Kaffee und meine Mitbringsel wandern in den Kühlschrank. Dann folgt eine kurze Abstimmung, in welcher der Abteilungen der casa ich schlafen würde. Die eine müsste ich mit der Mutter des Hauses teilen, die deutlich mehr wiegt als ich und ungefähr mein Alter hat. Die andere mit dem 3 Jahre alten und sehr lebhaften Sohn der kleinen Schwester und die letzte mit dieser. Na das ist doch mal eine leichte Entscheidung!
#2 RE: Silvester im campo cubano
Bin schon auf die Fortsetzung gespannt. Sylvester gibt es meist immer ein großes Essen, mit der Familie und/oder mit Freunden. Es ist auch meine Erfahrung, dass es an Sylvester meist kein kubanisches Bier, sei es in Peso oder Convertible, zu kaufen mehr gibt. Das braucht dann wieder etwa 14 Tage bis in den Läden wieder kubansiches Bier in den Regalen steht. Deswegen versuche ich frühzeitig meine Bestände aufzufüllen, damit man in der Not auch etwas zu drinken hat. Aber da ja andere meist mittrinken, gehen die Vorräte auch manchmal schnell zur Neige.
Muchos saludos
Pilonero
Sylvesterschwein bei Freu
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#5 RE: Silvester im campo cubano
Also bemühe ich mich, möglichst taktvoll zu vermitteln, dass all diese Möglichkeiten mich zwar sehr ehren würden, aber ich doch eine vierte vorzöge. Ich dränge mich halt nicht so gern auf.
Irgendwie scheint mir das sogar gelungen zu sein. Keiner ist verärgert. Doch eine casa particular für extranjeros kennen meine neuen Freunde nicht. Es gäbe nur eine für cubanos, dort könnte ich bestimmt schlafen. Uff, solche casas kenne ich schon, reizvoll waren die noch nie. Aber schlimmer als der establo de esclavos wird sie schon nicht sein. Also fahren wir dorthin, weit ist es nicht.
Die casa verblüfft mich und zwar überaus angenehm. Sie ist weit besser als viele, als die meisten sogar, die ich in Kuba schon bewohnte. Ein ganz neu konstruierter Bungalow, fertig gestellt und sehr gut gemacht, ein pieksauberes Bad, neue Möbel, Fernseher und Radio, ein gefüllter Kühlschrank, Zahnbürsten und Zahnpasta für die Gäste, es gibt nichts zu meckern. Das alles soll die Nacht 5 CUC kosten, einschließlich Parken auf dem großen Hof und Bewachung durch scharfe Hunde. Nur des nachts darf ich nicht allein das Zimmer verlassen, eben wegen dieser Hunde. Nun gut, das soll mich nicht stören, schon gar nicht in dieser Nacht.
Als einzige Hinweise, dass Ausländer nicht die Zielgruppe des dueños sind, fehlen Toilettenbrille (was für eine unangenehme kubanische Sitte) und Fenster in beiden Zimmern. Einen Hinweis gibt auch folgendes Möbelstück. Wer weiß, was das ist?
caballo sexual.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)
Genau!
Ich muß einfach fragen! Der Besitzer der casa nennt das Teil stolz "caballo sexual" und erklärt mir, dass er gut ausgelastet sei mit Pärchen ohne eigene Wohnung und Verliebten, die aus irgendeinem unerfindlichen Grund die eigene Wohnung nicht gemeinsam aufsuchen können. An der Stelle fallen mir dann auch die Spiegel an allen Wänden und der Decke auf und die griffbereit gelegten Kondome. Man scheint von einem solchen Angebot gut leben zu können.
Nun ist es Zeit für eine Stadtbesichtigung. Viel gibt es nicht zu sehen aber ich staune, wie weitläufig der Ort ist. Weitläufig und eintönig, ein zur Stadt aufgeblähtes Dorf. 2 Zuckerfabriken gibt es, die sehen aus wie Ruinen aber sind noch in Betrieb. Eine Open Air Disco existiert, ein Restaurant, der parque mit WiFi als zentrale Kulturinstitution, am Stadtrand auch ein Hotel für Kubaner, das ich gar nicht erst von innen sehen möchte. Ay, was bin ich europäisch arrogant!
Nachdem ich alles gesehen habe, ist es Zeit für das Abendessen. Darauf habe ich mich schon sehr gefreut. Ganz typisch kubanisch gibt es cerdo asado vom Holzfeuer. Es ist zu schmecken, dass dieses Schwein nicht bewegungslos in einem kleinen Stall aufwuchs sondern herum lief und auf der Wiese und dem Hof suchte, was ihm schmeckte.
Ja klar, ich frage nach. Es ist wirklich kein Schwein, das auf dem Balkon gemästet wurde mit Speiseresten, sondern ein noch junges von denen, die ein Nachbar auf einer Wiese hält. Dazu das Holzaroma vom offenen Grill, bei dem Geschmacksgenuss schweigen sofort alle moralischen und Gesundheitserwägungen.
Dazu probiere ich die Biere aus, die sich in Kühlschrank finden, Cacique, Mayabe, Cristal und Bucanero, trinke den mitgebrachten Rum wegen der Verdauung, schwatze mit allen, auch mit der Urgroßmutter, die in ihrem handgebastelten Rollstuhl heran gekarrt wird. Allerdings ist mit ihr die Kommunikation schwierig. Ihr cubanol und die Demenz lassen mich oft mehr raten als verstehen. Der Rum hilft mir nochmals, als die Windeln der bisabuela gewechselt werden müssen. Das passiert zwar im Nachbarzimmer, was optisch abschirmt, aber zu hören und zu riechen ist in dieser casa doch alles.
Als alle gesättigt sind, genug getrunken haben und die Sonne doch zurückgezogen hat, ist Familienbesuch angesagt. Das Mietauto des Besuches muss doch genutzt werden. So verstaut sich die gesamte Familie in den Kleinwagen und ich bin über die vollkommen leeren Straßen froh. So ganz nüchtern bin ich ja nicht mehr, aber allemal noch der nüchternste der Runde.
Es geht über Feldwege und Schlaglochpisten von Haus zu Haus. In jeder casa der Familie und ca 1/3 des Ortes scheinen zur Familie zu gehören, bekomme ich rum und bittet angeboten. Was bin ich froh, dass ich das Auto als Ausrede habe. Anderenfalls wüsste ich morgen nichts mehr vom Verlauf diesen Abends. Aber diese Ausrede hilft nicht immer und gehen alles. So muss ich in jedem Haushalt das Schwein probieren. Ich werde hochnotpeinlich verhört, wo und von wem es denn am besten schmecken würde. Da hilft auch kein herumeiern, eine der vielen Hausfrauen und Köchinnen ist immer missgestimmt.
Es ist schon spannend zu sehen, was sich manche so einfallen lassen. In einer casa hat jemand aus dickem Holz eine sargähnliche Kiste gebaut, in der ein halbes Schwein liegt. Oben ist diese Kiste verschlossen mit einer Eisenplatte, auf der das Feuer entfacht ist. Unter ist sie offen, das Schwein ruht auf einem Gitterrost, das Fett tropft in eine Pfanne. Wieso Feuer oben zum Kochen besser sein soll als unten verstehe ich nicht. Ich kann es auch nicht schmecken, denn dieser Braten ist im Gegensatz zu allen anderen noch nicht fertig.
Einige der Wohnungen sehen erträglich aus, andere ähneln in ihrem Erhaltungs- und Pflegezustand den Stall meiner Gastgeber, einige sind noch schlimmer. Nach einer Toilette frage ich schon gar nicht mehr, halte lieber auf dem Weg zum nächsten Familienmitglied an und pinkle am Straßenrand.
Gegen 23.30 endet die Tour vor dem Stall meiner Freunde. Ich werde gemahnt, ja genau vor deren casa zu parken. Als ich frage, ob es sonst Probleme mit den Nachbarn gäbe, protestiert die Mutter des Hauses. Die Idee sei doch absurd. Nein, man verstünde sich mit allen bestens. Aber es sind doch vollkommen klar sein, zu welcher Familie das Auto und der ausländische Besuch gehöre. Man könne schließlich nicht dulden, dass sich einer der Nachbarn vielleicht mit mir schmücke. OK, so kann man das auch sehen.
Auf dem Weg durch die Stadt sind mir vor vielen Häusern die Figuren aus Stroh aufgefallen, bekleidet mit alten Sachen. Auch meine Freunde habe so eine gebaut.
Als sich die Mitternacht nähert, werden diese finsteren Gestalten auf die Straße geschleppt und angezündet. Das alte Jahr wird verbrannt. Punkt Mitternacht kippt jede Hausfrau mit großem Schwung einen Eimer Wasser auf die Straße. Neugierig frage ich nach. Das mache man eben so. Natürlich bietet sich die Idee an, das dies mit einer symbolischen Reinigung der Wohnung von dem Schmutz des alten Jahres zusammenhängen könnte. Aber bestätigen kann mir diese Vermutung hier keiner. Así se hace y ya!
Als man sich wieder auf die Straße trauen kann, ohne durchnässt zu werden, wird die Musik noch lauter gedreht. Jetzt ist es Zeit, allen alles Gute zu wünschen, ringsum Küsschen zu verteilen, anzustoßen und Rum mit jedem trinken. Dann wird richtig gefeiert und umringt von den immer noch brennenden Strohpuppen schwingen alle das Tanzbein auf der Straße. Zwischen den Tanzenden drängen sich Gestalten hindurch, die Koffer schleppen oder hinter sich herziehen. Bei der ersten Gruppe denke ich mir noch, dass die einen doofen Zeitpunkt für eine Reise ausgesucht haben. Doch dann merke ich schon, dass es etwas anderes damit auf sich haben muss.
Ich bekomme zwei Erklärungen. Einige glauben, dass man so die Reise in das neue Jahr begehen sollte. Andere meinen, dass man in diesem Jahr reisen könne an den Ort seiner Wünsche, wenn man die ersten Minuten reisend verbringt.
Zwischen all den Reisenden tanzen und trinken wir weiter, bis ich ganz langsam zu müde dafür werde. Lieber lasse ich das Auto stehen und trete auch eine Reise an, die in mein Bett.
Ich schlafe trotz des fehlenden Fensters gut und erwache spät. Frühstück gibt es natürlich keines in der casa. Den Gäste hier leben doch von Luft und Liebe. Auch bei meinen neuen Freunden ist nichts zu Essen vorhanden. Aber immerhin spielt der Sohn schon fröhlich und seine Großmutter sitzt mit verquollenen Augen viel weniger fröhlich neben ihm. Doch ist sie wenigstens wach und in der Lage, mir einen Kaffee zu machen. Später findet sich dann doch das Schwein wieder an und deutlich nach dem Mittag gibt es einen brunch mit aufgewärmtem Schwein und arroz moro. Das schmeckt auch heute wieder und das erste Bier des Tages passt auch in den Bauch hinein.
Jetzt kommt doch wirklich erst meine Bekannte nach Hause, die mich die ganze Feier mit ihrer Familie allein gelassen hat. Wir unterhalten uns eine Weile und da keine Rechnung präsentiert wird, begreife ich allmählich. Die Einladung hatte schon einen Preis, die kleine Schwester sollte unter die Haube gebracht werden. Angesichts der Wohnsituation kann ich das Anliegen gut verstehen, einen solventen Mann für sie zu finden. Aber nicht jeder Wunsch geht schließlich in Erfüllung.
So schenke ich dem großgewachsenen kleinen Schwesterchen, einer immer noch aktiven Sportlerin und Sportlehrerin, wenigstens ein Handy und mache mich auf den Weg zu meinen Freunden in Camagüey. Zumindest die Apothekerin ist wieder präsent, hat ihre Arbeit beendet und freut sich, mit mir ausgehen zu können und wenigstens eine kleine Feier zum Jahresende zu haben.
Immer noch bekomme ich in größeren Abständen Mails aus Florida, die stets mit tu profesora de deporte unterschrieben sind.
#10 RE: Silvester im campo cubano
Kleine Erläuterung zum "Schweinegrillsarg"
https://www.lacajachina.com/100_Lbs_Roaster_2_p/lcc-g101.htm
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