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"Schlangestehen für ein Handy" - epd-Korrespondentenbericht aus Kuba
#1 "Schlangestehen für ein Handy" - epd-Korrespondentenbericht aus Kuba
Schlange stehen für ein Handy - Nach ersten wirtschaftlichen
Lockerungen hoffen Kubaner auf Reformen
Von Matthias Knecht (epd) =
Mexiko-Stadt (epd). Kubaner dürfen neuerdings Handys benutzen, Autos
kaufen und in bisher für Ausländer reservierten Hotels logieren. Hat
mit der offiziellen Machtübernahme durch Raúl Castro vor zwei Monaten
die Öffnung des kommunistischen Systems begonnen?
Viele Kuba-Kenner zeigen sich skeptisch. Einer von ihnen ist der in
Mexiko lehrende Geschichtsprofessor und Essayist Rafael Rojas. «Ich
würde nicht von Öffnung sprechen, sondern vielmehr von sehr
kontrollierten Veränderungen», sagt der Exilkubaner.
Raúl Castro hat seit seiner Wahl zum Staatspräsidenten am 24. Februar
einige unpopuläre Verbote aufgehoben. Seither dürfen gewöhnliche
Kubaner legal Konsumgüter erwerben, die noch unter seinem Bruder und
langjährigen Staatschef Fidel Castro verboten waren, darunter
Computer, Mikrowellengeräte oder DVD-Spieler.
Die Aufhebung der Verbote komme nur wenigen zugute, urteilt Rojas:
«Davon profitiert nur der Teil der Bevölkerung, der Zugang zu Devisen
hat.» Die Kluft zwischen Löhnen und Preisen sei riesig. Denn während
Arbeiter in einheimischen Pesos bezahlt werden, ist die neue
Konsumwelt nur gegen die Zweit- und Devisenwährung, den konvertiblen
Peso erhältlich.
Bei einem Durchschnittslohn von umgerechnet 13 Euro kostet die
Aktivierung einer Mobiltelefonnummer mit 70 Euro mehr als fünf
Monatslöhne. Eine Nacht in Havannas legendärem Hotel National (100
Euro) entspricht knapp acht Monatslöhnen. Dennoch bildeten sich
Schlangen vor den Büros der staatlichen Telekom-Firma.
Der Pragmatiker Raúl Castro hat sich mit der Abkehr vom Kurs seines
schwer erkrankten Vorgängers Fidel Sympathien erworben, so die
Einschätzung von Rojas. Zugleich weckte der neue Präsident Appetit
auf mehr: «Die Reformerwartungen gehen viel weiter.»
Einen Hinweis auf die gärende Unzufriedenheit auf der Insel gibt die
zunehmende Emigration in die USA. Die Statistik dort zeigt für die
vergangenen Monate, dass die Zahl der einreisenden Kubaner deutlich
anstieg. Hält der Trend an, werden im laufenden Jahr 50 Prozent mehr
Kubaner in die USA auswandern als 2007. Und das vergangene Jahr war
mit rund 13.000 Übersiedlungen bereits ein Rekordjahr. Hinzu kommt
die zunehmende Auswanderung nach Spanien und Mexiko.
Das «enorme Emigrationspotenzial Kubas» bilden nach Einschätzung
Rojas' diejenigen, für die Handys und Hotelnächte noch lange
unerschwinglich bleiben. Denn wer auf der Karibikinsel keine Devisen
von Verwandten im Ausland erhält, kämpft ums wirtschaftliche
Überleben.
Raúl Castro versprach schon im Juli 2007, als er kommissarisch die
Staatsgeschäfte führte, die Misere mit «strukturellen Änderungen»
anzugehen. Bei der nebulösen Ankündigung blieb es. Niemand weiß, ob
er nur Korrekturen an der ineffizienten staatlichen Planwirtschaft
vorhat, oder ob ihm eine sozialistische Marktwirtschaft nach dem
Vorbild Chinas vorschwebt.
«Kuba nähert sich dem chinesischen Modell an, wird es aber nicht
übernehmen», glaubt Rojas. So will Kuba Teile des mehr als zur Hälfte
brachliegenden Agrarlandes neuerdings an private Bauern verpachten.
Dadurch sollen die Nahrungsmittel-Importe im Wert von derzeit 1,6
Milliarden US-Dollar jährlich reduziert werden. Und seit einiger Zeit
steigen die Lebensmittelpreise auf den Weltmärkten kräftig. Aufheben
will Kuba auch die bisherigen Höchstgrenzen für Löhne.
Nicht angerührt hat Raúl Castro bisher das Tabuthema Eigentum: Sowohl
das Agrarland als auch die kubanischen Wirtschaftsbetriebe sind
mehrheitlich in Staatsbesitz und sollen es offenbar auch bleiben.
Rojas spricht darum von «sehr begrenzten Reformen».
Unterdessen pocht die mutiger gewordene Opposition auf politische
Reformen. Der Dissident Oswaldo Payá fordert die Freilassung der
derzeit 230 politischen Gefangenen, Meinungsfreiheit, das Recht auf
Privatunternehmen und baldige «freie Wahlen für eine
verfassungsgebende Versammlung.» Davon ist Kuba noch weit entfernt.
Parlamentspräsident Ricardo Alarcón versicherte in der Staatspresse:
«Es wird den kubanischen Sozialismus noch eine Weile geben.»
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