Versammlung der Geister in Castros Ruinen

07.12.2006 21:00
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Versammlung der Geister in Castros Ruinen

Von Paul Ingendaay, Madrid


07. Dezember 2006

Die Nachricht, der deutsche Dokumentarfilm „Havanna - Die neue Kunst, Ruinen zu bauen“ von Florian Borchmeyer und Matthias Hentschler werde beim soeben eröffneten Filmfestival von Havanna nicht aufgeführt, mag nicht sonderlich überraschend kommen. Am 8. August, kurz vor der Premiere in Locarno, hat Borchmeyer in diesem Feuilleton von seinem Film und den abenteuerlichen Umständen seiner Entstehung berichtet: von Undercover-Dreharbeiten, äußerster Vorsicht, Tarnbezeichnungen im Drehbuch und einer kongenial zu nennenden Einfühlung in die Paranoia des kubanischen Überwachungssystems.

Wie gesagt, es verwundert nicht, daß der kubanische Festivalleiter Iván Goroud ausgerechnet am fünfzigsten Jahrestag der Kubanischen Revolution und zur nachgeholten Feier des achtzigsten Geburtstags von Fidel Castro diesen kubakritischen Beitrag nicht auf einer Leinwand von Havanna sehen möchte, noch dazu vor den Augen der internationalen Filmkritik. Was jedoch sehr wohl verwundert, ja bestürzt, ist die Komplizenschaft der deutschen Diplomatie in Havanna bei einem flagranten Fall von Zensur.


Ein Thema, das unter die Haut geht


Denn Borchmeyer und Hentschler hätten ihren Film, wie es geplant war, beim Festival von Havanna einreichen können. Natürlich hätten sie sich damit eine formelle Absage geholt, die bei den Filmfestivals demokratischer Länder wie ein Empfehlungsschreiben gewirkt hätte. Bevor es dazu kommen konnte, erhielt Borchmeyer eine E-Mail von Hans-Ulrich Lunscken, dem deutschen Botschafter in Havanna, der ihm zu seinem Werk gratulierte und wörtlich schrieb: „Das Thema geht wohl jedem unter die Haut, der sich mit etwas Sensibilität länger in Havanna aufhält. Besonders beeindruckt hat mich der ,Ruinen-Philosoph' Antonio José Ponte, mit dem ich gerne in Kontakt treten möchte.“ Kurz darauf bot die deutsche Kulturvertretung in Havanna an, den Film in die deutsche Filmreihe „Muestra alemana“ aufzunehmen, die seit zwölf Jahren fester Bestandteil des Filmfestivals ist. (In diesem Jahr werden dort Titel wie „Elementarteilchen“ und „Sommer vorm Balkon“ vorgeführt.)


Dann jedoch, am 16. Oktober, teilte der Botschafter dem Regisseur mit, das Kubanische Filminstitut habe „Havanna“ auf die „Giftliste“ gesetzt. Der Film könne deshalb nicht auf dem Festival gezeigt werden. Mit anderen Worten: Zum erstenmal streichen die kubanischen Behörden einen Film aus einer Nebenreihe, die vom Goethe-Institut betreut und von der Bundesrepublik finanziert wird. Doch Botschafter Lunscken hielt Trost bereit. Er bot an, den Film „im Rahmen eines jour fixe in der Residenz“ zu zeigen und im Anschluß darüber diskutieren zu lassen, vor allem von „Betroffenen aus dem System“. Auch die Anwesenheit des Regisseurs sowie des Schriftstellers Antonio José Ponte seien sehr willkommen. Doch Borchmeyer lehnt dankend ab. Der Schaden ist angerichtet und nicht zu überpudern.


Klammheimlich einverstanden


Deutschland unterhält in Havanna kein Goethe-Institut, sondern nur ein „Gründungsbüro“, das vom jeweiligen Kulturattaché der deutschen Botschaft geleitet wird. Sosehr man Verständnis für die Notwendigkeiten des Standorts Kuba aufbringt: Die freiwillige Preisgabe der Meinungsfreiheit und die stillschweigende Billigung der Zensur gehören nicht zu den Aufgaben deutscher Diplomatie. Man hätte erwarten dürfen, daß die Deutschen auf den beschämenden Zensurfall mit einem offiziellen Protest reagieren, statt sich gegenüber den kubanischen Behörden klammheimlich einverstanden zu erklären.


Doch das Gegenteil trat ein, und es ist aktenkundig. Die Regisseure und ihr unbequemes Produkt wurden fallengelassen. Dietmar Geisendorf, der scheidende Kulturattaché, kommentierte die Zensur nur mit den schlaffen Worten: „Verwundern tut uns das nicht - nicht wahr?“ Und seine Programmkoordinatorin Petra Röhler erdreistete sich sogar, Borchmeyer wegen des Worts „Giftliste“ (das aus einem Schreiben des Botschafters stammt) schriftlich „Unterstellung!!!“ vorzuwerfen. Frau Röhler, die in der DDR aufwuchs und danach mehrere Jahrzehnte als systemkonforme Dozentin in Kuba verbrachte, darf hiermit als blendende Repräsentantin demokratischer Streitkultur gelten. Kommenden Februar läuft der Film „Havanna - Die neue Kunst, Ruinen zu bauen“ in Berlin an.

Text: F.A.Z., 07.12.2006, Nr. 285 / Seite 33
Bildmaterial: Raros Media

http://www.faz.net/s/RubF7538E273FAA4006...n~Scontent.html


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