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»Ein Land, von dem es Bilder gibt, lebt«
»Ein Land, von dem es Bilder gibt, lebt«
Sechs kubanische Filme, die von der DEFA synchronisiert wurden, sind jetzt auf einer DVD zu haben. Ein Gespräch mit Julio García Espinosa
Julio García Espinosa (geb. 1926) ist Filmregisseur und Direktor der Internationalen Hochschule für Film und Fernsehen in Kuba. Am Sonnabend spricht er auf der Veranstaltung »Brecht und der Kommunismus« http://www.jungewelt.de/infos/brecht_und_der_kommunismus.php in Berlin
Das Berliner Unternehmen Icestorm (http://www.icestorm.de/), das die DEFA-Produktionen weltweit verwertet, hat sechs DVDs mit kubanischen Filmen in der Synchronisation aus der DDR herausgebracht, darunter Ihren Film »Die Abenteuer des Juan Quin Quin« aus dem Jahr 1967. Außerdem erscheinen die DVDs in Originalfassung mit englischen Untertiteln. Was bedeutet dieses Projekt für Sie?
Das bedeutet sehr viel. Ein Land, von dem es Bilder gibt, ist ein Land, das lebt. Ich gehe immer von der Idee aus, daß ein Land ohne Bilder nicht existiert. Diese Edition ist daher eine wunderbare Unterstützung für uns. Ich persönlich finde übrigens die Originalfassungen mit Untertiteln besser als die Synchronisation. Mir gefällt es sehr, daß sie von meinen Filmen »Juan Quin Quin« ausgewählt haben. Kein sehr akademischer Film, denn obwohl er in die Jahre gekommen ist, scheint er mir immer noch sehr lebendig zu sein. Es handelt sich um den kubanischen Film, der bei uns die meisten Zuschauer hatte. Ich bin Icestorm sehr dankbar, daß er jetzt in der ganzen Welt gesehen werden kann.
Wenn Sie die heutige Situation des kubanischen Films beschreiben sollten, was würden Sie hervorheben?
Das Wichtigste ist, daß wir es geschafft haben zu überleben. In den 90er Jahren durchlief Kuba eine schwere ökonomische Zeit. Das Verschwinden der Sowjetunion und der sozialistischen Länder Europas hat unser Land tief getroffen. Filmemachen ist extrem teuer. Ich denke z. B. an die sehr schwierige Lage 1993/94. Damals drehte ich den Film »Reina y Rey« (»Königin und König«). Um überhaupt produzieren zu können, filmte ich die Gebäude gegenüber von meinem Haus, so daß keine Kosten für Benzin entstanden. Ich mußte erfinden, wie man einen Film in Armut macht. »Reina y Rey« verdeutlicht die harte Situation in jenem Jahrzehnt. Ich glaube aber, daß sich der kubanische Film von dieser Situation erholt hat. Es entstanden so wichtige Filme wie »Erdbeer und Schokolade« aus dem Jahr 1993. Jetzt steigt auch wieder die Menge der Produktion. Wir sind in der Erholungsphase.
Welche Bedeutung hatte die Zusammenarbeit mit der DDR, mit der DEFA, seinerzeit für den kubanischen Film?
Eigentlich hatte das keine große Bedeutung, nur in dem Sinne, daß die DEFA Türen öffnete, auch für Koproduktionen. Auf diesem Gebiet hatten wir sehr gute Beziehungen.
Der kubanische Film wurde und wird aber mit dem lateinamerikanischen Film identifiziert, nicht mit dem Film der Länder des realen Sozialismus. Die meisten Koproduktionen, die wir gemacht haben, vereinbarten wir mit Ländern aus Lateinamerika. Wir selbst fühlten uns immer ihnen zugehörig und identifizieren uns mit ihnen immer mehr. Wir sind ein Teil der Region. Das drückt sich auch darin aus, daß die Internationale Hochschule für Film und Fernsehen in Havanna, die ich leite, eine Filmhochschule für Lateinamerika ist. Sie wurde im Dezember vor 20 Jahren eingeweiht, den Anstoß gaben Cineasten aus vielen Ländern, und von ihnen wird sie getragen. An der Hochschule lehren auch deutsche Professoren, und wir haben deutsche Studenten. Das beruht auf Austauschbeziehungen mit einigen Hochschulen in Deutschland, d. h. deutsche Studenten kommen nach Kuba und kubanische Studenten nach Deutschland.
Am Sonnabend sprechen Sie auf der Veranstaltung »Brecht und der Kommunismus«. Welche Bedeutung hatte Brecht für Ihr Werk?
Es ist sehr schwer, das mit wenigen Worten zu sagen – mein Verhältnis zu Brecht ist Thema meines Referats auf der Konferenz. Vielleicht soviel: Brechts theoretische Arbeiten beziehen sich vor allem auf das Theater. Ich bin aber der Meinung, daß es fast noch interessanter ist, seine Auffassungen auf das Kino anzuwenden. Er lehrte z.B., daß das Theater die Zuschauer nicht nur faszinieren, sondern auch seine Ideen mit den Zuschauern teilen soll. In bezug auf den Film kann man sagen, daß das heutige Kino das kritische Bewußtsein der Zuschauer neutralisiert hat. Mit Brecht ist es möglich, dieses kritische Bewußtsein wieder zu beleben.
Interview: Arnold Schölzel
Quelle: http://www.jungewelt.de/2006/10-14/045.php
#3 RE: »Ein Land, von dem es Bilder gibt, lebt«
In Antwort auf:lautete:
Zitat von B. Brecht von 1953
"Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?"
Brecht bezog sich auf den 17. Juni jedoch über dieses Zitat hinausgehend differenzierter. In diesem Zusammenhang steht auch das Zitat von Brecht "Die ganze Nazibande ist immer noch da, sie hat nicht mehr geherrscht, geistig war sie noch immer ganz lebendig". Eine ausführliche Stellungnahme von Brecht ist in dem Protokoll einer Gewerkschaftsversammlung am Berliner Ensemble (BE) vom 24.6.1953 nachzulesen.
Auf der Veranstaltung BRECHT UND DER KOMMUNISMUS, »er ist das einfache, das schwer zu machen ist« referiert Julio Garcia Espinosa (Cuba) am 14.10. um 12:15 Uhr über seine Beziehung zu Bertolt Brecht. Eine weitere kubanische Teilnehmerin an der Konferenz ist Dolores Calviño Valdes-Fauly, Vizedirektorin der 'Cinemateca de Cuba' am 15.10. um 13:45 Uhr.
Programm: http://www.jungewelt.de/ankuendigung/36.html
Sonnabend/Sonntag; 14./15. Oktober 2006 ; jeweils 10 Uhr (Einlaß 9 Uhr)
Theater Berlin-Karlshorst; (direkt am S-Bahnhof Karlshorst, Treskowallee 111, 10318 Berlin)
Ist Brecht in Kuba noch aktuell?
Julio García Espinosa über den »Mode-Dichter« und das kubanische Kino
Der Filmregisseur, eine der Galionsfiguren des neuen lateinamerikanischen Kinos, gastiert auf dem Brecht-Kongress in Berlin
ND: Herr Espinosa, Sie werden morgen auf dem Brecht-Kongress sprechen. Welche Bedeutung hat Bertolt Brecht für Ihr Kino gehabt?
Espinosa: Sehr viel Bedeutung. Nicht weil ich Brechts Theorie auf den Film angewendet habe, sondern weil ich, als ich Brecht kennen lernte, fühlte, dass Teile dieser Ideen zu uns gehören. Ich habe mich sehr mit seinen Ideen identifiziert, vor allem ab den 60er Jahren.
Ihr Zugang zu Brecht kam mehr über das Theater als über den Film. Wie groß war die Bedeutung Brechts mit Blick auf Ihr Filmschaffen?
Als ich in den 60er Jahren »Las Aventuras de Juan Quinquin« (Die Abenteuer des Juan Quinquin) drehte, habe ich festgestellt, dass ich Filme mache mit einigen der Theorien von Brecht. Ich habe viel darüber geschrieben, viel darüber nachgedacht über diese Beziehung von mir zu Brecht. Mich störten Teile des Hollywood-Kinos. Das bezog sich nicht auf den nordamerikanischen Film insgesamt oder auf die Komödien und Musicals, die ich sehr mag, sondern galt in erster Linie für den Naturalismus der dramatischen Filme. Mir schien dieser Naturalismus voller Verführungen. Ich sah beispielsweise Antikriegsfilme und die Leute kamen aus dem Kino und sprachen über die schönen Bilder und die Fotografie. Sie reden über die Schauspieler, aber nicht über die dargestellten Charaktere. Das schien mir sehr unaufrichtig und noch schlimmer war: Das neutralisierte ja das kritische Bewusstsein des Zuschauers. Ich habe deshalb bewusst eine aufrichtigere Antwort gesucht, die das kritische Bewusstsein des Zuschauers wieder wecken sollte. Und von da an fing meine Identifikation mit Bertolt Brecht an. Einige sagen, dass Bertolt Brecht nicht in Mode ist, real war Brecht nie eine Mode.
Wie groß ist aus Ihrer Sicht heute noch der Einfluss von Brecht auf Kuba?
Wir sind nicht mehr in der Ära der 60er Jahre, als die Hochzeit von Brecht war. Im Theater etwa wird nun eher ein trockener Weg beschritten, die Hinwendung zu nationalen Themen hat zugenommen. Mit anderen Worten: Der einzige, der noch die Fahne für Brecht aufrecht hält, bin ich (lacht).
Lassen Sie uns zum Abschluss kurz auf den aktuellen Zustand des kubanischen Kinos eingehen. Sie sind Direktor der internationalen Filmhochschule in San Antonio de los Baños, die zu den ersten Adressen des lateinamerikanischen Films gehört. Das kubanische Kino selbst leidet anhaltend unter einer ökonomischen Krise. Wie sehen Sie die Perspektiven für ihre Studenten in Kuba ?
Gut. Wir haben derzeit mehr Gegenwart als Zukunft. Das ist eigentlich eine Gegenwart, die versucht, die Rahmenbedingungen aufrechtzuerhalten, um die Zukunft zu sichern. Als wir die Filmhochschule vor 20 Jahren gegründet haben, sagte Gabriel García Márquez, der Präsident der Stiftung der Filmhochschule, folgenden Satz: »Sie können die teuersten Arbeitslosen der Welt werden.« Und das ist wahr geworden. Sowohl die Filmhochschule wie auch Kuba versuchen, etwas wirklich Unmögliches zu schaffen: ein Stück Unabhängigkeit zu erhalten, was sehr schwer ist, sowohl für die Schüler der Filmhochschule wie auch für Kuba selbst. Aber es gibt dazu keine Alternative.
Quelle: http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=98635&IDC=4
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