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»Wir müssen den Gringos die Stirn bieten«
»Wir müssen den Gringos die Stirn bieten«
Freihandelspolitik von USA und EU trifft in Lateinamerika verstärkt auf Kritik. Wie positioniert sich Brasilien? Ein Gespräch mit João Pedro Stédile
Der Marxist João Pedro Stédile gehört der Nationalen Leitung der Brasilianischen Landlosenbewegung MST an
Das vierte Gipfeltreffen zwischen den Staaten der Europäischen Union (EU), Lateinamerika und der Karibik ist unlängst in Wien ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Bedauern Sie das?
Überhaupt nicht. Auf dem Gipfeltreffen sollten ursprünglich eine weitere Deregulierung der Märkte beschlossen und entsprechende Handelsabkommen unterzeichnet werden. Die Fürsprecher einer solchen Politik hatten aber kein Mandat von den Männern und Frauen in ihren Ländern. Freihandelsabkommen zwischen den lateinamerikanischen Staaten und der EU oder den USA liegen nur im Interesse der transnationalen Konzerne.
Tatsächlich ist an diesem Widerspruch seit dem ersten EU-Lateinamerika-Gipfel 1999 jede Verhandlung gescheitert. Inwiefern müßte die EU ihre Position ändern?
Ich denke, daß es an den Europäern liegt, die europäische Politik zu definieren. In Lateinamerika setzt sich mehr und mehr die Position durch, daß der einzige Weg, die Entwicklung unserer Gesellschaften zu garantieren, darin besteht, die nationalen Ökonomien zu entwickeln. Wir müssen uns von der Illusion trennen, daß wir die Armut bekämpfen können, indem wir Rohstoffe exportieren. Diese Art der Handelsbeziehungen hat über 500 Jahre lang koloniale Abhängigkeiten bestimmt und zu der bestehenden Armut geführt.
Venezuela und Bolivien setzen zunehmend auf Kontrolle der nationalen Ressourcen. Mexiko und Großbritannien werfen ihnen vor, die Entwicklung von Handelsabkommen zu behindern.
Alles, was Bolivien, Venezuela, aber auch Kuba tun können, um die Freihandelsverhandlungen zu bremsen, trifft auf unsere Zustimmung. Das ist die Rolle, die eine Regierung spielen sollte, die sich die Verteidigung der Interessen der Bevölkerung auf die Fahnen geschrieben hat. Vorwürfe hat es gegen Venezuela ja auch wegen des Austritts aus der Andengemeinschaft (CAN) gegeben. Kaum jemand hat daran erinnert, daß die geplanten Freihandelsabkommen von Kolumbien und Peru mit Washington diesen Schritt provoziert haben. In diesem Fall hätten billige Massenprodukte aus den USA die Märkte der CAN-Mitglieder überschwemmt und die Massenarbeitslosigkeit weiter forciert.
Wie beurteilen Sie die »Bolivarische Alternative für die Völker Amerikas« (ALBA), die von Kuba und Venezuela ins Leben gerufen wurde?
ALBA hat bereits konkrete Ergebnisse gebracht. Vor kurzem wurde in Havanna das »Handelsabkommen der Völker« (TCP) zwischen Bolivien, Kuba und Venezuela unterzeichnet. Wir müssen den Gringos die Stirn bieten. ALBA ist ein Mittel dazu. Diese Politik hat aber nur Aussicht auf Erfolg, wenn in Lateinamerika weitere progressive Regierungen an die Macht kommen.
Zählen Sie den brasilianischen Präsidenten Lula da Silva dazu?
Lula ist ein guter Mann. Er steht für eine lange Tradition der Arbeiterbewegung in Brasilien. Aber in unserem Land gibt es einen bedeutenden Unterschied zu Bolivien, Kuba oder Venezuela: Die Regierung Lula hat einen strategischen Pakt mit der bürgerlichen Rechten und den Neoliberalen geschlossen, der ihr verbietet, die in Ansätzen progressive Politik weiterzuentwickeln.
Evo Morales hat geschildert, wie er vor der Verstaatlichung des Erdgases mehrere Male erfolglos versucht hatte, sich mit Lula in Verbindung zu setzten. Als er am 1. Mai die Nationalisierung verkündete, habe er Lula sofort am Telefon gehabt. Wird er an engeren Kontakten mit Venezuela und Bolivien gehindert?
Das mag sein. Vor allem aber herrscht in der Regierung eine ungünstige Arbeitsteilung. Alle sozialpolitischen Ressorts werden von der Linken kontrolliert, die Wirtschaftskompetenzen wurden aber der Rechten überlassen. Deswegen gibt die Regierung Lula ein diffuses Bild ab. In einigen Bereichen haben wir die neoliberale Entwicklung gebremst. Aber gerade in der Agrar- und Bodenpolitik wurden sehr wenige Fortschritte gemacht. Lula trägt sicher eine Verantwortung. Der historische Wandel hängt aber nicht von einer Person ab. Deswegen treiben wir von der Landlosenbewegung die gesellschaftliche Organisation voran. Nur so werden wir langfristig den Neoliberalismus zurückdrängen können.
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