Mucho Whiskey für Sinatra

20.03.2005 20:10
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#1 Mucho Whiskey für Sinatra
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Mucho Whiskey für Sinatra

»Havannas dekadente Ära wird Touristen zugänglich gemacht Sprechstunde beim Mafia-Diener inklusive

VON ANDREAS GÜNTERT

Er redet etwas zu laut, der Gringo im teuren Leinenanzug. Und wie er jetzt an der Bar in seinem ärmlichen Spanisch einen Mojito bestellt, hört man seinen US- Akzent. Alle starren hinüber zu dem prah lerischen Gecken. Vielleicht auch wegen seiner jungen kubanischen Begleiterin. Sie gurrt ihm etwas ins Ohr. Er lacht. Eiswürfel klirren. Ein Son-Intro scherbelt aus der Jukebox.

«Jetzt», sagt Jorge Jorge, 84, «jetzt ist es fast ein bisschen wie damals.»

Zusammen mit dem würdigen Habanero sitzen wir an der Bar des Hotels Nacional in Havanna, fünf Hocker entfernt vom wichtigtuerischen Americano. Solche Leute hat Jorge Jorge, der eigentlich Jorge Miguel Jorge Fernández heisst, zwischen 1934 und 1959 bedient im Nacional. Reiche Amerikaner. Showstars, Mafiosi, Zocker, leichte Mädchen und lustige Witwen, die im Nobelhotel im Stadtteil Vedado auf den Putz hauten. «Die Jahre vor der Revolution waren unglaublich aufregend», erzählt Jorge Jorge. Glamour und Verschwendung in den Hotels und Casinos von Havanna. Draus sen Elend und Brutalität. Die Ära des Gangsterismo, als die US-Mafia die Zuckerinsel kontrollierte und zum karibischen Las Vegas machte. «Es war eine total verrückte Zeit», sagt Jorge Jorge. «Sie kommt nie wieder.»

Zerbeulte US-Oldtimer zeugen von der vorrevolutionären Vergangenheit

Wahrscheinlich hat der Kubaner recht. Aber die Erinnerung daran bleibt lebendig. Jorge Jorge jedenfalls tut seinen Teil dafür: als Zeitzeuge, der Nostalgietouristen in einem Plauderstündchen an der Nacional-Bar von früher erzählt.

Natürlich lebt Havanna lange schon von seinem Image als «sozialistisch tape zierter Sündenpfuhl» («Musik-Express») , der mit Relikten wie zerbeulten US-Oldtimern seine vorrevolutionäre Vergangenheit täglich zeigt. Neu dazu kommen jetzt Reisen, die sich speziell an Nostalgiefans richten, ihnen mit exklusiven Übernachtungsmöglichkeiten Einblicke geben in die Mafia-Zeit und mit Jorge Jorge einen unvergleichlichen Anekdotenführer ins vergangene Jahrhundert.

Die Zeit, als die Amerikaner Windhundrennen und Auto-Grand-Prix in Havanna veranstalteten, als die oberen Zehntausend von Miami aus nach Havanna jetteten und sich im Gourmet-Restaurant im 34. Stock des Focsa-Turms im Stadtteil Vedado bei Flamingobrüstchen, Cojimar-Langusten, Montecristos und Rum auf ein «uiquén» (Weekend) in Havanna einstimmten. Auf dem Höhepunkt der Roaring Fifties feierte die Hautevolée «Flying Tropicana»-Feste: In einem Lock heed-Super-G-Flugzeug wurde eine Bühne errichtet und auf günstiger Flughöhe eine Kabarettshow geboten. Das Programm, erinnerte sich der mittlerweile verstorbene kubanische Gesellschaftsjournalist Fernando Campoamor im Buch «Havanna Feelings», ging wie folgt: In die Luft mit der Lockheed G samt Tropicana-Show. Nach der Landung Cocktails im Hotel Nacional. Dann ab zur Tropicana-Show am Boden. Abschliessendes Kulturprogramm, je nach Bedarf und nicht immer in dieser Reihenfolge: Casino, Bordell, Bar.

Frank Sinatra logierte im Zimmer 214, Mafioso Meyer Lansky im 212

Jorge Jorge begann 1934 als 14-jähriger mit Koffertragen im Nacional, arbeitete sich erst zum Kellner und dann zu einer Rolle hoch, die er als «Butler der feinen Herrschaften» umschreibt. Die hatten alles Interesse daran, den Kreis der Eingeweihten klein zu halten, wenn sie wie etwa Schauspieler Errol Flynn Drogengelage im Zimmer veranstalteten. Besonders viele feine Herrschaften bekam Jorge Jorge zu Gesicht, als das Nacional vom 22. bis 26. Dezember 1946 fürs Publikum geschlossen wurde und 500 Mitgliedern der Mafia (davon 100 Anwälte) vorbehalten blieb, die die Pfründen auf der Zuckerinsel untereinander aufteilten. Frank Sinatra logierte im Zimmer 214 und unterhielt die smarten Gangster in den Pausen. An die Trinkgewohnheiten der Damen und Herren erinnert sich Jorge Jorge gut: «Mucho Whiskey für Frank Sinatra. Nur Pernod für Ava Gardner. Und im Zimmer 212, wo Mafia-Financier Meyer Lansky residierte, durfte es nur Whisky der Marken Smuggler oder Cutty Sark sein.» Ein Botengang sei jeweils mit Trinkgeld von 50 oder 100 Dollar entlöhnt worden.

Nach der Mafia-Tagung von 1946 war Havanna endgültig im Würgegriff des Mobs. Als sich Fulgencio Batista 1952 an die Macht putschte, begann die Ära der Dekadenz, die bis zum 1. Januar 1959 dauerte, als der Diktator mit dem Flugzeug vor Fidel Castro flüchten musste.

Schlechtes mag Jorge Jorge nicht erzählen über seine Stammkunden von damals. Aber zur Hackordnung der Fieslinge hat er eine Meinung: «Der grösste Gangster von allen war kein Amerikaner. Es war Fulgencio Batista.»

Das Nacional, das dieses Jahr sein 75-jähriges Bestehen feiert, macht heute noch einiges her in Sachen Nostalgie. Und die Häuser in der Umgebung, das Capri, das Deauville oder das Riviera, künden immer noch vom tropischen Las Vegas der Fünfziger.

Fahrer Jesús chauffiert uns in seinem Chevrolet 210 (Baujahr 1956) an den Mafia-Hotels vorbei hinaus in den Westen der Stadt. Der Motor blubbert sonor, Pal men wiegen sich im Wind, Wellengischt sprüht von der Hafenwand «el filin», sagt Jesús, das enorm entspannende Havanna-Feeling. Dann führt er uns zu einer neuen Übernachtungsgelegenheit für Nostalgiefans: dem Mansion, der ehemaligen Residenz des US-amerikanischen Tabakbarons Mark A. Pollack. Vier verschiedene Marmorsorten liess der Amerikaner für seinen Palast verbauen, dessen sechs Zimmer mit Klimaanlage versehen sind und zusammen mit dem Swimmingpool und dem grossem Bankettsaal zum Absteigen einladen. Das Haus ein bisschen italienische Renaissance, ein Schuss kubanischer Neoklassizimus, starker ameri- kanischer Kitsch-Finish steht im Stadtteil Cubanacán, den die Amerikaner zu ihrer Zeit Country Club nannten.

Wer zahlt, benennt. So hielt es auch der amerikanische Schokoladen-Zar Milton J. Hershey, der von Havanna aus eine Zuglinie anlegen liess. Der Ort Hershey, zwischen Havanna und Matanzas, ist immer noch säuberlich in den Landkarten verzeichnet. Von der Bahnstation Casablanca aus zuckelt der Zug heute noch mit Nostalgiefans aufs Land hinaus. Kondukteur Alberto Hern á ndez seit 30 Jahren bei der Hershey-Bahn pflegt die Abteile mit grosser Sorgfalt, streicht Sitzbezüge glatt und schaut grosszügig hinweg über Risse und andere Spuren der Zeit. Auf einer authentischen Fahrt ins Gestern kann man nun mal nicht die Ausstattung von heute erwarten. Zahlungskräftige Westler auf Nostalgietour werden in der Regel auch ins ehemalige Refugium einer US-Industriefamilie geführt, in die Villa Dupont nach Varadero (Cocktail-Empfang), oder zur privaten Zigarren-Audienz ins edle Stadthotel Conde de Villanueva in der Altstadt Havannas gebeten.

Als Promotor und Entdecker touristischer Trouvaillen macht sich der Deutsche Bernd Herrmann stark, der seit drei Jahren auf Kuba geschäftet. Als «Nostalgie-Verehrer», sagt Herrmann, habe er ungewöhnliche Angebote gesichtet und jetzt für Reisende zugängig gemacht. Eine wohl tuende Alternative zu den All-inclusive-Angeboten, die wenig Echtes von der Insel zeigen. Wer auf den Spuren der kubanischen Vergangenheit reist, kann oft touristisch hoch Stehendes erleben. Aber auch wenn die Etablissements meist mit vier oder fünf Sternen bestückt sind: Der Luxus bemisst sich hier weniger an der Menge Kaviar, dem Vergoldungsgrad der Wasserhahnen oder am asiatischem Bienenfleiss im Service der Luxus liegt vielmehr im Gefühl, eine Vergangenheit zu bereisen, die für ein paar Jahre noch von Zeitzeugen nacherzählt werden kann.

Die Gangster mussten 1959 flüchten, als Castro in Havanna einmarschierte

Ein weiteres legendäres Etablissement soll für den Nostalgietourismus flottgemacht wer den. Das einstige Hotel Saratoga in Havanna, in den Dreissigerjahren ein Hot Spot, 1992 wegen Einsturzgefahr geschlossen, soll mit Dachterrassenpool, Spa und Gourmetlokal zum luxuriösesten Hotel der Insel werden und dabei den Odeur des 20. Jahrhunderts behalten. Fraglich allerdings, wer das Hotel betreiben soll. Kürzlich stieg die Luxus-Gruppe One&Only aus. Befürchtungen, dass man nicht den gewohnten Service erbringen könne, und schwierige Arbeitsbedingungen auf Kuba dürften die Gründe für die Projektaufgabe gewesen sein.

Der plötzlich Abbruch der dekadenten Ära, als 1959 die Mafiosi flüchten mussten und Castros Rebellen in Havanna einmarschierten, dieser totale Umsturz bescherte Jorge Jorge eine der verrücktesten Anekdoten. «Als sich die letzten Gangster absetzten», erzählt der 84-Jährige, «überschrieb mir einer der Chefs im Nacional das Hotelcasino.» Wohl in der Hoffnung darauf, dass das Gastspiel der bärtigen Revolutionäre nur von kurzer Dauer sein werde und die US-Gangs ter bald wieder das Sagen in Havanna haben würden.

Es kam anders, als die Mafia dachte. Noch bis 29. September 1961, erzählt Jorge Jorge, sei er Inhaber des Casino Parisien gewesen, dann liess Castro den Ort des Glücksspiels schliessen. Jorge Jorge zückt zwei Umschläge. Im einen steckt ein Foto, auf das er stolz ist: «Fidel und ich, im Nacional.» Aus dem zweiten Umschlag zaubert er fleckige Belege mit endlosen Zahlenreihen Abrechnungen aus dem Casino, das mal seines war. Das Geld ist weg, für immer. Und trotzdem lebt Jorge Jorge noch davon. Vom Zins der Vergangenheit. Refugium der Schönen und Reichen: Focsa-Turm über Havanna aus einer Werbung der Cuban Tourist Commission in der «New York Times» vom 15. November 1959

http://www.sonntagszeitung.ch/dyn/news/reisen/480203.html




Moskito


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20.03.2005 20:53
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#2 RE:Mucho Whiskey für Sinatra
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super Mitglied

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Der Luxus bemisst sich hier weniger an der Menge Kaviar, dem Vergoldungsgrad der Wasserhahnen oder am asiatischem Bienenfleiss im Service der Luxus liegt vielmehr im Gefühl, eine Vergangenheit zu bereisen, die für ein paar Jahre noch von Zeitzeugen nacherzählt werden kann.

Geniales Konzept! Funktioniert nur auf Kuba. Wo sonst würde man freiwillig alten Schnarchnasen lauschen, während die in zweifelhaften Erinnerungen schwelgen. Und hinterher geht's dann zur Rentnerband...


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20.03.2005 21:02
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#3 RE:Mucho Whiskey für Sinatra
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( Gast )

@ Jemen

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Geniales Konzept! Funktioniert nur auf Kuba. Wo sonst würde man freiwillig alten Schnarchnasen lauschen, während die in zweifelhaften Erinnerungen schwelgen. Und hinterher geht's dann zur Rentnerband...

Wir sind ja sonst nicht immer einer Meinung, aber hier muss ich Dir Recht geben.

In der Tat mutiert Havanna immer mehr zum Disneyland für senile Retro-Fans, welche Uralt-Klischees aus den 50- und 60er Jahren bedienen wollen.

Pseudo-authentische Gebäude, gefälschte Zigarren und billgen Fusel - dazu gibt's Mafia-Märchen aus der Sozialismuskiste und trivial-folkloritische Klänge von der Rentnerband. Diese skurrile Mischung lockt eigentlich nur noch die ältesten, dümmsten, senilsten und melancholischsten Retro-Fans hinter dem Ofen hervor.


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20.03.2005 21:21 (zuletzt bearbeitet: 20.03.2005 21:22)
avatar  jemen
#4 RE:Mucho Whiskey für Sinatra
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super Mitglied

In Antwort auf:
In der Tat mutiert Havanna immer mehr zum Disneyland für senile Retro-Fans
Also ehrlich gesagt: wenn ich die Wahl habe zwischen dem Havanna Disneyland und dem in Orlando - bleibe ich doch lieber auf der Zuckerinsel. Außerdem sind diese Luxus-Touri-Angebote ja eher eine Randerscheinung. Das echte Kuba, auch das alte, vergammelte und melancholische, gibt's doch überall zum Schnäppchenpreis. Da muss man nicht senil sein, um sowas zu mögen. Im Gegenteil.


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20.03.2005 21:22
avatar  Socke
#5 RE:Mucho Whiskey für Sinatra
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Top - Forenliebhaber/in

Stimmt, und vor der Bodega dingsda in der Hemingway mal gesoffen hat stehen die Tourist Schlange, fast so lange wie die Einheimischen vor dem Eiscafe :-)


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21.03.2005 21:32
avatar  Moskito
#6 RE:Mucho Whiskey für Sinatra
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Rey/Reina del Foro

In Antwort auf:
In der Tat mutiert Havanna immer mehr zum Disneyland für senile Retro-Fans, welche Uralt-Klischees aus den 50- und 60er Jahren bedienen wollen.
Wilma, wenn dem so wäre, müsstest du dich dort doch sehr wohlfühlen....

Moskito


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