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Mit Cadillac und Mojíto
Mit Cadillac und Mojíto
Vom quirligen Altstadtleben in Havanna bis zu den abgeschotteten All-inclusive-Anlagen in Varadero – Die Revolutionsgeschichte wird ebenso gepflegt wie der Tourismus als Wirtschaftsfaktor
KULTKNEIPE: Die „Bodeguita del Medio“ in Havanna war Ernest Hemingways Lieblingslokal. Heute drängen sich hier die Touristen. (Foto: srt)
„Gin Tonic? Was ist das?“ Barkeeper Enrique grinst verschmitzt und tut so, als hätte er diesen Kundenwunsch noch nie gehört. „Wir haben hier nur Mojíto.“ Na gut, dann eben Mojíto. Der Mann hinter dem Tresen der „Bodeguita del Medio“ leistet Fließbandarbeit.
Ein paar Pfefferminzblätter in die Gläser, dazu Limettensaft, etwas Zucker, Mineralwasser und reichlich Rum. Mojíto hat Ernest Hemingway hier immer verlangt, und das Gleiche tun heute die Touristen, die sich in dem kleinen Lokal in der Altstadt von Havanna drängen. Enrique kann nur grobe Schätzungen darüber abgeben, wie viele Mojítos er am Tag mixt: „Mal fünfhundert, mal tausend, vielleicht auch mehr.“
Hemingway wird heute nicht mehr viel gelesen, aber die Bar ist trotzdem eine Kultstätte. Auch die Schriften Che Guevaras kennt kaum jemand, dennoch ist der Revolutionär der beliebteste Tourismusartikel Kubas. Nicht nur auf dem Souvenirmarkt an der „Plaza de Armas“ ist er allgegenwärtig. Sein Gesicht prangt auf T-Shirts, Postern und Tellern.
Und die zahllosen Musikgruppen, die auf den Plätzen und in den Restaurants aufspielen, stimmen neben dem unvermeidlichen „Guantanamera“ mindestens alle zwanzig Minuten das traurige Lied vom „Commandante Che Guevara“ an. Der mythenumwobene und tragisch gescheiterte Che lässt sich eben besser vermarkten als Staatschef Fidel Castro, den man auf keinem T-Shirt sieht.
Dafür umso öfter im kubanischen Staatsfernsehen: Auch wer der spanischen Sprache nicht mächtig ist, muss bewundern, wie lange der Alt-Revolutionär reden kann – mitunter mehrere Stunden ohne Pause und ohne Manuskript.
Dabei ist das Ende des alten Systems abzusehen. Zumindest in Havanna sind viele Nischen der Marktwirtschaft entstanden. Auf kleinen Märkten verkaufen die Bauern der Umgebung Obst und Gemüse, neben den staatlichen Restaurants gibt es private Lokale, so genannte Paladares, mit wenigen Tischen und begrenzter Speisekarte, dafür aber mit traditioneller kubanischer Küche.
Auffällig für den Havanna-Besucher ist, dass er nicht – wie in anderen lateinamerikanischen Metropolen – ständig angebettelt wird. Angesprochen wohl, aber fast immer mit dem Interesse, etwas zu verkaufen: vor allem Zigarren, zu Sonderpreisen. TUI-Führerin Vivian warnt allerdings davor: „Da sind dann oft nur getrocknete Bananenschalen drin, das ist nicht sehr bekömmlich“.
Zigarren sollte man lieber direkt in den Fabriken kaufen. Straßenverkäufer Pedro spricht Touristen in einem Kaufhaus an und behauptet, den dort präsentierten Rum privat weitaus günstiger anbieten zu können. „Mein Bruder arbeitet bei ‘Havanna Club’, ich habe ein großes Lager in meiner Wohnung“.
Der Peso convertible, der kürzlich den Dollar als Touristenwährung ersetzt hat, ist bei Kubanern heiß begehrt: Nur damit kann man in Spezialgeschäften bestimmte Modeartikel und Lebensmittel bekommen.
In der Vergangenheit war Havanna auch für sexuelle Dienstleistungen berühmt und berüchtigt. Seit einigen Jahren geht die Polizei mit verstärkten Kontrollen gegen die Prostitution vor, was so weit geht, dass bisweilen auch unverfängliche Gespräche zwischen Ausländern und Einheimischen von den Fahndern unterbunden werden.
„Wenn eine junge Frau mit Touristen redet, kommt sofort die Polizei und will ihre Papiere sehen. Viele sind schon verhaftet worden“, erzählt uns Carla, eine Kubanerin, die zu DDR-Zeiten in Berlin Deutsch gelernt hat und jetzt in Havanna Computerkurse gibt – für umgerechnet zehn Dollar im Monat.
Die Polizei ist überall in den Straßen Havannas präsent, was manche Touristen nicht weiter stört. Im Gegenteil: „Hier fühlt man sich sicherer als in der Düsseldorfer Altstadt“ erklärt ein deutscher Urlauber begeistert, der von seiner All-inclusive-Anlage in Varadero einen Ausflug nach Havanna gebucht hat.
Fasziniert stehen die Touristen vor den bröckelnden Palästen, erleben das, was in den Reiseführern als „Charme des Verfalls“ beschrieben wird, die Menschen, die in den Ruinen wohnen, allerdings weniger begeistert.
Wer sich im Menschenstrom durch die Gassen der Altstadt treiben lässt, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Man schaut in verwinkelte Hinterhöfe, in denen Kinder spielen, in Werkstätten, in denen geschmiedet, geschneidert und geschustert wird, und in kleine Galerien, in denen örtliche Künstler ihre mal gegenständlichen, mal surrealistischen, in jedem Fall aber schrill bunten Arbeiten ausstellen.
Und schließlich sind da die Autos: Havanna ist ein gigantisches Oldtimermuseum mit dem Schwerpunkt auf amerikanischen Straßenkreuzern der vierziger und fünfziger Jahre. Was dabei am meisten verblüfft, ist die Tatsache, dass diese vielfach geflickten und liebevoll gepflegten Wagen sogar fahren – wenn auch bisweilen nur stotternd und knatternd und mit schwarzen Abgasschwaden hinter sich.
Nach einigen Stunden ziellosen Umherstreifens lässt man sich in einem der vielen Straßenlokale nieder. Viel schöner (und auch ruhiger) als die mit Touristen überfüllte Plaza de la Catedral ist die im südlichen Teil der Altstadt gelegene Plaza Vieja. Die meisten Gebäude glänzen hier schon mit restaurierten Fassaden.
An der Ecke „Muralla“ ist ein Brauereigasthof entstanden. In dem Straßenlokal gibt es dunkles oder helles Bier, dazu „Salchichas“ (Würstchen) und „Plátanos fritos“ (frittierte Bananen). Mitten auf dem Platz sieht man Kinder in blauen Schuluniformen mit ihrer Lehrerin beim Sportunterricht. Unter den Arkaden spielt wieder mal eine Gruppe das Che-Guevara-Lied. Eine Erinnerung daran, dass es höchste Zeit zum Besuch des Revolutionsmuseums ist.
Das ist gut zu Fuß zu erreichen, aber man kann sich auch mit Rikscha oder Motorroller-Taxis hinfahren lassen. Vor dem Museum ist in einem separaten Bau, von Sicherheitskräften streng bewacht, eine Motorjacht, die „Granma“ zu sehen. Dieses Schiff brachte im Jahre 1956 eine kleine Schar von Revolutionären, darunter Fidel Castro und Che Guevara, von Mexiko an die kubanische Südküste.
Beim Rundgang durch das Museum kann man anhand zahlreicher Dokumente, Bilder und Schriften nachvollziehen, wie dieses kleine Häuflein immer mehr Unterstützung von Bauern und Landarbeitern bekam und im Januar 1959 das Regime des von den USA unterstützten Diktators Batista in die Flucht schlug. Locker gekleidet, mit langen Haaren und dicken Zigarren wurden diese ungewöhnlichen Gefährten zu Kultfiguren – ganz anders als die verkrampften Biedermänner des DDR-Regimes.
Vielleicht war es auch der deutsche sozialistische Einheitsmief, der die DDR-Bürgerin Tamara Bunke 1961 veranlasste, ihrem Land den Rücken zu kehren. Sie ging erst nach Kuba und kämpfte später an der Seite von Che Guevara in Bolivien. Dort wurde sie 1967 von Regierungstruppen erschossen.
Im Revolutionsmuseum ist auch sie zu späten Ehren gekommen. Der Reliquienkult erinnert an die Katholische Kirche: Auch Ches Schuhe und Socken und sein blutgetränktes Hemd lagern in den Vitrinen.
Bei aller Kritik an der staatlichen Bürokratie und Mangelwirtschaft halten die meisten Kubaner ihre Revolutionshelden in Ehren. Die Liberalisierung der Wirtschaft wird kommen, daran hat keiner einen Zweifel.
Aber man hofft zugleich darauf, dass die positiven Ergebnisse der Revolution dabei erhalten bleiben, wie zum Beispiel das verglichen mit anderen lateinamerikanischen Ländern hervorragende Bildungs- und Gesundheitssystem.
Um trotz der US-amerikanischen Wirtschaftsblockade zu überleben, ist das Land auf den Tourismus angewiesen, hier wird – in Zusammenarbeit mit ausländischen Hotelgruppen – viel investiert. Vor allem auf der Halbinsel Varadero, dem immer noch wichtigsten Touristenziel des Landes.
An der Zufahrtstraße gibt es Schranken mit strengen Kontrollen: Außer Touristen dürfen nur Einheimische mit Sondergenehmigung auf die Halbinsel, Menschen, die hier ihren Wohnsitz haben oder in den Hotels arbeiten.
Das All-inclusive-Resort „Tryk Peninsula“ liegt im äußersten Osten der Halbinsel. Die Büfetts sind genauso reichlich gedeckt wie in ähnlichen Anlagen überall in der Karibik, die Zimmer sind komfortabel, das Sportangebot ist groß, der Strand weiß und das Meer türkisfarben. Und natürlich gibt es auch hier Hemingways Lieblingscocktail, freilich aus Plastikbechern, aber Stilfragen sind hier nicht so wichtig. Der Inhalt zählt.
Auf dem Lageplan, den der „Peninsula“-Gast bei der Ankunft erhält, ist neben dem Resort noch eine große Lagune verzeichnet. Auch eines der Restaurants trägt diesen Namen. Doch von der Lagune ist nur noch ein kleiner Tümpel geblieben.
Der größte Teil der einstigen Wasserfläche wurde zugeschüttet, um Platz für weitere Hotels zu schaffen. Derzeit fahren Bagger hin und her, um die letzten Löcher mit Felsbrocken und Sand zu füllen und den Boden zu planieren. Ab und zu reichen Resort-Gäste den Baggerfahrern ein paar Leckereien vom Büfett durch den Zaun.
Im nächsten Jahr wird eine der letzten Baulücken geschlossen sein. Nur ein kleines Öko-Reservat bleibt an einer Stelle, an der die Küste wegen der Felsformationen nicht touristisch nutzbar ist. Aber wer nach Varadero kommt, erwartet ohnehin keine Naturidylle.
Hier zählen vor allem entspanntes karibisches Strandleben und perfekter Service. Das wahre Kuba mit seinen landschaftlichen und kulturellen Reizen erlebt man bei den Ausflügen, die viel gebucht werden – vor allem natürlich in die 150 Kilometer entfernte Hauptstadt.
Der Prado, heute Paseo de Martí, war einst der Prachtboulevard Havannas. Heute sind die meisten Paläste stark beschädigt, die Eingangsfronten wurden mit Spanplatten verrammelt. Dazwischen gibt es ab und zu ein renoviertes Gebäude mit Wohnungen und Büros.
Bisher wirkt der schicke Kosmetiksalon im Erdgeschoss noch wie ein Fremdkörper, aber man kann sich ausmalen, wie die Straße in zehn bis zwanzig Jahren aussehen wird: Boutiquen, Banken und Restaurants in den restaurierten Villen, Cafés und Souvenirstände unter den Bäumen auf dem Mittelstreifen, flanierende Menschen überall.
Allerdings werden dann nicht mehr die dekorativen alten Cadillacs, Chevrolets und Buicks herumtuckern, weil sie nicht der Abgasnorm genügen. Moderne Mittelklassewagen, die alle sehr ähnlich aussehen, werden sich vor den Ampeln stauen, an jeder dritten Straßenecke wird es eine Filiale von „McDonald’s“ oder „Burger King“ geben.
Wer einen letzten Blick auf das alte Havanna werfen will, sollte möglichst bald kommen.
Norbert Bartnik
4.3.2005
http://www.echo-online.de/kultur/detail.php3?id=289227
#2 RE:Mit Cadillac und Mojíto
In Antwort auf:Typisches Reiseleitergeschwätz.
TUI-Führerin Vivian warnt allerdings davor: „Da sind dann oft nur getrocknete Bananenschalen drin, das ist nicht sehr bekömmlich“.
Zigarren sollte man lieber direkt in den Fabriken kaufen.
In Antwort auf:
Der Peso convertible, der kürzlich den Dollar als Touristenwährung ersetzt hat, ist bei Kubanern heiß begehrt: Nur damit kann man in Spezialgeschäften bestimmte Modeartikel und Lebensmittel bekommen.
Der Autor war entweder noch nicht in Kuba oder er dient einer sozialistischen Beschönigungsorganisation sonst hätte er den dusseligen Begriff "Spezialgeschäfte" nicht verwendet. Nahezu alles Lebensnotwendige gibt es nur noch dort.
In Antwort auf:
wie die Straße in zehn bis zwanzig Jahren aussehen wird: Boutiquen, Banken und Restaurants in den restaurierten Villen, Cafés und Souvenirstände ....Allerdings werden dann nicht mehr die dekorativen alten Cadillacs, Chevrolets und Buicks herumtuckern, weil sie nicht der Abgasnorm genügen. Moderne Mittelklassewagen, die alle sehr ähnlich aussehen, werden sich vor den Ampeln stauen, an jeder dritten Straßenecke wird es eine Filiale von „McDonald’s“ oder „Burger King“ geben.
Dann hat sich das als Reiseziel auch erledigt.
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