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Kuba: Schreibt uns, bitte!!
Kuba: Schreibt uns, bitte!!!
VON RENÉ RUSCH (Schaufenster) 16.12.2005
Dass Kuba schön ist, wissen auch die Kubaner. Nur was draußen in der Welt vorgeht, das wissen sie nicht. Ihre Bitte an die Gäste: siehe oben. Ein Einführungskurs in Sachen Kuba.
Das beste Foto habe ich natürlich nicht geschossen. Es war früh am Morgen. Meine Freundin und ich radeln die Südostküste Kubas entlang, auf dem vielleicht schönsten Radweg der Welt: Zur Linken brechen die Wellen des Atlantiks in Zeitlupe, zur Rechten liegt die Sierra Maestra in all ihrer Breite und Höhe und Pracht. Grüne, von Dschungel bewachsene Berge, im Wind wiegende Königspalmen, vereinzelt mit Palmstroh gedeckte Häuschen. Und weil es immer noch ein bisschen kitschiger geht, stattet die Morgensonne die Szenerie mit verschwenderischer Farbfülle aus.
Ein klappriger Lastwagen überholt uns, nein, ein Schulbus! Das umfunktionierte Gefährt wirkt freilich eher wie ein Gefangenentransport: Die Schulkinder auf der Ladefläche sind unsichtbar, hinter hohen Metallplatten verborgen, sehen uns aber offenbar durch Ritzen und Risse im Blech und strecken ihre Hände grüßend über das Blechbord.
Wäre ein feines Bild gewesen. Vielleicht ein bisschen überfrachtet, aber umso aussagekräftiger für die Größte der Antilleninseln: liebenswerte, offene Menschen, ein wunderschönes Land. Aber ein System, in dem nur wenig funktioniert und das für viele Bewohner eine große Haftanstalt ist. Vor allem junge Kubaner leiden darunter, das Land nicht verlassen zu können. Die bürokratischen und finanziellen Auflagen für eine Ausreise sind hoch. So bleibt es für die meisten ein Traum, in die Welt hinauszuschauen. Davon aber später mehr.
Tabak und Regenwälder.
Zuerst muss haltlos von Radreisen in Kuba geschwärmt werden. Und von der Insel. Kubas Landschaften sind großteils von spektakulärer Schönheit: im Westen grün schimmernde Tabakfelder, aus denen konisch geformte Felskegel emporragen, im Osten die Sierra Maestra oder die üppigen Regenwälder Baracoas. Hier aufs Fahrrad zu steigen, drängt sich nachgerade auf.
Ebenso, die Tour moderat anzugehen: Wer nicht mehr als 15 bis 20 Kilometer in der Stunde zurücklegt, gibt sich selbst die Chance, die wunderbaren Einblicke und Aussichten mit Schreibschutz ins Gedächtnis zu brennen. Die Anstiege sind meist sanft, die Distanzen zwischen Verpflegungsmöglichkeiten selten groß, lärmende Autos nur wenige unterwegs. Bewegt man sich abseits der Hauptrouten, teilt man die Straße mit Pferdekutschen, Fußgängern und Fahrradfahrern. Kubas Velozipedisten haben ihren Spaß daran, ihre radelnden Gäste ein Stück zu begleiten, mit ihnen zu plaudern oder zu einem spontanen Wettrennen aufzufordern.
Um vier Kubaner auf zwei Rädern zu schlagen, braucht es allerdings eine Top-Kondition. Und sollte man sich verfahren, kann es leicht sein, dass man so hilfsbereite Menschen wie Camillo trifft: Um uns den Weg zu zeigen, radelte er einen Umweg von 30 Kilometern – ohne einen Peso zu erwarten.
Für Camillo war es schlicht eine Gelegenheit, wieder mal etwas von der Welt da draußen rund um Kuba zu erfahren. Zum Beispiel, wer in England in der ersten Fußball-Liga führt. In Kuba informationsmäßig auf dem Laufenden zu bleiben, ist nicht leicht. Zeitungen? Gibt’s nur die von der Partei. Internet? Gibt’s natürlich auch, aber selbstverständlich nur für die Touristen. Fernsehen oder Radio? Gegen ausländische Stationen bietet Kuba immer noch leistungsstarke Störsender auf, was bleibt, sind die staatlichen Propagandasender.
Die Isolation der Bevölkerung Kubas führt dazu, dass sich Besucher des Landes mitunter in ungewohnten Rollen wiederfinden: Ob Fußballgazetten, Musikmagazine oder Postkarten aus Europa – immer wieder verlässt man seine neuen Bekannten mit einer neuen Mission, die es in der Heimat zu erfüllen gilt.
Besuchen Sie Havanna, solange es noch steht.
Die Einzigartigkeit Kubas manifestiert sich am plakativsten in den Städten. Speziell in Havanna: prunkvolle, verfallene Gebäude, denen der bröckelnde Putz nichts von ihrer Farbenpracht nimmt. Kolonialbauten, durch deren Fenster der blaue Himmel blitzt, reihen sich an picobello renovierte Jugendstil-Villen oder prächtige Art-déco-Gebäude.
Die Gehsteige fungieren bisweilen als Landeplatz für Balkonteile, die Nebenstraßen der Altstadt dienen als erweitertes Wohnzimmer, Kaffeehaus und Sportplatz in einem. Überall stehen Menschenschlangen, Fahrradtaxis kämpfen sich ihren Weg durch das Durcheinander. Eifrig klingelnd und bewaffnet mit Mini-HiFi-Anlagen, aus denen irgendwelche Popstars plärren, sind die Bicitaxis eine besonders schräge Erscheinung in Havannas Erlebnis-Stadtlandschaft. Dass man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt, liegt auch an den berühmtesten Fahrzeugen Kubas: an den stilvollsten, steilsten Schlitten auf vier Rädern, die je gebaut wurden.
Der Autoliebhaber muss für das Handelsembargo fast schon dankbar sein. Wo sonst könnte man die altehrwürdigen Chevrolets, Cadillacs und Buicks in dieser Fülle und Vielfalt bewundern können? Und zwar gratis. Dass auch Ladas herumrattern, blendet der gute Fotograf aus.
Eine weitere kubanische Besonderheit, die jedem Besucher im Gedächtnis bleiben wird, ist die „casa particular“. Um ihre Finanzen aufzubessern, vermieten Privatleute ein Zimmer, manchmal auch die ganze Wohnung an Touristen. Sozusagen die kapitalistische Umsetzung des geflügelten „mi casa, su casa“.
Für den Gast ist das viel spannender als sich in einem Hotel einzuquartieren. Tiefere Einblicke in den kubanischen Alltag sind gar nicht mehr möglich. Vielleicht sind sogar ein, zwei Salsa-Stunden gratis dabei. Oder ein Einführungskurs in Sachen „Was läuft falsch in Fidels Land“.
Ein Großteil unserer Lektionen hatte die ökonomische Lage auf der Insel zum Inhalt. Der durchschnittliche Monatsverdienst beträgt umgerechnet zwischen zehn und zwölf Dollar. Die Preise für alles – außer Grundnahrungsmittel – liegen allerdings auf mitteleuropäischem Niveau. So werden selbst Seife, Waschpulver oder Shampoo zu Luxusgütern. Eine casa particular zu betreiben, ist eine der wenigen Möglichkeiten, etwas dazuzuverdienen.
Für Vater Staat bedeuten die casas jedoch eine unliebsame Konkurrenz zu den eigenen Hotelketten. Er erschwert den Betreibern das Geschäft, wo er kann: Die Kontrollen sind streng, monatlich müssen bis zu 250 Dollar Steuern abgeliefert werden, und in Touristenzentren wie Varadero sind casas gänzlich verboten. Wegen der bürokratischen Hürden vermieten viele Kubaner ihre Zimmer daher illegal. In den großen Städten wie Havanna oder Santiago de Cuba sind die casas leicht zu finden. Oder besser: Es ist schwer, sich keine aufdrängen zu lassen. „Pst! Amigo! Una habitacion?“
Jede casa hat ihre Keiler, die für ein paar Dollar versuchen, Touristen anzuwerben. Was natürlich auch mühsam sein kann.
Und doch gibt es Situationen, in denen wir die aufdringlichen Keiler vermissen:Zum Beispiel, als es uns zu später Stunde in eine Stadt wie Manzanillo verschlägt. Offizielle casa kennen wir keine, das einzige Hotel der Stadt ist voll oder auch nicht – den Hotel-Beamten ist es jedenfalls herzlich egal, ob der Staat diese Nacht mit uns Geld verdient.
Nach Manzanillo kommen nicht viele Touristen – eine casa particular anzumelden, lohnt sich daher nicht. Auf die illegalen scheint die Polizei ein besonders strenges Auge zu werfen. Denn wider Erwarten hören wir an diesem Abend eine kleine Ewigkeit lang kein „Pst! Una casa?“.
Ein junger Mann namens Eugenio spricht uns dann doch an und hilft, eine Bleibe für die Nacht zu finden. Nach Herbergssuche fühlt sich das Ganze allerdings nicht an. Eher als wollten wir waffenfähiges Uran kaufen oder Osama bin Laden in Manzanillo treffen: Wir folgen Eugenio stolpernd durch die finsteren Gassen Manzanillos, mit einigen Metern Abstand, damit bloß niemand mitbekommt, dass er uns von einer verschlossenen Tür zur nächsten führt.
Nach zwei Stunden stellt Eugenio, unser Held, doch noch eine illegale casa auf. Und wir stoßen auf das nächste Kuba-Klischee: den Lehrer Enrique, der mit dem Vermieten seiner Wohnung in einer Nacht mehr verdient als im Monat mit seinem Beruf. Für 20 Dollar zieht er die Nacht über zu seinen Eltern und wir genießen den Luxus einer „eigenen“ Wohnung. Am nächsten Morgen zeigt uns Enrique den Weg zum Bahnhof. Wir wollen den Zug nach Bayamo nehmen und sind schon verdammt spät dran. Aber Enrique will uns zuerst mal stolz und in aller Ausführlichkeit ein kleines Büchlein zeigen:voll mit Adressen, Geburtstagen und Grüßen von Menschen aus aller Damen und Herren Länder. Enriques einzige Verbindung nach draußen – als könnten die gesammelten Adressen die Isolation mildern. Auch wir tragen uns darin ein, zum Zug hetzen dürfen wir aber erst, nachdem wir Abschiedsfotos von und mit Enrique und seinen Eltern geschossen haben.
Alles was Räder hat ... Zugfahrten in Kuba sind ebenfalls eine Delikatesse. Nur so viel: Für 80 Kilometer brauchen wir mehr als drei Stunden, und könnten Kubaner „Wetten dass“ empfangen, würden sie sich nicht daran stoßen, wenn sich eine ganze Schulklasse in eine Telefonzelle quetscht.
Bequemere, im Sinn von geräumigere Transportmittel sind Guaguas. Guagua ist der Sammelbegriff für sämtliche privaten Lastwägen, Klein- und Oldtimerbusse oder sonstige motorisierten Transportmittel, die Passagiere mitnehmen. Man stellt sich an den Straßenrand, winkt, hält ein paar Dollar raus oder lässt sich an Kreuzungen von amtlich bestellten Autostoppern einen Truck anhalten: ja, tatsächlich – Kuba ist das einzige Land auf diesem Planeten, das Autostoppen von Staats wegen organisiert. Einzigartig!
Sofern der Weg nicht das Ziel sein soll, kann man aber auch per Bus reisen. Von unterwegs bekommt man zwar wenig mit, dafür haben die Überlandbusse von „Viazul“ einen verlässlicheren Fahrplan als die Bahn, außerdem ist es mit Abstand am einfachsten, über weite Strecken Fahrräder mit dem Bus zu transportieren. Da der flache Mittelteil Kubas landschaftlich nicht mehr zu bieten hat als Zuckerrohrplantagen, erkundet man am besten mit dem Drahtesel den Osten und Westen – und quert den flachen Mittelteil mit dem Bus.
Dabei empfiehlt es sich, in den charmanten Städtchen Cienfuegos, Camaguey oder Trinidad einen Zwischenstopp einzulegen. Vor allem Trinidad ist eine Augenweide und ein Ohrenschmaus zugleich. In der am besten erhaltenen Kolonialstadt Kubas sind Salsa, Son und Rumba allgegenwärtig. Spätestens hier entkommt man der tanzwütigen Freundin nicht mehr.
Erstaunlich, wie oft sich auf der Zuckerinsel das Gefühl breitmacht, etwas zu erleben, das es nur hier gibt und nirgendwo anders: die Musik, der Baustil und Zustand der Gebäude, die staatlichen Autostopper oder die 57er-Chevys … Die Fülle der kubanischen Singularitäten, durchwegs prototypische Unique Sellings Points, die nicht Fidels Planwirtschaft, sondern Kubas private Schattenwirtschaft entwickelt hat, die (noch) verhindert, dass die Insel zu einem stinknormalen Urlaubsland wird.
So schnell wird man Kuba, die Kubaner nicht vergessen.
Die helfen übrigens selbst nach, ja nicht in Vergessenheit zu geraten: Zwei Monate nach unserer Abreise erhalten wir erste Post aus Kuba. Enrique gratuliert meiner Freundin zum Geburtstag. Sein Schreiben schließt er nicht mit „Liebe Grüße aus Kuba“, sondern mit jenem Wunsch, der ihm am meisten am Herzen liegt: „Scribe!“– „Schreibt!“
http://www.diepresse.com/Artikel.aspx?ch...rt=ra&id=526574
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