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Obsession und Insistenz
Obsession und Insistenz
Zum Tod des exilkubanischen Schriftstellers und freischwebenden Intellektuellen Guillermo Cabrera Infante
VON PETER B. SCHUMANN
Guillermo Cabrera Infante
Er sah den "drei traurigen Tigern" aus seinem gleichnamigen Meisterwerk ganz ähnlich, der Mann mit dem grauen Kinnbart, der immer so bärbeißig daherkam und seine Umwelt so gern mit spöttischen Bemerkungen heimsuchte. Dabei war der Humor, den man ihm auf den ersten Blick nicht zutraute, eines der Grundelemente seiner Literatur, genauer gesagt der Sprachwitz, die brillanten Finten, in die er die Worte trieb, die urkomischen Neuschöpfungen, die seine Übersetzer verzweifeln ließen. Denn er war ein begnadeter Sprachspieler, der die literarischen Traditionen aufmischte, sich ihrer bewusst und oft ironisch bediente.
Das Schreiben zum Spiel machen
Ein Schriftsteller, der sich querstellte zu jeder Mode und jedwedem Boom und einfach behaupten konnte: "Die spanisch-sprachige Literatur meidet seit den Klassikern, mit Ausnahme von Cervantes und einigen Büchern von Quevedo, das Spielerische wie die Pest. In der angelsächsischen Literatur finden wir es dagegen, auch in gewissen Bereichen der französischen Literatur oder bei einigen deutschen Autoren wie zum Beispiel Lichtenberg. Sie machen das Schreiben zum Spiel."
Guillermo Cabrera Infante hat es als Zwanzigjähriger begonnen und Mitte dreißig zur Meisterschaft gebracht, als er seinen ersten und nach wie vor bedeutendsten Roman Drei traurige Tiger in Madrid beendete (1987 bei Suhrkamp). Er ist eine Huldigung an das nächtliche Havanna in den letzten Monaten der Batista-Diktatur und lag schon deshalb im Kuba der verordneten Sittlichkeit völlig quer. Zentrales Thema ist jedoch die Sprache, die Sprachakrobatik, das Überschreiten der Genres und der Zeiten.
Als das Werk herauskam, befand er sich bereits im Exil und auf dem besten Weg, sich zum intellektuellen Erzfeind Fidel Castros zu entwickeln. Cabrera Infante stammte eigentlich aus einer kommunistischen Familie, hat gegen die Batista-Diktatur gekämpft, in den frühen Jahren der Revolution sogar Spitzenfunktionen im Kulturapparat ausgeübt und mit der Literaturbeilage Lunes de Revolución die wichtigste Kulturzeitschrift jener Zeit herausgegeben.
Er hat sich jedoch nicht vereinnahmen lassen, ist nicht in die Partei eingetreten, sondern hat sich als "freischwebender" Intellektueller empfunden, als ein engagierter Schöngeist, der auf seinem eigenen Weg in der revolutionären Euphorie beharrte. Das hat ihn bei den kommunistisch orientierten Hauptakteuren sehr bald verdächtig gemacht, aber ihn nicht weiter gestört, zumal er zu einer Gruppe gehörte, die "den kulturellen Stalinismus" hasste und "weder revolutionär eingestellt war, noch Kuba in ein kommunistisches Land verwandeln wollte".
Dann traten jedoch Ereignisse ein, die ihn veranlassten zu emigrieren: das Verbot des kurzen Dokumentarfilms P.M. über das havanner Nachtleben und die Ausgrenzung einer ganzen Reihe von Intellektuellen durch das Castro-Regime. Auch Cabrera Infante wurde abgeschoben und begann Mitte der 1960er Jahre seinen Kreuzzug gegen den Castrismus. Dieser hat ihn derart blind gemacht, dass er die Kubanische Kultur auf der Insel ignorierte und sogar behauptete, alle wichtigen kubanischen Schriftsteller seien längst tot. Sein Verhältnis zu dem Eiland, das er nie mehr aufsuchen sollte, war von einer grenzenlosen Hassliebe bestimmt. Der Kubaner fühlte sich auch nicht als Emigrant, sondern bestand darauf "ein Engländer" zu sein, seit die Briten ihm die Staatsbürgerschaft verliehen hatten und er fortan in London lebte.
Doch selbst dort vermochte er sich nicht von Havanna abzunabeln, und so heißt der Titel seines zweiten Romans ironisch Havanna für einen verstorbenen Königssohn. Es ist - ganz ähnlich wie sein Erstling - ein biografisch gesättigter Streifzug durch die karibische Metropole, mit urkomischen Anekdoten und Initiationsriten, und nicht zuletzt ein Spiel mit den literarischen Genres der trivialen Natur. Schärfer als in den Drei traurigen Tigern ist hier sein skeptisch-anarchischer Blick auf den Grad der Zerstörung dieser Stadtlandschaft gerichtet: ein in Nostalgie getränkter Rück-Blick, ein Abgesang. Eine Kulturgeschichte des Rauchens hat der Kettenraucher - auf englisch - geschrieben: Rauchzeichen (1990 bei Suhrkamp). Nur zu den berühmten Kubanischen "puros" wollte er nicht mehr greifen - solange Fidel Castro an der Macht ist. Obsessiv war dieser Cabrera Infante im Politischen wie im Literarischen.
Mit ähnlicher Insistenz hat er sich seit Jahrzehnten dem Film verschrieben, für einen berühmten lateinamerikanischen Schriftsteller nichts Ungewöhnliches, doch ihm wurde die kinematografische Hingabe sozusagen in die Wiege gelegt. "Ich ging schon als 29 Tage alter Säugling ins Kino" - hat er immer wieder berichtet. "Meine Mutter hat mich mitgeschleppt. Ich war in der Lage, einen Film zu verstehen, noch bevor ich die Untertitel lesen konnte. So ist das Kino für mich zur Leidenschaft geworden."
Er war ernsthaft davon überzeugt, dass "der große Erzähler dieses Jahrhunderts" der Film sei und zwar "besser noch als der Roman". Zeit seines 75jährigen Lebens hat er sich damit auseinander gesetzt, als Drehbuchautor, Essayist und Filmkritiker. Ausdruck dieser Leidenschaft ist sein im Suhrkamp Verlag 2001 erschienenes Buch Nichts als Kino. Auch der Beschäftigung mit ihm hat er eine unverwechselbare Form verliehen - dieser faszinierende Sprachvirtuose, der an die "regenerative Kraft der Worte" glaubte.
In Antwort auf:
Das Staunen ist die Wurzel der PoesieGuillermo Cabrera Infante ist tot. Ein paar Gedanken zum grossen kubanischen Autor, notiert beim Rauch einer Havanna.
von Sandro Stoll
«Wer soll uns denn jetzt noch ernst nehmen?», fragt Cué den Ich-Erzähler, nachdem die beiden 529 Seiten lang durch die tropisch-schwülen Bars und Cabarets des vorrevolutionären Havanna gezogen sind und dabei die ganze abendländische Kulturgeschichte durch den Fleischwolf ihrer Lästermäuler gedreht haben. Die Antwort auf Cués Frage kommt sofort: «Wir selbst. Wie die Trapezkünstler. Glaubst du denn, dass sich so einer, wenn er bei einem doppelten oder dreifachen Salto mortale durch die Luft fliegt, noch fragt: Mein ich das ernst? Unmöglich. Er würde runterfallen. Und er würde die andern mit in die Tiefe reissen.»
Die Passage steht fast am Schluss von Guillermo Cabrera Infantes «Drei traurige Tiger». Aber sie zielt ins Zentrum eines Buches, das zu Recht als Jahrhundertroman gilt. Der Überwindung der Schwerkraft und der Flüchtigkeit des heiteren Augenblicks ist dieses Werk gewidmet. Und der Vergänglichkeit: der Vergänglichkeit der Jugend vor allem.
Mit vollem Risiko und ohne Netz
Natürlich: Jeder Schriftsteller schreibt gegen den Tod an. Aber nicht so wie Cabrera Infante. «Das Staunen ist die Wurzel der Poesie», sagt Cué an einer anderen Stelle - und genau dieses naive Staunen ist es, das die drei Protagonisten rastlos durch die tropisch-dunklen Strassen und Spelunken Havannas treibt. Als Freigeist wildert auch der Autor durch die Sprache: Kaum ein Roman ist so leicht und lustig wie dieser, kaum einer so quecksilbrig und fantasievoll. Hier wirbelt ein furchtloser Artist am Sprachtrapez, mit vollem Risiko und ohne ein Netz.
Erschienen ist die «Drei traurige Tiger» 1967. Cabrera Infante war 38 und stand an einem Wendepunkt: Er liess sich im Exil in London nieder. Die britische Metropole passte zu diesem Ironiker, aber über den Verlust Kubas tröstete sie den Autor nicht hinweg. Cabrera Infante wurde zu einem der erbarmungslosesten Kritiker Fidel Cas-tros und seines Regimes. Er, der anfangs mit den Revolutionären sympathisiert hatte und der neuen Regierung drei Jahre lang als Kulturattaché in Brüssel diente, liess von nun an keine Gelegenheit aus, die Menschenrechtsverletzungen im «Kerker Kuba» anzuprangern. Daneben schrieb er weiter. Vieles gelang, wie die höchst amüsante Raucherbibel «Holy Smoke». Doch an «Tres tristes tigres» reichte kein Buch mehr heran. Vielleicht lag es an der Leichtigkeit: «Ich dachte, du meinst es ernst», sagte Cué. «Ernst im Spiel» präzisierte sein Freund. Damit war Schluss im Exil. Für Cabrera Infante war jetzt die Sprache auch Kampfmittel. Er erhielt dafür Ehrendoktorwürden und 1997 den Cervantes-Preis, die wichtigste Literaturauszeichnung im spanischsprachigen Raum.
In der Nacht auf Dienstag starb er an einer Blutvergiftung im Westminster Hospital in London. Er machte keinen Hehl daraus, dass er ein Kuba ohne Castro nur allzu gerne noch erlebt hätte. Dazu sollte es nicht mehr kommen. Doch über den Autor von «Tres tristes tigres» wird man noch reden, wenn das kommunistische Regime längst Geschichte ist.
Guillermo Cabrera Infante: Drei traurige Tiger. Aus dem kubanischen Spanisch von Wilfried Böhringer. Suhrkamp 1998. 535 Seiten. 24.80 Franken.
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http://www.shn.ch/pages/artikel.cfm?id=129380
Moskito
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