Straßenkampf um Little Havana

29.04.2004 17:44
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US-Wahlen

Straßenkampf um Little Havana

Von Marc Pitzke, Miami

Ortstermin am "Ground Zero" des US-Wahlkampfs: Ausgerechnet in Florida, dem Staat des Stimm- und Auszähldebakels von 2000, droht sich auch diesmal wieder zu entscheiden, wer bald im Weißen Haus regieren wird.



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García, Chef der Exilkubaner: "Ground Zero des Wahlkampfes"
Der Mann, den sie den "Statthalter der kubanischen Mafia" nennen, trinkt seinen Kaffee stark und süß, was sonst. "Anders komme ich morgens einfach nicht in Gang", lacht er und rührt in seinem Kaffee Cubano, einer braunschwarzen Schlacke, vorab gezuckert und mit vier Löffeln Azucar noch zusätzlich gedopt. Dazu Spiegeleier mit Speck, Bratkartoffeln und Zwiebeln: Der mächtigste Strippenzieher Floridas mag's gutbürgerlich.

Nicht zuletzt deshalb ist ihm seine Machtfülle auch kaum anzumerken. Beiger Anzug, grauer Lockenschopf, legere Krawatte: Joe García wirkt wie ein Handelsvertreter und nicht wie einer, dessen Anhänger im Alleingang den Ausgang des US-Präsidentschaftsrennens bestimmen könnten. "Dies", sagt García und deutet in die Runde, "ist Ground Zero des Wahlkampfes."

Ground Zero heißt in diesem Fall "Versailles". Hier, im ältesten Restaurant an Miamis Calle Ocho, schlägt das Herz von Little Havana, der Heimat der Exilkubaner. Vor der Tür stehen Mercedes und SUV-Trucks, deren Besitzer drinnen Politik am Tresen diskutieren. Señor García hockt etwas abseits bei seinem Morgenritual, Kaffee Solo und Huevos. Ab und zu kommt jemand an seinen Tisch, um ihn mit Handschlag und ein paar Brocken Spanisch zu begrüßen. Anderen winkt García huldvoll zu.

Die heimlichen Königsmacher



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Demokrat Kerry in Miami: Exilkubaner sind die heimlichen Königsmacher
Die Reverenz kommt nicht von ungefähr: García, 40, ist der Exekutivdirektor der Cuban American National Foundation (CANF), der größten Exilkubaner-Gruppe der Welt. In Wirklichkeit aber ist er viel mehr als das.

Denn mit ihrer oft fanatischen Gefolgschaft, Millionen stark, bestimmt die CANF nicht nur die Geschicke in Miami, wo mehr Menschen Spanisch sprechen als Englisch und der Sturz des kubanischen Diktators Fidel Castro bis heute ins Pflichtprogramm jedes Kommunalpolitikers gehört. Sondern sie bestimmt auch das Schicksal der Nation mit: 1996 sicherte die CANF Präsident Bill Clinton die Wiederwahl, indem sie ihm, dank ihrer Stimmengewalt, den ausschlaggebenden Sonnenstaat lieferte. Vier Jahre später beförderten die Exilkubaner dann George W. Bush "eigenhändig", wie García stolz sagt, ins Weiße Haus - mit jenen Stimmen, die Bush den haarfeinen Vorsprung in Florida verschafften.

Die Wechselwähler von Florida, und dort vor allem Joe García und seine CANF, sind also die heimlichen Königsmacher - auch dieses Jahr wohl wieder. "Bei uns entscheidet sich die Wahl 2004", orakelt García und meint das nicht größenwahnsinnig, sondern ganz pragmatisch: "Wer die Kubaner gewinnt, gewinnt Florida. Wer Florida gewinnt, gewinnt das Weiße Haus."

Fußvolk für alle Bezirke trainiert



AFP
George Bush mit seinem Bruder Jeb, Gouverneur von Florida: Der Bundesstaat könnte wieder die Wahl entscheiden
Eine Rechnung, die sich tatsächlich alle vier Jahre als korrekt erweist. Und so tobt die wahre Schlacht um Washington heute schon längst Hunderte Meilen weiter südlich in Floridas hoch politisierten Exilgemeinden, Seniorenheimen und Synagogen. Alle buhlen sie um den berüchtigten, sonnengeölten Wankelstaat, jenen Mikrokosmos der exakten Zweiteilung des Landes in halb konservativ und halb liberal und, ausgerechnet, jenen Schauplatz des Auszähldebakels von 2000: "Florida", weiß Karl Rove, Bushs oberster Wahlplaner, "ist der Dreh- und Angelpunkt."

Bereits im vorigen Oktober begannen die Republikaner, Fußvolk für alle 67 Bezirke Floridas zu trainieren. Bis zum Sommer sollen 3000 festangestellte Bush-Wahlhelfer einsatzbereit sein, plus 70.000 Freiwillige, die Briefe schreiben und Telefonanrufe machen.

Der Präsident selbst war schon 19 Mal als Wahlkämpfer in Florida und hat 900.000 Dollar für seine erste TV-Werbeattacke hier ausgegeben, mehr als doppelt so viel wie in jedem anderen Bundesstaat. Er schwört plötzlich, obwohl am alten Reizthema Kuba zuvor so gänzlich desinteressiert, neuen Druck auf Castro, auszuüben, um "die Ankunft eines freien, demokratischen Kubas zu beschleunigen".

Begehrte Beute der Wahlstrategen



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John Kerry: "Ich bin ziemlich hart gegen Castro"
Auch Bushs demokratischer Herausforderer John Kerry hielt seine erste offizielle Wahlkampf-Rallye in Florida ab und hat sich seitdem mehrfach leibhaftig herbemüht, unter anderem, um den Exilkubanern in Miami zu versichern: "Ich bin ziemlich hart gegen Castro." Die liberale Aktivistengruppe New Democratic Network startete hier unterdessen eine PR-Kampagne gegen Bush. Tenor, so Vizechefin Maria Cardona: "Die Demokraten sind die wahren Freunde der Latinos."

Doch sind die Exikubaner nicht die Einzigen, die sich als Zünglein an der Wahlwaage wissen. Der ganze Staat ist ein unentschlossenes Wählergemisch aus Latinos verschiedenster Polit-Couleur, Pensionären, städtischen Liberalen, vorstädtischen Moderaten und ländlichen Konservativen. Jeder fünfte der 9,3 Millionen Wähler in Florida ist parteilos - und deshalb begehrte Beute für Demokraten wie Republikaner. "Florida", sagt der Politologe Lance deHaven-Smith von der Florida State University, "ist des Messers Schneide." Entsprechend auch die Wahlumfragen hier: Mal führt Kerry, mal führt Bush. "Dies wird ein Straßenkampf, Block für Block", prophezeit der demokratische Wahlstratege Craig Kirby.

Kirby, ein bedächtiger Schwarzer, war zuletzt der Vize-Wahlkampfmanager des Kerry-Parteigegners John Edwards, der im März aus dem Präsidentenrennen ausstieg. Jetzt sitzt er in einer chaotischen Büroflucht am Ortsrand von Hollywood, einer Schlafstadt zwischen Miami und Fort Lauderdale, rackert für den Senats-Aspiranten Peter Deutsch und macht nebenher auch noch Wahlkampf für Kerry.

Mit John Kerry "uplinken"



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Stimmnachzählung in Miami im November 2000: Demokraten fühlen sich um den Sieg betrogen
Kirby sieht Florida als Mini-Labor eines nationalen Wettkampfes der Splitterinteressen. Die Rentner in Surfside wollen eine Lösung der Krankenkassenkrise. Die Hoteliers von Miami Beach rufen nach Tourismusförderung. Die jüdischen Gruppen in Boca Raton drängen auf eine harte Nahost-Politik. Die Mittelständler von Aventura sorgen sich um ihre Jobs.

Deshalb hat Kirby schon früh begonnen, "einen Schlachtplan zu skizzieren", denn er erwartet einen "langen, intensiven Sommer". Schließlich will er in Florida nicht denselben Fehler wiederholen wie vorher bei John Edwards: "Da blieb uns am Ende nicht mehr genug Zeit, unsere Message unter die Leute zu bringen."

Eine der Strategien ist es, den Wahlkampf des Senatskandidaten Deutsch an den des Präsidentschaftskandidaten Kerry zu koppeln. Dazu steht Kirbys Team täglich mit dem Kerry-Hauptquartier in Telefonkontakt: "Wenn wir wissen, wann Kerry in Florida ist, werden wir uns uplinken", sagt er im Internet-Jargon seiner Generation. Denn am Ende hätten alle dasselbe Ziel: "Wir wollen das Weiße Haus zurückgewinnen."

Wahlfreudige Senioren



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Miami Beach: "Florida ist der große Preis"
Und dazu sind die Demokraten gerade in Florida besonders motiviert: Die Wunden von 2000 sind nie verheilt. "Wir wurden hier vor vier Jahren um den Sieg betrogen", sagt Kirby. Die Partei sei "ein Bienenkorb, in den jemand hineingestochen hat". Sollte dieses Jahr etwas Ähnliches passieren, "gibt es eine Revolte".

Da lachen die Rivalen nur. Zum Beispiel Kevin Tynan, der Vorsitzende der Republikanischen Partei im Bezirk Broward. "Das ist doch lächerlich", bellt er fröhlich. "Niemand wurde betrogen. Wir alle hatten eine faire Chance."

Tynan muss es wissen: Er ist hauptberuflich Rechtsanwalt. Die Partei, sagt der 44-Jährige, betreut er fast nebenher, "ein, zwei Stunden pro Tag". Seiner eigenen Bedeutung für die Hoffungen der Republikaner ist sich Tynan trotzdem bewusst: "Die Erfolgsformel setzt auf Florida", sagt er. "Florida ist der große Preis."

Also schlurft der gemütliche Parteichef abends und am Wochenende freiwillig von Tür zu Tür, plaudert mit Nachbarn und Fremden, verteilt Wahlbroschüren und "nimmt auch gerne Schecks entgegen". So was nennen sie "get out the vote": die Stimmen rauskitzeln. Neulich appellierte er an die 180 Bewohner eines Altersheimes, "den Glauben nicht zu verlieren" - er weiß eben, dass "Senioren wahlfreudiger sind als andere", da es ihnen "was zu tun gibt".

Es geht um die Existenz

Doch Bushs Chefdenker Karl Rove behält die Fäden auch hier fest in der Hand. Er hat Tynan jetzt eine Wahlkampf-Koordinatorin aus Washington vor die Nase gesetzt und lässt den Wahlkreis von seinen Vasallen inspizieren: Wahlkampfmanager Mark Roscoe war schon mal hier, ebenso Stabschef Andy Card, Arbeitsministerin Elaine Chow und andere Kabinettsvertreter. "Diesmal steht so viel auf dem Spiel", sagt Tynan. "Nicht nur für Florida."

Das gilt auch für Joe García, den jungen Exilantenführer in Little Havana. Für seine CANF, deren Kuba-Obsession heutzutage kaum weniger anachronistisch scheint als das greise Castro-Regime dort, geht es diesmal um mehr als nur das Weiße Haus. Es geht um die Existenz einer Bewegung: "Dieser Wahlkampf wird uns wieder eine neue Bühne geben", hofft er. "Man wird uns endlich wieder mit Respekt behandeln und unsere Interessen ansprechen."

Für den Fall der Fälle hat sich García aber schon eine Ersatzkarriere überlegt: Er spielt mit dem Gedanken, sich selbst um einen Sitz im Washingtoner Kongress zu bewerben.



Quelle: Nicht die "JW", sondern"Der Spiegel"


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