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Bob Marley und die Rastas
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http://www.berlinonline.de/berliner-zeit...ton/419049.html
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Da future's 'ere at last
Am Sonntag wäre Bob Marley 60 Jahre alt geworden - die Rastas der Welt feiern ihn in Addis Abeba
Wen`s interessiert: Ursprung der Rastafaris
von Jens BalzerBob Marley darf nun doch erstmal liegen bleiben. Vor drei Wochen noch hatte seine Witwe Rita verkündet, die Gebeine des weltbeliebtesten Reggae-Sängers und Rastafaris bald von Kingston nach Addis Abeba verbringen zu wollen. Nach 24 Jahren Gruft-Zwischenstation in seiner "körperlichen Heimat" Jamaika solle er in seiner "spirituellen Heimat" Äthiopien nun eine letzte Ruhestätte finden.
Über die Qualität dieses Vorschlags waren die Ansichten nachvollziehbarerweise geteilt. In afrikanischen Zeitungen und Weblogs wurde er euphorisch begrüßt; in Kingston hingegen brach ein Sturm der Entrüstung los. Rita Marley jedenfalls korrigierte sich schon nach wenigen Tagen: Man habe sie falsch verstanden; nicht "den Körper" von Bob habe sie umbetten wollen, sondern vielmehr "den Geist". Vielleicht war ihr zwischenzeitig auch bloß eingefallen, dass sie mit der Bob-Marley-Gedenkstätte und dem Bob-Marley-Themenpark in Kingston eine Menge Geld verdient - und dass diese Einkünfte durch die Entfernung der Hauptattraktion gefährdet sein könnten. Auf der Webseite der Bob Marley Foundation findet sich seit einigen Tagen ein sybillinischer Kommentar zu der Sache: wo sich die Ruhestätte des Meisters befinde, sei eine Familienangelegenheit; für die "unmittelbare" Zukunft seien keine Veränderungen vorgesehen.
Ob mit oder ohne Leichnam: gefeiert wird in Addis Abeba an diesem Wochenende in jedem Fall. Zum 60. Geburtstag, den Bob Marley am Sonntag begangen hätte, veranstaltet Witwe Rita - selber inzwischen in Ghana ansässig - ein großes Gedenkkonzert unter dem Titel "Africa Unite". Dabei werden amerikanische Afrozentristen wie India.Arie und afrikanische Popstars wie Baaba Maal und Angelique Kidjo auftreten; von den jamaikanischen Reggae-Stars der jüngeren Generation sind Shaggy und Luciano dabei. Die Marley-Familie wird mit den Söhnen Ziggy, Stephen, Damian und Julian musizieren; mit Marcia Griffiths, Judy Mowatt und Rita Marley selbst versammeln sich auch die I-Threes, die Backing-Sängerinnen der Wailers, zum Konzert.
Für die Glaubensgemeinschaft der Rastafaris, der Marley sich wenigstens gegen Ende seines Lebens verpflichtet fühlte, war Äthiopien seit je der bevorzugte Sehnsuchtsort; den äthiopischen Kaiser Haile Selassie - dessen amharischer Name Ras Tafari lautet - betrachtete man als geistlichen Führer. Als dieser in einer prunkvollen Zeremonie 1930 den Thron in Addis Abeba bestieg, glaubten nicht wenige, dem durch Sklaverei in alle Welt verstreuten afrikanischen Volk sei endlich der schwarze Messias gekommen; der Heiland, der es vereinen und aus der Diaspora in die Heimat zurückführen werde. Haile Selassie übernahm nicht nur die Herrschaft über einen der wenigen unabhängigen afrikanischen Staaten der Zeit. Auch mythologischerweise war Äthiopien seit je als heartland des Kontinents angesehen - seit das Wort "Ethiopia" in der maßgeblichen englischen Bibelübersetzung, der King James Bible aus dem Jahr 1611, synonym für das ganze Afrika gebraucht wurde (in der Lutherbibel heißt es an den entsprechenden Stellen "Kusch", was die hebräische Übersetzung des griechischen "Aithiopia" ist).
Als die amerikanischen und karibischen Sklavenhalter ihren Untertanen Mitte des 18. Jahrhunderts erlaubten, Lesen und Schreiben zu lernen, war das einzige Buch, das sie dafür benutzen durften, die englische Bibel; weswegen es unter denen, denen das Christentum doch eigentlich alles genommen hatte, zu einer erstaunlichen Christianisierungswelle kam. Die "Kirche", die daraus entstand, verstand sich als "äthiopische" jedoch bald schon im Gegensatz zur römisch-katholischen Christenheit; der Vatikan wurde mit fortschreitender Radikalisierung der ehemaligen Sklaven gar als Stätte des Antichristen gesehen. So erschien der weltliche Führer Äthiopiens auch als geistlicher Führer, als schwarzer Gegenpapst.
Der Rastafarismus ist also ursprünglich nichts anderes als eine theologisierte Form des Panafrikanismus; wer sich als Rastafari zum Untertanen Haile Selassies erklärte, bekundete damit vor allem, dass er sich nicht mehr als Untertan der englischen Krone verstand (oder irgendeiner anderen europäischen Kolonialmacht). Dass diese Art Widerstandsgeist besonders in Jamaika Fuß fasste, hängt mit dem Wirken einiger charismatischer schwarzer Führer dort zusammen: des Aktivisten und Gewerkschaftlers Marcus Garvey, der zur beabsichtigten "Repatriierung" seines Volkes sogar eine eigene Schiffahrtslinie gründete, und des "ersten Rasta" Leonard P. Howell, der mit dem "Pinnacle" in Kingston in den Vierzigerjahren eine erste, basisdemokratisch organisierte, durch Marihuana-Anbau finanzierte Äthiopisten-Kommune gründete.
Dort wurde auch die bis heute Rasta-typische Frisur der Dreadlocks erfunden: "Schreckenslocken", die nach dem Vorbild der kenianischen Mau-Mau-Armee die weißen Kolonialisten verängstigen sollten. Freilich verängstigten sie auch die schwarze Mittelschicht auf Jamaika, die sich mit dem englischen Establishment längst arrangiert hatte - weswegen die Rastafaris in ihrer Heimat einerseits bald isoliert waren, andererseits aber gerade dadurch zu einer eingeschworenen, vitalen Subkultur wurden.
Als Robert Nesta Marley Anfang der Sechzigerjahre im Studio des Kingstoner Produzenten Clement "Sir Coxsone" Dodd seine ersten Songs aufnahm, war das "Pinnacle" zwar schon eine Weile zerschlagen; doch hatte sich der Rastafarismus samt äußerlicher Erkennungsmerkmale und religiös legitimiertem Ganja-(Marihuana-)Konsum zur beliebtesten Musikerideologie aufgeschwungen. Den religiösen Implikationen stand Marley lange Zeit eher reserviert gegenüber - es gehört zu den zahlreichen Paradoxien seines Werks, dass Rastafarismus und Panafrikanismus für ihn desto bestimmender wurden, je weiter sich seine Musik von den "afrikanischen" und jamaikanischen Wurzeln entfernte. Am Anfang seiner Karriere sang er mit den Wailers - Peter Tosh und Bunny Livingston, die später bedeutende Solokarrieren einschlugen - süße Liebeslieder im Stil des Sechzigerjahre-Motown-Soul; nachdem er sich von Coxsone Dodd getrennt hatte, nahm er mit dessen Schüler Lee "Scratch" Perry unbehaglich basslastige Dub-Stücke auf, in denen er mit unheilschwangerer Stimme Hunger und Ausbeutung seines Volkes beklagte.
Die Zusammenarbeit mit Perry war zweifellos Marleys musikalisch erfindungsreichste Periode; sein leiernder Gesangsstil aus dieser Zeit lässt viele der späteren Rap-Techniken erahnen, während Perrys Tüfteleien mit dem Studiomischpult die elektronische Musik der Gegenwart vorwegnehmen. Der Marley-Sound, der das weltweite weiße Publikum seit Mitte der Siebzigerjahre derart begeisterte, stellt demgegenüber einen erheblichen Rückschritt dar. Nicht zufällig wurde er von einem weißen Produzenten designt: von Chris Blackwell, dem Inhaber der Island-Schallplattenfirma, der Marley 1973 in seine Obhut nahm und dessen Songs in US-Radio-kompatiblen Arrangements neu einspielen ließ. Die für die Wailers ursprünglich typischen Männerharmonien wurden durch Frauenchöre ersetzt und Perrys minimalistische Mixe durch gefällige Rock-Arrangements mit Gitarrensoli und allem dazugehörigen Klimbim.
Fraglos war es nicht zuletzt dieser weichgespülte Sound, der fälschlicherweise beim weißen Publikum den Eindruck erweckte, Marley-Songs wie "Get Up, Stand Up" oder "One Love" riefen die gesamte Menschheit zur Verbrüderung auf. Das Gegenteil ist der Fall: Wenn der Rastafarismus nach "Unity" verlangt, meint er damit ausschließlich die weltweite Einheit der Schwarzen - gegen das "Babylon" der weißen Unterdrücker, gegen den Antichristen im Vatikan.
Daran sollten sich auch die weißen Rastafaris erinnern, die an diesem Wochenende vor allem aus den USA nach Äthiopien angereist kommen. Vom amerikanischen Außenministerium wurden sie schon einmal vorsorglich gewarnt - nicht nur wegen der allgemein heiklen Sicherheitslage in dem ostafrikanischen Land, immerhin ein Nachbar des bürgerkriegszerrissenen Sudan. Auch von der einheimischen Bevölkerung seien Übergriffe zu befürchten. Nicht anders früher die Nachbarn auf Jamaika, sehen die konservativ-christlichen Äthiopier in den Rastas vor allem ein Feindbild: schlecht frisierte Haschischraucher mit wirrem Glauben; ungewaschene Asoziale und Penner.
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