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Der Wurstkönig in Port-au-Prince
In Antwort auf:
Der Wurstkönig in Port-au-Prince
swissinfo 7. November 2004 18:03Walter Stocker kennt und schätzt die warme Luft der Karibik seit Jahrzehnten. Als Unternehmer verkauft der Metzger aus dem Luzernischen in der haitianischen Hauptstadt Wurst, Fleisch und Kolonialwaren an Arme und Reiche.
Die haitianische Tragödie macht vor seiner Familie nicht halt.
Das Klima der Karibik soll beruhigend auf Gelenke und auf die Gesundheit im Allgemeinen wirken. Das glauben viele Europäer.
Auch Walter Stocker war davon überzeugt, als ihm sein Hausarzt vor vielen Jahren riet, seine angeschlagene Gesundheit an der karibischen Wärme zu kurieren. Den gelernten Metzger verschlug es nach Puerto Rico. Die Gelenke und Glieder meldeten sich bald gesund, und so beschloss Stocker eineinhalb Jahre später, für immer an der Wärme zu bleiben.
Walter Stocker zog weiter nach Jamaika, suchte sein Glück im Wurstgeschäft. Er baute eine Fabrik und liess die aromatischen Fleischkurven in der feucht-fröhlichen Luft am Golfstrom nach Schweizer Rezept und Hygiene produzieren. Seine Geschäftsidee schlug im Stammland von Bob Marley und Jimmy Cliff ein, und der Duft der Charcuterie aus dem Luzernischen zeigte sich verträglich mit dem sinnlichen Mix aus Reggae und Rhum.
Wenn es um die Wurst und um den Sozialismus geht
Die Politik trübte die Erfolgsgeschichte des findigen Walter Stockers. Der Sozialist Michael Manley, der in Jamaica in den achtziger Jahren regierte, sympathisierte mit Fidel Castros Staatswirtschaft auf Kuba. Das war gegen den Geschmack von Walter Stocker: "Ich verkaufte alles in Jamaica und schaute mich in der Karibik nach neuen geschäftlichen Möglichkeiten um."Stockers Wahl viel auf Haiti. "Als ich Mitte der achtziger Jahre in Port-au-Prince ankam, war es politisch ziemlich ruhig." Walter Stocker wollte auch in Haiti erneut Wurstkönig werden. Die Ruhe bei seiner Ankunft war trügerisch. Nach heftigen Protesten des Volkes musste die Duvalier-Diktatur abdanken. Es folgten turbulente Jahre mit kurzlebigen zivilen und militärischen Regierungen. Stocker lebte von der Hoffnung auf bessere Zeiten.
1990 wird der Hoffnungsträger und Befreiungstheologe Jean Bertrand Aristide zum zivilen Präsidenten gewählt. In Haiti kommt Aufbruchstimmung auf, und Walter Stockers Metzgerei- und Kolonialwarenladen "Apollo" an der Rue Grégoire im vornehmen Pétion-Ville wird stadtbekannt.
Versuch, es allen recht zu machen
In Walter Stockers Laden liegt edler Käse und Paté aus Frankreich und der Schweiz in gekühlten Vitrinen, Steakes und Kilbasa aus den USA. Er verkauft auch selbst geräuchertes Rindfleisch, Schinken und Hühnerfleisch, Fisch und Hummer und viel Gemüse aus der lokalen Produktion. Das schreiende Gefälle zwischen Arm und Reich zwingen Stocker zum geschäftlichen Balance-Akt. "Im Apollo kaufen reiche und arme Kunden. Die Preise für ein Pfund Fleisch variieren zwischen 3 und 60 US-Dollar."Mit der Aufbruchstimmung der neunziger Jahre kamen viele Ausländer nach Haiti, die ebenfalls den Weg zum Schweizer Metzger fanden. "Ich konzentrierte mich auf Spezialitäten, brachte meinen Angestellten bei, wie man fachgerecht ein Stück Fleisch verarbeitet und fand damit das Vertrauen der Kundschaft."
Auch im Krieg und im Notstand wird gegessen
Die Euphorie unter Jean Bertrand Aristide verflog rasch. 1991 wurde er von General Cédras weggeputscht, und Aristide musste ins Exil. Es folgten wechselhafte Jahre, die Armut in Haiti nahm rasant zu. Doch wie kaum in einem anderen Land kommt in Haiti das Essen vor der Moral. Stocker überlebte in Pétion-Ville die politischen Krisen mit findigen Geschäftsideen.1994 rückten die USA mit 20'000 Soldaten an, um die Rückkehr von Aristide einzuleiten. Walter Stocker konsolidiert seine Geschäfte und als Jean Bertrand Aristide im Jahr 2000 erneut in den Regierungspalast einzog, hofften die Menschen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung und auf Stabilität. "Die Kunden kauften massiv bei uns ein, legten in ihren Kühlschränken Vorräte für eine Woche, manchmal für einen Monat an, wenn die Stromversorgung einigermassen funktionierte."
Präsident Aristide vermochte die Erwartungen nicht zu erfüllen. Haiti versank tiefer im Elend, die Arbeitslosigkeit und die allgemeine Unsicherheit im Land wurden noch grösser. Mehrere Persönlichkeiten wurden entführt und gegen Lösegeld wieder frei gelassen.
Auch das "Apollo" bekam sein Fett ab. "Früher reichten zwei unbewaffnete Wächter in meinem Laden gegen Banditen“, erklärt Walter Stocker. Das "Apollo" wurde zweimal ausgeraubt. "Jetzt stehen vier bewaffnete Wächter in zivil im Laden. Das hilft", meint Walter Stocker sarkastisch.
Walter Stocker mit seiner haitianischen Frau. (swissinfo)Frau entführt
Im Februar kam es in Haiti erneut zum Eclat. Nach schweren Protesten und Ausschreitungen musste Präsident Aristide abdanken und erneut ins Exil gehen. In Haiti herrscht seither das Chaos.Die Verunsicherung erreicht auch Walter Stockers Familie: "Meine haitianische Frau wurde entführt." Der Metzger aus der Schweiz verhandelte mit den Erpressern. Sie verlangten mehrere Hunderttausend Dollar Lösegeld, die unser Mann aus dem Luzernischen nicht liquide hatte.
Stocker verhandelte parallel mit den Kidnappern und mit einer lokalen Bank. Nach einer knappen Woche und nach zähen Verhandlungen über die Höhe des Lösegelds war seine Frau wieder in Freiheit. "Die Bank gibt mir drei Jahre, um den Kredit zurück zu bezahlen", erklärt Walter Stocker.
Der Schweizer Metzger in Haiti will nicht aufgeben. Während andere Unternehmer der schwindenden Perspektiven wegen das Land verlassen, lässt Stocker gegenüber dem "Apollo" an der Rue Grégoire eine unterirdische Garage und darüber fünf Läden und 18 Appartements bauen.
Es fehlt an Nachschub: "Wir haben Probleme mit Rohmaterial. In den chaotischen Monaten nach dem Machtwechsel und nach den Wirbelstürmen und den Überschwemmungen der letzten Monate wurde am Hafen von Port-au-Prince vieles geplündert, verbrannt oder gestohlen."
Der Geduldsfaden wird dünn
Trotz des Durchhaltewillens macht sich Walter Stocker Gedanken über seine Zukunft in Haiti. "Wenn man wie in einem Gefängnis lebt, macht es keinen Sinn zu bleiben. Ich gehe nur noch raus, wenn ich muss. Wenn wir abends eingeladen sind, fahren wir sehr früh los, damit wir vor 22 Uhr wieder zuhause sind."Haiti hat nach dem Sturz von Jean Bertrand Aristide eine Übergangsregierung. Nächstes Jahr sollen Wahlen stattfinden. Bis dann will Walter Stocker in Pétion-Ville weiter machen. Seine ältere Tochter studiert in Kanada, und die jüngere denkt ebenfalls darüber nach, weg zu gehen. "Junge Menschen haben hier kaum eine Zukunft", so Walter Stocker.
Zurück in die Schweiz? Für Walter Stocker kein Thema. "In der Schweiz ist alles schon vorgegeben. Hier bin ich freier. Wenn schon in die Schweiz, dann schon für Ferien auf der Alp."
Erwin Dettling, Port-au-Prince
Moskito
In Antwort auf:Und da lautet ein Sprichwort: Hindernisse sind dazu da, überwunden zu werden.
Trotz des Durchhaltewillens macht sich Walter Stocker Gedanken über seine Zukunft in Haiti. "Wenn man wie in einem Gefängnis lebt, macht es keinen Sinn zu bleiben"
Verdammt noch mal, warum sind die Karibik-Staaten nicht lernfähig und bringen selbst - wie bei Walter Stocker - die stärkste Entschlossenheit und Ausdauer eines mutigen Geschäftsmannes zu Fall ?
#3 RE:Der Wurstkönig in Port-au-Prince
In Antwort auf:Diese Frage trifft aber nur auf Länder zu, in denen es noch eine Staatsmacht gibt. In Chaos und Anarchie existiert ein jeder Staat doch nur noch auf dem Papier und kann demzufolge weder was lernen noch irgendwas ausrichten. Da ist jeder Einwohner entweder sein eigener Warlord oder das Opfer eines solchen.
warum sind die Karibik-Staaten nicht lernfähig
e-l-a
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