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Ein Mythos lässt den Dollar rollen
#1 Ein Mythos lässt den Dollar rollen
Ein Mythos lässt den Dollar rollen
Der Ort, an dem der Revolutionär Ernesto Che Guevara starb: Wer in Vallegrande in der bolivianischen Provinz die Spuren des berühmten Rebellen verfolgt, findet viele Geschichten – auch die der Julia Cortez. Von Peter Burghardt
Bauer Cortez vor dem Che-Denkmal in La HigueraFoto: Burghardt
Vallegrande– Die schönste Geschichte über Che Guevara erzählt in Vallegrande die frühere Dorflehrerin. Es klingt wie eine Romanze. Sobald die 57-jährige Julia Cortez beginnt, ist sie wieder 19 Jahre alt und tritt ins Halbdunkel der Schule des Weilers La Higuera, 50 holprige Kilometer entfernt. Dort unterrichtete sie damals Bauernkinder. Es ist der 9. Oktober 1967. Es sind die letzten Stunden des Ernesto Guevara de la Serna, genannt Che. In einer nahe gelegenen Schlucht ist der argentinische Guerillero mit dem Rest seiner Mitstreiter nach wochenlanger Jagd verhaftet und danach in diese Lehmhütte gebracht worden. "Seine Augen waren Sterne" Hier endet sein Versuch, nach Kuba auch Bolivien zu erobern und eine Weltrevolution anzuzetteln. Angeschossen, krank, ausgemergelt, verwildert und gefesselt kauert er auf einer Holzbank hinter der Tür, als Julia Cortez die Wachen passiert. „Seine Augen waren Sterne. Er hat mich enorm beeindruckt.“ Sagt sie heute. Sie sitzt in ihrem Wohnzimmer am Rand der bolivianischen Kleinstadt Vallegrande. Julia Cortez ist mittlerweile vierfache Mutter und klagt über Schwindelanfälle. Aber sie sieht immer noch gut aus mit ihrer weißen Bluse, dem schwarzen Haar, den dunklen Augen. Wenn sie ihre Begegnung mit dem berühmtesten Rebellen der Neuzeit schildert, wirkt sie fast wie das Mädchen vor 37 Jahren. Sie war einer der letzten Menschen, die ihn lebend gesehen haben. Und sie war die letzte Frau, die er gesehen hat. Ein letzter Flirt Damals wusste sie von diesem geheimnisvollen Che nur, dass er böse und gefährlich sei. Das hatten Armee und Regierung der Bevölkerung eingebläut. Doch die Begegnung mit ihm war für sie wie ein kleiner Flirt. „Was machen Sie hier in diesem Zustand, mit Ihrem Äußeren und Ihrer Erziehung, wieso sind Sie nicht bei Frau und Kindern?“, fragt sie den Gefangenen.
„Ich kämpfe für meine Ideale, für ein gerechteres Leben“, antwortet er und will von ihr wissen, was sie in diesem Kaff ohne Wege verloren habe, so hübsch und jung, wie sie sei. Sie habe immer Lehrerin sein wollen, erwidert sie.
Dann bringt Julia Cortez ihm eine Erdnuss-Suppe, die er aus der Schüssel schlürft. Seine letzte Mahlzeit.
Als sie die Schule verlassen hat, gegen Mittag, fallen Schüsse. Auf Befehl aus La Paz und Washington streckt der betrunkene Unteroffizier Mario Teran den prominenten Häftling mit dem Maschinengewehr nieder.
Neun Kugel durchbohren seinen Körper, Julia Cortez findet den Toten. „Die Arme und Beine ausgebreitet wie zum Kreuz, die Augen offen. Er hat mich angeschaut. Ich dachte, er steht gleich wieder auf.“
Erich Blössl grinst, wenn er diese Geschichte hört. „Ja mei, die Julia, die verkauft sich gut“, sagt der Bayer. Mitte 70 ist Blössl, er hat seinen Dialekt über Zeit und Distanz gerettet.
Er kennt Julia Cortez, er kennt auch Susana Ocinaga und all die anderen, die ihre Erlebnisse aus der bedeutendsten Epoche der örtlichen Historie vortragen.
Erich Blössl aus Hausham in Oberbayern lebt seit 30 Jahren in Vallegrande, hoch über den anderen 8000 Einwohnern. Er hat oben auf dem Hügel ein Restaurant. Von 1966 bis 1968 war er schon einmal hier, als Entwicklungshelfer. Ein Foto von ihm und dem toten Che hängt in seiner Wirtschaft zwischen bayerischen Fahnen.
Nie hätte er gedacht, dass die Welt noch heute von dem gefallenen Partisanen schwärmen würde. „In Vallegrande“, sagt er, „hat 20 Jahre lang kein Mensch vom Che geredet.“
Falscher Ort für eine Weltrevolution
Bolivien war eine Militärdiktatur, die linke Nostalgie nicht zuließ. Die Leute hatten Angst, man munkelte von einem Racheakt der kubanischen Luftwaffe.
Bald hatten sie auch kein Interesse mehr. Bei seinem Kampf für Gerechtigkeit war dem Fremden kaum ein Bauer gefolgt. Boliviens Provinz war der falsche Ort für die Weltrevolution.
Nach Vallegrande kam nur seine Leiche, im Hubschrauber. Sie wurde der Bevölkerung und der Weltpresse vorgeführt und nächtens verscharrt. Seine Hände landeten zur Identifizierung in Havanna.
Drei Jahrzehnte vergingen, bis wieder Reporter einschwebten, weil ein Offizier verraten hatte, die übrigen Knochen von Che Guevara seien auf der Landebahn für Kleinflugzeuge vergraben.
Am 12. Juli 1997 wurden die damals meist gesuchten Reste der Erde in Apfelkisten verpackt, nach Kuba geflogen und später im Rahmen eines Staatsaktes in Santa Clara bestattet.
Blössl behauptet, Kubas Geheimdienst habe den vermoderten Che bereits 1987 abgeholt – unerkannt. „Der war nimmer in dem Loch da drin.“ Blössls Steaks verkauften sich während der Ausgrabungen trotzdem gut an Archäologen, Gerichtsmediziner und Journalisten.
Wobei der Wirt auf den Hinweis wert legt, dass er keinen Pfennig mit dem Che verdienen wolle.
Einzige Attraktion
Aber als Gastwirt tut er das natürlich zwangsläufig. Kein Tourist würde sich nach Vallegrande verirren, wenn das kurze Leben des Che Guevara hier nicht geendet hätte.
Andere Attraktionen gibt es kaum, und der Bus von Santa Cruz schlingert sieben Stunden lang über steinige Pisten. Der Fortschritt kommt nur langsam in den Ort, bald sollen die Straßen asphaltiert werden. Arbeit ist knapp und schlecht bezahlt.
Bolivien ist reich an Bodenschätzen, aber dennoch zählt es zu den ärmsten Ländern Lateinamerikas, ausgeplündert und korrupt. Die beste Firma in Vallegrande führen zwei Deutsche und ein Amerikaner – eine Käserei.
Es hat ein wenig gedauert, bis die Einheimischen entdeckten, dass dieser Che kein übler Kerl war, geschäftlich betrachtet. Der Mythos wurde ohnehin erst geboren, als sein Leben mit 39 Jahren zu Ende ging.
Hollywood-Epos über die letzten Jahre
Dann wurde er eine Art Popstar der Revolutionäre. Im Herbst 2004 kam ein Film über die Motorradtour des Revolutionärs durch Südamerika in die Kinos.
Im Sommer dreht Hollywood an Originalschauplätzen ein Epos über seine letzten Jahre. Die Komparsen trainieren schon im Kraftraum von Vallegrande.
Außerdem gibt es seit einigen Wochen eine so genannte Che-Route. Die wichtigsten Wegstellen, die der Märtyrer in seinem Bolivianischen Tagebuch beschrieb, sind mit roten Sternen auf Steinen markiert.
Spurensucher können zum Rio Grande hinabsteigen, zu der Stelle, an der Che festgenommen wurde. Geleitet wird das Projekt von einem Argentinier, der wie sein Vorbild aus Rosario stammt.
Er heißt Favio Giorgio, lehnt Coca Cola als imperialistische Brause ab und übertrifft den richtigen Che Guevara darin, den Subkontinent mit dem Fahrrad und nicht mit dem Motorrad durchquert zu haben.
Er richtete Museen ein, eines im verstaubten Kulturhaus von Vallegrande, ein anderes in der ehemaligen Dorfschule von La Higuera, wo Julia Cortez ihre Begegnung hatte und Che Guevara hingerichtet wurde. „Durch diese Tür entwich ein Mensch in die Ewigkeit“, steht neben dem Türstock.
Erinnerungen gegen Bares
Selbst die Witwe eines früheren Militärs und Che-Feindes eröffnete eine bescheidene Herberge. Zeitzeugen schildern ihre Erinnerungen – am liebsten gegen Honorar.
So sitzt man vor Rene Cadima, dem pensionierten Dorffotografen, der wegen seiner Diabetes halb blind ist und sich das rechte Bein amputieren lassen musste. Er will das erste Bild des toten Che gemacht haben, mit einem 120-Millimeter-Objektiv.
Oder man trifft vor der Che-Büste den Bauern Manuel Cortez, der versichert, Guevara mit seinem Gefolge hier bereits am 26. September gesehen zu haben. Oder man begegnet Erich Blössl, der kein Fan von Che Guevara ist. „Für mich ist der Che auch ein Mörder.“
Und triumphiert habe er nur auf Kuba, zusammen mit Fidel Castro. „Im Kongo hat er total versagt, hier auch.“ Überhaupt hält er nicht viel von all den Geschichten, er könne sich auch nicht vorstellen, dass Julia Cortez damals erotische Gespräche mit dem Todeskandidaten geführt habe.
„Der Che war körperlich und moralisch total am Ende.“ Andererseits war Blössl nicht dabei. Eine argentinische Zeitung dichtete ihr sogar eine Affäre an. „Lügen“, sagt Julia Cortez, und schaut auf das Che-Foto, das gleich neben dem Kruzifix hängt.
Des Helden Haare
„Als Toter war der Che wie Jesus“, sagt Julia Cortez. „Mein Gott. Nach all den Jahren sehe ich immer noch seine Figur“, was nicht verwundert angesichts der vielen Bilder, die hier allgegenwärtig sind.
In Vallegrande wird der Che wie Christus verehrt. Eine Frau bewahrt eine abgeschnittene Haarsträhne und einen Dollarschein aus seiner Hosentasche wie Reliquien auf. Es heißt, sein Denkmal in La Higuera bewirke Wunder.
Julia Cortez hat während der Dürre um Regen für ihre Gemüsefelder gebeten. Es regnete.
Sie ist davon überzeugt, dass Blut und Asche nach wie vor in Vallegrande und La Higuera ruhen. Was bedeuteten schon die Knochen. Manche behaupten, das Herz und andere Innereien seien ihm entnommen worden. Und Susana Ocinaga sagt: „Wie Jesus, er hat uns angestarrt.“
70 Jahre ist sie alt, sie war die Krankenschwester, die den toten Che am 9. Oktober 1967 gewaschen und in einen Pyjama gekleidet hat, ehe der Leichnam aufgebahrt wurde. Ansonsten fand sie ihn recht menschlich. Gestunken habe er. Er hatte sich in die Hose gemacht.
Den Waschtisch kann man noch heute besichtigen, die Gruft auch. Hunderte Pilger haben ihre Namen dort hinterlassen. „Der Fehler war“, sagt Erich Blössl, „dass die den Che für die Presse damals so schön hergerichtet haben.“
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