Heiße Stürme über Kuba

25.11.2004 14:42
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VERBRECHEN / Endlich auf Deutsch: Leonardo Paduras zweiter Band seines Detektiv-Epos Havanna-Quartett

Heiße Stürme über Kuba

Einzig Krimis unterliegen im Castro-Paradies nicht der Zensur. Deshalb ist das Genre ein beliebtes Mittel, die raue Wirklichkeit unverfälscht darzustellen.

Autor: MICHAELA SCHMITZ

Der gebürtige Kubaner Leonardo Padura ist in seiner Heimat als
Journalist, der auch politisch unbequeme Themen aufgreift, bekannt.
Seine Reportagen gehören zu den meistgelesenen. Als Autor hat er sich
mit seinem Kriminalromanzyklus Havanna-Quartett weit über die Insel
hinaus einen Namen gemacht. Der zweite, 1994 erstmals publizierte Band
ist jetzt auf Deutsch erschienen. Handel der Gefühle ist nach Ein
perfektes Leben der Frühling der nach Jahreszeiten geordneten vier
Romane, die alle im kubanischen Wendejahr 1989 spielen. Padura wählt
ganz bewusst das Format des Krimis, um an der Zensur vorbei seine
Sicht über das Ende der Illusionen der kubanischen
Revolutionsgesellschaft zu erzählen.

Oberstleutnant Mario El Conde ermittelt in einem Mordfall, bei dem
illegale Devisengeschäfte und Drogenhandel im Spiel sind und der seine
Kreise bis in höchste Gesellschaftsschichten zieht. Opfer ist eine
junge, nur scheinbar vorbildliche Genossin: die Chemielehrerin
Lissette Delgado. Die kriminalistischen Untersuchungen sind jedoch
eher Nebensache. Im Zentrum der Erzählung steht die fiebrige
Atmosphäre des politischen Umbruchs, der sich bis in die kleinsten
Alltagsdinge hinein auswirkt. Durchgängiges Symbol dieses nahezu
unerträglichen geistigen Klimas ist der apokalyptische Frühlingssturm,
unter dessen Staub und Hitze das Atmen für alle zur Qual und die
Ermittlungen für den Teniente zur Hölle werden.
Jenseits der Idylle

Der eigenwillige und sensible Mario El Conde, den die Untersuchungen
quer durch alle Gesellschaftsschichten führen, nimmt dabei die Rolle
des perfekten Beobachters ein. Er beschreibt die Auswirkungen der
beginnenden ökonomischen und ideologischen Krise nicht polizeilich
nüchtern, sondern höchst emotional. Denn der melancholische Polizist
und sentimentale Erinnerungsfetischist, der lieber Schriftsteller
geworden wäre, zeichnet sich durch eine ausgeprägte Neigung zur Poesie
und zum Philosophieren aus. Teniente Condes Sprachstil ist dabei so
kontrastreich wie sein Charakter. Mit seinen umgangssprachlich
pointierten Dialogen und hochreflexiven inneren Monologen nimmt er die
Tradition seines Großvaters Rufino auf, der ihm als lakonischer
Dichter des Hahnenkampfes das Gespür für die überzeitlichen
Dimensionen des Alltags vererbt hat.

Durch die präzisen und mit kräftigen Bildern untermalten
Situationsanalysen El Condes entsteht ein facettenreiches Bild des
sich verändernden Kubas jenseits der karibischen Idylle, zu der die
heiter-melancholischen Rhythmen des Buena Vista Social Club in der
westlichen Rezeption geronnen sind. Die abblätternden Fassaden
Havannas und deren verfallender Charme, die kubanischen Requisiten der
Hahnenkampfplätze, zigarrenrauchgeschwängerten Cafés, Rum und
Zuckerrohrpressen bilden nur die vordergründig idyllische Kulisse für
eine tatsächlich immer stärker auseinander driftende Gesellschaft. Die
Kluft zwischen den Reichen, die wie die Mutter der Ermordeten im
Viertel Casino Deportivo im westlichen Überfluss leben, und den armen
Bewohnern im Santo Suarez, die, wie Condes Freund Candito, der Rote,
von der Produktion handgefertigter Sandalen leben, wird immer größer.
Alles, was über das Lebensnotwendigste hinausgeht, fehlt. Der
landestypische Rum wird rar, mit dem Conde und sein an den Rollstuhl
gefesselter Freund Carlos regelmäßig ihren Weltschmerz ertränken. Die
Zutaten für Mutter Josefinas madrilenischen Eintopf sind nur noch auf
dem Schwarzmarkt zu besorgen. Sogar Kubas Luxus-Zigarren für Condes
gutmütigen Vorgesetzten Mayor Antonio Rangel sind nicht mehr
aufzutreiben. Und das Begräbnis von Marios Kollegen Capitán Jorrín
findet fast ohne Blumen statt.
Melancholische Lebenslust

Aber die Kubaner und Mario El Conde lassen sich durch die scheinbar
aussichtslose Situation nicht unterkriegen. Ein ausgewachsener Kater
lässt sich mit einigen Duralginas bekämpfen, und keine Depression hält
zwei Flaschen Rum und leidenschaftlichem Sex mit einer schönen Frau
stand. So ändert die erotisch durchschlagende Affäre mit der Saxofon
spielenden Karina schlagartig El Condes Sicht auf das Leben. Aber mit
der Rassefrau, die seine Vorliebe für Rum, den Zigarettenqualm, den
Jazz und das Leben teilt, geht ihm auch der Optimismus schnell wieder
verloren. Doch der hintergründige Humor, die melancholische Lebenslust
und der abschließende Traum vom geglückten Leben mit einer schönen
Frau im Holzhaus am Meer zeigen, dass es trotzdem irgendwie
weitergeht. Auch wenn wir, wie schon Großvater Rufino wusste,
letztendlich alle dasselbe Schicksal haben wie die Kampfhähne.

Schon jetzt kann man sich auf die Fortsetzung des gelungenen
Kriminalromanzyklus mit dem unverwechselbar kubanischen Teniente El
Conde freuen: Teil drei des Havanna-Quartetts, Labyrinth der Maske,
soll bald erscheinen, der vierte Band Das Meer der Illusionen ist für
Frühjahr 2005 geplant.

- Leonardo Padura: Handel der Gefühle. Unionsverlag, Zürich 2004.
288 Seiten, 18,90 EUR.

http://www.merkur.de/aktuell/ku/lit_044801.html
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