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Gewogen und vermessen
Kuba: Die erfolgreichste Nation
Gewogen und vermessen
Von Knut Henkel
Kuba hat im Sport nach wie vor die Nase vorn. Trotz Wirtschaftskrise. Doch die Widersprüche der Dollarisierung des Alltags machen auch vor hochdekorierten SportlerInnen nicht Halt.
Kubas SportlerInnen gehören zu den Aushängeschildern der Zuckerrohrinsel. In Relation zum Bruttoinlandprodukt ist das Land die erfolgreichste Sportnation der Welt. Nicht nur im Boxen oder Baseball stehen Kubas AthletInnen seit Jahren an der Weltspitze. Auch beim Volleyball, dem Fechten und in der Leichtathletik mischen sie ganz oben mit: Medaillenkandidaten am Fliessband, Olympiasiegerinnen und Weltmeister en gros. Wie gelingt so etwas einem Land, das die schlimmste Wirtschaftskrise seiner Geschichte noch immer nicht überwunden hat?
Fidel mit Boxhandschuhen
Mario Kindelán geht in die Ringecke und lässt Kotrainer Hernández den Puls fühlen. Regelmässig hebt und senkt sich die Bauchdecke, Schweissperlen rinnen die dunkle Stirn hinab. Gerade hat der Weltmeister und Olympiasieger im Leichtgewicht einen allzu stürmischen Konkurrenten auf Distanz gehalten und anschliessend nach allen Regeln der Boxkunst ausgekontert. Headcoach Sarbelio Fuentes zog nur einmal anerkennend die Brauen hoch, bevor er den ungleichen Kampf mit einem Schlag der Ringglocke beendete.
Schon bei der Nennung des Namens Kindelán schnalzen Boxfachleute mit der Zunge. Drei Weltmeistertitel in Folge und zwei Olympiasiege hat der Ausnahmeboxer im Trophäenschrank. Nicht viel weniger als die ganz Grossen der kubanischen Boxschule: Teófilo Stevenson und Félix Savón, die jeweils drei Olympiasiege errangen. Bei jedem Training in der Finca Horbeín Quesada, dem Mekka des kubanischen Boxsports, hat Kindelán sie vor Augen. An der Längsseite der spartanisch ausgestatteten Halle ist die Bildergalerie aufgehängt. Neben den beiden Champs ist ein mit Boxhandschuhen bewaffneter Fidel Castro, Kubas maximo líder, zu sehen. Den Platz in der Ahnengalerie hat Kindelán nach seiner Titelverteidigung in Athen sicher. Selbstsicher prophezeite der Kapitän vor dem Abflug nach Griechenland seiner Staffel sechs bis sieben Goldmedaillen. Fünf Goldene, zwei Silberne und eine Bronzemedaille sind es geworden - keine schlechte Ausbeute für die weltweit dominierende Boxnation. Doch nicht nur beim Faustkampf sind die KubanerInnen top. Insgesamt 27 Medaillen brachten sie aus Athen nach Hause, womit Kuba die vierte Olympiade in Folge unter den ersten zehn Nationen im Medaillenspiegel abschloss.
Die Erfolge kommen nicht von ungefähr, denn zum einen sind die rund elf Millionen KubanerInnen Sportenthusiasten, zum anderen sorgt die Talentsichtung dafür, dass Athleten wie Kindelán, Hürdensprinter Arnier García oder Speerwurfstar Osleidys Menéndez frühzeitig entdeckt und gefördert werden. Die wichtigste Talentbörse sind die im Juli landesweit stattfindenden Schulspiele. Ein Pflichttermin für kubanische Trainer und Talentscouts. Viele der Sportstars wurden so entdeckt, erklärt Alberto Juantorena, ehemaliger Weltrekordler und Doppelolympiasieger von Montreal über 400 und 800 Meter. Juantorena, heute Sportfunktionär, und Félix Savón, angehender Trainer, machten dort erstmals auf sich aufmerksam. Anschliessend wurden sie «gewogen und vermessen», wie es in Kuba heisst. Das geschieht in den «Einführenden Sportschulen» (EIDE), die über das ganze Land verteilt sind. Savón wurde bei den Leichtathleten, beim Volley- und Basketball getestet, ehe man ihn den Boxern zuschlug. Mit dreizehn Jahren wechselte der aus dem Osten der Insel, aus Guantánamo stammende Sportler an die «Schule für sportliche Perfektionierung» (ESPA). Dort werden die Talente in ihren jeweiligen Disziplinen an den Leistungssport herangeführt. «Über 90 Prozent der kubanischen Athleten durchlaufen dieses System», erklärt Juantorena.
Penetranter Geruch nach Urin
An der Entwicklung der Sportstrukturen hat Alcides Sagarra, ehemaliger Coach der kubanischen Boxstaffel, mitgewirkt: «Die ehemalige DDR hatte ein ähnliches System. Wir übernahmen einige Ideen und passten sie den kubanischen Verhältnissen an», erinnert sich Sagarra an die Aufbauzeit nach der Revolution von 1959. «Das ganze System verläuft pyramidenförmig. Ganz oben steht die Nationalmannschaft, wo sich Athleten permanent neu qualifizieren müssen.» Im Boxen sind es rund fünfzig Athleten, die zum erweiterten Kreis der Nationalequipe zählen und zum Training in der Finca Horbeín Quesada zusammengezogen werden.
Das Zentrum des kubanischen Leistungssports ist allerdings der «Cerro Pelado». Rund 1300 SpitzenathletInnen trainieren, und einige hundert leben auch in der Anlage am Rande Havannas. Spartanisch ging es dort in den letzten Jahren zu, denn Geld für Erhalt und Modernisierung der Anlagen fehlte. Verblichene Parolen am Eingang der Kantine, rieselnder Putz im Kraftraum der Basketballspieler und schummriges Licht in der zu kurzen Halle der «chicas morenas», der kubanischen Volleyballspielerinnen, waren Ende der neunziger Jahre Usus. In den letzten Jahren hat sich zwar einiges geändert, aber von Trainingsbedingungen wie in Europa oder den USA können die KubanerInnen nur träumen. Auch dem Estadio Panamericano im Osten Havannas, wo die Leichtathleten trainieren, täte eine Grundüberholung gut. Wacklige Tische, zerbeulte Metallschränke und der penetrante Geruch nach Urin prägen die Mannschaftsquartiere.
Der Mercedes aus Deutschland
Offiziell sind die Kubaner Amateure; ihre Papiere weisen sie oftmals als Studenten aus. Das war bei Boxer Savón so und ist bei Arnier García nicht anders, dem Hürdensprinter, der in Athen Bronze nach Gold in Sydney gewann. Von der Universität ist im Interview mit García allerdings nicht die Rede, wohl aber vom anstrengenden Trainingsalltag und Reisen in alle Welt. Ohne die professionelle Vorbereitung hätten García und Co. natürlich auch kaum eine Chance gegenüber der Creme der internationalen Sportwelt.
In den neunziger Jahren haben sich die Verhältnisse in Kuba merklich gewandelt. Sendungsbewusste Athleten wie Savón, der selten eine Gelegenheit ausliess, um über die Erfolge der Revolution zu philosophieren, sind rar geworden. Ideologisches Sendungsbewusstsein gedeiht scheinbar schlecht in der Mangelwirtschaft, und die Widersprüche der «Dollarisierung» des kubanischen Alltags machen auch vor den hochdekorierten Sportlern nicht Halt. Die hatten bis Ende der achtziger Jahre ein für kubanische Verhältnisse sorgenfreies Leben führen können. Mit einem kleinen Haus und einem fabrikneuen Lada konnten erfolgreiche Athleten wie Baseballcrack Omar Linares schon rechnen. Und Javier Sotomayor, Kubas pensionierter Weltrekordler im Hochsprung, bezog noch Mitte des letzten Jahrzehnts eine kleine Villa in Havannas Diplomatenviertel Miramar. Einen dazu passenden, eigenen Mercedes hatte er sich bei einem Meeting in Deutschland ersprungen. Von solchem Lebensstandard können die meisten anderen Sportler nur träumen, seitdem der Kuchen kleiner geworden ist.
Auch die von Fidel Castro als Botschafter der Nation titulierten SportlerInnen müssen zusehen, wie sie in einer Gesellschaft zurechtkommen, der es zwischenzeitlich an fast allem fehlte.
Am leichtesten fällt das bis heute den LeichtathletInnen, denn anders als beim Boxen oder Baseball, den Nationalsportarten, fahren sie regelmässig zu Sportveranstaltungen ins Ausland, wo Antritts- und Siegprämien die Regel sind. Ein Teil dieser Prämien landet in den Taschen der Athleten. Der mehrfache Weltmeister im Weitsprung, Iván Pedroso, gehört zu den Grossen seiner Zunft. Doch selbst Pedroso muss ausserhalb der Saison, wenn keine grossen Leichtathletikmeetings anstehen, Sportklamotten verkaufen, um an Dollars zu kommen. «So machen es alle», erzählt Iván Hernández, ehemaliger Jugendweltmeister im Dreisprung. Sportklamotten sind hip bei der Jugend, und der Run auf den US-Dollar, die inoffizielle Leitwährung Kubas, bestimmt auch das Dasein der SportlerInnen. Der 28-jährige Iván gehört zur zweiten Garnitur bei den Dreispringern und klagt über zunehmenden Leistungsdruck. «Die Trainer kalkulieren genau, bei wem sich die Investition des Flugtickets lohnt. Nur wenn du Aussicht auf eine Siegesprämie bei einem Sportfest hast, bist du dabei», mäkelt er. Wer die Leistung allerdings bringt, wie Hürdensprinter Arnier García, lebt in Kuba auch heute nicht schlecht. Er gehört wie Speerwurf-Olympiasiegerin Osleidys Menéndez und Hammerwurf-Weltmeisterin Yipsi Moreno zu den neuen Stars der Leichtathletikszene, die Sotomayor und Co. abgelöst haben.
Zu materialistische Spieler?
Ähnlich gut wie den Leichtathleten ging es den Volleyballcracks. Frauen wie Männer spielten in der italienischen Profiliga «A Uno» und partizipierten an den Lire-Millionen, die der Verband einstrich. Doch nach Sydney war Schluss. Zu materialistisch seien die AthletInnen geworden, sagen Sportfunktionäre in Havanna hinter vorgehaltener Hand. Reideologisierung steht auf dem Programm, und dafür wurde auch die Abwanderung des halben Herrennationalteams in Kauf genommen. Sechs Spieler setzten sich Ende 2001 bei einem Turnier in Belgien ab und fuhren nach Italien, wo sie seit Ablauf der zweijährigen Sperre wieder spielen. Der Nationalmannschaft ist der Aderlass schlecht bekommen - für Athen konnte sie sich nicht qualifizieren. Mächtig geknirscht hat es auch im Mannschaftsgefüge der Damen nach der abrupten Beendigung des dreijährigen Italienabenteuers. Wer gibt schon gern den sauer erarbeiteten Lebensstandard auf, an den man sich gewöhnt hat? Regla Torres habe intern die Entscheidung kritisiert, sagt ihr Cousin Iván Hernández. Wurde die Ausnahmespielerin, die mit knapp 29 Jahren nicht zu alt gewesen wäre für Athen, wegen dieser Kritik aus dem Kader gestrichen, oder waren wirklich Verletzungen der Grund für den Rücktritt, wie offiziell behauptet wurde?
Dass Nichtberücksichtigung für die Nationalequipe in Kuba auch ein Mittel ist, um AthletInnen abzustrafen, belegen zahlreiche Fälle im Baseball. Der 21-jährige Sportler Kerry Morales kehrte der Heimatinsel im letzten Juni den Rücken, nachdem er wegen «Disziplinlosigkeit» aus dem Nationalteam geflogen war. So wie ihm ist es vielen Baseballstars gegangen: José Contreras, Maels Rodríguez, Orlando «El Duque» Hernández sind nur einige der klangvollen Namen, die in Kuba gesperrt wurden, flüchteten und nun in der US-Liga unter Vertrag sind. Gegen vierzig Baseballspieler, einige Fechter und zahlreiche andere Sportler haben ihrem Heimatland den Rücken zugekehrt, um nicht nur professionell zu trainieren, sondern auch zu kassieren. Eine Tatsache, die in Kuba gerne unter den Teppich gekehrt und mit neuen Talenten kompensiert wird.
Sportlehrer zu vermieten
Kubas Trainer erfreuen sich grosser internationaler Beliebtheit, und die Regierung Fidel Castros hat immer wieder Entwicklungsländer aufgefordert, am kubanischen Know-how zu partizipieren. Trainer aus aller Welt werden in Kuba ausgebildet - Trainer aus Kuba arbeiten in aller Welt. Laut der staatlichen Sportvermarktungsagentur Cubadeportes waren es Anfang des Jahres rund 700 Sportlehrer, die Jobs im Ausland versahen; etwa in Venezuela, aber auch in Mexiko, der Dominikanischen Republik, Argentinien, Frankreich oder Botswana. Doch die Hilfe ist nicht ganz uneigennützig. Das kubanische Sportsystem braucht Devisen, und so werden die meisten Sportlehrer gegen US-Dollar vermietet. Ein Teil der Gage, maximal dreissig Prozent, erhalten die Trainer, der Rest geht in den grossen Topf zum Erhalt von Stadien, Sportanlagen und in die Versorgung der rund 4000 LeistungssportlerInnen. Die Manager von Cubadeportes suchen nach neuen Finanzierungsquellen und damit auch nach Wegen, um die AthletInnen besser zu bezahlen. Dazu gehören Sponsorenverträge mit Firmen wie Adidas, Fernsehgelder, aber auch die Ausrichtung internationaler Turniere und die Organisation von Trainingslagern für ausländische AthletInnen. Sportmedizinischen Einrichtungen, wie das international akkreditierte Dopinglabor oder die Sportmedizinische Fakultät an der Universität in Havanna, sorgen ebenfalls für Einnahmen, die das erfolgreiche Modell am Leben halten.
WOZ vom 14.10.2004
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