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Alles ist scheinheilig und verlogen
#1 Alles ist scheinheilig und verlogen
Alles ist scheinheilig und verlogen
Wenig Hoffnung auf Reformen in Kuba
Warten auf Fidel Castros Tod
Je älter Kubas Revolutionsführer Castro wird, umso mehr sorgen sich die Kubaner über seine Nachfolge. An wirtschaftliche und politische Erneuerungen zu seinen Lebzeiten glaubt niemand. Hauptnutzniesser des kurzen «Sommers der Reformen» Mitte der neunziger Jahre sind die kubanischen Streitkräfte.
Havanna, Ende Dezember
Mit einem langfädigen offenen Brief unter dem Titel «Chronik einer Genesung» fühlte sich der kubanische Staats- und Parteichef Fidel Castro kurz vor Weihnachten bemüssigt, seine «geliebten Mitbürger» darüber zu informieren, dass er wegen eines Insektenstichs am linken Bein während mehrerer Tage das Bett habe hüten müssen und deshalb - erstmals seit 25 Jahren - nicht an der Eröffnungssitzung des Volkskongresses teilnehmen könne. Was andernorts höchstens eine Fussnote verdiente, war in Kuba Stoff für die Abendnachrichten und füllte die Titelseite des kommunistischen Parteiblattes «Granma». Seit Castro vor anderthalb Jahren am Rednerpult unter stechender Sonne ohnmächtig zusammenbrach, ist der Gesundheitszustand des Comandante kein eifrig gehütetes Staatsgeheimnis mehr. Damals erklärte Castro beschwichtigend, sollte er sterben, drohe der Revolution keinerlei Gefahr, denn sein Bruder Raúl werde die Nachfolge antreten.
Keine Öffnung in Sicht
Auch wenn der 76-jährige Castro Sonnen- und Insektenstiche übersteht, so stellen sich immer mehr Kubaner die Frage, was nach dem Tod des Revolutionsführers sein wird. An eine Änderung des sozialistischen Systems - neben Nordkorea das einzige, das den Fall der Berliner Mauer überlebte - sei zu Lebzeiten Castros nicht zu denken, bemerkt ein kubanischer Filmemacher im Gespräch. Der alte Bekannte hatte Mitte der neunziger Jahre, als der Dollar legalisiert, die ersten privaten Restaurants eröffnet und zu Dutzenden Joint Ventures zwischen kubanischen und ausländischen Firmen unterzeichnet wurden, noch hoffnungsfroh einen Transformationsprozess hin zu einer offenen, der Marktwirtschaft verpflichteten Gesellschaft prophezeit. Heute stellt er fest, der «Sommer der Reformen» sei kurz gewesen und zu einem «Trauerspiel der Reformen» verkommen. Es gebe nur eins, nämlich die «biologische Lösung» des Problems, das heisst den Tod Castros, abzuwarten. Resigniert fügt er bei, er habe in den letzten Jahren keine längeren Filme mehr drehen können, denn das staatliche Filminstitut, ein früher sorgsam gehätscheltes Prestigeobjekt der Revolutionsregierung, sei ideologisch und wirtschaftlich bankrott. Am diesjährigen Festival des lateinamerikanischen Films in Havanna wurde denn auch erstmals seit einem Vierteljahrhundert kein kubanischer Spielfilm uraufgeführt, aus Spargründen, heisst es.
Unabhängig denkende Kubaner sind besorgt über die selbst verordnete Einigelung des Regimes. Ohne weitergehende Reformen und einen politischen Dialog mit der - wenn auch hilflos zerstrittenen - Opposition im Land befürchten sie einen traumatischen Zusammenbruch aller Strukturen nach dem Ableben Castros. Die Schreckensszenarien bewegen sich je nach Gesprächspartner zwischen blutigem Bürgerkrieg und handstreichartiger Invasion durch die USA, gefolgt von einem Raubzug der Exilkubaner in Miami zur Rückeroberung des vor über 40 Jahren verstaatlichten Besitzes. Vorläufig ist weder politisch noch wirtschaftlich eine Öffnung in Sicht, die den Regimewechsel zu einem planbaren Ereignis machen könnte.
Machtfaktor Armee
Aus akademischer Warte kommt der amerikanische Politologe und Spezialist in Transitionsprozessen Josep Colomer in einem Beitrag in der mexikanischen Intellektuellenzeitschrift «Nexos» zum Schluss, dass in Kuba ein unvermittelter Kollaps, ähnlich dem Zusammenbruch der alten Tschechoslowakei oder der DDR, kurz- bis mittelfristig am wahrscheinlichsten sei. Der Wechsel des politischen Systems sei nicht als Resultat von oben diktierter Reformen oder einer Verständigungslösung zwischen Regierung und Opposition zu erwarten. Ob es dann zu einem Bürgerkrieg komme, hänge weitgehend vom Verhalten des Militärs ab. Colomer ist optimistisch und glaubt, die Generäle würden einer Konfrontation aus dem Weg gehen und sich den unausweichlichen Veränderungen anpassen. Als Motive nennt der Autor persönliche wirtschaftliche Interessen der Offiziere sowie eine historisch begründbare, grundsätzliche Ablehnung, die Armee als Repressionsinstrument gegen das Volk zu missbrauchen.
Auf dem Höhepunkt der Versorgungskrise in den frühen neunziger Jahren machte alles den Anschein, als ob die kubanische Armee gewillt sei, als Gegengewicht zum doktrinären Altrevolutionär Fidel Castro die modernisierende Avantgarde zu bilden. Einflussreiche Generäle wie etwa der heutige Minister für die Zuckerwirtschaft, Ulises Rosales del Toro, drangen damals zusammen mit Verteidigungsminister Raúl Castro auf Dollarisierung und freie Bauernmärkte. Sie wollten damit in erster Linie eine drohende Hungerrevolte und den zu erwartenden Repressionsauftrag an die Armee vermeiden. Auch die Öffnung gewisser Branchen für Investitionen aus dem Ausland - allen voran Tourismus, Bergbau und Erdöl - sowie die zaghafte Einführung privatwirtschaftlicher Managementmethoden in Staatsbetrieben erfolgten auf Druck der Militärs. Aus heutiger Sicht wird klar, dass es der Armeeführung nie darum ging, das Wirtschaftssystem grundsätzlich zu ändern, sondern lediglich die Armee auf eine gesunde eigenwirtschaftliche Basis zu stellen. Colomer bezeichnet die kubanische Armee als grössten Unternehmer auf der Zuckerinsel und schätzt, dass der Militärhaushalt zur Hälfte durch Einnahmen aus Firmen finanziert wird, die von der Armee kontrolliert werden. Gleichzeitig wurde das Heer von 300 000 auf 50 000 Mann gesundgeschrumpft und der Anteil der Militärausgaben von 4,5 Prozent auf 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts reduziert.
In einem in Kuba preisgekrönten Essay schreibt der Filmkritiker Juan Antonio García Borrero von den neunziger Jahren als dem «längsten Jahrzehnt» in der persönlichen Erinnerung vieler Kubaner. Während der Jahre der Entbehrungen und der sozialen Enttäuschungen seien die kollektiven Träume und die grossen Utopien gestorben. Dies hindert die zahlenmässig kleine Machtelite um die Brüder Castro nicht daran, sich verzweifelt an den Offenbarungseid von «Sozialismus oder Tod» zu klammern. Das Dogmadenken bremst neue Reformschübe. Allerdings wird der offizielle Diskurs tagtäglich von der Macht des Faktischen ausgehöhlt. Die grössten Veränderungen spielen sich zweifellos im persönlichen Leben der Kubaner ab, die die Predigt vom Sozialismus hören, den Glauben an dessen Segnungen aber längst verloren haben.
Mit Erstaunen musste der ausländische Besucher des Filmfestivals zur Kenntnis nehmen, dass inzwischen auch in Kuba der Drogenkonsum zu einem verbreiteten Laster unter Jugendlichen geworden ist. Gleich zwei Dokumentarfilme behandelten das Thema. Terence Piard, ein Schüler der internationalen Filmschule von San Antonio de los Baños, dokumentierte sich gründlich im Drogenmilieu von Havanna, bevor er seinen Film über zwei Drogenabhängige drehte. Er habe dabei Erschütterndes gesehen, sagt der junge Filmemacher. Von Haschisch über Crack bis Kokain sei alles in guter Qualität auf dem Markt zu haben, nur Heroin habe er nicht angetroffen.
«Alles ist scheinheilig und verlogen», sagt die 50-jährige Alicia, die in einer Quartierbuchhandlung von Havanna als Verkäuferin angestellt ist. Früher habe der Staat jedem einen Job und genügend Nahrung garantiert. Jetzt sei ihr Mann arbeitslos, und mit der Rationierungskarte könne man knapp eine Woche statt einen Monat überleben. Auch die Arbeit sei eintönig geworden. Es mache keinen Spass, nur zerfledderte gebrauchte Bände immer gleicher Autoren zu verkaufen. Neuausgaben sieht Alicia, die Bibliothekswissenschaften studiert hat, nur selten; die kubanischen Staatsverlage hätten kein Papier zum Drucken, ausländische Bücher würden wie Juwelen von Hand zu Hand gereicht.
Korrumpierte Gesellschaft
Die im sozialistischen Credo nicht vorgesehene Zweiklassengesellschaft, bestehend aus Dollar- Besitzern und Peso-Habenichtsen, ist nach Meinung von Wirtschaftsexperten irreversibel. Da Pesos zum Überleben nicht ausreichen, bleibt der Bevölkerung - vielleicht mit Ausnahme der auf eigene Rechnung produzierenden Landwirte - nichts anderes übrig, als auf Dollars Jagd zu machen. Kein Wunder, dass man sich wie immer möglich arrangiert, dass Korruption, Günstlingswirtschaft und Schwarzmarkt blühen wie noch nie. Feste Anstellungen in Betrieben, die Zugang zu Fremdwährungen haben, sind besonders begehrt. Um einen Platz in einer unteren Charge eines Restaurants oder eines Hotels zu bekommen, muss der zuständige Personalchef mit mindestens 200 Dollar bestochen werden. Naiven Touristen falsche Zigarren anzudrehen, ist ein beliebter Nebenverdienst mancher Kubaner. Den gefälschten «Habanos» werden echte Etiketten verpasst, die man sich durch Kontaktleute in den renommierten Zigarrenfabriken stehlen lässt.
Vor kurzem flog ein Skandal grösseren Ausmasses um den Besitz von importierten Autos auf. Kubaner haben kaum Chancen, eine offizielle Importlizenz zu erhalten, in Kuba wohnhafte Ausländer aber wohl. Was lag näher, als ausländische Stipendiaten an kubanischen Universitäten als Strohmänner vorzuschicken, um sich angeblich einen Wagen zu beschaffen? Die Gefälligkeit der Studenten wurde in der Regel mit 1000 Dollar abgegolten. Seilschaften mit guten Kontakten in den Ministerien und beim Zoll organisierten den Import und Verkauf der Fahrzeuge. Nachdem der Handel ruchbar geworden war, haben die kubanischen Behörden laut diplomatischen Quellen mehr als 2000 Wagen entschädigungslos konfisziert.
Kapitalismus in Reinkultur
Ganz ins Bild der schleichenden Aushöhlung des sozialistischen Systems passt die erste Kunstauktion seit dem Sieg der Revolution, die vor Weihnachten im exklusiven «Club Habana» faktisch unter Ausschluss der kubanischen Öffentlichkeit stattfand. Denn wer kann schon 160 000 Dollar für den Ankauf eines Bildes des zeitgenössischen kubanischen Malers Tomás Sánchez oder 20 000 Dollar für ein Werk des Ethno-Stars Manuel Mendive auf den Tisch legen? So war das steigernde Publikum vornehmlich amerikanischer und europäischer Provenienz. Rafael Acosta de Arriba, der Präsident des Rats der bildenden Künste Kubas, hatte laut eigener Aussage seine liebe Mühe, zunächst die Parteigrössen von der Nützlichkeit einer Auktion im eigenen Land zu überzeugen, weil damit offiziell anerkannt wurde, dass Kunst nicht nur einen ideellen, sondern vor allem auch einen materiellen Wert als Handelsware hat. Gleichzeitig musste er Widerstände bei Malern, Sammlern und Käufern überwinden, die dem Unternehmen der Regierung zunächst wenig Vertrauen schenkten. Der erste Versuch einer Kunstauktion habe sich gelohnt, sagt Acosta de Arriba. Mehr als die Hälfte der angebotenen Werke seien zu guten Preisen verkauft worden. Insgesamt eine halbe Million Dollar flossen in die Kasse. Ein Grossteil davon wird dem dollargierigen Staat als Gebühren und Steuern verbleiben.
aus Neue Zürcher Zeitung AG
genau das ist doch das interessante an cuba....
leben um zu überleben...
_____http://www.havananet.com______
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Ich war soeben für zwei Monate in Cuba. Leider war ich nicht persönlich eingeladen von FC, zur Eröffnung des neuesten und größten Hotels in Cuba an der Playa Pesquero. Angeblich soll das Hotel den Namen "Hotel Pesquero" erhalten, jedoch stand kein Name daran und die Cubanos bezeichneten das Hotel lediglich als "Pesquero 3" (LTI, Breezes, vorhanden). Die Eröffnung wurde live im Fernsehen übertragen und FC hielt eine Ansprache von etwas mehr als zwei Stunden. Klar, nicht nur über die Eröffnung, mehr über die tolle Infrastruktur(?) in der Region, Möglichkeiten für Touristen und vor allem über die am vorangehenden Wochenende stattgefundene Wahl der CDR-/Regionenvertreter. Übrigens; Die Löcher in der Straße zwischen Holguin und Guardalavaca wurden erst in den letzten zwei Tagen, vor Ankunft von FC, instandgesetzt!
Zum Thema: Meine Cubanos gehen davon aus, wenn FC irgendwann doch einmal den Löffel abgeben sollte, sein Bruder Raul nachfolgt und sich an der allgemeinen Situation nichts ändern wird.
Dies kann ich durchaus nachvollziehen, sind sie doch mit der heutigen Situation nicht "unbedingt unglücklich", obwohl sie durchaus auch über Mißstände herziehen.
Sie wünschen sich eine Veränderung, eine Öffnung, Möglichkeiten ihr Leben selbst zu gestalten, aber bis zum "... o muerte";? Da sind sie zu bequem oder zu unentschlossen.
Vamos a ver que viene!
Dieser Bericht von stendi , ist nun fast 10 Jahre alt und im Grundsatz immer noch aktuell...
Das zeigt überdeutlich die Problematik von Kuba..
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