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Stille Tage im harten Paradies
#1 Stille Tage im harten Paradies
© Aargauer Zeitung / MLZ; 13.02.2008;
Thema
Stille Tage im harten Paradies
Kuba Etwas könnte sich verändern. Jetzt, im Februar. Die Nomenklatura analysiert, die EU sucht Entspannung.
Nochmals mit Fidel, immer und ewig Fidel? In diesen Tagen entscheidet sich die Frage. Kuba dämmert dem 24. Februar entgegen, den Wahlen, erlaubt sich kleine Hoffnung und fürchtet die Agonie. Eine Reportage aus dem Departament Guantánamo, Kubas fernem Osten.
Max dohner, Baracoa
Die Stadt Guantánamo lohnt den Besuch nicht, in deren Nähe der mächtige Feind aus dem Norden seine Basis hat, die Amerikaner. Ganz anders das Departament Guantánamo: Die Reise von Havanna aus in den äussers- ten Osten Kubas, rund 1200 Kilometer lang, ist beschwerlich. Aber sie führt in einen spektakulär schönen Landeswinkel › und in eine andere Zeit.
Berge wie sattgrüne Hüte und mächtige Landschaftstafeln mit kleinen Seen in der Senke bieten immer wieder Abwechslung. In den Palmenwäldern schwirren eine Unzahl exotischer Vögel und Schmetterlinge. Flüsse in warmen Zuckerinsel-Fjorden führen quellreines Wasser voller Fische. Die Strasse quert Naturhöhlen aus porösem Gestein, vorbei an menschenleeren Küsten mit schwarzem Sand. Staubpfade führen zu Buchten, in denen sich das Leben seit Jahrzehnten um kein Jota verändert hat. Die Bewohner der paar Hütten nähern sich zögerlich, langsam, frische Garnelen oder Langusten in der Hand. Langsamkeit bestimmt den Rhythmus aller Tage, beruht aber auch auf Vorsicht: Meeresfrüchte zu verkaufen gegen ein paar Dollars, ist verboten, die Strafe drastisch. Ohne ein paar Dollars monatlich aber kann eigentlich keiner mehr leben.
Man trifft auf Bauerntableaus wie vor hundert Jahren. Ochsen ziehen Holzräderkarren voller Kochbananen. Wäsche trocknet auf Kakteen-Palisaden. Schweine grunzen neben Gänsefamilien. Die Sauschnauzen sind verdrahtet, damit es den Viechern wehtut, wenn sie Erdreich umgraben. Alle Ufer sind natürlich. Albert Anker, wäre er ein Guantanamero, fände hier noch immer Dutzende von Motiven. Auf einem Holzsteg am Teich fischt und sinnt der Abuelo, der Grossvater, 80-jährig, halbnackt, mit immer noch fes- tem Fleisch und Blick und hartem Händedruck. Er kennt Europa. Vor Jahren hat er seinen Sohn in Leipzig besucht, in der ehemaligen DDR. Der Sohn ist geblieben, wie viele Kubaner, die einmal die Chance bekommen, ausser Landes zu gehen.
Jubel für Windelschwenker
Frauen und Männer, drei Generationen, sitzen um einen Tisch unter dem Vordach, auf gestampfter Erde. Alle haben irgendwie zu tun, aber sie lassen sich Zeit. Alles, was man tut, erledigt sich wie von allein, dank pausenlosem Schwatzen und Tratschen. Im Haus läuft ununterbrochen der Fernseher oder das Radio. Beliebt ist Reggaeton, möglichst mit vulgär zweideutigen Texten. Die aber werden geächtet vom Staatsradio. Dafür gehen die gebrannten Scheiben unter der Hand weg wie warme Weggli. Reggaeton bleibt dicht am Alltag und schildert das Leben, seine Frustrationen und die paar verbliebenen Freuden so krude, wie es Kubaner lieben. Dem Kleinsten, der noch Windeln trägt, wird von sieben Frauen allen möglichen Alters das Tanzen beigebracht. Jeder Knick, jeder Windelschwenker löst einen kollektiven Triumph aus, eine Kaskade von Gelächter und Jubel. Kein Wunder, ist später das Selbstbewusstsein des kleinen Macho-Scheissers durch nichts mehr zu erschüttern.
Die Kunde des exotischen Besuchers im Palmenwald hat längst die Runde gemacht. Dieses Nachrichtensystem wird nie einer Zensur oder einer technischen Störung erliegen. Scheinbar beiläufig tauchen ständig neue Leute auf, Bekannte, noch mehr Verwandte, Nachbarn. Alle erzählen das Neuste aus dieser oder jener Strasse. Jeder Schritt, den hier einer macht, wird zur Laufgeschichte. Im trockenen Bachbett ringen Teenager. Der Gang der jungen Frauen appelliert an alle Sinne › Spazierballett. Männer machen flüsternd Tauschgeschäfte: Kubas «magische Ökonomie» › ziemlich aller Privathandel ist illegal, aber irgendwie kann man auch ziemlich alles beschaffen. Ein Bus-Lastwagen holt die allabendlich gleichen Pendler. Doch sie brechen dramatisch winkend auf, als ginge es auf Weltreise. Jeder harte Tag ist ein neuer Kampf, ein neues Abenteuer.
«Vor grossen Entscheidungen»
Das sind Szenen wie aus dem Roman «Hundert Jahre Einsamkeit». Ein Land im Dämmerzustand, Stillstand. Dennoch: Kuba stehe vor grossen Entscheidungen, hatte eben Raúl Castro gesagt (76), Bruder des greisen, immer geisterhafter präsenten Lider máximo, Fidel Castro (81).
Im Januar haben die Kubaner eine neue Nationalversammlung gewählt. Will sagen: auf dem Zettel vorgebene Kandidaten angekreuzt. Alle 614 Kandidaten wurden auf einen Schlag ins Ein-Parteien-Parlament gewählt. Oppositionelle waren nicht zugelassen. In Kuba nennt man das «Voto unido». Ab dem 24. Februar bestimmt nun dieses Parlament aus seiner Mitte die 31 Mitglieder des Staatsrates. Dann dürfte sich entscheiden, ob Fidel noch einmal, wieder einmal eine leitende Rolle übernehmen wird. Er sitzt dem Gremium seit 1976 vor.
Niemand rechnet im Ernst damit, dass der Name Castro nicht abermals zuoberst steht › aber welcher Castro? Und vor allem: Tauchen endlich einmal Namen auf, unmittelbar dahinter, neue Nummern zwei? Etwa der Name des Exekutivsekretärs des Ministerrates, Carlos Lage (56). Oder jener des Aussenmi- nisters, Felipe Pérez Roque (41)?
Schon jetzt dürfte die Nomenklatura hinter den Kulissen die Lage intensiv erörtern, mit Namen schachern. Alles hängt ab vom Gesundheitszustand Fidel Castros. Schon jetzt könnten Entscheidungen fallen, die ab dem 24. Februar sukzessive an die Oberfläche gelangen. Raúl Castro könnte künftig sowohl dem Staats- als auch dem Minis- terrat vorsitzen. Andere Beobachter halten auch eine Ämterteilung für möglich.
Währenddessen hat die EU in Havanna die Bereitschaft des Regimes zur Verständigung sondiert. Die Sanktionen der EU gegen Kuba sind derzeit ausgesetzt, aber nicht aufgehoben. Der deutsche Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament sagte in Havanna zu Carlos Lage, laut einem Bericht des Nachrichtenmagazins «Spiegel»: «Ich will Ihnen mal sagen, wie Ihr Land in Europa gesehen wird: Sie verhängen die Todesstrafe, Sie foltern und sperren politische Gefangene ein. Kuba ist eine Diktatur.» Lage sagte, für die Aufhebung der Sanktionen gebe es keine Gegenleistung. Europa sei ein Büttel der USA. Ob das Experiment zur Verständigung solcherart glückte, wird widersprüchlich beurteilt.
Kokosnuss und Angola-Plakat
Von der Provinzstadt Baracoa im äussersten Osten, der ersten Stadtgründung in Kuba durch Diego Velázquez, führt eine Strasse entlang der Küste zu einem zauberhaften Flecken, zur Mündung des Yumurí. Touristische Extraklasse, ohne dass man Touristengruppen sieht. Kinder unterwegs winken dem Auto mit dem Spezialnummernschild, das es als Touristenfahrzeug kennzeichnet, mit jener zuversichtlichen Freude nach, dass Fremde Gutes bringen, wie bei uns in den 50er-Jahren.
Vor uns liegt ein ausgedehnter Kiesstrand, eine Landzunge mit wenigen Häusern. An bester Lage, dort, wo in Europa Fünfsternkästen stünden, befindet sich die Grundschule. Der Yumurí mäandert weitgehend frei ins Meer. Von einem Felsvorsprung fällt der Blick in eine bukolische Schlucht mit vereinzelten Inseln im Geglitzer. Am Ufer schrubben Frauen Wäsche. Fischer reparieren ihre Netze, auf Bootsrümpfen sitzend. Kollegen landen in Nussschalen am Ufer und hieven über ein halbes Dutzend Haie an Land, die sie, im blutroten Wasser watend, sofort ausweiden. Kinder treten in die Haimägen: «Horror! Da kommt ein Menschenauge raus!»
Ein Fussweg führt steil und rutschig auf den Hügel. Da lebt ein Schulleiter mit seiner Frau, mit Schwiegersohn und dessen Familie, in einer aus Holz, Palmwedeln und Wellblech erbauten Hütte. Steht er in der Tür, überblickt der 53-Jährige die ganze Bucht. Ein Traumsitz, im Kapitalismus eine Millionen-Immobilie. Ein karibischer Obstgarten gehört dazu, mit Beeren, Palmen, Kokosnüssen, deren Milch die Frau serviert. Der Mann, barfuss, mit nacktem Oberkörper, weil das Geld nicht reicht für gute Kleidung, verteilt filterlose Zigaretten und Rum an alle, die auch hier hereinschneien während träge dahinfliessender Stunden. Den ersten Schluck spuckt er auf den Boden: «Für Ochún!», den afrokaribischen Gott. Das Holz im Herd raucht. Zu Ehren des Besuchs schlägt einem Ferkel die letzte Stunde.
An der Wand hängt das zerrissene Plakat einer Ölplattform in Angola. Da hatte der Mann zwei Jahre lang unterrichtet, mit gleichbleibendem Idealismus. Wie üblich bei Kubanern weiss er viel, und das sehr präzise, neugierig genug, noch mehr zu erfahren. Und so vergeht der Nachmittag: Würdig sitzen die Leute im Haus oder draussen unter Bäumen › eine Pastorale. Sie reden vom Haifischen, von den teuren Preisen, vom Reggaeton und Baseball. Und davon, dass ihr Land der Agonie verfalle, wenn sich am 24. Februar wiederum kein Jota verändere.
Ein ganz neuer Ton aus Kuba: Ein Blog, Mut und wachsende Berühmtheit
Das bisschen Dekor in der Wohnung fällt nicht weiter auf: Auf dem Balkon steht ein Fernrohr auf einem Stativ. Im Wohnzimmer, am Boden, liegt der gebleichte Schädel eines Pferds. Wir sind zu Gast bei unabhängigen Intellektuellen. In Kuba sind solche Begegnungen selten genug. Wer hat › öffentlich › dafür schon den Mut? Darum kann hier Dekor immer auch mehr sein, von versteckter Bedeutung.
Zum Fernrohr macht Gastgeber Reinaldo Escobar (60) noch Witze. Sozusagen übers Beobachten des Beobachters. In der Nähe befinden sich einige Ministerien und Verwaltungsgebäude des Staats. Wäre doch ein Gaudi, wenn man einen Staatsbeamten am Compi erwischen würde, wie er die illegale Internet-Zeitung «Consenso» liest. «Consenso» ist die Zeitung, die Escobar herausgibt, zusammen mit seiner Frau, Yoani Sanchez (33). . Dass Leute darauf klicken, die sich sonst staatsloyal geben bis ins Mark, steht schon rein statistisch fest. Eine halbe Million Besucher monatlich zählt das Publizis- tenpaar mittlerweile auf ihrer Plattform «desdecuba.com». Privater Internetanschluss aber ist verboten in Kuba, Zugang in internationalen Hotels nur Touristen gestattet. Also hat die Revolution ihre heimlichen Surfer.
Und der Pferdeschädel? Da lächelt Escobar bloss. Die allererste Nummer von «Consenso» zierte eine Grafik, der Pferdeschädel war ihr Motiv. Fidel Castro, oberster Führer der Revolution, hat einen Übernamen aus früherer Kraftmeier-Zeit. Den Namen verdankt er der ihm nachgesagten sexuellen Potenz: el Cavallo, das Pferd. Der Rest verlinkt sich im Schädel jedes gewitzten Betrachters oder Lesers von selbst. Man muss ja nicht direkt sagen, was man sagen will. Man muss es nicht einmal laut sagen.
Genauso arbeiten die beiden seit vier Jahren. Eminent klug. Mit unterschiedlichem Hintergrund, Stil und Temperament. Reinaldo Escobar ist ein Schnelldenker und Schnellredner. Für seine Unabhängigkeit arbeitet der ausgebildete Journalist zwischendurch als Maurer und wartet im Haus den Rumpellift. Typisch Kubaner, zieht er immer wieder mal einen deftigen Vergleich. Er ist der Analytiker, Theoretiker der beiden. Wie er etwa den Trost von Nicht-Kubanern zerzaust, worauf diese so gern wie gönnerhaft verweisen › Kubaner hätten zwar keine Pressefreiheit, aber genug zu essen ›, ist ebenso schneidend wie brillant. Nie humorlos, immer verknüpft mit Selbstreflexion, Selbstironie. «Angesichts der Medienrealität in Europa», sagt er, «fragt man sich ja: Wozu Pressefreiheit, wenn nachher niemand zuhört? Eine frustrierende Erfahrung. Aber wir wollen sie doch erst mal machen. Ich weiss nicht, wie ich die Probleme hier lösen würde. Im offenen Gespräch zeigen sich Lösungen. Da will ich gern mitreden, und wenn ich es nicht tue, wenigstens die Chance haben, mitzureden.»
Yoani Sanchez widmete sich zunächst der Technik. Lieber geht sie mit 5 Kuba-Dollar sechsmal ins Internet, als Adidas-Schuhe zu kaufen, Freiheitssymbol derer, die sonst schweigen. Dann öffnete sie bei «Consenso» einen eigenen Blog, Generacion Y. Darin reagiert sie auf den Alltag, wie sie ihn erlebt, tut eigentlich nichts anderes. Das aber so anschaulich, luzide und elegant, dass viele Texte literarischen Glanz erreichen.
Sechs Monate lagen zwischen unserer ersten und zweiten Begegnung. Dazwischen war ihr Blog förmlich explodiert. Die Agentur Reuters, die spanische Zeitung «El País», das «Wall Street Journal» berichteten über Yoanis Arbeit. Huldigungen kamen sogar aus Phnom Penh. Reinaldo siehts, sagt er, «mit gesundem Neid». Dabei sei das «nur eine Übung in Feigheit», sagt sie, «ich bin keine Jeanne d’Arc des Internets». Stelle sie die Regierung eines Tages vor die Wahl, den Blog zu schliessen oder ins Gefängnis zu wandern, höre sie auf. Die Gefahr ist immer da. Letzte Woche sagte ein 20-jähriger Informatikstudent in Havanna u. a. öffentlich, er wolle mal den Ort besuchen, wo der Che starb, in Bolivien, warum er das nicht dürfe? Einer drehte davon ein Video, das erschien bei CNN, der Student wurde verhaftet. Manchmal habe sie das Gefühl, sagt Yoani, man folge ihr › aber keine Beweise: «Man geht gegen Kritiker raffiniert vor.» Solange ihr nichts passiere, könnten Leute ja auch annehmen, dass sie ein Spitzel von Raúl Castro sei.
Genau diese persönliche, unprätentiöse, auf den ersten Blick auch völlig unpolitisch scheinende Art ist Teil des Erfolgs von Yoanis Generacion Y. Dazu kommt die Tonalität: So klingt keine öde Propaganda-Mühle, weder aus Havanna noch aus Miami. «Ein Blog», sagt Yoani, «braucht keine Finanzierung durch eine Grossmacht.»
Max Dohner
#3 RE: Stille Tage im harten Paradies
#5 RE: Stille Tage im harten Paradies
#7 RE: Stille Tage im harten Paradies
In Antwort auf:
der dollar ist kein offizielles zahlungsmittel mehr!
Ich glaube das steht ausser diskussion. seit 2004 ist das so.
Nun denn auf den Bauernmärkten ist das $ Zeichen wit verbreitet bei der Preisangabe.
Zitat von El Cubanito SuizoIn Antwort auf:
der dollar ist kein offizielles zahlungsmittel mehr!
Ich glaube das steht ausser diskussion. seit 2004 ist das so.
Nun denn auf den Bauernmärkten ist das $ Zeichen wit verbreitet bei der Preisangabe.
lass uns die sache nicht verkomplizieren! wenn ein zeitungsmensch aktuell einen bericht über kuba schreibt, dann wäre es wichtig auch die devisenwährung richtig zu benennen.
es stehen noch viele dollar zeichen in kuba! selbst auf dem ticket von viazul steht das so!
#9 RE: Stille Tage im harten Paradies
Cubaner sagen heute noch zu CUC Preisen "dolares" (Papi dame un dolar)
ist halt umgangssprachlich so,
genau wie auch in Deutschland z.B. auf einer Handwerksmesse in München
noch manch bestandener Händler lange Zeit nach Euro noch von "Mark" sprach !
Da manifestierte sich aber oft die Abneigung gegen die Euronen
Zitat von ElHombreBlancoZitat von Tiendacubana
eigentlich sagen sie peso! auch für fula!
Ich höre in Kuba alles: Dollar, Peso, Ful(it)a, ... je nach Lust und Laune
Verwirrend ist auch das Dollarzeichen bei Pesopreisen.
Als ich vor 2 Jahren dort war, gab's auch den Chavito!
Gruss
Lisa
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