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Die mordenden Machos
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Die mordenden Machos
Von Thomas Schmid
In Guatemala werden gezielt und massenhaft Frauen ermordet. Ihre Henker bleiben straflos.
Samalia wurde mit zwölf schüssen getötet. Sie ist eines von vielen weiblichen Opfern in Guatemala-Stadt
Mord an Frauen. Guatemala erschüttert die Welt mit einem Wort, das erst nur Menschenrechtler benutzten, das nun aber auch Politikern täglich über die Lippen geht: feminicidio. Schon hat das Parlament Guatemalas eine »Kommission zur Untersuchung des Feminizids« eingerichtet. Im vergangenen Jahr wurden in dem kleinen mittelamerikanischen Land 582 Frauen ermordet, sagt die Polizei, dieses Jahr schon 380. In den allermeisten Fällen handelt es sich um junge Frauen, oft noch Mädchen, die aus armen Vierteln stammen. Warum Frauen? Darauf gibt es keine klare Antwort, nur Spuren, die viel über die brutale Realität erzählen, in der die Menschen in Guatemala leben.
Ein Bürger des Zwölf-Millionen-Landes kann aus vielen Gründen getötet werden: Weil er das Schutzgeld nicht bezahlt, weil er zufällig Augenzeuge eines Verbrechens wurde. Die Gewalt ist längst endemisch geworden. Seit Jahresbeginn wurden im Durchschnitt täglich 16 Menschen ermordet, die meisten nach bestialischer Folter. Guatemala-Stadt ist Regierungssitz und Hauptstadt der Gewalt. Touristen kommen schon gar nicht mehr auf den Parque Central, den großen Platz vor der Kathedrale im Zentrum, wo indianische Marktfrauen Tücher in leuchtenden Farben feilbieten. Wenn es dunkel wird, bleiben auch die Einheimischen weg. Die ganze Innenstadt gilt als »rote Zone«. Hier treiben die Maras, die berüchtigten Jugendbanden, ihr Unwesen, die nach der Maxime »plata o plomo« handeln – »Geld oder Blei«.
Gewalt ist die größte Sorge aller Bürger. Die Morde sind auch das alles beherrschende Thema im Wahlkampf von Guatemala, das kommenden Sonntag neue Gemeinderäte, ein neues Parlament und einen neuen Präsidenten bestimmt. Bereits 43 Politiker sind in den vergangenen sechs Monaten erschossen worden. Es ist die blutigste Wahlkampagne der letzten zwanzig Jahre.
Wer kann die Gewalt eindämmen? Wer kann den konservativen Staatschef Óscar Berger beerben? Nur zwei Kandidaten haben diesen Sonntag eine Chance, die Stichwahl am 4. November zu erreichen. Ein Favorit ist Álvaro Colom von der Nationalen Einheit der Hoffnung, einer Mitte-links-Partei. Für einen Teil seiner Stimmen wird er seinem Onkel zu danken haben. Der war populärer Bürgermeister der Hauptstadt, bis ihn ein Todesschwadron 1979 ermordete. Coloms Gegner heißt Otto Pérez Molina und kandidiert für die rechte Patriotische Partei. Zu Beginn der achtziger Jahre, es war die schlimmste Zeit des 36-jährigen Bürgerkriegs, diente Pérez Molina als Leutnant im Hochland von Quiché, just da, wo die Militärs die meisten verbrecherischen Massaker an der Zivilbevölkerung verübten. Wer sich daran noch lebhaft erinnert, hasst ihn, doch in der Hauptstadt dürfte er die Oberhand gewinnen. Pérez Molinas verspricht landauf, landab »mano dura«, eine »harte Hand« gegenüber den Verbrechern, denen von heute natürlich.
Ob am Ende Colom oder Pérez Molina siegt – für Norma Cruz ist das einerlei. Die Leiterin der Stiftung Sobrevivientes (»Überlebende«), die sich um gewaltgeschädigte Frauen kümmert, erwartet nach der Wahl noch mehr Gewalt. Und noch mehr Morde an Frauen. »Der Staat hat an einer Lösung kein Interesse«, glaubt sie, »und deshalb werden gerade zwei Prozent der Mordfälle aufgeklärt.« Warum ist die Rate so gering, warum gehen gerade die Frauenmörder straflos aus?
Norma Cruz’ Büro ist eine Art Museum der Gewalt. Über ihrem Schreibtisch hängt das Foto einer Frau in indianischer Tracht mit silberner Krone: Sandra Culajay, die 19-jährige Schönheitskönigin der Stadt San Juan Sacatepéquez. Sie wurde von einem Arbeitskollegen, der in sie verliebt war, vergewaltigt und brutal ermordet. Daneben das Foto von Bernarda López, Mutter von vier Kindern. Sie wurde von einer Jugendbande umgebracht, obwohl sie unter Polizeischutz stand. Sie starb, nachdem sie als Zeugin im Prozess gegen die Mörder ihrer Schwester ausgesagt hatte. Diese wiederum hatte vor Gericht die Mörder eines gelähmten Jungen namentlich genannt.
Hier lassen die Mörder Motive erkennen. Sandra fiel dem Besitzanspruch eines Machos zum Opfer, der wusste, dass Sexualverbrecher kaum strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Bernardas Henker wollten eine Botschaft aussenden: Wer auspackt, der stirbt. Aber was ist mit all den Morden an Frauen, die irgendwo als verstümmelte Leichen gefunden werden? Nora Cruz kann angesichts fehlender Ermittlungen nur spekulieren. Vielleicht werden Töchter oder Frauen von Mitgliedern rivalisierender Drogenringe umgebracht? Vielleicht ermorden die Täter systematisch Frauen aus den unteren Schichten der Gesellschaft? Schon gibt es neben dem Feminizid einen weiteren Begriff für diese Art der Hinrichtungen: die »soziale Säuberung«.
Iduvina Hernández will dieses Wort nicht benutzen. Die Leiterin des Instituts Sicherheit in der Demokratie spricht lieber von »außergerichtlichen Hinrichtungen stigmatisierter Personen«. Um zu verstehen, was sie meint, erzählt Iduvina Hernández die Geschichte der Maras, der berüchtigten Jugendbanden. An sie zahlt jeder Busfahrer täglich seine 50 Quetzales (5 Euro), weil schon über 80 Chauffeure erschossen wurden. Die ersten Maras tauchten in Guatemala Mitte der achtziger Jahre auf. Zur Plage wurden sie, als die USA in den neunziger Jahren Tausende von Mittelamerikanern in ihre Heimatländer zurückschickten. Die beiden größten Banden, die Mara 18 und die Mara 13, sind in der 18. und der 13. Straße von Los Angeles entstanden. In Mittelamerika sollen sie heute zwischen 70000 und 100000 Mitglieder haben. Ihre Mitglieder, die Mareros, verunsichern ganze Städte und Landstriche, sagt Iduvina Hérnandez. »Da die Polizei nichts unternimmt, sondern im Gegenteil ihrerseits den Mareros einen Teil der erbeuteten Schutzgelder abpresst, üben die Menschen vielerorts Selbstjustiz.« Die terrorisierten Bürger bezahlen Killer, um sich das Problem vom Hals zu schaffen. Die nennen sich manchmal auch »Polizisten«.
In Guatemala gibt es knapp 20000 staatliche Polizisten und über 100000 Privatpolizisten. Letztere sind oft entlassene Soldaten oder Polizisten, die wegen der geringen Bezahlung den Staatsdienst quittiert haben, aber auch viele Arbeitslose. Sie arbeiten in einer der 83 Sicherheitsfirmen, die in der Regel pensionierten Offizieren gehören. Die privaten Polizisten bieten Personenschutz und sichern die Häuser der Reichen. Ihre Mittel sind brutal. In den Armenvierteln bringen sie Mareros um, aber führen zugleich einen Feldzug gegen Homosexuelle, Prostituierte und Straßenkinder – unter allen Gruppen viele Frauen und Mädchen. Weil viele dahinter ein System vermuten, sprechen sie von »sozialer Säuberung«.
»Mein Sohn wurde stranguliert und mit aufgeschlitzter Kehle auf der Straße nach Antigua gefunden«, berichtet Julio Vásquez, der Autoersatzteile verkauft und seinen wahren Namen nicht in der Zeitung sehen will. Er wohnt in Villa Nueva, einem Vorort außerhalb von Guatemala-Stadt. Kein Polizist, kein Ermittlungsbeamter, niemand sei bei ihm aufgekreuzt, um Fragen zu stellen. Er selbst habe nicht Anzeige erstattet. »Mir bleiben nur noch zwei Söhne«, sagt der 40-Jährige, »die will ich nicht auch noch verlieren.« Dass Polizisten die Täter waren, steht für ihn außer Frage. Die Todesschwadronen der »sozialen Säuberung« haben ihre Methoden: Sie entführen die Opfer, foltern sie und lassen sie weitab von ihrem Wohnort zur Abschreckung liegen.
Einige der privaten Sicherheitsfirmen haben ihre eigenen Geheimdienste. Die nationale Polizei hat ihnen ganze Datenbestände verkauft. »Illegale Strukturen haben sich überall im Staat eingenistet«, sagt Iduvina Hernández. Welche Ausmaße dies angenommen hat, zeigte sich vor einem halben Jahr. Ein Krimi aus Mord, Drogen und hoher Politik: Drei Parlamentsabgeordnete aus El Salvador wurden auf dem Weg zu einem Treffen in Guatemala entführt und ermordet. Ihre Leichen fand man verkohlt im Auto. Drei Tage danach nahmen die Ermittler den Leiter der Abteilung für Organisiertes Verbrechen der nationalen Polizei und drei seiner Mitarbeiter fest. Weitere drei Tage später drang ein bewaffnetes Kommando ins Hochsicherheitsgefängnis ein und schnitt den vier inhaftierten Polizisten die Kehlen durch. Sie sollten über das große Drogengeschäft nichts mehr erzählen können. So der Verdacht. Der Innenminister und der Polizeichef traten zurück.
Drogenhandel, Mord an Frauen, Schutzgelderpressung und »soziale Säuberung« sind in Guatemala eng miteinander verquickt. Der Sauerstoff für die mörderische Krake, die sich der staatlichen Institutionen bemächtigt, ist die Straflosigkeit. Und die hat in Guatemala Tradition. Im 36-jährigen Bürgerkrieg, in dem bis 1996 rund 200000 Menschen starben, hat die Armee Zehntausende von Maya-Indianern umgebracht und Hunderttausende vertrieben. Niemand wurde dafür je zur Rechenschaft gezogen. Ob der künftige Präsident – ob er nun Colom oder Pérez Molina heißt – den Staat von seinen kriminellen Parasiten befreiten kann, glauben weder Norma Cruz noch Iduvina Hernández.
Aber eine erste Hilfe könnte nun von außen kommen. Das Parlament hat einer Internationalen Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) mit UN-Mandat zugestimmt. Ihre Aufgabe wird es sein, kriminelle Strukturen in den Sicherheitsapparaten aufzudecken. Man wird die Kommission gut schützen müssen.
http://www.zeit.de/2007/37/Guatemala?page=all
Von Thomas Schmid
In Guatemala werden gezielt und massenhaft Frauen ermordet. Ihre Henker bleiben straflos.
Samalia wurde mit zwölf schüssen getötet. Sie ist eines von vielen weiblichen Opfern in Guatemala-Stadt
Mord an Frauen. Guatemala erschüttert die Welt mit einem Wort, das erst nur Menschenrechtler benutzten, das nun aber auch Politikern täglich über die Lippen geht: feminicidio. Schon hat das Parlament Guatemalas eine »Kommission zur Untersuchung des Feminizids« eingerichtet. Im vergangenen Jahr wurden in dem kleinen mittelamerikanischen Land 582 Frauen ermordet, sagt die Polizei, dieses Jahr schon 380. In den allermeisten Fällen handelt es sich um junge Frauen, oft noch Mädchen, die aus armen Vierteln stammen. Warum Frauen? Darauf gibt es keine klare Antwort, nur Spuren, die viel über die brutale Realität erzählen, in der die Menschen in Guatemala leben.
Ein Bürger des Zwölf-Millionen-Landes kann aus vielen Gründen getötet werden: Weil er das Schutzgeld nicht bezahlt, weil er zufällig Augenzeuge eines Verbrechens wurde. Die Gewalt ist längst endemisch geworden. Seit Jahresbeginn wurden im Durchschnitt täglich 16 Menschen ermordet, die meisten nach bestialischer Folter. Guatemala-Stadt ist Regierungssitz und Hauptstadt der Gewalt. Touristen kommen schon gar nicht mehr auf den Parque Central, den großen Platz vor der Kathedrale im Zentrum, wo indianische Marktfrauen Tücher in leuchtenden Farben feilbieten. Wenn es dunkel wird, bleiben auch die Einheimischen weg. Die ganze Innenstadt gilt als »rote Zone«. Hier treiben die Maras, die berüchtigten Jugendbanden, ihr Unwesen, die nach der Maxime »plata o plomo« handeln – »Geld oder Blei«.
Gewalt ist die größte Sorge aller Bürger. Die Morde sind auch das alles beherrschende Thema im Wahlkampf von Guatemala, das kommenden Sonntag neue Gemeinderäte, ein neues Parlament und einen neuen Präsidenten bestimmt. Bereits 43 Politiker sind in den vergangenen sechs Monaten erschossen worden. Es ist die blutigste Wahlkampagne der letzten zwanzig Jahre.
Wer kann die Gewalt eindämmen? Wer kann den konservativen Staatschef Óscar Berger beerben? Nur zwei Kandidaten haben diesen Sonntag eine Chance, die Stichwahl am 4. November zu erreichen. Ein Favorit ist Álvaro Colom von der Nationalen Einheit der Hoffnung, einer Mitte-links-Partei. Für einen Teil seiner Stimmen wird er seinem Onkel zu danken haben. Der war populärer Bürgermeister der Hauptstadt, bis ihn ein Todesschwadron 1979 ermordete. Coloms Gegner heißt Otto Pérez Molina und kandidiert für die rechte Patriotische Partei. Zu Beginn der achtziger Jahre, es war die schlimmste Zeit des 36-jährigen Bürgerkriegs, diente Pérez Molina als Leutnant im Hochland von Quiché, just da, wo die Militärs die meisten verbrecherischen Massaker an der Zivilbevölkerung verübten. Wer sich daran noch lebhaft erinnert, hasst ihn, doch in der Hauptstadt dürfte er die Oberhand gewinnen. Pérez Molinas verspricht landauf, landab »mano dura«, eine »harte Hand« gegenüber den Verbrechern, denen von heute natürlich.
Ob am Ende Colom oder Pérez Molina siegt – für Norma Cruz ist das einerlei. Die Leiterin der Stiftung Sobrevivientes (»Überlebende«), die sich um gewaltgeschädigte Frauen kümmert, erwartet nach der Wahl noch mehr Gewalt. Und noch mehr Morde an Frauen. »Der Staat hat an einer Lösung kein Interesse«, glaubt sie, »und deshalb werden gerade zwei Prozent der Mordfälle aufgeklärt.« Warum ist die Rate so gering, warum gehen gerade die Frauenmörder straflos aus?
Norma Cruz’ Büro ist eine Art Museum der Gewalt. Über ihrem Schreibtisch hängt das Foto einer Frau in indianischer Tracht mit silberner Krone: Sandra Culajay, die 19-jährige Schönheitskönigin der Stadt San Juan Sacatepéquez. Sie wurde von einem Arbeitskollegen, der in sie verliebt war, vergewaltigt und brutal ermordet. Daneben das Foto von Bernarda López, Mutter von vier Kindern. Sie wurde von einer Jugendbande umgebracht, obwohl sie unter Polizeischutz stand. Sie starb, nachdem sie als Zeugin im Prozess gegen die Mörder ihrer Schwester ausgesagt hatte. Diese wiederum hatte vor Gericht die Mörder eines gelähmten Jungen namentlich genannt.
Hier lassen die Mörder Motive erkennen. Sandra fiel dem Besitzanspruch eines Machos zum Opfer, der wusste, dass Sexualverbrecher kaum strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Bernardas Henker wollten eine Botschaft aussenden: Wer auspackt, der stirbt. Aber was ist mit all den Morden an Frauen, die irgendwo als verstümmelte Leichen gefunden werden? Nora Cruz kann angesichts fehlender Ermittlungen nur spekulieren. Vielleicht werden Töchter oder Frauen von Mitgliedern rivalisierender Drogenringe umgebracht? Vielleicht ermorden die Täter systematisch Frauen aus den unteren Schichten der Gesellschaft? Schon gibt es neben dem Feminizid einen weiteren Begriff für diese Art der Hinrichtungen: die »soziale Säuberung«.
Iduvina Hernández will dieses Wort nicht benutzen. Die Leiterin des Instituts Sicherheit in der Demokratie spricht lieber von »außergerichtlichen Hinrichtungen stigmatisierter Personen«. Um zu verstehen, was sie meint, erzählt Iduvina Hernández die Geschichte der Maras, der berüchtigten Jugendbanden. An sie zahlt jeder Busfahrer täglich seine 50 Quetzales (5 Euro), weil schon über 80 Chauffeure erschossen wurden. Die ersten Maras tauchten in Guatemala Mitte der achtziger Jahre auf. Zur Plage wurden sie, als die USA in den neunziger Jahren Tausende von Mittelamerikanern in ihre Heimatländer zurückschickten. Die beiden größten Banden, die Mara 18 und die Mara 13, sind in der 18. und der 13. Straße von Los Angeles entstanden. In Mittelamerika sollen sie heute zwischen 70000 und 100000 Mitglieder haben. Ihre Mitglieder, die Mareros, verunsichern ganze Städte und Landstriche, sagt Iduvina Hérnandez. »Da die Polizei nichts unternimmt, sondern im Gegenteil ihrerseits den Mareros einen Teil der erbeuteten Schutzgelder abpresst, üben die Menschen vielerorts Selbstjustiz.« Die terrorisierten Bürger bezahlen Killer, um sich das Problem vom Hals zu schaffen. Die nennen sich manchmal auch »Polizisten«.
In Guatemala gibt es knapp 20000 staatliche Polizisten und über 100000 Privatpolizisten. Letztere sind oft entlassene Soldaten oder Polizisten, die wegen der geringen Bezahlung den Staatsdienst quittiert haben, aber auch viele Arbeitslose. Sie arbeiten in einer der 83 Sicherheitsfirmen, die in der Regel pensionierten Offizieren gehören. Die privaten Polizisten bieten Personenschutz und sichern die Häuser der Reichen. Ihre Mittel sind brutal. In den Armenvierteln bringen sie Mareros um, aber führen zugleich einen Feldzug gegen Homosexuelle, Prostituierte und Straßenkinder – unter allen Gruppen viele Frauen und Mädchen. Weil viele dahinter ein System vermuten, sprechen sie von »sozialer Säuberung«.
»Mein Sohn wurde stranguliert und mit aufgeschlitzter Kehle auf der Straße nach Antigua gefunden«, berichtet Julio Vásquez, der Autoersatzteile verkauft und seinen wahren Namen nicht in der Zeitung sehen will. Er wohnt in Villa Nueva, einem Vorort außerhalb von Guatemala-Stadt. Kein Polizist, kein Ermittlungsbeamter, niemand sei bei ihm aufgekreuzt, um Fragen zu stellen. Er selbst habe nicht Anzeige erstattet. »Mir bleiben nur noch zwei Söhne«, sagt der 40-Jährige, »die will ich nicht auch noch verlieren.« Dass Polizisten die Täter waren, steht für ihn außer Frage. Die Todesschwadronen der »sozialen Säuberung« haben ihre Methoden: Sie entführen die Opfer, foltern sie und lassen sie weitab von ihrem Wohnort zur Abschreckung liegen.
Einige der privaten Sicherheitsfirmen haben ihre eigenen Geheimdienste. Die nationale Polizei hat ihnen ganze Datenbestände verkauft. »Illegale Strukturen haben sich überall im Staat eingenistet«, sagt Iduvina Hernández. Welche Ausmaße dies angenommen hat, zeigte sich vor einem halben Jahr. Ein Krimi aus Mord, Drogen und hoher Politik: Drei Parlamentsabgeordnete aus El Salvador wurden auf dem Weg zu einem Treffen in Guatemala entführt und ermordet. Ihre Leichen fand man verkohlt im Auto. Drei Tage danach nahmen die Ermittler den Leiter der Abteilung für Organisiertes Verbrechen der nationalen Polizei und drei seiner Mitarbeiter fest. Weitere drei Tage später drang ein bewaffnetes Kommando ins Hochsicherheitsgefängnis ein und schnitt den vier inhaftierten Polizisten die Kehlen durch. Sie sollten über das große Drogengeschäft nichts mehr erzählen können. So der Verdacht. Der Innenminister und der Polizeichef traten zurück.
Drogenhandel, Mord an Frauen, Schutzgelderpressung und »soziale Säuberung« sind in Guatemala eng miteinander verquickt. Der Sauerstoff für die mörderische Krake, die sich der staatlichen Institutionen bemächtigt, ist die Straflosigkeit. Und die hat in Guatemala Tradition. Im 36-jährigen Bürgerkrieg, in dem bis 1996 rund 200000 Menschen starben, hat die Armee Zehntausende von Maya-Indianern umgebracht und Hunderttausende vertrieben. Niemand wurde dafür je zur Rechenschaft gezogen. Ob der künftige Präsident – ob er nun Colom oder Pérez Molina heißt – den Staat von seinen kriminellen Parasiten befreiten kann, glauben weder Norma Cruz noch Iduvina Hernández.
Aber eine erste Hilfe könnte nun von außen kommen. Das Parlament hat einer Internationalen Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) mit UN-Mandat zugestimmt. Ihre Aufgabe wird es sein, kriminelle Strukturen in den Sicherheitsapparaten aufzudecken. Man wird die Kommission gut schützen müssen.
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