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Drohung oder Verheißung
Bericht vom Filmfestival in Havanna ...
http://www.freitag.de/2006/52/06521401.php
Drohung oder Verheißung
SCHöNER, BESSER, VIELFäLTIGER
Geri Krebs
Ein Land in Wartestellung, ein Festival in Bewegung. Beobachtungen vom internationalen Filmfest in Havanna
Noch vor Beginn des Festivals wurde Großes angekündigt: Es würde drei Tage nach einem nationalen Ereignis mit internationaler Ausstrahlung eröffnet, das in diesem Jahr von besonderer Bedeutung sei, hatte Alfredo Guevara bereits vor Monatsfrist die langjährigen ausländischen Festivalgäste in einem Rundschreiben informiert. Dabei ist der 81-jährige ewige Festivalpräsident Guevara ansonsten alles andere als ein Mann von PR oder Anbiederung an ein internationales Massenpublikum, sondern vielmehr ein Visionär, überzeugt von der Mission für jene Einheit Lateinamerikas, die einst Che Guevara (mit dem der Festivalpräsident nicht verwandt ist) sich erträumt hatte.
[...]
In diesem Jahr nun wurde die Eintracht deutsch-cubanischer Kulturpartnerschaft durch die Zurückweisung des Dokumentarfilms Die neue Kunst, Ruinen zu schaffen getrübt. Die beiden Deutschen Florian Borchmayer und Matthias Hentschler entwerfen in diesem klug strukturierten Filmessay ein melancholisch-poetisches Bild der zerbröckelnden cubanischen Metropole. Anhand der Porträts einiger Menschen, die in Ruinen leben, machen sie auch den Grad an Dekadenz und Verfall des politischen Systems deutlich. Der Schriftsteller Antonio José Ponte spielt im Film den Reiseführer, stellt sich als "Ruinologe" vor und entwirft die provokante Theorie, die Ruinen in Havannas Innenstadt hätten ihre gewollte Seite: "Seit fast 50 Jahren hält sich Fidel Castro mit der Geschichte an der Macht, dass eine US-amerikanische Invasion Cubas unmittelbar bevorstehe. Da diese Invasion aber nie stattfand, ist es ihm - der mittlerweile selber eine Ruine ist - recht, wenn wenigstens Teile der Stadt aussehen, als hätten sie einen Krieg erlitten. Das nenne ich: Die neue Kunst, Ruinen zu schaffen." Mit solchen Sätzen hat nicht nur der seit Juli in Spanien lebende Ponte, sondern haben auch die Filmemacher klar jene rote Linie überschritten, die in Cuba jede direkt formulierte Kritik am Revolutionsführer verbietet. Der cubanische Volksmund hat für diesen Sachverhalt mit ätzendem Spott den Satz kreiert: Man darf von der Kette sprechen, nicht aber vom Affen. Der deutsche Botschafter in Cuba, Ulrich Lunscken, der den bereits an mehreren internationalen Festivals (darunter Rio de Janeiro und Los Angeles) preisgekrönten Film schätzt, kritisiert allerdings die beiden Regisseure dafür, dass sie so tun, als hätten sie ernsthaft erwartet, der Film könne in Havanna gezeigt werden. "Ich werde den Verdacht nicht los, dass sie den Wirbel vor allem entfacht haben, um bessere internationale Verkaufschancen zu haben", erklärte er dieser Tage auf Anfrage und fügt hinzu, dass er dies legitim fände. Andererseits aber habe er kein Verständnis dafür, wenn mit diesem Vorgehen auch die jahrelange Aufbauarbeit im Bereich des Kulturaustausches gefährdet werde.
[...]
Was die Kritik an herrschenden Zuständen in Cuba anbelangte, so konnte man dieses Jahr durchaus auch Beispiele dafür finden, dass nicht alles so schwarz und weiß ist, wie es der Wirbel um den "Ruinenfilm" nahelegt. Buscándote Habana (Such´ dir Havanna) hieß etwa ein 20-minütiger Dokumentarfilm der jungen Cubanerin Alina Rodriguez, in welchem sie schonungslos die Lebensverhältnisse von einigen aus den Provinzen nach Havanna eingewanderten Menschen zeigt. Die behelfsmäßigen Blech-, Holz- oder Palmblätterhütten der Protagonisten sind dabei von solcher Armseligkeit, dass daneben einige der Behausungen von Borchmayer/ Hentschlers Ruinenbewohnern fast schon komfortabel wirken - und die Leute nehmen auch hier vor der Kamera kein Blatt vor den Mund.
[...]
"Cubanischer Film war fast ein Genre geworden", ironisierte Pavel Giroud (Jahrgang 1972), der mit seinem Erstling La edad de la peseta mit dem Preis für beste Fotografie ausgezeichnet wurde, diese Tatsache in einem Gespräch. La edad de la peseta erzählt aus der Perspektive eines 10-jährigen Jungen die Veränderungen, die zwischen 1958 und 1961 im Verhältnis zwischen ihm, seiner Mutter und seiner Großmutter stattfinden, in jener Zeit der revolutionären Umwälzungen in Cuba. "Ich werde aus Cuba ein völlig anderes Land machen", verspricht in einer Archivaufnahme von 1957 ein junger Fidel Castro am Anfang des Films, und es klingt fast mehr wie eine Drohung als eine Verheißung. Und die Art, wie der Film im weiteren Verlauf die politischen Veränderungen eben gerade nicht zeigt, sondern die Protagonisten am Ende nur als ihre Opfer erscheinen lässt, ist für cubanische Verhältnisse ein ziemlich kühnes Unterfangen.
http://www.freitag.de/2006/52/06521401.php
Drohung oder Verheißung
SCHöNER, BESSER, VIELFäLTIGER
Geri Krebs
Ein Land in Wartestellung, ein Festival in Bewegung. Beobachtungen vom internationalen Filmfest in Havanna
Noch vor Beginn des Festivals wurde Großes angekündigt: Es würde drei Tage nach einem nationalen Ereignis mit internationaler Ausstrahlung eröffnet, das in diesem Jahr von besonderer Bedeutung sei, hatte Alfredo Guevara bereits vor Monatsfrist die langjährigen ausländischen Festivalgäste in einem Rundschreiben informiert. Dabei ist der 81-jährige ewige Festivalpräsident Guevara ansonsten alles andere als ein Mann von PR oder Anbiederung an ein internationales Massenpublikum, sondern vielmehr ein Visionär, überzeugt von der Mission für jene Einheit Lateinamerikas, die einst Che Guevara (mit dem der Festivalpräsident nicht verwandt ist) sich erträumt hatte.
[...]
In diesem Jahr nun wurde die Eintracht deutsch-cubanischer Kulturpartnerschaft durch die Zurückweisung des Dokumentarfilms Die neue Kunst, Ruinen zu schaffen getrübt. Die beiden Deutschen Florian Borchmayer und Matthias Hentschler entwerfen in diesem klug strukturierten Filmessay ein melancholisch-poetisches Bild der zerbröckelnden cubanischen Metropole. Anhand der Porträts einiger Menschen, die in Ruinen leben, machen sie auch den Grad an Dekadenz und Verfall des politischen Systems deutlich. Der Schriftsteller Antonio José Ponte spielt im Film den Reiseführer, stellt sich als "Ruinologe" vor und entwirft die provokante Theorie, die Ruinen in Havannas Innenstadt hätten ihre gewollte Seite: "Seit fast 50 Jahren hält sich Fidel Castro mit der Geschichte an der Macht, dass eine US-amerikanische Invasion Cubas unmittelbar bevorstehe. Da diese Invasion aber nie stattfand, ist es ihm - der mittlerweile selber eine Ruine ist - recht, wenn wenigstens Teile der Stadt aussehen, als hätten sie einen Krieg erlitten. Das nenne ich: Die neue Kunst, Ruinen zu schaffen." Mit solchen Sätzen hat nicht nur der seit Juli in Spanien lebende Ponte, sondern haben auch die Filmemacher klar jene rote Linie überschritten, die in Cuba jede direkt formulierte Kritik am Revolutionsführer verbietet. Der cubanische Volksmund hat für diesen Sachverhalt mit ätzendem Spott den Satz kreiert: Man darf von der Kette sprechen, nicht aber vom Affen. Der deutsche Botschafter in Cuba, Ulrich Lunscken, der den bereits an mehreren internationalen Festivals (darunter Rio de Janeiro und Los Angeles) preisgekrönten Film schätzt, kritisiert allerdings die beiden Regisseure dafür, dass sie so tun, als hätten sie ernsthaft erwartet, der Film könne in Havanna gezeigt werden. "Ich werde den Verdacht nicht los, dass sie den Wirbel vor allem entfacht haben, um bessere internationale Verkaufschancen zu haben", erklärte er dieser Tage auf Anfrage und fügt hinzu, dass er dies legitim fände. Andererseits aber habe er kein Verständnis dafür, wenn mit diesem Vorgehen auch die jahrelange Aufbauarbeit im Bereich des Kulturaustausches gefährdet werde.
[...]
Was die Kritik an herrschenden Zuständen in Cuba anbelangte, so konnte man dieses Jahr durchaus auch Beispiele dafür finden, dass nicht alles so schwarz und weiß ist, wie es der Wirbel um den "Ruinenfilm" nahelegt. Buscándote Habana (Such´ dir Havanna) hieß etwa ein 20-minütiger Dokumentarfilm der jungen Cubanerin Alina Rodriguez, in welchem sie schonungslos die Lebensverhältnisse von einigen aus den Provinzen nach Havanna eingewanderten Menschen zeigt. Die behelfsmäßigen Blech-, Holz- oder Palmblätterhütten der Protagonisten sind dabei von solcher Armseligkeit, dass daneben einige der Behausungen von Borchmayer/ Hentschlers Ruinenbewohnern fast schon komfortabel wirken - und die Leute nehmen auch hier vor der Kamera kein Blatt vor den Mund.
[...]
"Cubanischer Film war fast ein Genre geworden", ironisierte Pavel Giroud (Jahrgang 1972), der mit seinem Erstling La edad de la peseta mit dem Preis für beste Fotografie ausgezeichnet wurde, diese Tatsache in einem Gespräch. La edad de la peseta erzählt aus der Perspektive eines 10-jährigen Jungen die Veränderungen, die zwischen 1958 und 1961 im Verhältnis zwischen ihm, seiner Mutter und seiner Großmutter stattfinden, in jener Zeit der revolutionären Umwälzungen in Cuba. "Ich werde aus Cuba ein völlig anderes Land machen", verspricht in einer Archivaufnahme von 1957 ein junger Fidel Castro am Anfang des Films, und es klingt fast mehr wie eine Drohung als eine Verheißung. Und die Art, wie der Film im weiteren Verlauf die politischen Veränderungen eben gerade nicht zeigt, sondern die Protagonisten am Ende nur als ihre Opfer erscheinen lässt, ist für cubanische Verhältnisse ein ziemlich kühnes Unterfangen.
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