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KUBA 1 Samstagnacht in Havanna
KUBA 1
Samstagnacht in Havanna
Birgit Walter
Es ist Samstagabend. Wir sind in Havanna, da feiern die Leute die Nacht durch. Draußen tobt das Leben und ich soll um halb zwölf schlafen gehen? Nein", sagte Ludewig, zog sich ein frisches Hemd an und verließ das Hotelzimmer. Seine Frau war verblüfft über diese Entschlossenheit. Schließlich waren sie beide seit 24 Stunden unterwegs, hatten diesen endlosen Flug hinter sich, zu Hause war es jetzt morgens um halb fünf und ihr waren schon beim Abendessen ständig die Augen zugeklappt. Sie zögerte einen Moment, dann suchte sie ihre Pumps aus dem Koffer und folgte Ludewig und seinen Bekannten in eine der angeblich heißesten Diskos Havannas, gleich hier im Hotel.
Es war laut und voll. Aber nicht so voll, dass sie nicht sofort das weiße Hemd ihres Mannes erkannt hätte, um das sich ein kakaobrauner Arm schlang. Dazu gehörte eine hochbeinige schlanke Gestalt mit knackigem Hintern und gebügelten langen Seidenhaaren, nicht halb so alt wie der Umschlungene. Ludewig zahlte gerade zwei Mojito und hatte bereits diesen entrückten Blick.
Den war seiner Frau immer verdächtig. Er überfiel Ludewig regelmäßig, wenn die Rede auf Kuba kam, das er vor zwanzig Jahren einmal bereist hatte. Für einen Ostler war das etwas sehr Besonderes. Kuba galt reisetechnisch als kapitalistisches Ausland, weil die Interflug-Maschinen in Gender, Kanada, zwischenlanden und tanken mussten. In Gender gingen regelmäßig DDR-Passagiere verloren. Es gab im Transitraum eine Tür, an die musste man klopfen, das Wort "Asyl" sprechen und schwupp, war man in Kanada. Vor dem Weiterflug wurde das Flugzeug entladen, damit der Aussteiger sein Gepäck mitnehmen konnte. Ludewig hatte Frau und Kind als Pfand zurücklassen müssen. Danach weckte Kuba in ihm ein ewiges Fernweh. Von da an wollte er nicht mehr in den Westen ausreisen, den er eh nur aus dem Fernsehen kannte, nein, in dösiger Verkennung der Insel-Subventionslage wollte er am liebsten ein entspanntes Leben in Kuba mit Sonne und Mojito führen.
Seiner Frau ging das Geschwärme von der großen Lebenslust dort schwer auf die Nerven. Nach dem Ende der DDR hatte sie sich mit Ludewig die halbe Welt angesehen. Er aber erzählte, wenn sie es nicht hören konnte, die Reise nach Kuba sei seine allerschönste gewesen. Sie wollte nie dort hin. Sollte er sich doch einkitschen in seinen Erinnerungen, sie würde bei der Wiederbelebung nicht behilflich sein. Und ihren Bedarf an sterbenden Städten und Gesellschaften hatte sie in der DDR bereits auf Lebzeiten decken können. Seit jeher reagierte sie gereizt auf das Angehimmele von Gebäuden mit "morbidem Charme". Diese euphemistische Floskel hieß schließlich nichts anderes als Verfall, Vernachlässigung, Verweigerung des Bauerhalts - bis zur Abrissreife. So etwas musste sie nicht noch auf fernen Inseln anstaunen.
Dieser Tage kam sie aber doch nach Havanna, und war sofort wie benebelt: Von der grandiosen früheren Pracht, die sie in dieser Wucht doch nicht erwartet hatte, von dem herrlichen Wetter, während sich zu Hause der Frühling verweigerte, und von der Umstandslosigkeit, mit dem sich ihr Mann in die Arme einer Fremden begeben hatte. In seiner Geschäftigkeit nahm er seine Ehefrau in der Disko gar nicht wahr. Sie beobachtete kühl das hemmungslose Gebalze auf der Tanzfläche und an der Bar. Die High Heels dieser ansehnlichen und aufreizenden Mädchen kosteten mehr, als ein Arzt hier in drei Monaten verdiente. Und damit waren erst die Füße bedeckt. Es mochte sich nicht um Professionelle handeln, sondern um Studentinnen, Frieseusen oder Lehrerinnen, die sich nur gelegentlich einen Freier genehmigten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Aber Prostitution, deren Abschaffung zu den Errungenschaften der Revolution gehörte, war es ja wohl trotzdem. Sie gehorchte nicht nur der Lust, sondern auch der Not.
Wie praktisch, dachte Ludewigs Frau, dass trotzdem noch Castros strenge Gesetze galten: In keinem der gut bewachten Touristenhotels würden die Mädchen mit auf die Zimmer gelangen. Dafür drohten den Hotelangestellten angeblich schwere Strafen. Und Ludewig, der alte Reinlichkeitspedant, würde sich niemals in eine Wohnung begeben, deren hygienische Unbedenklichkeit er nicht zuvor hatte prüfen können. Er hat keine Chance, dachte Ludewigs Frau. Und er ist müde. Dann ging sie zurück ins Zimmer und schlief sofort ein.
Kuba 2 folgt morgen
Quelle: http://www.berlinonline.de/berliner-zeit...ton/541796.html
KUBA 2
Das Motorrad parkt im Wohnzimmer
Birgit Walter
Vom Dachgeschoss des Hotels sah man den Malecon und Havanna im schmeichelnden Morgenlicht. "Ist das nicht ein grandioser Ausblick? Stundenlang könnte ich hier gucken", schwärmte Ludewig. "Es wird Dir auch nichts weiter übrig bleiben, es sei denn, du beendest das Frühstück ohne Kaffee. Das wäre dann mal etwas wirklich Neues", erwiderte seine Frau. Ludewig wiederholte bei der Kellnerin seinen Kaffee-Wunsch mit Honiglächeln. "Das ist kubanische Gelassenheit", erläuterte er seiner Frau. Tatsächlich kam nach einer Weile eine gemütliche Bedienung, goss Kaffee ein und trällerte dabei den Schlager aus dem Radio mit. Dann schlenderte sie zum Büfett, stellte auf großen Tellern zusammen, was das Personal in der Küche zu frühstücken gedachte und wurde nicht mehr gesehen. "So werden sie es den Feinden des Sozialismus schon zeigen, was?", sagte Ludewigs Frau. Er ließ sich nicht irritieren: "Das sind stolze Menschen hier, kommunistisch erzogen - Du erinnerst Dich? Das Dienen liegt nicht so in ihrer Natur. Aber hör doch, sie singen bei der Arbeit!" Ob die Angebetete mit den gebügelten Haaren vom Vorabend auch bei der Arbeit gesungen habe, wollte seine Frau nun wissen. Oh. Ludewig räumte ein, sie habe recht zügig das Interesse an ihm verloren, als er sie nicht in ihre Wohnung begleiten wollte.
Eine kubanische Wohnung erschien ihm also als ein zu großes Abenteuer. Dabei ist die ganze Insel ein Abenteuer. Als sich Ludewig und seine Frau satt gesehen hatten an den himmlischen Plätzen dieser unfassbaren Stadt ohne Coca-Cola-Reklame und Handy-Geklingel, als sie sich von dem weißen Märchenstrand nahe Havanna wieder hatten losreißen können, erkundeten sie Straßen jenseits der Touristenpfade. Dort waren etliche Häuser bereits erschöpft in sich zusammen gesunken, in den anderen musste man oft um die Unversehrtheit der Bewohner fürchten. Räume in herrschaftlichen Wohnungen waren nach der Revolution geteilt worden - in der Breite und in der Höhe; viele Zwischendecken sind noch in Betrieb. Die Läden, in denen für kubanische Peso eingekauft wird, ähnelten dunklen Verschlägen. Brot war gerade nie vorrätig, nur die Schlangen vor den Läden lieferten Hinweise auf kommende Ware.
Mal schauen, wie es woanders aussieht. Ludewig hatte den Mietwagen zu Hause gebucht, um die kubanische Bürokratie zu überlisten. Keine Chance. Die Formalitäten waren aufwändig, als sollte das Auto verkauft werden. Der Skoda hatte 17 Schrammen und drei Beulen, die auf einer Abbildung akribisch markiert waren, dazu kamen schweißtreibende Versicherungen, Kautionen und Warnungen für den Fall eines Unfalls. Ludewig erwog, den Wagen lieber nicht zu bewegen - auch das nicht ohne Risiko. In Kuba kann man Autos nicht einfach irgendwo abstellen. In der Industriestadt Cienfuegos etwa leerten sich die vollen Straßen abends bis zur vollständigen Menschen- und Autofreiheit. Auf der Suche nach einem sicheren Parkplatz entdeckte Ludewig Wohnzimmer, die nachts für ein Auto oder Motorrad leer geräumt wurden. In der kleinen Kolonialstadt Trinidad bot der Nachbar des Vermieters begeistert seinen Dienst an: Er würde sich ans Fenster setzen und das Auto davor keine Minute aus den Augen lassen. Er wollte zwei Dollar die Nacht.
Wer Taxi fährt oder Zimmer vermietet - 25 konvertierbare Dollar für das Doppelzimmer mit Bad - gilt in Kuba als reich. 25 Dollar verdient ein Arzt im Monat, so viel verlangen bessere Restaurants für ein Menü. Die kubanische Gesellschaft ist zerfallen in zwei Sorten Menschen: Die einen haben Zugang zu Touristen oder sonstwie zu harter Währung, die anderen nicht. Ludewig und seine Frau übernachteten bei Emilio, der in seiner komfortablen alten Wohnung in Cienfuegos mit 13 Meter langem Eck-Balkon eine Putzfrau beschäftigte. Sie lernten einen Kofferträger im Hotel kennen, der sich seinen Beruf als Lehrer nicht mehr leisten konnte, seit er Familie hat. Sie aßen bei einem Ingenieur in Cardenas, der statt einer Baufirma ein halblegales Wohnzimmer-Restaurant betrieb und das Hummer-Menü für 10 Dollar anbot. Jeder originelle Bettler in Havanna verdiente das Zehnfache eines Professors.
Ach, das Kuba in Ludewigs Erinnerung von 1987 sah anders aus. So wie Trinidad, wo sich bis heute der Platz neben der Kirche jede Nacht mit Musikern und Salsa-Tänzern füllt, wo sich das Leben anfühlte wie ein einziges Fest. Tagsüber blieb dann nur die Sympathie übrig für den gut gemeinten Versuch, für den Trotz gegen das Weltkapital.
Quelle: http://www.berlinonline.de/berliner-zeit...ton/542059.html
#3 RE: KUBA 1 Samstagnacht in Havanna
In Antwort auf:
Ob die Angebetete mit den gebügelten Haaren vom Vorabend auch bei der Arbeit gesungen habe, wollte seine Frau nun wissen. Oh. Ludewig räumte ein, sie habe recht zügig das Interesse an ihm verloren, als er sie nicht in ihre Wohnung begleiten wollte.
e-l-a
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