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Gefahr durch Salsa
Alltag in Kuba
Gefahr durch Salsa
Heiße kubanische Rhythmen haben
tückische Nebenwirkungen – zumindest für Ausländer.
Boris Reitschuster, Havanna
Dass heiße karibische Klänge nicht ungefährlich sind, wusste ich. Doch ich hatte mir die Gefahr ganz anders vorgestellt. Und wie sollte ich auch ahnen, dass die Folgen weit über weiche Knie hinausgehen – und einem noch nach Wochen den Atem rauben. Dabei hatte alles ganz harmlos und vor allem sehr leise angefangen.
Internet im Schneckentempo
Vielleicht war ich zu schlaftrunken, oder meine Finger waren zu taub nach zehn Stunden Legebatterie-Haltung im Flugzeug: Jedenfalls stellte ich meine Uhr falsch um. Statt die gewonnene Zeit vor dem stürmischen Leben in Havanna sinnvoll in Schlaf zu investieren, schlug ich die Warte-Stunden auf den Überlandbus in Varadero regelrecht tot: Im Internet, das auf Kuba in Zeitlupe arbeitet. Ein Brief ist wohl schneller aufs nächste Postamt gebracht, als vom Hotel-PC als E-Mail abgeschickt (wenn es im Postamt nicht die gleichen Wartezeiten gibt wie im Internet).
Dollars als Argumente
Als ich mich auf den Weg zu meinem Diesel-Ungetüm machte, zeigte die Dame an der Rezeption, bei der man sich weniger fühlte wie ein Kunde mit Bargeld im Hotel denn als Schüler ohne Hausaufgabe an der Tafel, triumphierend auf die Wanduhr: „Sie haben die Zeit falsch umgestellt, Ihr Bus fuhr vor einer Stunde.“ Letzter Hoffnungsschimmer in meiner Verzweiflung waren die Taxifahrer, die vor dem Hotel so taten, als ob sie auf Kunden warteten. Havanna war weit, und der Feierabend nahe, und so bedurfte es einiger Diskussion und Argumente in Form von Dollars, genauer gesagt konvertierbaren Pesos, bis sich die Wagentüre eines gewaltigen Landcruisers für mich öffnete.
Musikalisches Feuer aus dem Radio
Ob es mich störe, wenn er das Radio anmacht, fragte mich die etwas Patina-behaftete Version von Freddy Mercury in braveren Zeiten, die sich da ans Lenkrad geklammert hatte. Ganz im Gegenteil, wollte ich nach meinem Kopfnicken noch sagen, doch die Worte wurden schon übertönt durch die ersten Salsa-Rhythmen. Er hat mit Freddy Mercury nicht nur den Schnurrbart und das Hochstrecken der Arme gemein (bei ihm allerdings zur Begrüßung entgegenkommender Taxifahrer): Er hat auch das musikalische Feuer, dachte ich mir, als er die Rhythmen aus dem Radio mitsang und mitpfiff.
Lenkrad als Musikinstrument
Dabei hatte ich wohl nicht bemerkt, dass zu diesem Zeitpunkt schon einem Erdbeben gleich eine musikalische Flutwelle im Anmarsch war: Zuerst schwangen die Beine im Takt mit, dann schaukelte das Gesäß rhythmisch nach rechts und links, vorne und hinten; auch Bauch und Brüste ließen sich eine Taktlänge später von den Klängen übermannen, und ehe ich mich versah, rollte die Welle weiter Richtung Hände: Das Lenkrad war mit einem Mal Musikinstrument. Genauer gesagt zwei: Rassel (Hand hoch, Hand runter, rechts, links) und Trommel (Fingerschläge in einem Rhythmus, schneller als ich zählen kann).
„Schicke einen Kurzschluss!“
Es war mein erster Tag in Kuba, das muss ich zu meiner Entschuldigung vorwegschicken. Wenn er nicht zu sehr in Bewegung gewesen wäre, um zu mir herüberzusehen, wäre mein Salsa-King bei meinem Anblick sicher genauso bleich geworden wie ich es wohl schon war. Ich vergewisserte mich ängstlich, dass mein Gurt sitzt, und blickte besorgt auf die Straße: „Gott bewahre uns oder schicke dem Radio einen Kurzschluss!“ Doch obwohl am Steuerknüppel alles in Bewegung war, hielt dieses Ein-Mann-Tanzorchester auf dem Fahrersitz trotz des Salsa-Feuerwerks hartnäckig und ruhig die Spur.
Tanzwunder auf Rädern
Fassungslos und wohl mit offenem Mund bestaunte ich dieses Taktwunder auf Rädern. Irgendwo auf halber Strecke zwischen Varadero und Havanna, zwischen der azurblauen Karibik und den fahlgrünen Hügel des Hinterlandes, kam ich an auf Kuba – und verstand: Erst mit der Musik war dieser ungleiche Gespann aus japanischer Technik und kubanischem Temperament im Gleichklang – und richtig fahrtauglich. Gefahr hätte mir auf dem Beifahrersitz wohl nur ohne Musik gedroht. Als die ersten Plattenbauten in den Fenstern Havanna ankündigten, wippten meine Füße und meine Arme schon im Takt.
Panik ohne Musik
Sieben Tage und eine Ewigkeit von Salsas, Rumbas und Tangos später, auf dem Rückweg zum Flughafen, geriet ich fast in Panik, als der Fahrer nicht gleich das Radio anstellte. Zwei Stunden ohne Musik? Er erlöste mich. Zuhause in Moskau spürte ich sofort, dass mir etwas fehlt. Es war wie im Kino bei einem Musikfilm – ohne Ton. Da, endlich, ein Plattenladen, laute Musik, die auf die Straße klang. Doch keiner fing an zu tanzen, alle gingen weiter. Der weiße Schnee auf der Straße holten mich zurück in die eiskalte russische Realität.
Aruba im Schnee
In meiner Not flüchtete ich in die Aruba-Bar, 50 Quadratmeter Kuba am Moskauer Taganka-Platz. Dachte ich. Umsonst. Ich kämpfte fast mit den Tränen, als mir die russische Bar-Dame den Cuba libre brachte, wo ich ihn doch gerade mal vor fünf Minuten bestellt habe. Ich brauchte gar nicht zu nippen – es konnte allenfalls ein fahler Abgeschmack sein, aber kein Longdrink. Denn was sich wirklich hinter diesem Wort verbirgt, habe ich in Havanna erfahren. In der Casa de la Musica. Ein Tempel der Musik mitten im Villenviertel. Oh! Schon wenn ich den Namen schreibe, kommt wieder Bewegung in meinen fast erfrorenen Körper!
Longdrink mit Choreographie
Dabei hatte ich mich die ersten zehn Minuten noch aufgeregt, als keine Spur von meinem Pina Colada auszumachen war; mürrisch starrte ich zur Bar. Dann entdeckte ich die atemberaubenden Kombinationen, die sich ergeben aus der kubanischen Mode (Miniröcke überall) und dem angeborenen Tanz-Gen (Unfähigkeit, bei Musik ruhig auf seiner Sitzfläche sitzen zu bleiben). Nach zwanzig Minuten schien es mir die natürlichste Sache der Welt, dass der Barmann mehr tanzte als ausschenkte. Die Longdrinks dauerten so lange, weil jeder ein Kunststück der Choreographie war. Die Flaschen Rasseln, die Löffel Schlägel, die Bar eine Blechtrommel.
Daneben schwang die Kellnerin ihre Tabletts. Sie tanzten sich immer näher. Dann nahm er sie in ihre Arme. Die Grenzen zwischen ihnen verwischten; wie schwerelos schwebten sie über das Parkett. Da waren nur noch die beiden, die Leidenschaft, und diese Musik. Und ein Wunsch von mir, ein einziger: Dass sie nicht an meinen Longdrink denken und ohne Ende weitertanzen.
Kawa
(
gelöscht
)
#7 RE:Gefahr durch Salsa
#11 RE:Gefahr durch Salsa
#14 RE:Gefahr durch Salsa
#17 RE:Gefahr durch Salsa
In Antwort auf:Wenn mich jemand früge, wo ich mir den Platz meiner Wiege bequemer, meiner bürgerlichen Gesinnung gemäßer oder meiner poetischen Ansicht entsprechender denke, ich könnte keine liebere Stadt als Frankfurt nennen -
Wenn ich da unter Arbeit bekomme, werde ich ganz dahin gehen.
Johann Wolfgang von Goethe.
Willst du wirklich die Stadt verlassen ?
Kannst dann nicht mehr ins Chango !
war absolut nett zu lesen. Oh wie sehr kann ich das nachvollziehen. Das Zurückkommen nach Deutschland war immer ätzend
Hier in Toronto ist es nicht ganz so schlimm. Im Sommer hört man auch hier die lateinamerikanische Musik überall auf den Strassen. Mal ganz abgesehen von den vielen karibischen Restaurants, Bars und Discotheken.
Aber das beste ist ein nur 2 stündiger Flug nach Kuba
Grüsse an Euch alle
PS: es kommt oft anders als man denkt
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