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Suche nach Alternativen
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2004 im Rückblick: Lateinamerikas Linksruck setzte sich fort. Regionale Integration bestimmte Südamerikas Politik. Kuba und Venezuela mit Alternative zu US-Freihandel
Noch tobte Anfang November der inzwischen übliche Streit um die Wahlergebnisse in den USA, da lag das amtliche Endergebnis aus Uruguay schon vor. Bereits im ersten Wahlgang hatte der Arzt Tabaré Vázquez für das Mitte-Links-Wahlbündnis Frente Amplio (Breite Front) die absolute Mehrheit erreicht. Im Weißen Haus hielt man sich – des eigenen politischen Schicksals noch ungewiß – zurück. Der Sieg für Vázquez sei zugleich ein Sieg für die Demokratie, erklärte US-Außenamtssprecher Adam Ereli unverbindlich. Auch die Nachfrage, ob nach den offensichtlichen Zerwürfnissen mit Venezuela und Brasilien eine »unmittelbare Zunahme der Probleme« durch den Wahlausgang in Montevideo erwartet werde, lockte Ereli nicht aus der Reserve. Man baue auf die »lange Tradition guter Beziehungen«, hieß es knapp. Solche politischen Gemeinplätze konnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß der andauernde Linksruck in Lateinamerika die Differenzen mit Washington wachsen läßt.
Und doch müssen bei einem solchen Urteil zunächst Abstriche gemacht werden. Nach wie vor sind die Regierungen von Kuba und Venezuela im Widerstand gegen die politische und ökonomische Bevormundung aus dem Norden so führend wie sie mit dieser Position im regionalen Kontext isoliert sind. Doch gerade auf der handelspolitischen Ebene formiert sich auch in liberal oder konservativ regierten Staaten Lateinamerikas die Kritik an der US-Dominanz. Selbst der Washington-nahe Präsident Kolumbiens, Alvaro Uribe Vélez, kündigte Ende Dezember an, die auf den US-Dollar gestützte Finanzpolitik Bogotas »überprüfen« zu lassen. Der Verfall der US-Währung hatte die kolumbianische Wirtschaft in den Vormonaten massiv geschwächt. Ähnlich schlechte Erfahrungen mit der Kopplung einer Nationalökonomie an die US-Wirtschaft konnte die lateinamerikanische Staatengemeinschaft nach 1994 in Mexiko beobachten. Nach dessen Eintritt in die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) hatte ein Prozeß massiver Monopolisierung eingesetzt. Nach Angaben des mexikanischen »Netzwerkes gegen Freihandel« kontrollierten heute einige tausend Unternehmen ein Drittel der Exportwirtschaft des mittelamerikanischen Staates. Beinahe einziges Ziel der Ausfuhren ist der nördliche Nachbar. Die zeitgleich fortschreitende außenpolitische Neuorientierung der Regierung Fox hat belegt, wie sich eine solche Abhängigkeit auf die politische Sphäre auswirkt.
ALBA gegen ALCA
Das Jahr 2004 war in Lateinamerika daher von der Suche nach Alternativen zum US-dominierten Gesamtamerikanischen Freihandelsabkommen (ALCA) geprägt. Das Schlagwort der »regionalen Integration« war in aller Munde. Als Anfang Dezember zwölf Regierungen des südamerikanischen Kontinents die Gründung einer Südamerikanischen Staatengemeinschaft (CSN) beschlossen, wurden indes nur vage Andeutungen über deren politische Ausrichtung gemacht. Konkreter wurden auch hier Kuba und Venezuela. In Havanna besiegelten die beiden Staatschefs Fidel Castro und Hugo Chávez nur wenige Tage nach der Gründung der Staatenunion ein politisches Projekt: Die Bolivarianische Allianz für Lateinamerika (ALBA) soll eine Alternative zum US-Freihandelsabkommen bieten. im Karl-Marx-Theater von Havanna kündigte Chávez schon ein Ende des ALCA an – verfrüht, wie es scheint. Zwar wächst der Widerstand gegen die US-Dominanz um Venezuela herum, zu einem offenen Konflikt mit der US-Regierung will es bis auf die beiden Rebellenstaaten aber noch niemand ankommen lassen.
So verläuft die »regionale Integration« zunächst weiter in gewohnt wirtschaftsliberalen Bahnen. Die vorsichtigen Ansätze zur Verteidigung nationaler Wirtschaftsinteressen fußen – etwa bei Brasilien und Argentinien – mehr auf der Einsicht nationaler Bourgeoisien, daß die Gefahr einer ungebremsten Machtausdehnung der US-Konzerne auch für die eigenen Privilegien gefahren birgt. Ein politischer Fortschritt bedeutet das natürlich noch nicht. Zu befürworten ist die neue Distanz zu Washington trotzdem, weil erst die wirtschaftliche Unabhängigkeit von den USA die Basis für eine eigenständige politische Entwicklung schafft. Zudem hat die lateinamerikanische Integrationsbewegung erste vorsichtige Erfolge auf politischer Ebene vorzuweisen. So plädierten sowohl Argentinien als auch Brasilien Mitte des Jahres für die Aufnahme Kubas in das südamerikanische Wirtschaftsbündnis Mercosur. Für Chávez »Bolivarianische Revolution« ist es derweil ein Fortschritt, mit den Anrainerstaaten in ein Bündnis eingetreten zu sein. Nun gilt es, dieses Konstrukt politisch schlagkräftig zu machen.
Die Rolle der EU
Ein positives Signal ging von der Abwahl der rechtskonservativen Aznar-Regierung in Spanien im März aus. Aznars Volkspartei gehörte und gehört schließlich von jeher zu den Promoter rechter Kräfte in Lateinamerika. Jedoch hatte sie ihren antikommunistischen Kurs gegen Kuba nur im ersten Quartal ausbauen können. Wichtiger noch: Der politische Trend wurde von der Nachfolgeregierung unter dem PSOE-Mann José Luis Rodríguez Zapatero sogar umgekehrt. Während eines Staatsbesuches von Hugo Chávez in Madrid Ende November scheute sich der neue Außenminister Miguel Ángel Moratinos nicht, die führende Rolle der Aznar-Regierung während des Putschversuches gegen Hugo Chávez im April 2002 öffentlich zu thematisieren. José Maria Aznar, so Moratinos, hätte den spanischen Botschafter in Caracas klare Anweisungen zur Unterstützung der Putschisten gegeben. Damit wurde erstmals bestätigt, daß der Putschversuch von ausländischen Regierungen mitorganisiert wurde. Die Mär eines Volksaufstandes gegen eine autoritäre Regierung, die auch von Konservativen in Deutschland immer wieder verbreitet wird, ist damit endgültig entkräftet worden.
Während Spanien zu rechtsstaatlichen Prinzipien in der Außenpolitik zurückgekehrt ist, steht eine Trendwende in der Außenpolitik der EU gegenüber Lateinamerika noch aus. Parallel zu den Enthüllungen über die Machenschaften der Aznar-Regierung propagiert Madrid eine Normalisierung der bilateralen Beziehungen zur sozialistischen Regierung in Kuba. Anders sieht es in Brüssel aus. Mit einer knappen Mehrheit bestätigte das Europäische Parlament dort Mitte November den noch von Aznar initiierten Blockadekurs gegen Havanna. Daß der Informationsstand der Parlamentarier nicht immer der beste ist, zeigte ein Abschnitt in ihrer Erklärung: Kuba wird darin zur »unverzügliche Freilassung (...) Hunderter von Häftlingen (...) in der Marinebasis von Guantánamo« aufgefordert. Daß diese seit über einem Jahrhundert von den USA besetzt gehalten wird, spielte keine Rolle. Es war nicht das einzige Beispiel eines vorurteilsbelasteten Umgangs mit progressiven Kräften in Lateinamerika. Über die vorsichtige Loslösung Kolumbiens vom US-Dollar war in der deutschsprachigen Presse keine Zeile zu finden. Als die Regierung in Havanna den US-Dollar wenige Wochen zuvor abgeschafft hatte, was das Urteil einhellig: Castro verbiete den Dollar. Publizistische und politische Gegenakzente gegen eine solche Propaganda zu setzen, wird auch auch im kommenden Jahr unabdingbar sein.
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