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Dichter, nicht Verschwörer
Dichter, nicht Verschwörer
Freiheit für den kubanischen Dissidenten Raúl Rivero
Im April 2003 überrollte eine eigentliche Repressionswelle die Kreise der Oppositionellen in Kuba: Im Schnellverfahren wurden 79 Personen zu Haftstrafen verurteilt, deren Gesamtsumme sich auf 1454 Jahre belief. Eines der bekanntesten Opfer war der Schriftsteller und Publizist Raúl Rivero, dem 20 Jahre Haft auferlegt wurden; überraschend ist er nun Ende November mit einigen anderen Leidensgenossen freigelassen worden.
Ein Markenzeichen von Raúl Rivero ist die qualmende, meist filterlose Zigarette. Ob an der Schreibmaschine zu Hause oder im Büro von Cuba Press - der Glimmstengel gehört zu ihm wie das Schreiben von Gedichten und Reportagen. Die haben ihn zunächst in Kuba, dann auch international berühmt gemacht; und schreiben will der 59-Jährige auch weiterhin. «Ich bin Schriftsteller, kein Verschwörer», bekräftigt Rivero, wenige Tage nachdem er aus der Haft entlassen wurde. 20 Monate hat er im Hochsicherheitsgefängnis Canaleta nahe der Provinzstadt Ciego de Avila verbracht. 20 Monate statt der 20 Jahre, zu denen er verurteilt wurde, weil er geschrieben hatte, was er dachte, fühlte und meinte. Für das offizielle Kuba ist Raúl Rivero ein von den USA bezahlter Söldner, «ein Schmierfink im Auftrag des Imperiums», wie die Parteizeitung «Granma» einmal schrieb.
Schreiben aus Berufung
Schmähschriften über den Mann mit dem schütteren silbergrauen Haar und dem skeptischen Blick sind immer wieder in den kubanischen Medien erschienen. Die lassen ihn kalt. Er habe immer darauf geachtet, nur für private Auftraggeber zu arbeiten, nie für die Regierung der USA, sagt er auffallend ruhig und abgeklärt. Dreizehn Jahre ist es her, seit er 1991 den «Brief der zehn» mitverfasste. Politische Reformen und die Freilassung von politischen Gefangenen forderten die zehn kubanischen Intellektuellen damals von der Regierung. Rivero ist der Einzige von ihnen, der immer noch in Kuba lebt. Und seitdem er im September 1995 zusammen mit einem guten Dutzend Kollegen die unabhängige Nachrichtenagentur Cuba Press gründete, wurde er immer wieder der «feindlichen Propaganda» bezichtigt. Beirren liess er sich dadurch genauso wenig wie durch die Hausdurchsuchungen und Verhöre. Lediglich hielt er die Kollegen von Cuba Press immer wieder an, jeden Artikel mindestens dreimal zu überprüfen - zur eigenen Sicherheit, so Tania Quintero. Acht Jahre hat die Journalistin mit Rivero bei Cuba Press gearbeitet - bis sie im November letzten Jahres ins Exil nach Luzern ging. Was Rivero selbst angeht, so scheint sogar das Gefängnis den mittelgrossen Mann mit dem kräftigen Kinn und der markanten Falte auf der Stirn nicht nachhaltig eingeschüchtert zu haben.
Er empfinde keinen Hass und werde sein normales Leben wieder aufnehmen. Schliesslich sei er ohne jede Auflage aus der Haft entlassen worden, bekräftigt Rivero. So will er auch wieder Beiträge für internationale Blätter wie den «Miami Herald» oder den spanischen «El País» schreiben wie in den Jahren zuvor. Vier Artikel hat Rivero durchschnittlich im Monat verfasst, bis er Ende März 2003 verhaftet wurde. Das reichte, um die Familie - seine Frau, die 11-jährige Adoptivtochter Jenny und seine 19-jährige Tochter María Carla - zu ernähren. Viel Zeit blieb ihm neben Cuba Press nicht, um seiner eigentlichen Leidenschaft, der Poesie, nachzugehen. Als Nachfolger von Kubas Nationaldichter Nicolás Guillén wurde Rivero bis weit in die achtziger Jahre in Kuba gehandelt. Er selbst dagegen hat seine frühe Lyrik einmal spöttisch im Gespräch als «Reime für die Revolution» bezeichnet.
Mehrere Gedichtbände hat er in Kuba veröffentlicht, doch mittlerweile erscheinen die Verse des laut Norberto Fuentes besten kubanischen Lyrikers längst nur mehr im Ausland. Bis Ende der siebziger Jahre galt Rivero als linientreuer Dichter und Journalist; er wurde unter anderem als Bürochef von Prensa Latina, der kubanischen Nachrichtenagentur in Moskau, eingesetzt. Damals sei ihm aufgefallen, dass er nichts weiter als ein Nachrichtenübermittler sei. Die Konsequenz war der Wechsel zum kubanischen Künstler- und Schriftstellerverband, wo er als Direktor für Öffentlichkeitsarbeit unterkam und Zeit fand, seiner zweiten Liebe, der Poesie, nachzugehen. Mit seinem Freund Norberto Fuentes, längst exiliert, verkehrte Rivero in den einschlägigen Kultur-, aber auch Machtkreisen; er führte das Leben eines Bohémien und ging selbst bei Raúl Castro ein und aus.
Zwischen den Propagandalinien
Dann kam die Verurteilung und anschliessende Hinrichtung des Generals Arnaldo Ochoa wegen Korruption und Drogenhandels. Ein Wendepunkt im Leben von Raúl Rivero: Er trat aus dem Künstler- und Schriftstellerverband aus und brach mit dem kubanischen Establishment. «Ich hatte jede Hoffnung auf Veränderung in Kuba aufgegeben.» Mit dem Verkauf von Sandalen und Zigaretten hielt er sich und seine Familie über Wasser, bevor er 1992 begann, für ausländische Zeitungen zu schreiben. Farbbänder für seine Schreibmaschine waren ihm fortan immer willkommen, denn im Gegensatz zu einer modernen Nachrichtenredaktion gab es bei Cuba Press weder Printer noch Computer noch einen Zugang zum Internet. Das Telefon war die Verbindung zur Aussenwelt, und manchmal wurde auch die gekappt.
Cuba Press ist für den erfahrenen Journalisten Geschichte; gleichwohl soll es wieder Artikel aus dem Alltag der kubanischen Gesellschaft geben. Doch nun will sich Rivero mehr Zeit für die Lyrik nehmen. Ein Band mit Gedichten, die in der Haftanstalt Canaleta entstanden, wird demnächst in Spanien erscheinen. Ein Roman soll folgen, und Rivero könnte sich gut vorstellen, ihn in Spanien zu schreiben - ein Stipendium der Stadt Grenada macht dies möglich. Im Januar will er seinen Antrag stellen, um erstmals nach 17 Jahren ins Ausland zu reisen. Madrid und Paris stehen auf dem Programm - doch ob er seinen Pass bekommt, kann er nicht voraussagen. Und zurück nach Kuba will er auf jeden Fall.
Knut Henkel
Quelle:http://www.nzz.ch/2004/12/18/fe/page-articleA2ALA.html
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