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Suite Havanna
Suite Havanna
Ein Tag in Havanna: 24 Stunden Alltag ganz unterschiedlicher Menschen in unterschiedlichen Arbeitsfeldern. Ein Mann steht in einer Fabrik und kontrolliert den Fertigungsprozess; ein kleiner behinderter Junge wird von seiner Großmutter zur Sonderschule gebracht – die Gebäude sind verfallen, am Ende der Straße am „malecón“, Havannas langer Strandpromenade, schlagen die Wellen zornig gegen die Mauern. „Suite Havanna“ zeigt ungewohnte Bilder der kubanischen Hauptstadt, fast kalt und gegen die gängigen Klischees. Wo sonst musikalischer Frohsinn dekadenten Charme vermittelt, wird hier verlangsamt und eine fast irreale Atmosphäre erzeugt. In Fernando Pérez Film dominieren nicht die alten amerikanischen Limousinen und keine langen Fahrten durch die pittoreske Oberfläche einer ebenso faszinierenden wie verfallenden Metropole im Umbruch.
Nach langen Jahren ist der kubanische Filmemacher Fernando Pérez zum Dokumentarfilm zurückgekehrt; bevor er durch seine Spielfilme „Clandestinos“, „Hello Hemingway“ (fd 32 612), „Madagascar“ und „Das Leben, ein Pfeifen“ (fd 34 069) außerhalb Kubas bekannt wurde, drehte er mehr als zehn Dokumentarfilme. In seinem neuen Film will er die Realität nur „über die Poesie der Bilder und Töne“ vermitteln und vermeidet die ausgetretenen Wege von Off-Kommentar und Interview. „Suite Havanna“ ist ein eigenwilliger Ansatz, sich der kubanischen Realität zu nähern, weil Pérez den Naturalismus meidet; ähnlich wie Walter Ruttmanns „Berlin – Sinfonie einer Großstadt“ konzentriert er sich auf einen Tagesablauf von 24 Stunden und erzählt die fast mechanische Wiederkehr des Gleichen über die Montage von Bild, Ton und Musik. Anders als Ruttmann vermittelt Perez sein facettenreiches Bild der Großstadt über die Porträts von zehn sehr unterschiedlichen Personen: ein Gleisarbeiter, der sich eigentlich als Musiker fühlt, eine 90-jährige Greisin, die gebrannte Erdnüsse verkauft, ein junger Arzt, der Schauspieler werden möchte, ein Mann, der Kuba verlässt und seiner großen Liebe in den Süden Floridas folgt, und ein alter Schuster, der abends in seinen besten Anzügen und Lackschuhen auf eleganten Galaveranstaltungen tanzt. Die Protagonisten kommen aus den unterschiedlichsten Arbeits- und Lebensbereichen; ein junger Tänzer versucht immer wieder, das baufällige Haus seiner Mutter zu reparieren; ein Funktionär des Gesundheitssystems zieht nachts als Transvestit durch die Nachtclubs, und ein früherer Architekt, der sich heute als privater Bauunternehmer durchschlägt, lebt mit seinem zehnjährigen Sohn, der am Down-Syndrom leidet. Ohne sie selbst zu Wort kommen zu lassen, bringt „Suite Havanna“ die Protagonisten dem Zuschauer nahe und vermittelt über die ungewöhnliche Machart zugleich das Allgemeingültige der einzelnen Lebenswege.
Über die Geschichten seiner Protagonisten erzählt der Film auch ganz allgemein Menschliches – von Lebensträumen, vom Verlust der Illusionen, von der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Suche nach der eigenen Identität. Faszinierend ist die Verbindung von Form und Inhalt, denn analog zu Ruttmanns Klassiker schafft auch Perez über die Verknüpfung seiner eigenwilligen Bilder und verfremdeter Töne ein poetisches, fast musikalisch strukturiertes Gesamtbild. Einen Tag lang, vom Morgengrauen bis in die Nacht herein, wird der Alltag der Menschen gezeigt – Menschen, die unspektakulär, aber bestimmt versuchen, ihre Lebensträume mit Würde zu verfolgen, wobei die Insel auch als abgeschlossene räumliche Begrenzung deutlich wird. Mit seiner rhythmischen Montage konstruiert Perez einen melancholischen Mikrokosmos jenseits der gängigen „Salsa cubana“-Klischees, aber auch jenseits einfacher politischer Formeln. Vielleicht ist es gerade das Unspektakuläre, das Alltägliche in dieser anti-naturalistischen Poesie, die Castro-Gegner wie -Befürworter gleichermaßen auf die Palme bringt.
Quelle:http://film-dienst.kim-info.de/kritiken.php?nr=7405
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