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Ein sprunghaftes Leben
Ein sprunghaftes Leben
Der kubanische Volleyballer Gil Ferrer Cutiño hat eine ungewöhnliche Geschichte hinter sich - In Berlin träumt er davon, eines Tages bei Olympia für Deutschland zu spielen
Von Torsten Wendlandt
Als Gil Ferrer Cutiño am 11. Oktober 1974 auf der Säuglingsstation von San Luis das Licht der Welt erblickte, begann ein sprunghaftes Leben. Ziemlich schnell war das Kind drei Jahre älter, denn die Klinikangestellten in dem Nest nahe Santiago de Cuba hatten in den Papieren des Kleinen das Geburtsjahr 1971 notiert.
Den Irrtum ließ Cutiño nie korrigieren, seine Geschichte steht ohnehin nicht im Paß. Die Kindheit verbrachte er in einem der ärmeren Blocks mit drei Schwestern und zwei Brüdern. Die sechs hatten drei Väter, Gils arbeitete in einer kleinen Zuckerfabrik. Vor acht Jahren starb der Vater bei einem Autounfall, er hatte das Gold Kubas, den Zucker, transportiert.
In San Luis war bei den Leuten Volleyball angesagt, allein das reichte der Mutter Maria Elena, ihrem Sohn den Baseballschläger wegzunehmen. Also bekam der Zwölfjährige den Volleyball in die Hand, so wie vorher sein Bruder José und die anderen Geschwister, von denen eines immer in der Selección, der stolzen Nationalmannschaft, spielen durfte und in den großen Klubs von Havanna oder Santiago trainierte.
Gil mochte besonders das Baggern zu zweit am Strand. Acht Jahre lang pritschte er in der Beachvolleyball-Auswahl, viermal hatte er den Landesmeistertitel mit seinem Halbbruder Francisco Alvarez gewonnen - bis an jenem 26. März 2001 eine Blondine am Strand von Santiago auftauchte: Die BWL-Studentin Mandy aus Berlin, die einen Spanisch-Kurs an der Universität belegte. Im September heirateten die beiden in Havanna, dann mußte Mandy wieder nach Deutschland. Sie trafen sich manchmal, wenn Gil in Europa spielte.
Erst ein Jahr später ließen die kubanischen Behörden ihren Mann ausreisen, weil er versprach zurückzukehren. Aber er kehrte nicht zurück. Sportlich hatte er nicht mehr viel zu verlieren, denn sein damaliger Beach-Partner hatte sich verletzt, die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Athen 2004 war aussichtslos. Und außerdem war Mandy inzwischen schwanger. Die Entscheidung, in Berlin zu bleiben, entsprang aus einem inneren Tausch: privater Gewinn gegen sportlichen Verlust. "Aber es begannen jetzt meine zwei schlimmsten Jahre", sagt Gil leise, während er in der kleinen Wohnung am Kreuzberger Viktoriapark dem Schlaf der sieben Monate alten Tochter Maricela lauscht.
Der kubanische Verband sperrte ihn für zwei Jahre, eine Art Berufsverbot, das man weltweit durchsetzte, als im Dezember 2001 in Belgien gleich sechs kubanische Hallenauswahlspieler über Belgien nach Italien flüchteten. Drei weitere hauten in diesem Jahr ab. "Ich bin nicht geflohen und nicht wegen des Geldes weg wie vielleicht andere", sagt Gil, "denn in Kuba habe ich aus Liebe zum Volleyball und ohne Geld gespielt. Aber in den USA und Europa kann man Sport viel professioneller machen."
Beim SC Charlottenburg, in der Halle, durfte er zwei Jahre mittrainieren, lebte von Sozialhilfe und sah zuweilen gequält zu, wie die Kameraden deutscher Meister wurden. Es gab frustrierende Tage, da verkroch er sich einfach. Im September, nach Ablauf der Sperre, ist Gil Ferrer der nächste Sprungversuch geglückt. Er besitzt seitdem einen Vertrag mit dem SCC, spielt Matches und schickt Geld heim. Mandy ist arbeitslos, nebenbei geht sie kellnern, plant den Umzug in eine größere Wohnung und sagt fast enttäuscht: "Jetzt gibt es nur noch den Sport bei uns." Deswegen muß sie auch nicht aufs Foto, meint sie.
Mandy Cutiño ist jetzt 29 und hat ihre eigenen Erfahrungen auf der Karibikinsel gemacht. Dort zu bleiben, daran hat sie keine Sekunde gedacht: "Ich durfte dort nie richtig mit den Leuten sprechen. Erwischt dich die Polizei in einem Taxi, schmeißt dich der Fahrer raus." Es sei denn, er besitzt eine der teuren Beförderungslizenzen für Ausländer. Als Frau Ausländerin muß sie schon ein paar Dollar mehr hinblättern, um mit dem Ehemann im Restaurant essen zu dürfen. "Nur wenn du auf einer einsamen Insel leben kannst, dann kannst du auch auf Kuba leben", sagt Mandy.
Mit Ausländern ertappt zu werden, ist heute fast das Schlimmste, was sich ein Kubaner zuschulden kommen lassen kann. Derartige Privatkontakte verfolgt der Staat als potentielle Devisendelikte und hat dafür den Straftatparagraphen der Belästigung ersonnen. Dabei belästigt der Kubaner stets den Ausländer, nie umgekehrt. Die omnipräsente Polizei hat reichlich zu tun mit den Schwärmen von Geschäftemachern der Straße, den Jineteros, die neuerdings Touristen sogar die Haare abschneiden, um sie zu verkaufen, heißt es. Blondinen bevorzugt. In Havanna schlagen sich einheimische Boxhelden mit Besuchern herum - für Dollars. Unter dem US-Embargo taumelt das Regime wie ein angeschlagener Boxer, aber es wirft nicht das Handtuch.
Kuba hat elf Millionen Einwohner, davon sind sechs Millionen bei der Polizei, sagen die Leute. Gil Ferrer war früher bei den Jungkommunisten, ein stolzer Anhänger Fidel Castros. Dafür ließ ihn die Polizei meistens in Ruhe. Wenn Castro viel tiefer stürzt als kürzlich von der Treppe, denkt Gil, "dann wäre das ein Desaster, vor allem für die vielen Armen mit den Lebensmittelkarten, die bloß in den Tag hinein leben".
Argwöhnisch beobachtet Gil die Übersetzung Mandys - der 1,92 Meter große Mann hat zweifelsohne Angst. Angst vor Repressalien, denn es heißt, Kubaner sprechen nicht schlecht über Kuba, sonst geht es ihrer Familie schlecht. "In Berlin wohnen einige Kubaner", weiß Mandy, "die für die Staatssicherheit arbeiten."
Mit seinem Freund Alberto Chamber-Montalvo kann Gil Ferrer über all das reden, wenn sie in ihrem Schöneberger Lieblingsrestaurant "Varadero" sitzen. Alberto ist auch Kubaner, hat inzwischen einen deutschen Paß und ist Handballspieler. So wie Stefan Kretzschmar, der mal mit einer Kubanerin verheiratet war und mit ihr ein Kind hat, aber Alberto ist kein deutscher Sportstar, er steht im Tor der Reinickendorfer Füchse.
Chamber jedenfalls hat Gil unlängst geraten, bald richtig Deutsch zu lernen. Wegen seines Traums vom größten Sprung. "Ich höre nicht eher auf, bis ich bei Olympia gespielt habe", sagt Gil Ferrer Cutiño. Im Beachvolleyball kann er das schaffen, auch wegen seiner enormen Sprungkraft. Der Berliner Verbandschef Götz Moser hat ihn bereits als Partner für den Olympiafünften Christoph Dieckmann ausgemacht, dessen Kollege Andreas Scheuerpflug die Karriere beendet. Dazu müßte Gil Deutscher werden. "No hay problema", sagt Gil. Kein Problem, "ist ja nur ein Paß". Im Herzen wird er Kubaner bleiben.
ooops....
Der Berliner Morgenpost hätte ich eigentlich eine solche "Schauergeschichte" nicht zugetraut!
Aber immerhin: Selbst als BWL-Student, ohne eigenes Einkommen, kann man einen cubano heiraten und der darf dann einreisen und Beide leben auf Staatskosten!
Na vielleicht werden die beiden irgendwann einmal zum "Bruttosozialprodukt" beitragen können - es wäre Allen zu wünschen!
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