Warum der Kubaner im Traum für Deutschland spielt

03.11.2004 21:33 (zuletzt bearbeitet: 03.11.2004 21:40)
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Rey/Reina del Foro

Warum der Kubaner im Traum für Deutschland spielt
In Berlin feilt Gil Ferrer an seinem Volleyballruhm
von Torsten Wendlandt

Berlin - Schon kurz nachdem Gil Ferrer Cutiño am 11. Oktober 1974 auf der Säuglingsstation von San Luis das Licht der Welt erblickt hatte, begann ein sprunghaftes Leben. Ziemlich zügig war das Kind drei Jahre älter - die Klinikangestellten in dem Nest nahe Santiago de Cuba notierten auf Zuruf eines Helfers in den Papieren als Geburtsjahr kurzerhand 1971.


Der Irrtum wurde nie korrigiert, wozu auch. So eine Geschichte steht schließlich nicht im Paß. Die seine war ohnehin vorbestimmt in San Luis auf Kuba: Kindheit und Jugend in einem der ärmeren Blocks mit drei Schwestern und zwei Brüdern. Die sechs hatten drei Väter, Gils arbeitete als Chef einer Zuckerfabrik, das bewahrte die Familie vor Armut. Erst vor acht Jahren starb der Vater bei einem Autounfall, er hatte gerade das Gold Kubas, den Zucker transportiert.


Als Kind spielte Gil Ferrer am liebsten Baseball. In San Luis aber galt Volleyball als angesagt. Allein das reichte der Mutter Maria Elena, ihrem Sohn den Baseballschläger wegzunehmen. Also bekam der zwölfjährige Junge nachdrücklich den Volleyball in die Hand, so wie vorher sein Bruder José und die anderen Geschwister, von denen eines immer in der Selección, der stolzen Nationalmannschaft spielen durfte und in den großen Klubs von Havanna oder Santiago trainierte.


Gil zog die Strandvariante vor. Acht Jahre lang pritschte er in der Beachauswahl, viermal hatte er so mit Halbbruder Francisco Alvarez den Landesmeistertitel gewonnen - als am 26. März 2001 eine Blondine am Strand von Santiago auftauchte: Die BWL-Studentin Mandy aus Berlin, die gerade einen Spanisch-Kurs an der dortigen Universität belegte.


Im September heiratete das Paar in Havanna, dann mußte Mandy wieder nach Deutschland. Sie trafen sich nur, wenn Gil in Europa spielte. Erst ein Jahr später ließen Kubas Behörden ihn ausreisen - weil er versprach zurückzukehren. Es war gelogen.


Sportlich hatte er nicht viel zu verlieren, sein Beachpartner hatte sich verletzt, die Qualifikation für Olympia in Athen sich erledigt. Zudem war Mandy schwanger. "Es begannen die zwei schlimmsten Jahre meines Lebens", sagt Gil, während er in der kleinen Wohnung am Kreuzberger Viktoriapark der schlafenden sieben Monate alten Tochter Maricela lauscht.


Der kubanische Verband sperrte ihn für zwei Jahre, eine Art Berufsverbot, das weltweit durchgesetzt wurde, als im Dezember 2001 in Belgien gleich sechs kubanische Hallenauswahlspieler nach Italien flüchteten. Drei weitere suchten dieses Jahr das Weite. "Ich bin nicht geflohen und nicht wegen des Geldes weg wie vielleicht andere", sagt Gil, "denn in Kuba habe ich aus Liebe zum Volleyball und ohne Geld gespielt. Aber in den USA und Europa kann man den Sport viel professioneller betreiben."


Beim deutschen Hallenmeister SC Charlottenburg durfte er zwei Jahre immerhin mittrainieren, lebte von Sozialhilfe und sah zuweilen gequält zu, wie die Kollegen den Titel gewannen. Es gab frustrierende Tage, da verkroch er sich einfach. Im September, nach Ablauf der Sperre, ist Gil Ferrer der nächste Sprungversuch geglückt. Er besitzt seitdem einen Vertrag mit dem SCC, spielt Matches, schickt Geld heim und behauptet plötzlich: "Meine Frau will nicht, daß ich das tue."


Das stimme nicht, entgegnet Mandy (29) kopfschüttelnd. "Ich will nur, daß uns noch genug bleibt zum Leben." Sie ist arbeitslos, nebenbei geht sie kellnern, plant den Umzug in eine größere Wohnung und sagt fast enttäuscht: "Jetzt gibt es nur noch den Sport bei uns."

Ihr Mann indes spricht nicht mehr gern über die Heimat. Der 1,92-Meter-Hüne hat Angst vor Repressalien, denn es heißt, wenn Exilkubaner schlecht über Kuba sprechen, rächt der Staat sich an ihrer Familie. "In Berlin wohnen ganz bestimmt einige Kubaner", dünkt es Mandy, "die für die Staatssicherheit arbeiten."


Kuba hat elf Millionen Einwohner, davon, sagen die Leute, sind sechs Millionen bei der Polizei. Gil Ferrer war früher selbst Jungkommunist, ein stolzer Anhänger Fidel Castros. Dafür ließ ihn die Polizei meistens in Ruhe. Wenn Castro viel tiefer stürzt als kürzlich von der Treppe, denkt Gil, "dann wäre das ein Desaster, vor allem für die vielen Armen mit den Lebensmittelkarten, die bloß in den Tag hinein leben. Sie verdanken ihm ihr Leben." Über Politik wolle er übrigens nicht weiter sprechen, läßt er wissen und beargwöhnt die fließende Übersetzung Mandys.


Mit seinem Berliner Freund Alberto Chamber-Montalvo kann Gil Ferrer über alles reden, wenn sie in ihrem Schöneberger Lieblingsrestaurant "Varadero" sitzen. Alberto ist auch Kubaner, hat inzwischen einen deutschen Paß und ist Handballspieler. Er steht im Tor der Reinickendorfer Füchse.


Chamber jedenfalls hat Gil unlängst geraten, bald richtig Deutsch zu lernen. Wegen seines Traums vom größten Sprung. "Ich höre nicht eher auf mit dem Volleyball, bis ich bei Olympia gespielt habe", sagt Gil Ferrer Cutiño.


Das kann er am ehesten mit dem geliebten Beachvolleyball schaffen. Der Berliner Verbandschef Götz Moser hat ihn bereits als Partner für den Olympiafünften Christoph Dieckmann ausgemacht, dessen Kollege Andreas Scheuerpflug die Karriere beendet. Dazu müßte Gil nur Deutscher werden, obwohl er im Herzen ewig Kubaner bleibt. "No hay problema", sagt Gil dennoch, kein Problem, "ist ja nur ein Paß."


Quelle:http://www.welt.de/data/2004/11/04/355306.html


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