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„Kuba ist ein Kulturreservat“
In Antwort auf:
01.10.2004 08:53
„Kuba ist ein Kulturreservat“Gespräch mit Wim Wenders zu seinem neuen Film „Musica Cubana“
Wim Wenders löste vor fünf Jahren mit „Buena Vista Social Club“ eine Welle der Begeisterung für die kubanische Musik aus. Gestern kam unter seiner Mitarbeit mit „Musica Cubana“ ein neuer Musikfilm aus Kuba in die Kinos, in dem diesmal nicht 80-jährige Jazz-Veteranen, sondern junge Musiker im Vordergrund stehen. Zum Start des Films sprach Wenders über die Faszination Kubas und künftige Projekte.Wie kam es dazu, dass Sie bei diesem Film als Produzent mitwirkten?
Schon als wir „Buena Vista Social Club“ drehten, brachten viele junge Musiker ihre Demo-Tapes in mein Hotel, und ich fühlte mich die ganze Zeit einfach verpflichtet, etwas auch für sie zu tun. Nach mehreren Musikfilmen nacheinander konnte ich aber nicht noch einen machen – also bin ich als ausführender Produzent aufgetreten und überließ die Regie einem meiner Schüler. Ich habe mich vor allem als Pate verstanden.
Was ist denn nun das Besondere an der kubanischen Musik?
Es ist die unmittelbare Lebensfreude, die sich darin widerspiegelt, und auch die unmittelbare Lebenserfahrung, die in allen Songs zum Ausdruck kommt. Die Kubaner fühlen mehr als wir das, was sie singen. Und man merkt, dass die Worte aus dem Herzen kommen. Das ist etwas, was in unserer Musik, in der populären Musik, ziemlich verloren gegangen ist. Da achtet noch kaum jemand darauf, was wirklich gesungen wird. Das vergiftet meistens Musik. Hier auf Kuba endet jede Menschenansammlung damit, dass die Leute singen. Gestern habe ich zum Beispiel wieder eine Gesellschaft gesehen, ich weiß gar nicht, was sie gefeiert haben. Und da hat jeder eine Strophe gesungen und in ihr etwas erzählt, und dann kam der nächste.
Wird der Film dieser Atmosphäre gerecht?
Ich glaube, es ist gelungen, ein paar Musiker zu finden, die mit ihren Mitteln diese Tradition wirklich fortsetzen. Ich finde, es ist auch erstaunlich, wie traditionsbewusst selbst so junge Leute sind, die Rap und HipHop machen. Die kennen auch die ganze kubanische Musikgeschichte. Und für die sind die alten Herren von „Buena Vista“ nicht obsolet und auch nicht Vergangenheit, sondern es ist für sie auch noch gelebte Gegenwart. Und es gibt noch so einen altmodischen Respekt für die Meister, der bei uns eher unglaubhaft oder komisch wirken würde.
Liegt das daran, dass Kuba und damit auch die Musikszene über Jahrzehnte abgeschottet waren?
Ja, aber man muss sich auch vor Augen führen: Die sind nicht nur politisch abgeschottet. Kuba ist eine Insel und war auch vorher sozusagen leicht für sich. Also auch zu der Zeit zum Beispiel, als Ernest Hemingway herkam. Nicht ganz so abgeschottet damals, aber irgendwie ist es auch schon ohne die US-Blockade ein kleines Paradies für sich gewesen.
Warum fühlen Sie sich auf Kuba wohl?
Es ist eine andere Tradition hier, und eine eigene Kultur. Die Kubaner sind zum Beispiel unglaublich belesen. Wenn man in diese völlig überfüllten Busse geht, da lesen alle Leute. Vielleicht liegt es daran, dass das Fernsehen für die meisten hier nichts zu bieten hat, vielleicht ist es auch ein Teil ihrer Isolation. Kuba ist so eine Art Kulturreservat. Es gefällt einem, dass sich die Leute abends unterhalten oder singen, statt vor dem Fernseher zu hocken.
Suchen Sie hier vielleicht etwas, was es in der westlichen Welt nicht gibt?
Man muss gar nicht suchen, weil es einfach da ist. Mit einer Menschenfreundlichkeit und mit einer Gelassenheit, die in unseren Kulturen in Europa und auch in Amerika, wo ich lebe, so fehlt. Dort ist alles sehr gehetzt, man sorgt für sich selbst und man steht immer in Konkurrenz zu anderen. Dass es auch anders geht, ist auf Kuba zu erleben.
Zum Alltag auf Kuba gehören aber auch schwierige Lebensbedingungen und politischer Druck.
Ja, die Menschen hätten hier nun wirklich allen Grund der Welt, unzufrieden zu sein. Das Gegenteil ist der Fall. Ich glaube, ich kenne kein friedlicheres Volk als die Kubaner. Um so absurder erscheint einem, wenn man dann hier ist, diese Handelsblockade. Denn vor diesem Volk muss nun wirklich kein Mensch Angst haben. Und politisch sind die ohnehin so isoliert. Diese Maßnahmen der Amerikaner finde ich noch obsoleter als die kubanische Regierungsform.
Wird es mit dieser Gelassenheit, die den Sozialismus auf Kubanisch ausmacht, nicht schnell zu Ende sein, wenn die westliche Welt Einzug hält?
Sie ist ja schon da, mit all den Touristen. Ich komme aber nicht umhin, irgendwie zu glauben – vielleicht ist es Wunschdenken – dass das, was die Kubaner aus dem, was sie unweigerlich einholen wird, etwas anderes machen werden, als – sagen wir mal – wir Deutschen. Der Fall der Mauer ist von dem Großteil der Menschen im Osten nach der ersten Euphorie als ein schmerzhaftes Erwachen erlebt worden, in einer Welt, die sie sich so nicht vorgestellt haben. Ich wünsche den Kubanern, dass sie auf eine andere Art in der Neuzeit landen.
Von den jungen Musikern, die Ihnen Demo-Aufnahmen brachten, als Sie „Buena Vista“ drehten, haben es da auch welche in den neuen Film geschafft?
Nein, ich habe dem einen oder anderen sicher einen Tipp gegeben, aber das war vor vier Jahre. Jetzt wurde neu gesucht.
Worin bestand Ihre persönliche Beteiligung?
Ich habe an dem Konzept mitgearbeitet, habe einige Ideen zum Drehbuch beigesteuert. An der Musiker-Auswahl war ich nicht beteiligt. Dann habe ich den Rohschnitt gesehen und Tipps gegeben, aber so, dass Regisseur German Kral am Ende den Film so machen konnte, wie er wollte.
Drehen Sie irgendwann mal wieder einen Film in Deutschland?Nächstes Jahr. Ich drehe ja jetzt in Montana mit Sam Shepard. Ein Projekt, das wir schon seit drei Jahren verfolgt haben. Aber den nächsten Film drehe ich auf jeden Fall in Deutschland.
Mit WIM WENDERS sprach
Andrej Sokolow
Moskito
In Antwort auf:
Musica Cubana
Eigentlich eine gute Idee, nach all den alten Herren aus Kuba das Augenmerk auf die junge Musikszene der Insel zu lenken: Das ist der Ausgangspunkt für "Musica Cubana". Doch schon die ersten Bilder vom Abendlicht über der berühmten Uferpromenade von Havanna, von baufälligen Oldtimern und anderen Postkartenimpressionen weisen die touristische Richtung: "Musica Cubana" von Regisseur Roman Kral, eine Mischung aus Dokumentation und Spielfilm, ersetzt lediglich ein abgedroschenes Kuba-Klischee durch ein neues.Statt in eine nostalgisch verklärte Vergangenheit wie der "Buena Vista Social Club" führt der Nachfolgefilm aus dem Hause Wenders nun in ein hippes Havanna voll swingender Jazz-Bars. Im Zentrum steht der 87-jährige Musiker Pio Leiva, ein Veteran der kubanischen Musik, der als ulkiger Alter mit Schiebermütze und Knautschgesicht eine Karikatur seiner selbst geben darf. Er wird von einem geschäftstüchtigen Taxifahrer überredet, aus Nachwuchskünstlern eine kubanische Supergruppe zusammenzustellen, und so macht er sich auf die Suche nach unverbrauchten Talenten. Auf seine Spuren heftet sich der Film und streift in Kurzporträts die mitwirkenden Musiker und ihre Milieus. Es ist eine Einführung für Dummies, die sich eng am rassistischen Klischee bewegt: Alle Kubaner lachen, tanzen, sind durchweg arm und glücklich. Komisch nur, dass alle davon träumen, reich und berühmt zu werden.
Penetrant wird dem Zuschauer die denkbar simple Botschaft eingehämmert: Auch junge Leute auf Kuba hören traditionelle Musik, und der "Buena Vista Social Club" verkörpert deren wahre Essenz. Irgendwann tauchen dann völlig unmotiviert zwei Klischee-Japaner auf - vermutlich, damit die Klischee-Kubaner nicht so allein sind. Sie tun das, was Klischee-Japaner eben so tun: Sie lächeln und verbeugen sich andauernd. Doch bald entpuppen sie sich als Konzertmanager und damit als Eintrittskarte zu einer Konzertreise nach Japan. So endet der Film mit einem umjubelten Auftritt in Tokio - die dazugehörige CD steht schon in den Läden. " DANIEL BAX
taz Nr. 7475 vom 30.9.2004, Seite 16, 69 Zeilen (Kommentar), DANIEL BAX
Moskito
(
Gast
)
#4 RE:„Kuba ist ein Kulturreservat“
In Antwort auf:LOL
Die Kubaner sind zum Beispiel unglaublich belesen. Wenn man in diese völlig überfüllten Busse geht, da lesen alle Leute.
Ach, nur so ein Satz und Alles was er dann weiter erzählt wird nicht glaubwürdig. In der Regel sind die Busse überfüllt. Auch wenn die Leute lesen wollten, könnten sie nicht.
Wim Wenders berichtet - das vom Lesen - aus einer anderen Welt.
Das war seiner Zeit, wie ich von den Leuten, die dort waren, gehört habe,
in Metro in SU. Aber als ich 96 in Moskau war,
erinnere mich auch nicht die Leute lesen gesehen zu haben.
Dazu kann Renate auch was erzählen, sie hat doch dort studiert.
Auf jeden Fall Puschkin Liebesgedichte auf Puschkinplatz zu lesen und junge Paare
zu beobachten, da werden schon die Sehnsüchte nach Liebe wach.
Aber auf keinen Fall hat er das in Kuba gesehen.
JA das stimmt, die Granma kaufen die Leute schon und blättern
aber alles andere ist einfach zu teuer.
In letzten Jahren beginnt man auch die Weltliteratur in einfachen Heften
sehr preiswert unters Volk zu bringen. Es wird auf Zeitungspapier gedruckt.
Wenn ich mich recht erinnere Der alte Man und das Meeer kostet so um einige Pesos.
Ach das waren noch die Zeiten als ich ihr vor zwei Jahren daraus im Bett gelesen habe
und dann ist sie eingeschlaffen; und ich war wach im siebten Himmel.
An die 20 Romane der Weltliteratur haben 60 Pesos gekostet.
Auf jeden Fall die Samstagabende vor dem Fernehen mit Novella auf einem Kanal,
dann auf dem Anderen eben die Musik mir Zwiegesprächen, wie Wenders erzählt
auf dem anderen Kanal und eine ernste Diskussion im dritten Programm,
das fand ich wesentlich besser als hier.
Ja und dann ist was Besonderes am Samstag geschen und die Mesa redonda
wird bis zehn Uhr oder noch länger auf allen Programmen ausgestrahlt.
Und die Leute ärgern sich natürlich.
Gruss
José
In Antwort auf:Bei dem Satz musste ich auch schmunzeln... Ich kann mir auch kaum vorstellen, dass W.W. jemals einen dieser überfüllten Busse benutzt.
Die Kubaner sind zum Beispiel unglaublich belesen. Wenn man in diese völlig überfüllten Busse geht, da lesen alle Leute.
Moskito
Eigentlich unglaublich, dass ein Filmregisseur so schlecht schaut.
Alle Menschen lesend in einer Camello!
Vielleicht hat man einen solchen Bus speziell für Wim organisiert? Weil er gesagt hat, dass er einen solchen Bus filmen möchte?
Wobei: aus meiner Beobachtung lesen tatsächlich viele Cubaner gern wenn sie Zugang zu einigermassen Lesenswertes haben. In meinem Gepäck gibt es denn auch immer aktuelle Literatur, die Zeitung el Pais + Magazine. Diese gehen durch die Hände von mindestens 20 befreundeten Familien und landen zuletzt bei einer Freundin zu Hause die alles sammelt oder wieder nach bedarf ausleiht.
Elisabeth
Elisabeth!
Ich muss dir einmal sogar recht geben!
Ich kaufe auch in Kuba viele Bücher und alle will meine M. lesen.
Jetzt hier zu Hause merke ich, dass mir viele fehlen.
Es waren Zeiten als von Bebe gesprochen wurde, habe viele Bücher gekauft und das hat sie tatsächlich studiert und Auszüge ins PC geschrieben und natürlich nach Hause genommen.
Die Nachbarin, die ihre Tochter in Spanien hat bekommt auch regelmässig Zeitungen von ihr.
Aber sonst, Bücherregale habe ich schon gesehen aber nur alte Bücher,
weil eben die neuen zu teuer sind.
Gruss
Jose
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