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„One Dollar!“: Konterrevolution in kleinen Scheinen
Reisebericht aus der Frankenpost:
In Antwort auf:
WER AUF KUBA VORWÄRTS KOMMEN WILL, BRAUCHT BARES VOM IMPERIALISTISCHEN ERZFEIND Fidel Castros Karibik-Insel abseits der All-Inclusive-Oasen per Mietwagen entdecken: Taxi-Dienst für die Lebenskünstler„One Dollar!“: Konterrevolution in kleinen Scheinen
VON RAINER MAIER
Kuba per Mietwagen auf eigene Faust: Da muss sich der Reisende schon auf ein paar kleine Abenteuer einlassen. Die Errungenschaften von Castros Revolution verblassen rapide, seit es keine Sowjetunion mehr gibt, die ihre schützende Hand über den sozialistischen Vorposten in der Karibik hält. Versorgungslücken, Verfall, verdriesliche Gesichter: Kuba kämpft einen schier aussichtslosen Kampf. Die „imperialistas“ aus dem Norden, der nur 90 Meilen entfernte Erzfeind USA, sendet als Untergrundkämpfer ehemalige Präsidenten: Benjamin Franklin, Thomas Jefferson, Abraham Lincoln, gedruckt auf dem grünen Papier der Dollarnoten, unterminieren immer stärker die Standfestigkeit der kubanischen Revolutionäre und ihrer Kinder.
Raoul hat die Ruhe weg. Mit versteinertem Gesichtsausdruck hat er sich auf dem Rücksitz breit gemacht, die muskulösen Arme, deren Spannweite das zerschlissene rote T-Shirt kaum fassen kann, über der Brust verschränkt. Dass sich die blöden Touristen verfahren haben, juckt ihn wenig. Dass sie schimpfen über die fehlende Beschilderung, kümmert ihn nicht. Sie hätten ja am Strand bleiben können, wie die anderen. Oben im All-Inclusive-Land von Varadero. Da, wo es angeblich alles gibt. Wo auf jedem Tisch im Restaurant Pfefferstreuer stehen sollen, volle Pfefferstreuer.
Raoul hat von dem Luxus-Badeort gehört. Gesehen hat er ihn noch nicht. Er ist noch nicht weit herumgekommen auf Kuba. Aber hier, in der weiten, fruchtbaren Ebene südlich von Havanna, in der auf kilometerlangen Feldern das Zuckerrohr steht, da kennt er sich aus.
Bis Guira hat er eine Mitfahrgelegenheit bekommen bei den verzweifelten Touristen, die sich auf den endlosen Straßen zwischen gleichförmigen Kooperativen-Dörfern gründlich verfranst haben. An Raouls Stiefeln klebt die rote Erde der Felder, die vor der Revolution Plantagen reicher Großgrundbesitzer waren. Aber das ist lange her, fünfzig Jahre beinahe schon.
Wie es weiter geht, hinter Guira, dem Provinzstädtchen mit staubigen Straßen, streunenden Hunden und dem Flair eines Italo-Westerns, das weiß Raoul auch nicht so genau. San Antonio komme dann wohl als nächstes, meint er noch. Und dort müssten sich die Touristen halt weiter durchfragen.
Ohne ein paar Brocken Spanisch ist man recht verloren im kubanischen Hinterland jenseits der Routen der Reisebus-Gesellschaften. „A la izquierda“, „a la derecha“, links, rechts, heißt es mit ermutigendem Nicken. Und vor allem, immer wieder: „Recto! Recto!“ – geradeaus.
Die Kubaner auf dem Land sind höfliche Menschen. Sie bleiben dem Fragenden selten eine Antwort schuldig. Auch wenn sie sie gar nicht wissen. Deshalb empfiehlt es sich, ein paar hundert Meter weiter nochmals zu fragen. Und an der nächsten Kreuzung wieder. Erst eine gesicherte Mehrheitsmeinung bietet die Chance auf die richtige Richtung.
Allerdings wird der Tourist dabei oft vom Fragenden zum Taxi-Chauffeur, denn auf der größten Karibik-Insel, auf der Benzin seit Jahren rationiert ist, will jeder gern in einem modernen Jeep mitgenommen werden, statt mit Dutzenden anderen zusammengepfercht auf der Ladefläche von alten, klapprigen Lkw zu stehen, in deren Seitenwände Seh- und Luftschlitze geschnitten wurden, als man sie zum Transportmittel im öffentlichen Nahverkehr umfunktionierte.
So hat der Tourist, wenn er will und manchmal auch, wenn er davon gar nicht so begeistert ist, oft Gesellschaft auf seiner Reise. Und er wünscht sich, sein Spanisch wäre ein bisschen besser, um sich mit den Mitfahrern unterhalten zu können. Denn mitteilsam sind die Kubaner.
Nicht alle strahlen dabei wie die fröhlichen Gesichter aus den Hochglanz-Prospekten der Reiseveranstalter. Das Leben ist nicht einfach auf Kuba. Wer weitab von den Touristenorten wohnt, hat wenig Chancen, an die begehrten US-Dollars zu kommen. Und wer keine Dollars hat, sondern nur die einheimischen Pesos, auf denen die stolzen Porträts der kubanischen Revolutionäre von Jose Marti bis Che Guevara prangen, der kann sich außer Grundnahrungsmitteln praktisch nichts kaufen.
Kleine Geschenke, ein Stückchen Seife, ein paar Zigaretten, einen Kaugummi für den Kleinen, werden gern genommen, ja von den Fremden fast schon erwartet. Bargeld tut's auch – und vor allem im Einzugsbereich der Touristenorte beträgt der Einheitspreis auch für die kleinste Kleinigkeit: „One Dollar!“ Einmal Händewaschen an der Tankstelle: „One Dollar!“ Ein Foto von der netten Oma mit der Zigarre: „One Dollar!“ Eine fast wertlose Peso-Briefmarke: „One Dollar!“
Verständnislos blicken die Kubaner, wenn sich der Tourist doch irgendwie Pesos beschafft hat, und die Klofrau mit ein paar Che-Guevara-Münzen abspeist. Doch nicht alle sind aufs Geld aus, sehen die Touristen als Goldesel, die sie „Walking Dollars“ nennen. Eloy Lasso zum Beispiel verlangt kein Geld, wenn er den Besuchern seine Tabakfelder zeigt. Der Siebzigjährige, dessen von der Sonne gegerbtes Gesicht rissig und faltig ist wie die grandiose Hügellandschaft bei Pinar del Rio im Westen Kubas, baut hier den Grundstoff für die berühmten „purros“ an, die dicken Havanna-Zigarren. Gerollt, deshalb der Name, werden die teuren kubanischen Exportschlager in der Hauptstadt, aber ihre Qualität bekommen sie hier, im Tal von Vinales.
Eloy Lasso ist schon sein Leben lang Tabakbauer. Ihm geht es verhältnismäßig gut, denn der Staat bezahlt einen Teil der begehrten Ernte in Dollars. Doch die schwere Arbeit hat den alten Mann gezeichnet, er geht gebeugt über seine Felder – und wirkt dennoch stolz und aufrecht. Die Schuhe sind völlig zerschlissen, der Strohhut ist zerrupft, als hätten sich über Nacht die vielen bunten Vögel des Tals drüber hergemacht.
Einen Traktor können sich die Lassos nicht leisten, es wäre ja auch zu schwierig, Diesel zu besorgen. Also kommt der getreue Ochse zum Einsatz, der die geernteten, auf lange Stangen gehängten grünen Blätter auf einem Schlitten zur strohgedeckten Fermentierhütte zieht. In diesem Schuppen reifen die Blätter, stets bewacht von dem Experten, seinen Söhnen und Enkeln, drei Monate lang.
Immer wieder werden die Stangen wegen der Luftzirkulation an andere Stellen gehängt. „Es ist keine Arbeit, sondern eine Kunst“, meint der Alte und schickt seinen Enkel Iovanni auf den mächtigen Baum vor dem bescheidenen Bauernhaus, um eine „Pomello“, eine frische Grapefruit, zu pflücken. Eloy Lasso zieht das beeindruckende Messer aus der Gürtelschlaufe und schneidet die saftig-süße Frucht auf. „Ihr seid doch sicher durstig“, sagt er.
Die „Mogotes, von der Erosion zerfressene Kalksteinhügel, bilden die Kulisse für die Traumlandschaft von Vinales. Vom Balkon des Hotels „Los Jazmines“ aus hat der Gast einen atemberaubenden Blick hinunter auf die Tabakfelder. Zum Sonnenaufgang ziehen die Morgennebel am Talgrund entlang, es ist mäuschenstill, lautlos ziehen weit in der Ferne die ersten Bauern mit ihren Ochsenschlitten aufs Feld. Kuba kann so schön sein.
Hinein in die Berge. Zum alten Kurort San Diego de los Banos zum Beispiel. Hier gibt es das, was in Kuba gerne „morbider Charme“ genannt wird, im Überfluss. Bröckelnde Fassaden einst grandioser Hotels, eine baufällige Fußgängerbrücke, durch deren morsche Bohlen erst vor ein paar Monaten ein alter Mann mit seinem Enkelsohn gebrochen ist – und den Sturz ins Tal mit dem vom heißen Schwefelwasser gelbgefärbten Flussbett überlebte.
Morbider Charme auch in der Kurklinik, die wie ausgestorben wirkt. „Das Badehaus ist geschlossen“, hieß es an der Hotelrezeption. Ist es nicht. Aber leer ist es. Antonio, der Bademeister, führt die Gäste durch lange Gänge, über dunkle Treppen zum Schwimmbecken. Es riecht nach faulen Eiern, der Schein einer einsamen flackernden Neonröhre hoch oben an der Decke taucht das Wasser in fahles Licht. Auf der leicht dampfenden Oberfläche haben sich gelbliche Schlieren gebildet. Zwanzig Minuten, sagt Antonio, sollen wir ausruhen – und geht.
Seine Schritte hallen noch eine Weile durch die leeren Gänge, dann wird es still. Und gruselig. Als säße man im Set für einen Stephen-King-Horrorthriller. Selbst das leise Plätschern bei jeder Bewegung im Wasser, das geflüsterte Wort zum Nachbarn ergibt ein gespenstisches Echo. Wieder Schritte. Kommt nun Jack Nickolson mit einer bluttriefenden Axt? Nein, es ist Antonio. „Entspannt?“ Naja. Aber die anschließende Massage von ihm ist Weltklasse.
Kuba auf eigene Faust, das ist etwas für Entdecker. Nicht alles klappt, damit muss man sich abfinden. Der einst im Westen mit Erstaunen verfolgte „Socialismo Caribe“ des revolutionären Übervaters Fidel Castro zeigt seine Schwächen, der Dollar lockt. Gerade da, wo sich die Touristen tummeln, wird es schwer, die Bettler abzuwimmeln und die Schlepper loszuwerden, die gefälschte Zigarren anbieten, gepantschten Rum oder käufliche Liebe. Kuba ist zurückgefallen in die Dritte Welt, auch wenn Analphabetenrate und Kindersterblichkeit weiter äußerst niedrig sind.
Auf vierspurigen, schnurgeraden Highways kommen einem bestenfalls ein paar liebevoll am Leben erhaltene amerikanische Oldtimer aus den Fünfzigern entgegen. Kein Problem also, bei den Händlern auf dem Mittelstreifen zu halten und eine Hand Bananen zu erstehen oder ein paar knackige Zwiebeln.
In Kuba ist die Zeit nicht nur stehen geblieben, hier laufen die Uhren rückwärts. Archaische Landschaften und die Denkmäler der äußerst wechselvollen Geschichte der letzten 500 Jahre bilden den Hintergrund für das Leben und den Überlebenskampf eines von Mangelwirtschaft gebeutelten Volkes.
Natürlich singen die Kubaner und tanzen wie im „Buena Vista Social Club“. Doch das fröhliche Lächeln fällt ihnen leichter für Dollars, im Schatten der Hotelburgen bleibt es oft ganz aus.
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