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Der Anfang vom Ende der Rechtlosigkeit
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Der Anfang vom Ende der Rechtlosigkeit
von Anne PetersDer Supreme Court der Vereinigten Staaten hat am 28. Juni 2004 ein Urteil zugunsten von Inhaftierten auf Guantanamo Bay gefällt. Es gibt ihnen das Recht, mit der Rüge der unrechtmässigen Inhaftierung an ordentliche amerikanische Bundesgerichte zu gelangen. Damit ist freilich noch nichts über allfällige Anklagen und Strafurteile, z.B. wegen Beteiligung an den Taten des 11. September oder wegen Kriegsverbrechen, ausgesagt.
Der höchstrichterliche Entscheid ist erstens in menschenrechtlicher Perspektive interessant. Denn der Schutz vor willkürlicher Verhaftung durch die Exekutive beziehungsweise der Anspruch auf richterliche Haftprüfung ist ein Menschenrecht. «Habeas Corpus» («Du mögest einen [freien] Körper haben») ist sogar wahrscheinlich das älteste rechtlich anerkannte Menschenrecht überhaupt. Es wurde in England bereits im Jahr 1679 durch ein Parlamentsgesetz geschützt. Als Common-Law-Grundsatz fand der Anspruch Eingang in das amerikanische Recht. Die US-Bundesverfassung von 1789 erwähnt den «Writ of Habeas Corpus» zwar, benennt ihn aber nicht eindeutig als ein verfassungsmässiges Grundrecht der Bürger. Jedoch ist der Anspruch auf gerichtliche Haftprüfung auch im UNO-Menschenrechtspakt über bürgerliche und politische Rechte, den die USA ratifiziert haben, ge-schützt.
Die amerikanische Regierung hatte argumentiert, dass auf Guantanamo Bay das amerikanische Habeas-Corpus-Gesetz nicht anwendbar sei. Damit ist eine zweite völkerrechtliche Frage angesprochen. Es geht um die Reichweite der staatlichen Zuständigkeit oder «Jurisdiktion». Im Ausgangspunkt ist die staatliche Zuständigkeit auf das Staatsgebiet bezogen. Staatliches Handeln (einschliesslich der Anwendung eines Gesetzes) ausserhalb der Staatsgrenzen ist nur zulässig, wenn ein vom Völkerrecht anerkannter Anknüpfungspunkt zum Staat besteht, beispielsweise zu einem Staatsangehörigen im Ausland.
Die Inhaftierten auf Guantanamo Bay sind keine Amerikaner, und Guantanamo ist kein amerikanisches Staatsgebiet. Vielmehr wird der territoriale Status in einem kubanisch-amerikanischen Vertrag aus dem Jahr 1903 geregelt. Der Vertrag behält Kuba zwar wörtlich die «letzte Souveränität» über Guantanamo Bay vor. Jedoch wird gleichzeitig den USA die «vollständige Jurisdiktion [d.h. Zuständigkeit] und Kontrolle» über das Gebiet vertraglich eingeräumt. Für die Anwendbarkeit des UNO-Menschenrechtspakts ist dies wichtig. Denn dieser Pakt gilt nicht nur auf dem Staatsgebiet des Vertragsstaates Amerika, sondern für alle Personen, die (so der Eingangsartikel des Paktes) «seiner Herrschaftsgewalt unterstehen» - wozu die Inhaftierten auf Guantanamo fraglos gehören. Interessanterweise begründete der Supreme Court den Habeas-Corpus-Anspruch jedoch nicht mit der amerikanischen vollständigen Kontrolle über Guantanamo, sondern verwies schlicht darauf, dass die in den USA situierten Behörden, welche die Haft angeordnet hatten, der amerikanischen Gerichtsbarkeit unterlägen.
Genau deshalb ist das Urteil so weit reichend: Seine Grundsätze können auch auf andere Fälle des Auslandshandelns US-amerikanischer Staatsorgane übertragen werden. Dies ist deshalb wichtig, weil aufgrund zunehmender zwischenstaatlicher Zusammenarbeit und Verflechtungen staatliches Handeln im Ausland immer häufiger wird. Es wäre juristisch nicht haltbar, wenn sich Amtsträger, Polizei- oder Militärs, die von einem Staat entsandt wurden oder sogar auf staatlichen Befehl handeln, ihren rechtlichen Bindungen entledigen könnten, nur weil sie nicht auf heimischem Territorium operieren. Andererseits wäre die vollumfängliche Geltung ihres Heimatrechts auch nicht immer sachgerecht und kann in Konflikt mit dem jeweiligen Ortsrecht geraten. Menschenrechtlichen Mindestmassstäben müsste staatlich verantwortetes Handeln allerdings, egal wo es sich auswirkt, genügen.
Ein drittes Problem ist der Status der Inhaftierten nach der III. Genfer Konvention von 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen. Zweifel über den Kriegsgefangenenstatus, der gewisse Privilegien nach sich zieht, müssen nach der Genfer Konvention durch ein zuständiges Gericht des Gewahrsamsstaates abgeklärt werden. Dies ist während der mittlerweile über zwei Jahre dauernden Haft in Guantanamo nicht geschehen. Im Rasul/Al Odah-Fall hatte der Supreme Court diese Frage nicht zu entscheiden. Insofern besteht eine bedenkliche Rechtsunsicherheit fort. Das Urteil ist ziemlich technisch gehalten und beschränkt sich auf Aussagen zum Habeas-Corpus-Gesetz. Wichtig ist jedoch, dass der Supreme Court damit seine Verantwortung als Hüter des Rechts wahrgenommen hat, auch und gerade in Krisenzeiten.
Wichtig ist, dass der Supreme Court seine Verantwortung als Hüter des Rechts wahrgenommen hat.
Anne Peters
ist Professorin für Völker- und Staatsrecht an der Universität Basel.http://www.tagblatt.ch/hintergrund.cfm?p...62&liste=928501,928362,928363,928364,928365
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