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Wenn Rosa in den Äther haucht
Eduardo Belgrano Rawson erzählt von der Schweinebucht-Invasion
Die Lage war verworren, als am 17. April 1961 eine von der amerikanischen CIA aufgestellte und geführte Brigade von Exilkubanern an der Schweinebucht landete, um den Sturz der kubanischen Revolutionsregierung unter Fidel Castro zu betreiben. Der Plan sah vor, einen Flugzeug- Landeplatz auf Kuba so lange militärisch zu halten, bis die in Miami gebildete kubanische Exilregierung an Land gehen und per Funk die USA um militärische Hilfe bitten konnte. Man hoffte, auf eine breite antirevolutionäre Stimmung zu treffen und den zögerlichen amerikanischen Präsidenten Kennedy durch einmal begonnene Kampfhandlungen zum Einsatz von US-Militär bewegen zu können.
Der Putsch misslang jämmerlich. Von ihren Lagern in Guatemala her kommend, gingen rund 1400 Kämpfer an Land, nachdem CIA-Flugzeuge zwei Tage zuvor kubanische Flugplätze bombardiert hatten - ohne durchschlagenden Erfolg und unter Verlust von fünf Maschinen. Die Angreifer wurden von kubanischen Streitkräften erwartet, deren veralteter Luftwaffe es gar gelang, die beiden feindlichen Munitionsschiffe zu versenken, worauf sich die Invasionsflotte zurückzog. Die Brigadisten, die in die Sümpfe flohen, wurden bald überwältigt; vergeblich hatten sie auf amerikanischen Entsatz gehofft. Etwa 90 kamen ums Leben, 1000 von ihnen wurde der Prozess gemacht, später wurden sie gegen Güter ausgetauscht. Die Episode ging als Desaster amerikanischer Aussenpolitik in die Geschichte ein und gab dem Castro-Regime sowie den weltweit sympathisierenden linksrevolutionären Befreiungsbewegungen grossen moralischen Auftrieb.
Fatale Choreographie
Die Lage ist unübersichtlich auch im Roman, den Eduardo Belgrano Rawson über die Ereignisse verfasst hat - und dies in vielerlei Hinsicht. Nicht nur enthält sich der argentinische Autor der direkten moralischen Wertung des Geschehens, indem er die Akteure vorführt, statt sie zu überführen. So distanziert wirkt seine Erzählhaltung, dass das Politische sich verflüchtigt und sich ein Mythos vom Unglück des karibischen Raums herauskristallisiert. Wo das Ringen von Diktatoren und Unterdrückten, Gringos und Guerilleros stets nur das Unrecht perpetuiert, beginnt sich die Tragödie in die Komödie zu verkehren. Der Einzelne erscheint als Spielfigur in einer fatalen Choreographie namens Geschichte. Entsprechend launig und lakonisch referiert der Autor am Ende unter dem Titel «Todesanzeigen» das restliche Leben der diversen Hauptdarsteller. Es ist, als spreche ein Schmetterlingssammler.
In Kontrast zum Stoff setzt Belgrano Rawson nicht auf Dramatik. Karibisch träge entrollt sich das Geschehen, leuchtet auf und verdämmert wieder, weil der auktoriale Erzähler sich gerne der Wahrnehmungsperspektive der Figuren überlässt und so Geschichte «von unten» schreibt. Guerillakämpfer und Diktatoren werden aus derselben Nähe gezeigt wie Geheimdienstler und Starreporter, Ehefrauen und Piloten, Bauern und Barkeeper. Alle scheinen sie aus zufälliger Motivation und in banaler Verstrickung zu handeln - wobei Privates und Politisches verfliesst und diffus bleibt, wo die Realität endet und die Fiktion beginnt. So entfaltet «Rosas Stimme» ein Kaleidoskop von Szenen und Figuren, von Stimmen und Atmosphären. Am sinnfälligsten wohl in der titelgebenden Rosa, einer legendären ehemaligen Prostituierten, die beim honduranischen Radio Swan mit «der heissesten Stimme der Antillen» und im Auftrag «der Firma» zwischen Salsa- und Boleroklängen chiffrierte Nachrichten für die Invasoren in den Äther haucht.
Real und erfunden
Tropen, Terror, Traurigkeit: Die Erotik, aber auch die Grausamkeit der Karibik liegt über Belgrano Rawsons Roman, der auf einer Unzahl von dokumentarischen Quellen beruht und - an die Tradition des magischen Realismus anknüpfend - doch in vielem imaginiert ist. Anekdoten und Episoden jagen sich, und über den Details geht nicht selten die Logik des Geschehens verloren. Dies umso mehr, als der Autor auch noch eine Putschgeschichte Mittel- und Südamerikas schreibt und dabei mit den zahlreichen Intrigen der CIA und der United Fruit Company abrechnet. Bis ins Weisse Haus, in die Dunkelzimmer der Mafia und in die Betten Kennedys spinnt er die Fäden - und spannt den Bogen darüber hinaus etwas gar kühn zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001, die er in die Tradition zynischer CIA-Machenschaften stellt. Immerhin werfen die Fehleinschätzung der Lage, die Nachlässigkeit und die Überheblichkeit in der Schweinebucht ein Licht auf das amerikanische Vorgehen im Irak. Ein Krieg der Medien, so zeigt Belgrano Rawson trefflich, fand schon in den sechziger Jahren im Kampf um Kuba statt. - «Rosas Stimme» ist ein Buch, das einem forcierten Stilwillen unterworfen ist. So süffig der Stoff erscheint, so anforderungsreich gestaltet sich die Lektüre. Eduardo Belgrano Rawson geht es nicht weniger als ums Ganze. Wo die Zeitenfolge aufgelöst ist, wo ständig Figuren und Orte wechseln und unentwegt vom Kleinsten ins Grösste fokussiert wird, brechen die Gewissheiten der Wahrnehmung auf. Problematisch ist, dass eine solche Ästhetik der Überwältigung der Reflexion wenig Raum zum Atmen lässt. Der Grossartigkeit dieser historisch überwirklichen Monumentalmontage freilich tut das keinen Abbruch. «Etwas erschütterte die Mangroven. Es war ein fernes Grollen, das vom Meer kam», hebt der Roman an. Lange hallt er in Kopf und Bauch des Lesers nach.
Andreas Breitenstein
Eduardo Belgrano Rawson: Rosas Stimme. Roman. Aus dem Spanischen von Lisa Grüneisen. Verlag C. H. Beck, München 2006. 384 S., Fr. 34.90.
http://www.nzz.ch/2006/12/16/fe/articleEQLGP.html
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