Geschichten vom Überleben

Florian Borchmeyers Dokumentation "Havanna"

Vom 20.11.2006

Von

Shirin Sojitrawalla

WIESBADEN Die Stadt Havanna erweist sich jenseits marzipanfarbener Touristenträume leider als verrottete Metropole und als Armutszeugnis des real existierenden kubanischen Sozialismus. Die Rede vom morbiden Charme ist bei Licht besehen nur ein Euphemismus für eine dem Verfall vorherbestimmte Stadt, die sich ebenso gut als Kulisse für Thomas Manns "Tod in Venedig" angeboten hätte, wie einer der Befragten in der Dokumentation "Havanna - Die Neue Kunst Ruinen zu bauen" klug erkennt.

Der Filmemacher Florian Borchmeyer schreitet die kubanische Hauptstadt ab, lässt seine Kamerafrau Tanja Trentmann die Häuser und Gebäude ablichten wie kranke Patienten auf der Intensivstation und begegnet den Bewohnern der oftmals nur noch als Schutthaufen zu bezeichnenden Häuser mit dem nötigen Interesse, auch abseits baurechtlicher Fragen. Eingestreute Archivaufnahmen künden von der einstigen Pracht der Hauptstadt der Revolution, wo sich die feine Gesellschaft vor dem Theater versammelte, um Caruso singen zu hören. Mittlerweile ist das Haus von Tauben bevölkert und dämmert seinem Untergang entgegen. Die aufgenommenen Ruinen, in denen der Putz von der Wand fällt, die Treppengelände wackeln wie Milchzähne und alles von Flechten und gigantischen Rissen überzogen scheint, sprechen für sich, doch die Bewohner mit ihren individuellen Schicksalen und besonderen Lebensgeschichten geben dem Film erst den rechten Kick.

Es sind Geschichten vom Überleben, die von einem einzigen großen Trotzdem angetrieben scheinen. Dabei enthält sich der Film glücklicherweise jeglichen Kommentars, lässt ausschließlich Bilder und Menschen, die sich in den Ruinen häuslich einrichten, als Zeugen zu Wort kommen. Schnell entfernt sich die Dokumentation ohnehin von ihrem eigentlichen Thema, hört lieber den Lebens- und Liebesgeschichten seiner Interviewpartner zu, die ebenso viel vom Traum der Freiheit erzählen wie die einst prächtige Architektur der Stadt. Die Verheißungen des Sozialismus haben sie längst hinter sich gelassen, wären mit einer Renovierung ihrer Bleiben schon zufrieden und können nicht fassen, wie man sie und ihre Wohnungen und Häuser herunterkommen lässt. Als Kontrastprogramm aber fängt dieser leise und nachdenkliche Film immer wieder auch die unglaubliche Schönheit dieser todgeweihten Stadt ein, die sich womöglich gerade in ihren vielfältigen Rissen auftut.

Morgen, 20 Uhr, Alpha.
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