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Von Kühlschränken, Demokratie und Internetzugang
Von Kühlschränken, Demokratie im Stadtteil und Internetzugang
Kubas Sonderperiode ist vorüber - doch manche der mit ihr gekommenen Probleme bestehen fort
Die Rede von Fidel Castro am 17. November 2005 in der Universität von Havanna war in erster Linie ein Aufruf an das Bewusstsein der Kubanerinnen und Kubaner - wenn auch außerhalb des Landes manche davon nur die leicht nachvollziehbare Tatsache behalten haben, dass die Revolution umkehrbar sei, wenn sie nicht auch von innen verteidigt würde. Es war der Zeitpunkt der Rede, der nicht von ungefähr kam: materiell ist die Sonderperiode, die "Período Especial", fast überwunden - ideell noch lange nicht.
San José de las Lajas ist die wichtigste und größte der 19 Gemeinden der Provinz Havanna. Aber San José ist nicht die Provinzhauptstadt, denn die Provinz, die die gleichnamige Hauptstadt von Westen, Süden und Osten her U-förmig umschließt, hat keine Hauptstadt. Alle entsprechenden Behörden, Verwaltungseinheiten und auch die KP Kubas (PCC) haben dabei ihren Sitz in Havanna, obwohl die kubanische Hauptstadt gar nicht zur Provinz gehört sondern eine eigenständige Einheit bildet. 700 000 Menschen leben in der Provinz Havanna, etwa 71 000 davon in San José. "Die Einwohnerzahl wächst beständig an", sagt Jorge Félix Lazo, 1. Sekretär der PCC in der Stadt. Eigentlich gibt es auf Kuba eine Stagnation im Bevölkerungswachstum. Gründe für die gegenläufige Entwicklung in dem fünfzig Kilometer südlich von Havanna gelegenen Ort liegen in seiner Industrialisierung (Chemie, Keramik, Kabel, Farben, Metall, Baustoffe), der Viehzucht (mit einem Milchkombinat) und seinem Schwerpunkt auf Wissenschaft: San José de las Lajas beherbergt fünf wissenschaftliche Zentren, darunter eine landwirtschaftliche Universität, aber auch eine internationale Sporthochschule. 20 000 Habaneros studieren in der Provinz Havanna, die mit ihren 54 000 Rindern die wesentliche Stütze für die Nahrungsversorgung der Hauptstadt ist, so Juan Miguel García, Sekretär im Provinzkomitee der PCC. Nicht ohne Stolz bemerkt er, dass hier auch die größte Rumfabrik der Welt angesiedelt ist.
Die Kredit- und Dienstleistungskooperative (CCS) "13. März" liegt einige Kilometer außerhalb von San José. Sie ist ein seit 1998 bestehender Zusammenschluss von 121 Bäuerinnen und Bauern, von denen 84 Besitzer ihrer Finca sind. Manche sind schon vor 1959 Privatbesitzer einer Länderei gewesen, andere wurden es ab 1992, als der Staat dazu die Möglichkeit gab. Diese privaten Bauern zahlen fünf Prozent Steuern auf ihr Einkommen. Landarbeiter, von denen es im "13. März" 21 gibt und die bei 7 der 121 Bauern angestellt sind, werden mit zehn Prozent an den Gewinnen beteiligt; sie verdienen so bis zu 500 Pesos. Das private Land kann heute vererbt, aber nicht verkauft werden, es sei denn an den Staat. CCS-Vorsitzender Orlando Rodríguez: "Vor 1990 waren 100 Hektar privat, heute sind es 440 Hektar. 150 Hektar nutzen wir gemeinsam. Die Umgestaltungen waren erfolgreich: statt 5 000 Liter produzieren wir heute 20 000 Liter Milch, da wir nun mehr und auch bessere Kühe haben. Dazu hat auch die künstliche Besamung der Kühe beigetragen."
Der Milchvertrieb geht ausschließlich über die Industrie; einen Peso pro Liter bekommen die Kooperativenmitglieder. Der Endverbraucher zahlt nur ein Viertel davon, der Rest wird vom Staat subventioniert. Die Bildung einer CCS brachte Möglichkeiten mit sich, die es vorher nicht gab, wie z. B. Fahrzeuge, Pflüge oder Traktoren zu bekommen. Heute geht es langsam besser als in der Sonderperiode, obwohl zum Pflügen nach wie vor teilweise noch Ochsen eingesetzt werden. "Aber der Ochse ist in manchen Situationen auch sinnvoller als ein Traktor", sagt Orlando Rodríguez. Wenn auch nur noch ein Drittel der 6,6 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche staatlich ist, so ist eine CCS eher die Ausnahme - denn darüber hinaus sind in der Nationalen Vereinigung der Kleinbauern (ANAP) eher die klassischen staatlichen und halbstaatlichen Betriebe organisiert: die staatlichen Granjas, die 1995 entstandenen genossenschaftlichen UBPC und die "Kooperativen der landwirtschaftlichen Produzenten" (CPA).
Das Jahr 2006 ist auf Kuba das "Jahr der energetischen Revolution". Auch in der Provinz Havanna werden entsprechende Anstrengungen unternommen. Nachdem vor einigen Jahren zunächst ein Programm zum Ersatz von Kerosin, das zum Kochen benutzt wurde, durch Gas begonnen wurde (in einem Jahr ist in dieser Provinz der Kerosinanteil von 63 auf 30 Prozent zurückgegangen), so war der anfängliche Einsatz von chinesischen Einplattenkochern für die Energiebilanz kontraproduktiv, da die stromfressenden Geräte die Einsparung durch landesweit verteilte Energiesparbirnen zunichte machten. Um eine energiesparende Lebensweise anzuregen sind die Strompreise vor einigen Monaten erhöht worden; für die Haushalte mit stärkerem Stromverbrauch teilweise sogar drastisch. Die gleichzeitigen Lohn- und Rentenerhöhungen waren so gleich wieder aufgebraucht. Nun werden subventionierte Kühlschränke abgegeben, die die alten US-Produkte der Vierziger- und Fünfzigerjahre ersetzen sollen, wodurch der Stromverbrauch drastisch gesenkt werden kann. Gleichzeitig wird aber auch an der Stromerzeugung selbst gearbeitet: zum einen sind am 26. Juli durch Fidel Castro in der im Osten Kubas gelegenen Stadt Holguín neue Generatoren eingeweiht worden, zum anderen ist das Stromnetz dezentralisiert worden, weshalb ein Ausfall einer Hauptleitung nicht mehr das ganze Land, sondern nur noch Teile betreffen würde. Außerdem hat auch der Einsatz des bei der Erdölgewinnung anfallenden (und bisher abgefackelten) Gases für die Stromgewinnung dazu beigetragen, dass die während der Sonderperiode typischen, täglichen Stromabschaltungen inzwischen der Vergangenheit angehören.
Um die Industrie anzukurbeln, ist ein erhöhtes Stromangebot erforderlich. Die Keramikfabrik in San José de las Lajas, ein 1959 noch privat gegründeter Betrieb, der später als einer der ersten im Ort verstaatlicht wurde, ist durch die hohen Brenntemperaturen ein Energieverbraucher ersten Ranges. Dort werden Wand- und Bodenfliesen, aber auch Toiletten, Spülkästen und Waschbecken hergestellt. Die neue Spülkastengeneration benötigt nur noch sechs statt wie bisher zwischen zehn und vierzehn Litern Wasser - ein anderes wichtiges Thema. Denn die Trockenheit auf der Insel macht einen sorgsameren Umgang mit Wasser dringend nötig, wenn auch 2006 bislang ungewöhnlich viel Regen brachte.
Ganz andere Probleme als für die Genossinnen und Genossen auf dem Land gibt es in der Hauptstadt. Gilberto Barrial steht dem Consejo Popular "Dragones" vor. "Dragones" ist der Name dieser untersten Gemeindevertretung, eine der fünf im Stadtbezirk Centro Habana. Es ist der dichtest besiedelte Flecken Kubas, mit über 38 600 Menschen auf etwas mehr als einem halben Quadratkilometer - zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten hier gerade 6 000 Menschen. Ein Drittel der allmählich verfallenden Bausubstanz ist von vor 1890, vierzig Prozent stammt aus den Jahren 1890 bis 1940, nur acht Prozent sind ab 1970 gebaut worden. Fast täglich kommt es zu einem Wohnraumverlust durch teilweisen oder völligen Hauseinsturz, da 68 Prozent der gut 10 200 Wohnungen in bedenklichem Zustand sind. In Selbsthilfe reparieren die Bewohner/innen ihre Häuser, das Material bekommen sie von der Verwaltung. Die Versorgungsleitungen im Stadtbezirk Centro Habana stammen vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Erst in den letzten Jahren wurde zu 100 Prozent auf Stadtgasleitungen umgestellt. Ein Problem für "Dragones" ist auch, dass es wegen eines Krankenhauses und einiger Geschäfte eines der Oberzentren Havannas und daher täglich mit einem Zulauf von 60 000 Personen konfrontiert ist, so Gilberto Barrial.
Der Verdacht drängt sich auf, dass eine solche Vielzahl von Problemen in Deutschland ohne Mord und Totschlag nicht zu überwinden gewesen wäre - ganz zu schweigen davon, dass Kuba noch dazu unter einer völkerrechtswidrigen Blockade leidet. Aber dort werden mit dem nie versiegenden Vertrauen in die eigene Kraft weitere Schwierigkeiten angegangen. Im Stadtteil gibt es ganze vier Bäume, aber ein Park mit einer Ausdehnung von 70 mal 50 Metern ist in Planung. Erst 1992 konnte Straßenbeleuchtung errichtet werden.
Die Sonderperiode brachte einige neue Phänomene, darunter dieses: Hunger. Also gab der Consejo Popular 1992 Gutscheine für einen Hamburger pro Tag und Person aus. Die Öffnung für mehr Tourismus, gepaart mit der Not, brachte u. a. auch Diebstahl, Korruption, Drogenhandel und Prostitution, gerade in der Hauptstadt. Vieles davon ist nun weitgehend überwunden oder zumindest zurückgedrängt, aber nicht nur der Korruption muss weiterhin der Kampf angesagt werden. Sozialarbeiter/innen, seit 2002 für mehr Aufgabenbereiche als für die klassischen Tätigkeitsfelder ausgebildet, sind u. a. aktiv bei der Bekämpfung der Korruption im subventionierten Treibstoffverkauf, aber darüber hinaus führen sie auch Bevölkerungsstudien durch, um die Dimension der sozialen Schwierigkeiten zu erfassen.
Über einen eigenen Etat verfügen die Bezirksräte nicht, wohl aber der Consejo Municipal (Bezirksvertretung) von Centro Habana. Havanna hat insgesamt 14 Bezirke. Alle Funktionen werden gewählt. Gilberto Barrial: "Im Consejo Popular ´Dragones´ gibt es 22 Abgeordnete, die alle zweieinhalb Jahre neu gewählt werden. Drei (Vorsitzende/r und zwei Stellvertreter/innen) sind hauptamtliche Kräfte, die anderen gehen weiterhin ihrer Arbeit nach. Auf Kuba stellen sich grundsätzlich auf allen Ebenen nur Personen (und nicht etwa die PCC) zur Wahl. Konkret sind in "Dragones" 13 Abgeordnete Mitglieder der PCC."
Geduldig erklärt Gilberto Barrial das System von Offenlegungspflicht und Abberufungsmöglichkeit im kubanischen Wahlsystem. Seit der Einführung des Poder Popular (System der Volksvertretung) im Jahre 1982 stellen sich die Abgeordneten alle sechs Monate ihrer Wählerschaft, und zwar über einen Zeitraum von zwei Monaten. Nahezu alle zwei Tage sind Treffen anberaumt, die über die sechs CDR (Komitees zur Verteidigung der Revolution) im Stadtteil organisiert werden. Gibt es Unzufriedenheit mit einem Ratsmitglied - geäußert durch mindestens ein Drittel der Wahlberechtigten -, wird durch eine Kommission eine Wahl einberufen. Zu einer Absetzung kommt es, wenn mehr als die Hälfte gegen die Person stimmt. In "Dragones" gab es bislang zweimal Verfahren gegen ein Mitglied des Consejo Popular, in beiden Fällen kam es dann zu einer Absetzung.
Carlos Ortega ist stellvertretender Leiter des größten "Joven Club" in Havanna, der in dem im März 1991 eröffneten "Zentralen Computerpalast" residiert. Die Idee der Jugendclubs wurde 1987 geboren. Im Jahr 2000 existierten 170, ein Jahr später 300, heute schon 600 Jugendclubs, d. h. in jeder kubanischen Gemeinde zwei. Fünf davon fungieren als Zentralpaläste (neben dem in Havanna gibt es sie in Pinar del Río, Cienfuegos, Santa Clara und auf der Isla de la Juventud), außerdem existieren fünf Computerbusse, die durch das Land fahren. Durchschnittlich gibt es zehn Computer pro Joven Club.
"Die Benutzung der Computer ist natürlich gratis und auch nicht nur der Jugend vorbehalten, wie der Name vermuten ließe: auch ältere Menschen können daran lernen. Wir bieten 120 Basis- und Spezialkurse im ganzen Land an, z. B. Fotobearbeitung oder Webdesign." 2007 wird es die ersten 1 010 graduierten Computerspezialisten auf Kuba geben.
Dabei gilt auch bei den modernen Kommunikationstechnologien: "No es fácil". Es ist nicht leicht - wie sollte es anders sein. Die Blockade verhindert, dass Kuba Anschluss an das Koaxial-Antlantikkabel bekommt. "Wir müssen zur Internetnutzung deshalb die teurere Satellitenverbindung nehmen", sagt Carlos Ortega. Mit der Blockade behindern die USA die Beschaffung und Nutzung von Software und den Anschluss ans weltweite Netz - und belegen Kuba gleichzeitig mit dem Verdikt, internetfeindlich zu sein.
Die Tageszeitung Granma berichtet in ihrer deutschen Ausgabe im Juli 2006, dass derzeit bei 377 000 Computern 190 000 Menschen Zugang zum Internet haben. "300 000 chinesische Computer sind bestellt, aber auch die nationale Softwareproduktion nimmt zu", erwähnt der stellvertretende Jugendclubleiter. Vorrang bei der Versorgung mit Internetzugängen haben dabei die Einrichtungen im Gesundheitswesen und die Jugendclubs, genauso wie die wissenschaftlichen und kulturellen Bereiche. Nicht zu vergessen ist, dass jede Schule über mindestens einen Computer verfügt. So ist gesichert, dass Kuba international den Anschluss behält, aber gleichzeitig auch die nicht in diesen Bereichen Arbeitenden Stück für Stück mit den neuen Technologien in Kontakt kommen.
Fidels Rede, die einen großen gesellschaftlichen Widerhall hatte, war auf die Beseitigung der Probleme gerichtet, die mit der Sonderperiode kamen, aber mit ihrem Ende nicht verschwanden. Das steht jetzt an.
Günter Pohl
Quelle: Unsere Zeit: http://www.unsere-zeit.de/
Hm, das meiste kann ich wegen fehlender Kentnisse nicht so genau beurteilen, aber bei Internettechnologieen bin ich fit.
1.) die Seekabel sind Glasfaser und nicht Koax, wäre auch echt ekelhaft alle 183 Meter einen Repeater einzubauen.
2.) ein Seekabel ist höllisch teuer, deswegen gibt es nur sehr wenige davon und die sind Punkt zu Punkt Verbindungen zwischen zwei Verteilern an Land.
3.) Keines der bestehenden Überseekabel führt auch nur in die Nähe von Kuba.
Süd- und Mittelamerika sind vergleichsweise gut ans Internet angebunden, man könnte also ein vergleichsweise billiges Seekabel von dort nach Kuba ziehen. Zugegeben, von Haiti oder Florida wäre noch billiger, aber Haiti hat auch fast kein Internet und die in Florida wollen nicht :-)
Ach ja, da wo ich am Wochenende bin habe ich auch kein schnelles Internet, kein Fernsehkabel, kein DSL, nicht mal UMTS. Wir überlegen einen Internetzugang per Satelit anzuschaffen und mit den Nachbarn zu teilen :-)
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"Bier lagert man in einem dunklen Raum"
#3 RE: Von Kühlschränken, Demokratie und Internetzugang
Zitat von Socke
Zugegeben, von Haiti oder Florida wäre noch billiger, aber Haiti hat auch fast kein Internet und die in Florida wollen nicht :-)
Yucatan is auch nicht weit.
Bei der derzeitigen Computerdichte in Kuba würden ein paar Satellitenverbindungen völlig ausreichen.
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La distancia no es la causa para que nazca el olvido.
Wo ich dran denke, irgendein Seekabel müssen die da liegen haben, die typische Satelitenverögerung bei Telefongesprächen habe ich da nicht erlebt.
Allerdings wird das kein Glasfaserkabel sein und was ein Modem auf einer brüchigen Telefonleitung bringt wissen wir ja :-)
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