Schrecken der Insel - "Persona no grata"; Kuba unter Castro

22.06.2006 16:11
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#1 Schrecken der Insel - "Persona no grata"; Kuba unter Castro
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22. Juni 2006, Neue Zürcher Zeitung

Schrecken der Insel
«Persona non grata» - Jorge Edwards über Kuba unter Castro


Der Ball flog weit, und er flog genau. Eine sanfte Landung auf dem kurz geschorenen Rasen, ein paar Umdrehungen noch, und sauber verschwand er in dem Loch. Ja, stellte der chilenische Diplomat fest, der Revolutionsführer ist ein ausgezeichneter Golfspieler. Doch das Golfspiel war auch das Einzige, was ihn mit der Welt der Reichen und Schönen verband. Hart, beinhart ging er sonst gegen sie vor, hatte ihnen Jahre zuvor sogar eine ganze Insel entrissen. Die stand nun unter seiner Herrschaft, und so überschwänglich sie einst begonnen hatte, so hart und brachial zeigte sie sich jetzt, im zwölften Jahr seiner Regierung.

Aus nächster Nähe
Über 35 Jahre brauchten Jorge Edwards Aufzeichnungen über das diktatorisch regierte Kuba, um schliesslich doch noch auf Deutsch zu erscheinen. Nicht, dass sich keine Übersetzer gefunden hätten. Wer zögerte, waren die Verleger. Zu ernüchternd erschien ihnen lange Zeit offenbar der Bericht über die vier Monate, die Edwards vom November 1970 bis zum März 1971 als diplomatischer Vertreter Chiles auf der Insel verbrachte. Es war die Zeit, in der der Schwung der frühen Jahre in eine lange Phase der Ernüchterung überging: Der revolutionäre Funken hatte in Lateinamerika nicht gezündet, sondern war schon Jahre zuvor, spätestens mit dem Tod Che Guevaras 1967, endgültig erloschen; das grosse Ziel des neuen Jahrzehnts, die Ernte von zehn Millionen Tonnen Zucker, war gescheitert; und im Inneren offenbarte der politisch motivierte Prozess gegen den Schriftsteller Heberto Padilla, wie hart das Regime mit Dissidenten umging - oder auch nur mit denen, die es als solche verdächtigte.

All dies erlebte Edwards aus nächster Nähe. Als Gesandter der nur Wochen zuvor gewählten Regierung Salvador Allende sympathisierte er mit der Sache des Sozialismus, erfuhr dann aber am eigenen Leib, was es bedeutet, wenn dieser nicht durch demokratische Institutionen abgefedert ist. «Sie sollen wissen», teilt Castro Edwards am Ende von dessen Amtszeit mit, «dass wir Salvador Allende bereits unsere Meinung mitgeteilt haben.»

Fidels Meinung über Edwards ist ausgesprochen schlecht, und sie soll den Diplomaten die Karriere kosten - so zumindest wünscht es der Maximo Líder, der allerdings vergisst oder vielleicht nicht einmal ahnt, dass die Bürger Chiles vor Imperatorenlaune durch die Einrichtungen des Rechtsstaats geschützt sind - zumindest noch in jener Zeit, drei Jahre vor dem Putsch Pinochets. Edwards wird Allende darum weiterhin dienen - und er wird seine Erinnerungen niederschreiben, einen Text von solcher Klarsicht und solchem Scharfsinn, dass es scheint, er wäre irgendwann nach dem Wendejahr 1989, nicht aber in den frühen Siebzigern verfasst worden.

Castro höchstpersönlich hatte Edwards - wenn auch nicht offiziell, sondern nur im privaten Kreis - zur «persona non grata» erklärt. Das Vergehen des Diplomaten: Als Schriftsteller hatte er Kontakt zu seinen kubanischen Kollegen, darunter auch solchen, die auf Distanz zum Regime gingen: Norberto Fuentes, Heberto Padilla, José Lezama Lima und Guillermo Cabrera Infante. Lange vor seiner Diplomatentätigkeit und ganz unabhängig von ihr pflegte Edwards Kontakt zu den Autoren. So galt er als verdächtig, noch bevor er sein Amt überhaupt antrat.

So lässt das Regime ihn spüren, wie es mit realen oder auch nur vermeintlichen Vertretern des konterrevolutionären Lagers umgeht: Edwards wird bei seiner Einreise am Flughafen nicht empfangen, er erhält keinen Dienstwagen, auf eine angemessene Unterkunft muss er lange warten. Persönlich kann er damit umgehen, er ist kein eitler, auf Statussymbole fixierter Mensch. Nur vermag er sich zunächst über die Gründe der latenten Feindseligkeit keine Antwort zu geben. Erst peu à peu wird ihm klar, dass der Kontakt zu den Autoren ihn gründlich verdächtig macht.

Die Distanz des Regimes sucht Edwards durch Hinweise auf seine grundsätzlichen Sympathien für den Sozialismus abzubauen. «Aber die nüchterne Realität, die ausgleichende Wahrhaftigkeit zählen nicht viel. Der den Wahn begünstigende psychologische Druck hingegen zeigt ein politisches Ergebnis: Jegliche Kritik wird unter tausend Vorwänden - bürgerliche Herkunft, Opportunismus, moralische Schwäche etc. - entwertet, jegliche Anhängerschaft ohne Bedenken ausgenutzt und jegliche Macht beschnitten. Am Ende bleibt nur, ohne jede Abstammung, frei von der Erbsünde, unbefleckt empfangen, die einzige Macht.» Wie schwer mit dieser Macht umzugehen ist, welche latenten Psychosen sie zu wecken vermag, das zu erfahren, reichen Edwards wenige Monate. Wird sein Telefon abgehört? Verbergen sich Wanzen hinter dem Schacht für die Klimaanlage? Arbeitet die hübsche Frau, die ihn auf einem diplomatischen Empfang anspricht, für die Staatssicherheit? Und inwieweit sind auch nicht einige der kubanischen Schriftsteller willfährige Marionetten der Macht?

Ideologisch unvoreingenommen
Edwards wird es nie erfahren. Umso gründlicher erfährt er, was es heisst, in einem totalitären System zu leben. All dies berichtet er ohne ideologische Voreingenommenheit. Er zeigt Verständnis für die Schwierigkeiten der Revolution, insbesondere für die durch das US-Embargo bedingten gewaltigen logistischen Herausforderungen. Und doch entschuldigen sie nicht die zynische Missachtung der Menschen- und Bürgerrechte, Edwards sieht das sehr klar. Weniger klar sahen es manche seiner Kollegen, weniger klar sahen es offenbar auch die deutschen Verleger, deren zögernde Haltung Edwards in einem 2006 geschriebenen Nachwort kurz beschreibt. Nun endlich hat sich mit Klaus Wagenbach ein Verleger gefunden. Und damit gezeigt, dass das schöngeistige Europa am Ende dann doch aufwacht, wenn im Namen der Ideale das Recht mit den Füssen getreten wird.

Kersten Knipp

Jorge Edwards: Persona non grata. Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg und Angelica Ammar. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2006. 283 S., Fr. 39.50.

http://www.nzz.ch/2006/06/22/fe/articleE50WN.html
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hpblue - zurich - switzerland


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16.10.2006 15:13
avatar  Chaval
#2 RE: Schrecken der Insel - "Persona no grata"; Kuba unter Castro
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Rey/Reina del Foro

"Fui un ingenuo en Cuba"
Jorge Edwards (Chile, 1931) acaba de presentar la reedición de 'Persona non grata' (Alfaguara), que en 1973 hizo saltar la convicción de la izquierda de todo el mundo de que Cuba y la cultura tenían aún una relación de porvenir. Aquí cuenta cómo ve hoy aquella inquietante experiencia diplomática en Cuba.(...........)

http://www.elpais.es/articulo/reportajes...lpdmgrep_6/Tes/


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16.10.2006 16:10
avatar  pepino
#3 RE: Schrecken der Insel - "Persona no grata"; Kuba unter Castro
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Top - Forenliebhaber/in

das beste botschafterbuch über cuba


http://www.ruinas.de http://www.raros.de


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09.11.2006 15:29
avatar  Ullli
#4 "Persona non grata"; Kuba unter Castro
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Forenliebhaber/in

Das Buch ist wirklich zu empfehlen - ein ehrliches Buch !


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09.11.2006 17:15
avatar  guzzi ( gelöscht )
#5 RE: "Persona non grata"; Kuba unter Castro
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guzzi ( gelöscht )

In Antwort auf:
Das Buch ist wirklich zu empfehlen - ein ehrliches Buch




Werde es mir kaufen und lesen


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09.11.2006 19:53 (zuletzt bearbeitet: 09.11.2006 19:54)
avatar  Ullli
#6 RE: "Persona non grata"; Kuba unter Castro
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Forenliebhaber/in
In Antwort auf:
guzzi:Werde es mir kaufen und lesen

Die Geschehnisse liegen zwar schon Jahrzehnte zurück. Aber aus der Geschichte und der Entwicklung des Polizei-und Überwachungsstaates Kuba kann man viel lernen. Wenn die beiden Castro-Brüder nicht so alt wären, könnten sie von den befreundeten Ländern Venezuela und Bolivien lernen. Fortschrittliche Regierungen brauchen den Bürgern in ihrem Lande nicht die Menschenrechte beschneiden. Kuba ist eine Insel. Die Castro-Regierung hätte es noch einfacher als Regierungen anderer Länder, in denen Terroristen aus benachbarten Ländern einsickern wie z.B. der Irak oder Afghanistan.

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