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Nichts gegen Latinos
Nichts gegen Latinos
Im Silicon Valley stört die illegale Einwanderung kaum
Auch diese Woche haben in den USA Tausende gegen schärfere Gesetze zur Eindämmung der illegalen Einwanderung protestiert. Über Latinos hält sich im Silicon Valley kaum jemand auf.
Ursula Schnyder, Stanford
Im Empfangsraum der Geburtenabteilung des Universitätsspitals von Stanford füllen hochschwangere Frauen die Eintrittsformulare aus. Weil sie nur Spanisch sprechen, leistet die Volontärin Lorena Übersetzungshilfe. Pilar Contreras aus Veracruz in Mexiko ist mit 16 Jahren die jüngste Gebärende. Lorena erfährt, dass sie erst vor einem Jahr über die Grenze kam und seither als Putzhilfe arbeitet. Als Lorena Versicherungspapiere erwähnt, schüttelt Pilars 18-jähriger Verlobter José den Kopf. Entschuldigend zeigt er auf seine zerrissenen Turnschuhe. Geld zur Bezahlung der Spitalkosten hätten sie auch nicht.
Lorena weiss Abhilfe. «Kein Problem, wenn du eine Rechnung erhältst, schickst du sie dem Spital einfach wieder zurück.» Eine ähnliche Szene wiederholt sich am Nebentisch. Ein guatemaltekischer Küchenangestellter, der für seine Ehefrau Gabriela alle Papiere ausser einem grünen Versicherungsformular ausgefüllt hat, meint lakonisch: «Nein, wir haben weder Versicherung noch Geld.»
Zwei Anästhesisten verlassen den Operationssaal. Jede Gebärende habe in Stanford das Recht auf dieselbe medizinische Betreuung, sagen sie. Es würden keine Unterschiede gemacht zwischen Versicherten, Nichtversicherten, Amerikanern oder Ausländern. «Wenn ich einer Spanisch sprechenden Gebärenden eine Epiduralanästhesie stecke, interessiert es mich nicht, ob sie legal oder illegal im Land ist.» Er wisse aber, sagt einer der Ärzte, dass in Stanford rund 30 Prozent aller Gebärenden keine Aufenthaltserlaubnis in den USA hätten.
Im Gegensatz zu den privaten Spitälern sei Stanford, das als Ausbildungsspital Bundesgelder erhalte, gesetzlich verpflichtet, auch Patienten zu behandeln, die ihre Rechnung nicht bezahlen könnten. Die meisten Latinos der ersten Generation in den USA gehörten zu dieser Gruppe. «Unserer Klinik gehen dadurch zwar Millionen an Einnahmen verloren», ergänzt sein Kollege. «Weil aber dieselben Leute zu Mindestlöhnen Erdbeeren pflücken, Gärten pflegen und Häuser bauen, können wir Amerikaner dafür günstige Früchte kaufen und grosse Häuser mit Umschwung bewohnen.»
Beide Seiten gewinnen
Das Problem der illegalen Einwanderung sei jetzt in aller Munde, sagen die Ärzte. Aber jeder wisse, dass diese Arbeiter den Amerikanern keine Jobs wegschnappten. Im Gegenteil, ohne Niedriglohnempfänger müsste die Universität Stanford ihre Tore schliessen. Mindestens 80 Prozent der Angestellten, die in Gebäuden und Parkanlagen Dienstleistungen verrichteten, seien einmal ohne Arbeitsvisum eingewandert. «Sie erledigen jene Tätigkeiten, die wir ablehnen.» Dies erkläre, weshalb die Amerikaner die Anwesenheit von Millionen von illegal Eingewanderten duldeten. Die Anästhesisten sind sich einig: «Die Rechnung geht letztlich für beide Seiten auf.»
Elternabend an der Menlo-Atherton High School: Einheimische und Einwanderer sitzen getrennt. Elternabende werden hier stets zweisprachig durchgeführt, weil auch Schüler aus weniger wohlhabenden Nachbargemeinden die High School besuchen. Jede Klasse hat mindestens 30 Prozent Latinos. «Früher ärgerte ich mich, wenn Latinos den Elternabenden fernblieben», gesteht ein Lehrer. Jetzt empfinde er aber Achtung für den Fleiss dieser Leute. «Die Eltern blieben der Schule nicht aus Gleichgültigkeit fern, sondern weil sie arbeiteten oder kein Englisch sprachen.»
Leben auf Distanz
In seiner Ansprache an Hilfsarbeiter und Pizzabäcker weist der Schuldirektor auf Erschöpfungszustände bei den Schülern hin. Er wisse, dass viele Latino-Jugendliche mehrere Abende pro Woche in Imbissbuden arbeiteten, um das Familienbudget aufzubessern. «Dies ist lobenswert, aber Gesundheit und Fortschritte der Schüler gehen vor!» Auch vor Computerspezialisten und Anwälten spricht der Direktor von erschöpften Schülern. Diese seien übermüdet, weil sie nach dem Unterricht mit Privatlehrern arbeiteten, um sich Plätze in den besten Colleges zu sichern. «Dies ist lobenswert, aber der Gesundheit und dem Glück der Kinder darf nicht geschadet werden!»
Laut Aussagen der Lehrer dulden sich Amerikaner und Latinos, sie mischen sich aber nicht. «Es gibt weder viel Gemeinsames noch Konkurrenz zwischen diesen Schülergruppen. Sie leben in verschiedenen Welten.»
http://www.nzz.ch/2006/04/02/al/articleDPWKD.html
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