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"Die Zeit" über Hugo Chavez
Artikel aus Zeit - Online; Ausgabe:42 Jahr:2005
Fidel Castro stellt für die US-Regierung keine Gefahr mehr dar. Aus amerikanischer Sicht hat sich der Krisenherd nach Venezuela verschoben - wegen Hugo Chávez.
„Buenos dias Venezuela!“ grüßt der Mann freundlich. Wie jeden Sonntag überträgt der öffentlich-rechtliche Fernsehkanal Canal 8 die Show des charismatischen Moderators, die von Millionen Venezolanern verfolgt wird. Gerne nimmt er Fragen entgegen; meist aber spricht er. Fünf oder sechs Stunden lang. Über Krankenhäuser, Kaffee- und Zuckerkurse, Wetter und Ölgeschäft, Bildung, Natur, Revolution, Bücher, seine Mama und die Agrarreform. Über das Gute und das Böse. Bei Gelegenheit kann er auch singen. Angesichts seines Erfolges und seiner Quote würden sich die amerikanischen Fernsehsender bestimmt um den Unterhalter reißen. Wäre er nicht Hugo Chávez, der venezolanische Präsident, der die Sendung „Aló Presidente“ moderiert.
Seit seiner Wahl 1998 und vor allem seiner Wiederwahl 2004 ist er zum Latino Public Enemy Nr. 1 der Bush-Regierung geworden. Denn der linkspopulistische Führer – wenn man ihn überhaupt einordnen kann – versteht sich als der Simón Bolívar der Gegenwart. Ähnlich wie „El Libertador“, der Anfang des 19. Jahrhunderts die Unabhängigkeitsbewegung gegen Spanien führte und von einem panamerikanischen Bündnis der ehemaligen spanischen Kolonien träumte, will Chávez die „imperiale Herrschaft“ der USA auf dem Süd-Kontinent bekämpfen. Es geht ihm nicht nur darum, Bolivars geopolitische Auffassung wiederzubeleben, sondern auch darum, eine anti-kapitalistische Front anzuführen: „Es ist dringend, eine soziale Ökonomie aufzustellen, um den Kapitalismus zu überholen“, sagte Chávez im Januar 2005 während des Weltsozialforums in der brasilianischen Stadt Porto Alegre.
Chávez quillt über vor Ideen. Vor sechs Monaten präsentierte er in Kuba, gemeinsam mit Fidel Castro, die ersten Abkommen im Rahmen der regionalen Integrationsinitiative ALBA (Alternativa Bolivariana de las Americas). Das bolivarische Pendant der Freihandelszone Amerika (FTAA) soll auch den Wohlstand der Bevölkerung fördern. Aber anders als die FTAA beruht ALBA auf Kooperation statt Wettbewerb. Die Allianz zwischen Venezuela und Kuba soll die treibende Kraft der Alternativa sein, kündigten Chávez und Castro an, die dabei den Reiz des Tauschhandels wiederentdeckten. Als Gegenleistung für venezolanische Öl-Lieferungen wurde vereinbart, dass Havanna mehrere tausende Ärzte, Krankenpfleger und Erzieher nach Venezuela schickt. Mit Argentinien kam es ebenso zu bilateralen Abkommen: Öl gegen Rindfleisch und andere Agrarprodukte.
Die steigenden Ölpreise geben Chávez die nötigen Mittel für seine Politik. Kurz nach dem ALBA-Treffen in Kuba gründeten Venezuela und die meisten Karibik-Staaten eine regionale Erdölgesellschaft. Petrocaribe wird die Region – vor allem Kuba, Jamaica und Haiti – zu vorteilhaften Konditionen mit venezolanischem Rohöl versorgen. Die neue Ölgesellschaft ist nur der erste Schritt der Integration à la Chávez. Schon denkt er an Petrosur, ein Ölunternehmen, das die verschiedenen nationalen Ölfirmen vereinen könnte. Petrosur existiert noch nicht, dafür aber Telesur. Der Fernsehkanal mit Sitz in Caracas verbindet Venezuela (51 Prozent des Kapitals), Argentinien (20 Prozent), Kuba (19 Prozent) und Uruguay (10 Prozent). Seit Juli 2005 überträgt Telesur internationale Sendungen und wird schrittweise Süd- und Nord-Amerika, Europa und Nordafrika abdecken. Und wieder war Hugo Chávez derjenige, der das Projekt anregte - es soll CNN und seinem „Kommunikationsimperialismus“ die Stirn bieten. Kein Wunder, dass Chávez zur Hauptfigur der südamerikanischen Linken und Globalisierungsgegener geworden ist; im Gegensatz zu Fidel Castro ist es ihm gelungen, eine regionale politische Bewegung ins Leben zu rufen.
In seinem Land ist er äußerst beliebt. Mit seinen barocken und provokativen Aussagen, mit seinem verführerischen Stil und seiner brennenden Liebe zu Land und Leuten setzt Chávez die Tradition des lateinamerikanischen populistischen Führers fort. Insofern hat er die Innenpolitik ziemlich vereinfacht: Man ist gegen oder für Chávez. Gewiß hat er den Klientelismus stark entwickelt, was Wohlmeinende so sehen: Seine Politik ist dem Volk gewidmet. 3,5 Milliarden Dollar wurden im vergangenen Jahr für soziale Programme ausgegeben, die sogenannten „Missionen“, wie zum Beispiel den nationalen Alphabetisierungsplan oder die kostenlosen ärztlichen Behandlungen für die Armen. Seine bürgerlichen Gegner werfen ihm vor, er entwickele eine Diktatur. Im Juli hatte die Bischofskonferenz in Venezuela (CEV) die Menschenrechtslage im Land, die „zunehmende Militarisierung der Gesellschaft“ und die „kriegerischen Äußerungen“ der Chávez-Regierung kritisiert. Die Opposition ist allerdings zersplittert und besteht zu einem nicht unerheblichen Teil aus zweifelhaften Geschäftsleuten.
Die amerikanische Regierung beobachtet die Entwicklung der bolivarischen Republik seit 1998 mit Sorge. Im Januar hatte die US-Außenministerin Condoleezza Rice Venezuela bereits als „negative Kraft in der Region“ angeprangert und sprach von dem „Ex-Rebell“ - Chávez hatte 1992 einen gescheiterten Putschversuch gegen den damaligen Staatschef Carlos Andrés Pérez angeführt. Darauf antwortete Chávez: „Ich bin kein Ex-Rebell. Ich bin ein Rebell.“ Washington will auf keinen Fall einen neuen Brennpunkt im karibischen Hinterhof dulden, das anders als Kuba über gewaltige Ölvorkommen verfügt. Die USA beschuldigen Chávez, Bolivien, Ecuador und Peru destabilisieren zu wollen. Richtig ist, dass die drei Länder von einer indianischen Mehrheit bevölkert sind, die empfänglich ist für die Botschaften des Venezolaners. Überdies könnten die Sandinisten in Nicaragua und die Linken in Mexiko die Wahl 2006 gewinnen: Das wäre dann ein Linksrutsch auf dem Kontinent. Nicht zuletzt wegen des starken Manns im Nordosten.
Allein der aktuell besetzte Vertrieb in Barquisimeto setzt umgerechnet eine Million Euro im Monat um. Die Beschäftigten erhalten dennoch alle nur den Mindestlohn von weniger als 170 Euro. Sie haben keine geregelten Arbeitszeiten, sondern nur ein Pensum, welches sie erfüllen müssen. »Das dauert manchmal mehr als zwölf Stunden«, berichtete Gewerkschaftssekretär Danny Correa. Die Vertriebsfahrzeuge seien zudem in einem lebensgefährlichen Zustand. Tatsächlich sind auf dem Werksgelände einige schrottreife Kleinbusse zu bestaunen, bei denen Motorteile, Außenspiegel und Scheinwerfer notdürftig mit Klebeband befestigt wurden.
http://www.jungewelt.de/2005/10-26/009.php
Da werden sie sich noch etwas anstrengen müssen um mit Cuba gleichzuziehen.
#3 RE: "Die Zeit" über Hugo Chavez
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