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Dampfbad auf Rädern
Alltag auf Kuba
Dampfbad auf Rädern
Kamele auf Rädern und Autos auf Kontaktsuche: Im Urlaub auf Kuba musste sich unser Moskau-Korrespondent Boris Reitschuster immer wieder verwundert die Augen reiben – und fühlte sich manchmal wie zu Hause in Russland.
Irgendetwas stimmt nicht mit diesen Polizisten. Nein, es wundert mich nicht, dass sie fast so zahlreich wie die Bäume am Straßenrand stehen – das bin ich gewohnt. Aber sie sind plötzlich so schlank; so leicht und elegant bekleidet; mit allzu viel Farbe im Gesicht. All das wäre noch zu verkraften. Aber sie ignorieren mich völlig. Keiner macht auch nur müde Anstalten, seine Kelle zu heben und mich anzuhalten. Und das, wo ich gerade den alten Lada viel zu schnell und frech rechts überholt habe. Doch mein Herz flattert diesmal völlig umsonst. Ich fühle mich fast etwas vernachlässigt.
Slalom auf der Fahrbahn
Doch da taucht plötzlich aus den dicken Abgaswolken vor mir ein Dinosaurier von einem Auto auf. Kein Lada, kein Wolga: Schweres, rundes Metall kriecht auf tief niedergedrückten Rädern, trotzt schwerfällig der Schwerkraft und der Zeit – und holt mich zurück in die Wirklichkeit. Auch wenn mir alles so vertraut vorkommt, etwa weil die weißen Linien auf der Fahrbahn eher die Funktion von Slalom-Stangen haben, und weil zahlreiche Schlaglöcher dafür sorgen, dass man nicht wie auf einer langweiligen deutschen Autobahn den Versuchungen des Schlafs erliegen kann: Auch wenn mir vieles so bekannt vorkommt – ich bin nicht Zuhause in Russland, sondern auf Kuba.
DDR-Mief statt American Dream
Die Oldtimer, Kuba-Wahrzeichen auf allen Prospekten, sind zwar sehr hübsch anzusehen; doch sobald man sie nicht nur auf Fotos vor Augen, sondern auf der Straße vor der Nase sich hat, ändert sich der Eindruck schlagartig: Man fühlt sich nicht mehr zurückversetzt in Amerikas glorreiche Vergangenheit, sondern auf miefige DDR-Kreisstraßen – hinter Trabis mit Verdauungs-Schwierigkeiten im Vergaser.
Vielleicht ist es die Rache der geschundenen Kreatur: Weil wegen der Handels-Blockade der USA auf Kuba keine Ersatzteile für die Auto-Veteranen zu bekommen sind, mühen sich unter vielen Kühlerhauben sowjetische Lada- und Wolga-Motoren – in etwa so, wie wenn man ein Grammofon mit einem Transistor-Radio im Inneren betreibt.
Kontaktfreudiger Wagen
Aber auch neuere Modelle haben ihre Macken. Als ich bei der Autovermietung vorspreche, gibt mit der Mann am Schalter, dem die Knöpfe und Nähte seines Hawai-Hemds so in den Bauch schneiden wie das weiße Netz in eine Salami, stolz den Autoschlüssel für einen Hyundai – im Vergleich zu dem übrigen Inventar auf Kubas Straßen so stattlich wie in Deutschland ein S-Klasse Mercedes. Als ich mit dem Schlüssel frohgemut auf das gute Stück zulaufe, traue ich meinen Augen nicht: Kein einziges Stück Blech, das noch nicht intensiv Bekanntschaft mit anderen Verkehrsteilnehmern gemacht hat.
Dellen als Qualitätsmerkmal
Der Salami-Mann kann gar nicht verstehen, wie ich mit deutscher Kleinlichkeit auf diese besondere Variante der kubanischen Kontaktfreude herangehe. Offen gestanden war meine Bitte, die Vorschäden zu notieren, wohl auch etwas naiv und übereilt – um alles registrieren zu lassen, hätte ich wohl noch Stunden dasitzen müssen. Die Dellen stören nicht, überzeugt er mich, und er ist fast ein bisschen gekränkt, dass so nüchtern an das Prachtstück herangehe: „Der Wagen läuft doch!“
Kaum habe ich die ersten Kilometer am Steuer hinter mir, wundert es mich kein bisschen mehr, dass die Karosserie meines Koreaners so ungebügelt wirkt: Wichtigster Punkt in der kubanischen Straßenverkehrordnung scheint es zu sein, sich nie umzusehen und in keinem Fall daran zu denken, dass noch andere Menschen auf der Straße sein könnten. Das gilt offenbar insbesondere für das proletarische Fußvolk: Wer auf den eigenen Beinen unterwegs ist, muss sich allem Anschein nach einen Spaß daraus machen, das Reaktionsvermögen der privilegierten Klasse – der Autofahrer – auf die Probe zu stellen. Dazu springen sie an den unmöglichsten Stellen auf die Straße, sobald sich ein Wagen nähert. Dass nachts die Straßenbeleuchtung fehlt, macht das Spiel noch spannender.
Kamel als Schwitzkasten
An jeder Straßenecke halten einen Kubaner an mit der Bitte, sie mitzunehmen: Benzin ist teuer, Transport Mangelware. Schon aus reiner Menschenliebe kann man da nicht immer nein sagen – zumal manche Möchtegern-Passagierin derart herzlich lächeln, dass man es nur ein Unmensch übers Herz bringen würde, auf das Gaspedal zu treten und eiskalt weiterzufahren.
Nach zwei Tagen am Steuer in Havanna fühle ich mich so kraftlos und leer wie eine der Kokosnüsse, die ausgetrunken am Straßenland liegen. Doch es wäre ein Fehler, nun ganz deutsch und ökologisch korrekt auf den Bus umzusteigen: Die „Kamele“, wie die Bus-Ungetüme auf Sattelschleppern in Havanna wegen ihrer Buckel-Form genannt werden, sind für einen Mitteleuropäer eher wie eine Mischung aus Sauna und römischen Dampfbad –Garantie für Körperkontakt und Unterhaltung inklusive.
Ende des Dornröschenschlafs
Ich steige um ins Taxi. Im 21 Jahre alten Lada kommt ein Gefühl der Rührung auf. Als der vierte Gang beim Einlegen scheppert wie eine Kreissäge, klingt es für meine Ohren fernab der Heimat wie Tschaikowski-Musik. Als wir raus sind aus Havanna, fühle ich mich endgültig wie Zuhause in Russland – scheinen die allgegenwärtigen Verkehrspolizisten doch endlich aus einem Dornröschenschlaf erwacht. Endlich eine ausgestreckte Kelle: „Ihre Dokumente!“
Ausländer als heilige Kühe
Ich beklage mich bei meinem Fahrer über die Diskriminierung. „An Ihrem Mietwagen haben Sie Ausländer-Kennzeichen“, sagt er: „Ausländer sind Devisen-Bringer, und für die Polizisten wie heilige Kühe – unantastbar.“ Offenbar erstreckt sich der Artenschutz für Urlauber auch auf den Beifahrer-Sitz: Jedenfalls macht das milchkaffee-braune, hoch gewachsene Muskelpaket in Paradeuniform eine graziöse Geste mit der Hand: „Alles okay, gute Fahrt“. Ich platze vor Neid: Zwar sehen auch in Russland die Verkehrspolizisten die Ausländer als Devisengeber – allerdings für ihre private Schatulle; statt heiliger Kühe sind wir für sie eher Melkviecher. Könnte man Russlands Ordnungshüter nicht zu ihren ehemaligen Genossen auf Kuba zur Fortbildung schicken?
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