Das Athen Kubas - auf Zucker gebaut

18.01.2005 07:53 (zuletzt bearbeitet: 18.01.2005 07:56)
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#1 Das Athen Kubas - auf Zucker gebaut
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Rey/Reina del Foro

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18. Januar 2005, 02:11, Neue Zürcher Zeitung

Das Athen Kubas - auf Zucker gebaut

Die Hafenstadt Matanzas träumt von vergangener Grösse

Zucker bildete die Basis für den Aufstieg der kubanischen Hafenstadt Matanzas. Das weisse Gold sorgte auch für eine kulturelle Blüte, die zeitweilig selbst Havanna in den Schatten stellte. Eine lebendige Kulturszene und ein Theater, das zumindest national auf sich aufmerksam macht, sind der Stadt aus ihrer grossen Zeit geblieben.

Luis Octavio Hernández ist stolz auf das neue Kulturzentrum, welches in den letzten drei Jahren entstanden ist. Aus dem verfallenen Kolonialpalast im Herzen Matanzas' ist ein Schmuckstück geworden. Handbemalte Glasfenster im Treppenhaus, wertvolle Statuen und zahlreiche Ausstellungsstücke schmücken das Foyer und die Konferenzsäle. Spenden aus dem Ausland, ein wenig Hilfe von der Regierung in Havanna und viel Eigenarbeit haben aus der Ruine einen der beliebtesten Treffpunkte des Kulturlebens von Matanzas gemacht, so erzählt der Direktor der Vereinigung der plastischen Künstler (ACAA).

Doch auf Kunsthandwerk und plastische Kunst beschränkt sich das neu erblühte Zentrum nicht. Es sei für alles offen und biete eine Fülle von Kursen an. Auch die Literaturwerkstatt Matanzas' habe in den repräsentativen Räumen der ACAA ihre Heimat gefunden, erzählt Luis Octavio Hernández. Und erst vor wenigen Monaten machte eine der berühmtesten Sängerinnen der Insel, Omara Portuondo, eine Stippvisite im Kulturzentrum; mit Stolz teilt Hernández mit, dass sie auch ihre Pressekonferenz anlässlich des Auftritts im Teatro Sauto hier abhielt.

Hoher Besuch findet wieder öfter den Weg in die 120 000 Einwohner zählende Hafenstadt, die sich selbst den Beinamen «Athen Kubas» verliehen hat. Ein Titel, der viel mit der grossen Vergangenheit der ehemals reichen Zuckerstadt zu tun hat, aber auch mit dem regen Kulturleben in der Hauptstadt der Rumba.

Stadt der Dichter und Denker
Französische Zuckerpflanzer, die Ende des 18. Jahrhunderts vor der Revolution in Haiti nach Kuba flohen, sorgten binnen weniger Jahrzehnte für einen merklichen Produktionsanstieg der süssen Kristalle. Hohe internationale Nachfrage und der schnelle Ausbau der Anbauflächen brachten der 1693 von kanarischen Einwanderern gegründeten Stadt einen Boom. Matanzas mauserte sich zu einem blühenden Handelszentrum im Zeichen des Zuckers. 456 Zuckermühlen gab es um 1860 in der gleichnamigen Provinz. Rund die Hälfte der nationalen Zuckerproduktion wurde in Matanzas erwirtschaftet und über den Hafen der aufstrebenden Stadt verschifft. Das weisse Gold veränderte das Gesicht der Stadt. Prächtige Kolonialhäuser wie der Palacio del Junco, gebaut von einem erfolgreichen Zuckerpflanzer, entstanden. Aber die Zuckerbarone investierten ihre Millionen nicht nur in den Bau repräsentativer Kolonialpaläste, sondern sorgten auch für einen beispiellosen kulturellen Aufschwung.

Schriftsteller, Dichter, Philosophen und Künstler aus allen Ecken Kubas kamen, oftmals auf Einladung der Zuckeraristokraten, und verwandelten die Stadt in eine Kulturmetropole, die zeitweilig selbst der Hauptstadt Havanna Konkurrenz machte. In Matanzas entstand die Rumba genauso wie der Danzón, der zwischen 1880 und 1920 zum beliebtesten kubanischen Volkstanz wurde und die Basis für Mambo und Cha-Cha- Cha lieferte. Auch die erste Tageszeitung der Insel wurde 1813 in Matanzas aufgelegt. 1842 folgte mit «La Guirnalda» die erste Literaturzeitschrift, deren Gründung eine Reaktion auf die Entstehung der Literaturzirkel war. Diese waren landesweit bekannt, und zum zentralen Treffpunkt wurde das 1860 gegründete Liceo Artístico y Literario.

Dort fanden sich Intellektuelle wie der kubanische Nationaldichter José María Herdia, der französische Maler Édourd Laplante oder der Violinist José White ein. Sie verschafften der Stadt mit dem blutrünstigen Namen national wie international erhebliches Prestige. «Schlächterei» heisst Matanzas übersetzt, und den Namen hat die Stadt höchstwahrscheinlich dem Hunger der spanischen Seefahrer zu verdanken. Die brauchten Fleisch und initiierten die Weidewirtschaft in der Region. Mit dem Imagewandel wurde es Zeit, der Stadt einen freundlichen Beinamen zu geben und der war 1860 gefunden: Als «Athen Kubas» präsentierte sich die Zuckerstadt fortan.

Rebellionen und Aufstände
Ihr Reichtum aber basierte auf der Sklaverei, und Matanzas war parallel zum kulturellen Aufschwung auch eine Stadt, die immer wieder von Rebellionen und Aufständen erschüttert wurde. Deren wichtigster, der Escalera-Aufstand, endete 1844 mit der Hinrichtung zahlreicher revoltierender Sklaven auf dem Hauptplatz der Stadt, dem Parque Libertad, wie der Ethnologe Israel Moliner erklärt. Nicht ohne Grund habe der Komponist Miguel Failde seinen ersten Danzón, «Die Höhen von Simpson», 1871 nach dem gleichnamigen Schwarzenviertel von Matanzas benannt. Dies sei seine Form des Protests gegen die hemmungslose Ausbeutung und Diskriminierung gewesen, so der Wissenschafter.

Ein seltener Fall von Kritik, denn das Fundament des Reichtums der Stadt wurde normalerweise nicht in Frage gestellt. Die Mäzene der schönen Künste waren schliesslich die Zuckerbarone, die sich ihre Zerstreuung einiges kosten liessen. Gleich mehrere Theater entstanden im 19. Jahrhundert, die um die Gunst der Zuschauer buhlten. Unbestrittene Nummer eins war das 1863 im neoklassizistischen Stil errichtete Teatro Sauto, das von dem reichen Apotheker Ambrosio de la Concepción Sauto gestiftet wurde.

Symbol des Niedergangs
Internationale Stars wie Sarah Bernhardt, die 1887 mit ihrem Ensemble die «Kameliendame» aufführte, kamen damals nach Matanzas. Grosses Programm mit nationalen wie internationalen Stars war bis weit in die zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts das Markenzeichen des prächtigen Hauses mit den aufwendigen Deckenmalereien und der exquisiten Akustik. Dann versiegte der Strom der Zuckermillionen langsam, und man musste sich mit nationalen Grössen wie der Sängerin Rita Montaner oder dem Pianisten Ernesto Lecuona zufrieden geben, so erzählt Theaterdirektorin Cecilia Sodis aus der Geschichte des Theaters.

Mittlerweile zum Kino degradiert, steht das vom italienischen Bühnenarchitekten Daniele Delaglio entworfene Haus symbolisch für den Niedergang der Hafenstadt. Erst nach einer Generalsanierung wurde das Theater 1969 wieder zur ersten Kulturadresse der Hafenstadt - allerdings weit entfernt von dem hohem Niveau vergangener Tage. Ereignisse wie das Konzert von Omara Portuondo werden in Matanzas gefeiert, denn derartige Events bilden eine willkommene Abwechslung. Als Ciudad Dormida, als schlafende Stadt, wird Matanzas heute in Kuba bezeichnet. Daran haben auch die Touristenströme ins benachbarte Varadero wenig ändern können, denn auf den Tourplänen der Veranstalter ist das «Athen Kubas» nicht aufgeführt. Bisher ist es den Verantwortlichen nicht gelungen, den Tourismus für die Entwicklung der alten Zuckerstadt zu nutzen. Wichtige Impulse bleiben damit aus. Auch ein Grund, weshalb das Teatro Sauto unter der Woche zumeist geschlossen ist und viele kulturelle Aktivitäten im kleinen Rahmen im Hause von ACAA-Direktor Hernández stattfinden.

Knut Henkel


http://www.nzz.ch/2005/01/18/fe/page-article9VNMA.html

Moskito


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