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Strategische Allianz Kubas mit Venezuela
21. August 2004, 02:05, Neue Zürcher Zeitung
Strategische Allianz Kubas mit Venezuela
Wie Castro und Chávez sich gegenseitig helfen
Der Ausgang des Referendums zugunsten von Präsident Chávez wird in Havanna gelobt. Sowohl Castro als auch Chávez ziehen aus dem immer engeren Bündnis ihrer beiden Länder jeweils eigenen Profit. Für Kuba zählt das venezolanische Erdöl, für Venezuela das kubanische Personal im Land.
bau. Mexiko, 20. August
Zu den Ersten, die Venezuela und dessen Präsidenten Chávez nach dem Referendum vom letzten Wochenende «herzlich und solidarisch» gratulierten, gehörte Kuba. Die offizielle Verlautbarung aus Havanna sprach von einer historischen Lektion in Sachen echter Demokratie und nationaler Souveränität. Sie bescheinigte Chávez, sein Amt nun unzweideutig legitimiert auszuüben. In krassem Gegensatz dazu stünden verschiedene Herrscher in Lateinamerika, die sich in einer Krise befänden, weil sie den Rezepten der USA und des Währungsfonds unterworfen seien und somit nicht vom Willen des Volkes getragen würden. «Granma», das Organ der kommunistischen Partei Kubas, titelte auf der Frontseite in grossen roten Lettern: «Überzeugender Sieg für Chávez». Die staatliche Nachrichtenagentur stellte das Abstimmungsergebnis mit der Schlagzeile «Kolossaler Sieg des Volkes!» ins Internet.
Begehrtes Erdöl
Seit dem Amtsantritt von Präsident Chávez sind die Beziehungen zwischen den beiden Karibik-Anrainern zusehends enger geworden. Dazu trug nicht nur die geographische Nähe, sondern auch die weltanschauliche Affinität zwischen Castro und Chávez in einem überwiegend feindlichen, sprich kapitalistischen Umfeld bei. Wie wichtig Chávez die Beziehung zu dem von ihm angehimmelten Fidel Castro ist, zeigte sich Anfang Jahr, als er seinen älteren Bruder Adán zum Botschafter in Havanna ernannte. Tragende Säule der Allianz zwischen den beiden Ländern ist der am 30. Oktober 2000 unterzeichnete, zunächst auf fünf Jahre befristete Zusammenarbeitsvertrag. Darin verpflichtet sich Venezuela, Kuba täglich bis zu 53 000 Fass Erdöl oder Erdölderivate zu liefern. Im Gegenzug leistet Kuba dem lateinamerikanischen Erdölgiganten technische Hilfe. Dazu gehören in erster Linie die Entsendung kubanischer Techniker, Ärzte und Sporttrainer für die ärmsten Gebiete des Landes sowie die Lieferung von Produkten, allen voran in Kuba hergestellte Pharmaka und Impfstoffe.
Für Kuba ist die Vereinbarung, die im Wesentlichen den versiegten schwunghaften Tauschhandel aus den Zeiten der sowjetisch-kubanischen Freundschaft imitiert, von nicht geringer wirtschaftlicher Bedeutung. Die Erdöllieferungen entlasten das notorisch knappe Devisenbudget und sorgen für einen steten Nachschub - ein wichtiger Faktor für Kuba, das unter den erschwerten Bedingungen des nordamerikanischen Embargos leidet und keinen normalen Zugang zu den internationalen Finanz- und Rohstoffmärkten hat.
Für die Lieferungen stellt Caracas günstige Finanzierungsmechanismen zur Verfügung, die je nach dem jeweiligen Stand des Weltmarktpreises für Rohöl variieren. Die letzten verlässlichen, von beiden Seiten bestätigten Zahlen stammen aus dem Jahr 2001. Damals deckte das venezolanische Öl etwa 30 Prozent des kubanischen Bedarfs. Die Rechnung für Vorzugsöl an Kuba betrug 562 Millionen Dollar. Davon hätte die staatliche kubanische Firma Cupet etwa 80 Prozent innerhalb von 90 Tagen an die ebenfalls staatliche venezolanische Erdölfirma PDVSA bezahlen müssen. Kuba verlangte Zahlungsaufschub für die Kurzfristschulden, etwas, das inzwischen zur Norm geworden zu sein scheint. Laut venezolanischen Presseberichten stehen die kubanischen Ausstände heute bei knapp 900 Millionen Dollar, davon entsprechen 650 Millionen Dollar der nicht bedienten Kurzfristschuld.
Berater aus Havanna
Unter dem Siegel grösster Verschwiegenheit werden die Ausgleichszahlungen für kubanische Leistungen an Venezuela gehalten. Nach dem gescheiterten Staatsstreich gegen Chávez im Jahre 2001 wurde der Zusammenarbeitsvertrag um eine wichtige Klausel erweitert. Es wurde festgelegt, dass die Gehälter für Leistungen der technischen Zusammenarbeit direkt von den venezolanischen Partnern an den kubanischen Staat zu bezahlen sind. Die Rede ist von Monatsgehältern zwischen 850 bis 2000 Dollar, was etwa dem Usus in den Joint Ventures mit ausländischen Firmen in Kuba entspricht. Die kubanischen Fachleute selber erhalten weit weniger ausbezahlt, nämlich um die 200 Dollar. Als philanthropische Geste versteht Castro die Gratisbehandlung bedürftiger venezolanischer Patienten in kubanischen Krankenhäusern. Laut offiziellen kubanischen Angaben haben bis Ende Februar 2004 insgesamt 87 Krankenflüge für rund 5700 Patienten und gegen 4900 Angehörige aus Venezuela nach Kuba stattgefunden. Dazu kommen 850 venezolanische Stipendiaten, die zurzeit kostenlos an Universitäten in Kuba studieren, vor allem in den Fächern Medizin und Sport.
Die Allianz zwischen Castro und Chávez sei undurchsichtig, meinte kürzlich im Gespräch Manuel Cova, ein führendes Mitglied der venezolanischen Gewerkschaftsbewegung und eingeschworener Gegner des Staatschefs. Venezuela sei heute für Kuba, was früher die Sowjetunion für die Insel gewesen sei, sagt er. Dabei sei man nicht nur einseitig zu einem wichtigen Financier Castros aufgestiegen. Venezuela werde als zweifelhaftes Gegengeschenk mit kubanischen Agenten und Beratern überschwemmt.
In der Tat ist die Zahl der Ärzte, Krankenpfleger, Lehrer und Sporttrainer, die einem der unzähligen Entwicklungsprogramme der Regierung, den «misiones», zugeteilt sind, in den letzten zwei Jahren sprunghaft angestiegen. Man schätzt, dass inzwischen ständig etwa 13 000 bis 18 000 Kubaner in Venezuela im Einsatz sind. Ein Auslandskorrespondent, der vor dem Referendum das etwa 100 000 Einwohner zählende Armenviertel Santa Rosalía in der Hauptstadt Caracas besuchte, konnte feststellen, dass allein in diesem Quartier 81 kubanische Doktoren und Trainer arbeiteten. Weiter unterstellt die Opposition, dass praktisch in allen Ministerien und in der Armee sich Hunderte von kubanischen Beratern eingenistet hätten.
Gemeinsame Front
In den venezolanischen Medien ist seit langem die Rede von der schleichenden Kubanisierung des Landes. Nicht selten wird Chávez in Karikaturen als eine Art Möchtegern-Fidel dargestellt. Auch wenn diese Sicht der Dinge übertrieben sein mag, in einem stimmen Castro und Chávez überein. Beide wollen sie einen antiimperialen - das heisst antiamerikanischen -, antiglobalen und antineoliberalen Pol in Lateinamerika schaffen. Dabei arbeitet dem Altrevolutionär in Havanna der unberechenbaren Querschläger in Caracas, der Herr ist über schier unerschöpfliche Erdölvorräte, in die Hand. Venezuela übernimmt eine Brückenfunktion zu den Ländern des Mercosur, wo in Brasilien und Argentinien tendenziell linksgerichtete Regierungen an der Macht sind. Mit diesen zusammen soll, ganz nach den Vorstellungen Castros, das panamerikanische Freihandelsbündnis noch vor dessen Entstehen zu Fall gebracht werden. Intellektuelle, die der Bewegung der Globalisierungsgegner angehören, preisen die Allianz zwischen Castro und Chávez als Modell des gerechten Güteraustausches. Jedes Land liefere dem anderen das, was es besitze, und dies ohne Rücksicht auf die Weltmarktpreise.
Ob die angestrebte Achse Havanna-Caracas- Brasilia-Buenos Aires nach den Vorstellungen von Castro und seinem weltanschaulichen Ziehsohn Chávez zustande kommt, bleibt abzuwarten. Während Chávez zu Beginn seiner Amtsführung von der lateinamerikanischen Linken - und wohl auch von Castro selber - als folkloristischer Wirrkopf wahrgenommen und geschnitten wurde, mehren sich jetzt die Stimmen, die das diffuse venezolanische Modell einer Revolution ohne Revolution, von strukturellen Veränderungen zugunsten der verarmten Massen unter mehr oder weniger demokratischen Verhältnissen, als neuen Massstab für Lateinamerika preisen. Nachdem die neoliberalen Reformen der neunziger Jahre viele Latinos demokratiemüde gemacht haben, weil sie das Grundübel - die sozialen Ungerechtigkeiten in Form eines extremen Wohlstandsgefälles und von Massenarmut - nicht zu beseitigen vermochten, scheint für die neuen Progressiven ganz in der Tradition von Che Guevara in Venezuela ein Hoffnungsstern aufzugehen.
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