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„Keine moralischen Werte mehr“
„Keine moralischen Werte mehr“
Seit dem Papstbesuch hat sich auf Kuba einiges geändert, auch wenn momentan der Druck zunimmt – Angst ist dennoch da, meint Pfarrer Bocktenk
DT Nr.41 vom 06.04.2004
Mit der Visite von Johannes Paul II. waren auf Kuba große Hoffnungen für die Kirche verbunden. Haben sie sich erfüllt? Wie steht es um die politische Zukunft der Insel? Karl-Georg Michel sprach mit Pfarrer Josef Bocktenk, der seit 1989 auf Kuba Seelsorger ist, zunächst in Los Palacios und jetzt in Las Martinas im äußersten Westen der Insel. Bocktenk, Jahrgang 1947, stammt gebürtig aus Bocholt, ist Spätberufener und Priester der Diözese Villaricca in Chile.
Wohin tendiert Kuba? In Richtung größerer Freiheiten, oder wird es wieder mehr Unterdrückung geben?
Im Moment haben wir sicherlich mehr Unterdrückung. Wir hatten zum Beispiel im vergangenen Jahr drei „Republikflüchtige“, wie man in Deutschland sagen würde, denen wurde kurzerhand der Prozess gemacht: Sie wurden innerhalb von drei Tagen erschossen, weil sie ein Boot gekapert hatten. An ihnen sollte offenbar ein abschreckendes Exempel statuiert werden. Außerdem versucht die Regierung verstärkt, den Sozialismus zu verewigen und auch die Jugend wieder auf den sozialistischen Pfad zu bekommen. Die Ideologisierung nimmt zu, nachdem es eine Zeitlang Möglichkeiten gab, auch Eigeninitiative zu entwickeln, zum Beispiel kleine Geschäfte und Gewerbebetriebe zu eröffnen. Das wird jetzt sehr zurückgedrängt, die Bauern etwa müssen ihre Waren wieder auf dem sozialistischen Markt verkaufen. Wir haben momentan einen immer größeren Druck auf die Gesellschaft.
Mit dem Papstbesuch waren Anfang 1998 sehr große Hoffnungen verbunden. Der Impuls von damals scheint also wieder verpufft zu sein?
Der Besuch von Johannes Paul II. hatte zweierlei Erwartungen, eine politische und eine pastorale. Die erste hat sich nicht erfüllt. Man könnte sogar sagen, dass sie umgekehrt worden ist: Denn durch den Papstbesuch wurde Castro international aufgewertet, er hat sich seitdem in seinem Stil überhaupt nicht beeindrucken lassen. Aber kirchlicherseits haben wir sicher einen großen Schritt nach vorne getan. Es durften dreißig ausländische Priester ins Land, und im Jahr vor dem Papstbesuch hat die Kirche einen Aufschwung erlebt. Wir konnten machen, was wir wollten: etwa Kindergärten und sonstige soziale Einrichtungen eröffnen, was vorher unmöglich war. Man ließ uns damals machen; Fidel Castro konnte ja den Papst nicht einladen, ohne uns auch etwas zuzugestehen.
Wie sah das konkret in ihrer Pfarrei aus?
Ich wurde ein Jahr vor dem Besuch nach Las Martinas versetzt. Dort gab es fünfzig Jahre lang keinen Priester. In meine beiden Kirchlein kamen anfangs vielleicht zwanzig Leute. Inzwischen haben wir in meiner Pfarrei siebzehn Kommunitäten: neben den zwei Kirchen gibt es jetzt fünfzehn Orte, wo wir in Häusern, Hinterhöfen oder auch in Wohnzimmern Gottesdienst feiern und Katechese halten. Mittlerweile haben sich manche Kommunitäten verselbstständigt, mit eigenem Leiter. Als ich ankam, hatten wir vielleicht zehn Kinder in der Katechese, mittlerweile sind es 250. An manchen Orten habe ich auch selbst Katecheten ausgebildet. Das alles hat der Papstbesuch bewirkt. Aber schon einen Tag danach hat ein führendes Parteimitglied gesagt, Kuba müsse wieder entpapstet werden. Dann hat man versucht, uns wieder in die Ecke zu drängen, in der wir vorher waren. Aber das hat nicht geklappt.
Was meinen Sie mit „in die Ecke drängen“?
Wir haben momentan auf Kuba sehr große Schwierigkeiten mit evangelikalen Sekten, die vom Staat kaum gegängelt werden. Sie können viel Propaganda machen und haben auch entsprechenden Zulauf, vielleicht sogar mehr als wir.
Spielt der Staat diese Sekten bewusst gegen die katholische Kirche aus?
Ich würde das so sagen. Wir werden gegeneinander ausgespielt. Die Zeugen Jehovas zum Beispiel wurden früher verfolgt, aber heute wundere ich mich immer über die Freiheiten, die sie genießen.
Haben Katholiken auf Kuba Angst um ihre Zukunft? Wenn sich zum Beispiel ein junger Mensch zum Glauben bekennt, kann es dann sein, dass man ihm ein Studium verwehrt?
Im Prinzip nein. Das ist vorbei. Aber die Angst sitzt noch im Volk. Es passiert oft genug, dass zum Beispiel ein Lehrer zur Mutter sagt: „Ihr Kind muss in die Partei, damit es später studieren kann.“ Und da die Eltern noch wissen, was vor dreißig, zwanzig Jahren los war, nehmen sie ihr Kind aus der Katechese, damit es keine Schwierigkeiten hat. Aber wir haben genügend Katholiken, das muss man ganz ehrlich sagen, die heute Psychologie, Medizin oder Soziologie studieren, was früher unmöglich war. Sie werden vielleicht bei den Prüfungen oder bei Vorgesprächen ernster in die Mangel genommen, man versucht auch, sie aus der Kirche rauszuholen. Aber wenn einer standhaft bleibt, hat er keine Probleme. Nur hapert es noch an dieser Standhaftigkeit, die Angst und die Erfahrung von früher ist zu groß.
Inwieweit dürfen sich die Kirche oder Sie als Pfarrer in die Politik einmischen? Was dürfen Sie sagen und was nicht?
In die Politik direkt darf ich mich erstmal überhaupt nicht einmischen.
Und in die Gesellschaft, zur sozialen Frage?
Die Kirche ist immer politisch, und zwar einfach dadurch, dass sie das Evangelium verkündet. Wenn ich zum Beispiel vom Himmel predige, dann sage ich ganz offen, dass man uns die Hoffnung auf ein ewiges Leben genommen hat. Man wollte uns ein Paradies auf Erden schenken und hat uns den Himmel weggenommen. Jetzt haben wir weder die Hoffnung auf den Himmel noch ein Paradies auf Erden. Denn wenn ich mich einmal vor einem Gott-Vater verantworten muss, lebe ich anders. Ein alter Mann sagte mir einmal: „Wissen Sie, was bei uns los ist? Wenn Gott nicht mehr Vater ist, sind wir nicht mehr Brüder und Schwestern.“ Das ist unser Problem. Wenn wir Brüder und Schwestern sind, mache ich meine Arbeit vernünftig, und dann geht es auch der Wirtschaft gut.
Also keine direkte politische Einflussnahme, aber indiekt durch ihre Verkündigung?
Ja. Und ich thematisiere da zum Beispiel auch, dass sich die Menschen viele Dinge aus den Fabriken „organisieren“. Ich kann den Leuten nicht verbieten, auf diese Weise zu stehlen, weil man ohne kaum überleben kann. Ich sage aber: „Leute, sagt euren Kindern, das ist Sünde. Freut euch nicht drüber.“ Das hat für mich auch mit der Zukunft zu tun. Kuba ist eigentlich ein reiches, fruchtbares Land. Wir haben einen Tourismus, der auf das Doppelte und Dreifache ausgebaut werden könnte. Wir haben Strände, die völlig frei sind von Touristen. Das ist nicht das Problem. Wirtschaftlich könnte Kuba morgen ganz gut dastehen. Das Problem ist die Moral: Der Mensch ist kaputt gemacht worden, er hat keine moralischen Werte mehr – und deshalb wird es immer schwieriger, den Leuten beizubringen, ehrlich zu arbeiten.
Wenn Sie an die Zukunft denken: Wie sieht es um die Nachfolge Castros und des Kommunismus auf Kuba aus?
Offiziell ist die Nachfolge geregelt. Offiziell soll auch der Sozialismus weitergehen. Als Nachfolger gilt Fidels Bruder Raoul Castro. Dann haben wir auch noch einen Vizepräsidenten ... Aber was in Wirklichkeit kommen wird, ist schwer vorauszusagen. Ich persönlich glaube jedenfalls, dass Kuba nichts anderes übrigbleibt, als eine freie Wirtschaft einzuführen. Momentan ändert sich da auch einiges: Die Staatsbetriebe werden langsam aber sicher kapitalistisch geleitet – aber eben als Staatsbetriebe. Alle wissen, das das so nicht funktionieren kann.
Und wo geht es langfristig hin?
Ich schätze, langsam aber sicher in Richtung einer normalen, westlichen Demokratie. Darauf wird es hinauslaufen.
Ohne einen Übergang, der Krieg oder Bürgerkrieg bedeutet?
Das hoffen wir nicht.
Im Moment haben wir sicherlich mehr Unterdrückung. Wir hatten zum Beispiel im vergangenen Jahr drei „Republikflüchtige“, wie man in Deutschland sagen würde, denen wurde kurzerhand der Prozess gemacht: Sie wurden innerhalb von drei Tagen erschossen, weil sie ein Boot gekapert hatten.
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Wieder ein Lügner
Obwohl ich die Hinrichtung verurteil habe , sie würden nicht erschossen weil sie
ein Bot gekappert hatten.... wohl Chris ?
Saluds
In Antwort auf:
Das Problem ist die Moral: Der Mensch ist kaputt gemacht worden, er hat keine moralischen Werte mehr ? und deshalb wird es immer schwieriger, den Leuten beizubringen, ehrlich zu arbeiten.
wir haben ja das gleiche problem, jedoch im real existierendem kapitalismus
bei uns sind allerdings nicht die menschen kaputt gemacht worden, ihnen ging es einfach zu gut!
heute leben wir in einer selbstbedienungsgesellschaft, der wo kann, nimmt sich so viel er tragen kann!
castro
patria o muerte
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