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Schlichte Verse...
"Guantanamera" ist nicht alles:
Zum 150. Geburtstag des kubanischen Dichters
und Freiheitshelden José Martí
Von Karin Ceballos Betancur - FR, 28.01.2003
In Havanna werden sich heute Abend die Studenten auf den dunklen Stufen
der Universität versammeln, einige werden Getränke dabei haben, weil
man nie genau sagen kann, wann es losgeht. Jemand wird kubanische Fahnen
aus Papier verteilen, auf Holzstäbchen getackert, und wer seine Fackel
vergessen hat, wird den Compañero fragen, der irgendwie wusste, dass es
so kommen würde, und deshalb mehrere vorbereitet hat. Vom Fuß der Stufen
aus wird sich das Feuer verbreiten, bis die Lichter der Fackeln wie Sterne
auf der Treppe leuchten und sich der Zug in Bewegung setzt, hin zum
Geburtshaus des größten kubanischen Autors, Denkers und Freiheitskämpfers,
wo später Funktionäre auf Tribünen trockene Reden halten werden, die
niemand wirklich hören will.
Die Geschichte des José Martí handelt von Opposition und Exil, Krieg und
Tod, eine Geschichte, die tragisch ist, kurz und schnell erzählt. Am
28. Januar 1853 in Havanna geboren, landet er im Alter von 17 Jahren zum
ersten Mal im Gefängnis, verurteilt zu einer sechsjährigen Freiheitsstrafe
und Zwangsarbeit wegen Opposition gegen die spanische Kolonialherrschaft.
Ein Jahr später wird er begnadigt, unter der Bedingung, die Insel umgehend
zu verlassen. Martí reist ins spanische Cádiz, studiert in Madrid und
graduiert als Philologe in Zaragoza. 1875 geht er über England zurück nach
Lateinamerika. Aus seiner Ehe mit Carmen Zayas Bazán geht ein Sohn,
José Francisco, hervor. Dank einer Amnestie kehrt er im Juli 1878 nach
Havanna zurück, arbeitet als Rechtsanwalt und wird 14 Monate später erneut
nach Spanien verbannt - wegen Konspiration gegen die spanische
Kolonialherrschaft.
Martí reist nach New York, versucht, sich in Venezuela niederzulassen, wird
von der dortigen Diktatur gezwungen, das Land zu verlassen. Er kehrt nach
New York zurück, wo er von 1881 bis 1895 lebt. Martí arbeitet als Journalist,
veröffentlicht zahlreiche wichtige literarische Werke, darunter Ismaelito,
Versos libres, La Edad de Oro und Versos sencillos, steht in Kontakt mit den
revolutionär gesinnten Exil-Kubanern Carlixto García, Máximo Gómez und
Antonio Maceo, mit denen er die Invasion Kubas vorbereitet, um die Insel von
der spanischen Herrschaft zu befreien.
Dann geht alles sehr schnell. Am 11. April 1895 landet Martí mit fünf
Landsleuten an einem kubanischen Strand in Playitas, Provinz Oriente. Am
15. April 1895 wird er zum Generalmajor des Befreiungsheers ernannt. Am
19. Mai 1895 fällt er in einer der ersten Kampfhandlungen eines Kriegs, der
Kuba erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine von den USA massiv
eingeschränkte Unabhängigkeit bringen wird.
Nachdem es sich seit dem Sieg der kubanischen Revolution 1959 nun so verhält,
dass praktisch nichts, was Insel- und Auslands-Kubaner gleichermaßen betrifft,
irgendwie kampflos über die Bühne gehen kann, wird auch das Erbe José Martís
erbittert zwischen Havanna und Miami hin und her gezerrt, berufen sich die
einen auf ihn im Sinne eines seelenverwandten Vordenkers (Freiheit und
Gerechtigkeit), während die anderen seine Schriften als prophetische Kritik
(Freiheit und Gerechtigkeit) am Máximo Líder lesen wollen und irren. Selbst
Martís eher posthumer Beitrag zum Kuba-Knaller "Guantanamera" ist umstritten,
vor allem die Frage, wer für die Rechte abkassieren darf. Da gibt es zum einen
den Troubadour aus Havanna, Joseíto Fernández, der zu Beginn der vierziger
Jahre seine Moritatengesänge im Radio stets mit dem Refrain "Guantanamera,
guajira, Guantanamera" versah (angeblich weil er sich in ein Mädchen aus
Guantanamo im Osten Kubas verliebt hatte, die allerdings sehr eifersüchtig
war und ihn verließ, als sie ihn eines Tages mit einem anderen Mädchen reden
sah, tragisch auch dies, aber wer jemals zärtliche Bande in die Karibik-Region
geknüpft hat, wird das verstehen).
Señor Fernandez jedenfalls soll dem Vernehmen nach auch der erste gewesen sein,
der die "Guantanamera"-Melodie alten aber unbekannten Ursprungs mit Zeilen aus
Martís Gedichtband Versos sencillos verknüpft hat (Yo soy un hombre sincero de
donde crece la palma ...), was ihn und seine Erben zum geistigen Eigentümer
des Lieds machen würde. Nun gibt es allerdings auch noch den spanischen
Komponisten Julián Orbón, der von 1940 bis 1963 in Havanna lebte, dort die
Martí-Guantanamera-Connection gebastelt haben will und außerdem den Kubaner
Héctor Angulo unterrichtete, der dann später in New York dem US-Amerikaner
Peter Seegers das Lied vorträllerte, der seinerseits beschloss, das Lied
aufzunehmen und als Autorenduo Angulo/Seegers angab.
Nun sitzen die Erben über den Globus verstreut, streiten sich um Geld und Ruhm
und keiner, der mit den Herren verwandt oder kubanischer Staatsangehörigkeit
ist, versteht so recht, was das ganze eigentlich soll.
Wir möchten den Geburtstag von José Martí, der heute 150 Jahre alt geworden
wäre, nutzen, um dem verwirrten Musikfreund, der Freiheit und Gerechtigkeit
liebt, zu raten, die Versos sencillos als Buch zu lesen, Havana Club statt
Bacardi Rum zu trinken und eine andere Platte mit anderen schönen Guajiras
zu hören. So toll ist "Guantanamera" sowieso nicht.
[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 2003
Dokument erstellt am 27.01.2003 um 17:12:08 Uhr
Erscheinungsdatum 28.01.2003
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