Kuba MERIAN 1979: Von Miami nach Havanna - Exilkubaner in der alten Heimat

13.02.2007 16:36 (zuletzt bearbeitet: 13.02.2007 16:36)
#1 Kuba MERIAN 1979: Von Miami nach Havanna - Exilkubaner in der alten Heimat
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MERIAN 1979

John Dorschner

Von Miami nach Havanna - Exilkubaner in der alten Heimat


Einen Monat lang hatten wir für ein Buch über Kuba recherchiert. Für mich war ein fünfstündiges Interview mit Fidel Castro das wichtigste Erlebnis dieser Reise. Mein Begleiter, Roberto Fabricio, nahm dagegen weitaus persönlichere Erinnerungen mit nach Hause. Zum ersten Mal nach 18 Jahren war er in seine Heimat zurückgekehrt. Er hatte sie als vierzehnjähriger Junge mit seinen Eltern, damals noch Besitzer eines kleinen Ladens, verlassen und war nach Miami gezogen. Nun sah er seine Verwandten wieder. Die meisten waren Vettern und Cousinen zweiten Grades. Für amerikanisches Familienverständnis sind das eher Freunde, Kubaner jedoch fühlen sich auch mit entfernten Verwandten verbunden.

Eine von Fabricios Cousinen, ein brünettes Mädchen, war zum Flughafen gekommen, um ihm Lebewohl zu sagen. Er hatte ihr ein kleines Tonbandgerät geschenkt, und sie wollte sich bei ihm dafür bedanken. Sie sprachen kurz miteinander, dann mußten wir in den Warteraum für Passagiere gehen, während sie irgendwo draußen blieb und aus unserem Blickfeld verschwand.

Das Flugzeug hatte über drei Stunden Verspätung. Als es endlich startbereit war und wir zur Gangway gehen konnten, sah Fabricio zur Besucherterrasse hinauf und sagte: „Ob meine Cousine wohl auf mich gewartet hat?" „Ausgeschlossen", meinte ich, „niemand wartet drei Stunden, um einem entfernten Verwandten zum Abschied zuzuwinken." Ich hatte mich geirrt: Im letzten Augenblick, bevor wir das Flugzeug betraten, entdeckten wir sie: Sie lächelte und winkte uns zu. Fabricio hatte Tränen in den Augen. Das alles hat sich im März 1978 abgespielt. Es war reiner Zufall, daß Fabricio zu den ersten Exilkubanern zählte, die nach Kuba kommen und ihre Verwandten besuchen durften: Er hatte die Einreiseerlaubnis erhalten, weil wir an dem Buch arbeiteten.

Im Herbst desselben Jahres gab Castro bekannt, daß in Zukunft viel mehr Exilkubanern gestattet sein sollte, ihre alte Heimat zu besuchen. Er hielt das Land zu diesem Zeitpunkt, da sich der Sieg der Revolution zum zwanzigsten Mal jährte, für stabil genug und fürchtete keine „ausländischen Einflüsse" mehr.

Daraufhin setzte ein wahrer Besucherstrom von Exilkubanern ein. Etwa 800 000 leben in den Vereinigten Staaten, vor allem in Miami, und viele hatten den Wunsch, ihre Verwandten, Freunde und Nachbarn wiederzusehen. Man sollte nicht vergessen, daß auch die kubanische Revolution einen bitteren Nebeneffekt gehabt hat: Sie spaltete Zehntausende von Familien - die einen entschieden sich für ein sozialistisches Gesellschaftssystem und blieben im Land, die anderen zogen ein kapitalistisches vor und verließen es. Selbst Castro hat eine Schwester, die in den Vereinigten Staaten lebt.

Anfang 1979 reisten wöchentlich rund 1000 Exilkubaner auf die Insel, darunter viele, die ihre todkranken Eltern oder hochbetagten Großeltern noch einmal sehen wollten. Eine Frau aus Miami versetzte den Familienschmuck und borgte 1000 Dollar, um zweimal ihre kranke Mutter besuchen zu können. Die Exilkubaner, früher als gusanos (Würmer) bezeichnet, nannte man nun mariposas (Schmetterlinge). Ein neues, besseres Verhältnis zu ihnen bahnte sich an.

Jeder, der nach Kuba kam, brachte Geschenke mit: Radios, Tonbandgeräte und vor allem Kleidung. Oft kehrten die Besucher nur mit dem, was sie am Leibe trugen, nach Miami zurück. Koffer und Taschen waren leer: Den Inhalt ihres Gepäcks (Höchstgrenze 20 Kilo) hatten sie der dankbaren Verwandtschaft geschenkt. Eine Reise in die Heimat verlangte auch sonst ihren Preis, denn jeder Exilkubaner mußte 850 Dollar für Aufenthalt und Verpflegung in einem Hotel bezahlen, auch wenn er bei Verwandten wohnte. Die Zeit freizügiger Gaben war jedoch von kurzer Dauer.

Im Mai beschloß Castros Regierung, daß es mit sofortiger Wirkung verboten sei, den Verwandten weiterhin Geschenke mitzubringen, es sei denn, sie stammten aus dem „Dollar Shop", der eigens dafür im ehemaligen Sears' Department Store in Havanna eingerichtet wurde. Die Preise waren astronomisch: 650 Dollar für eine Armbanduhr, 300 für ein einfaches Radio, 80 für einen Haartrockner und 13 für eine etwa 300 Gramm schwere Dose Kakao. Einige Exilkubaner stornierten wütend ihre Flüge, aber viele schienen bereit zu sein, diese Preise zu bezahlen.

Aus informierten Kreisen hört man, daß die kubanische Regierung zu dieser Maßnahme gezwungen war, weil sich ihre treuesten Anhänger beklagt hatten: Nach deren Meinung erhielten die meisten Geschenke gerade jene Kubaner, die die Revolution am wenigsten unterstützt hatten, während ergebene Parteimitglieder, die jede Verbindung zu ihren in der Emigration lebenden Verwandten abgebrochen hatten, überhaupt keine Mitbringsel bekamen. Viele Exilkubaner, die die Insel nach Jahren zum ersten Mal wiedersahen, kamen zu dem gleichen Schluß wie Fabricio: Das kommunistische Regime sorge dafür, daß jeder genug Kleidung und Lebensmittel habe, aber der Lebensstil sei bei weitem nicht mit dem der Vereinigten Staaten oder Westeuropas zu vergleichen.

Die kubanischen Kommunisten haben auch eine Erklärung dafür: Sie behaupten, die USA hielten Kuba durch die Aufrechterhaltung des Wirtschaftsboykotts absichtlich arm. Doch das könnte sich in Zukunft ändern - durch die Exilkubaner, die sich in der Vergangenheit zwar am heftigsten gegen die Beendigung des Boykotts gewehrt, jetzt aber ihre Haltung geändert haben: Nach Schätzungen werden allein im Jahr 1979 150 Millionen Dollar durch sie in die kubanische Wirtschaft fließen.


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