Auf der Jaged nach Che Guevara

08.01.2006 12:57
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7. Januar 2006, Neue Zürcher Zeitung

Auf der Jagd nach Che Guevara
Der amerikanische Journalist Patrick Symmes seziert einen Mythos

Ein Reisebuch über die Abenteuer eines Bikers auf den Spuren Che Guevaras? Leser ohne Faible für schwere Maschinen und militante Ideologie kann diese Konstellation nicht verlocken. Aber Vorsicht, wer sich von Kulisse oder Requisiten abschrecken lässt, verpasst ein kluges und kurzweiliges Stück Literatur.

1952 unternahm der 24-jährige Guevara mit einem Freund jene Motorrad-Tour durch Südamerika, die den angehenden Mediziner Ernesto erst in «El Che» und dann in den «Guerrillero número uno» verwandeln sollte. Auf dem Erweckungstrip, im Tagebuch, begann Guevara bereits am eigenen Mythos zu basteln. Nur 15 Jahre später starb der Held in Bolivien seinen wenig heldenhaften Tod.

Nachgereist
44 Jahre nach der legendären Rundreise hat der New Yorker Journalist Patrick Symmes die Tour noch einmal gemacht - auf einer gebrauchten BMW, mit einem Exemplar von Ches «Motorcycle Diaries» in der Tasche. Symmes ist ein erfahrener Globetrotter, dazu hartnäckig als Reporter und als Schreiber virtuos. Er berichtete aus Afghanistan und aus der Mongolei, er porträtierte Rebellentrupps und Strassengangs in Nepal und Brasilien. Er war sich wohl sicher, dass selbst der schon ausgelaugte Che-Stoff einen mitreissenden Text abgeben würde. Die Daten der Unternehmung passen auf ein paar Zeilen: 16 000 Kilometer in vier Monaten; Argentinien, Chile, Peru, Bolivien, dazu Kuba, mehrfach; die Wüste, die Anden, todtraurige Weiler und gefrässige Städte.

«Chasing Che» nannte Symmes sein Projekt: Er wollte «die Scherben dieser Geschichte» zusammentragen und den Menschen hinter der Ikone finden. Das dürfte ihm nicht gelungen sein. Aber andere Fundstücke entschädigen den Leser. Unbekümmert, mit feinem stilistischem Gespür mischt Symmes zwei Genres - Reportage und Essay. Er verbindet Analysen mit Impressionen, er gleitet vom Heute ins Gestern und wieder zurück, und stetig misst er das eine am anderen: die Gegenwart am Vergangenen, Ches Anspruch an seinen Taten, den Mythos an der Realität. En passant, nach gründlichem Quellenstudium, liefert Symmes damit auch Bruchstücke einer Sozialgeschichte Lateinamerikas im 20. Jahrhundert. - Kritisch bewertet der Autor das Engagement politischer Entwicklungshelfer. «Wir gehörten nicht hierher», resümiert er in Bolivien - nicht Militär- noch sonstige Berater, weder Che-Touristen noch Che selber.

Erfrischend unbefangen
Symmes schreibt präzise und sensibel. Oft wirkt er erfrischend unbefangen, ein anteilnehmender Gringo auf Reisen im «Hinterhof» der USA. Dann aber, auf Tuchfühlung mit seinem Protagonisten, wird er hart und unnachgiebig. Der Autor reibt sich an diesem skrupellosen Helden. «Wir müssen die Gewalt nicht fürchten», lautete Ches Credo. «Gewalt ist die Hebamme der neuen Gesellschaft.» Wo immer er sich bewegt habe, habe Che, der doch den «Neuen Menschen» habe schaffen wollen, Leichen hinterlassen. In der Sierra Maestra und in Havanna - Symmes erinnert daran - agierte der Comandante als Scharfrichter. Später forderte er «zwei, drei, viele Vietnams» und inspirierte jene Guerilla-Formationen, die mitschuldig wurden am kontinentalen «Blutbad» der sechziger und siebziger Jahre.

Der Reisende sieht «Lateinamerika mit Gräbern übersät». Erst am Ende der Tour, bei einer Kundgebung auf Kuba, bemerkt er ein lebendiges Stück Che-Vermächtnis - «zwei Neue Menschen», vulgo: Agenten von Fidel Castros Geheimpolizei. «Für die gusanos dieser Welt» lautet die Widmung in Patrick Symmes' Buch. Gusano, Wurm, so nennen Castro und Co. jeden Kubaner, der ihre Vorstellung vom Paradies auf Erden nicht teilen mag.

Uwe Stolzmann

Patrick Symmes: Reiseziel Che Guevara. Mit dem Motorrad durch Lateinamerika. Aus dem Englischen von Esther Breger und Jürgen Schneider. Edition Nautilus, Hamburg 2005. 384 S., Fr. 34.90.

http://www.nzz.ch/2006/01/07/fe/articleDFQ24.html

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