In Havanna haben einmal mehr die «Damen in Weiss» für die Freilassung ihrer inhaftierten Männer und Söhne demonstriert, die nach politisch motivierten Urteilen des Regimes im Gefängnis sitzen. Sie haben dafür den Sacharow-Preis der EU erhalten.

Zwei Dutzend Kubanerinnen unterschiedlichen Alters und verschiedener Hautfarbe haben in Havanna einmal mehr das kommunistische Regime herausgefordert. Ohne Plakate, nur eine rote Gladiole in der Hand und einen Ansteckknopf mit der Foto eines Familienangehörigen an der Brust, marschierten die weiss gekleideten Frauen entlang der Quinta Avenida, der kubanischen Fifth Avenue. Was die couragierten Frauen verbindet, ist die Sorge um ihre Ehemänner oder Söhne, die ihrer politischen Überzeugung wegen seit zweieinhalb Jahren im Gefängnis sitzen.

Die Angehörigen im Gefängnis
Der Auftritt der «Damas de Blanco», der «Damen in Weiss», ist zum wöchentlichen Ritual geworden. Jeden Sonntag treffen sich die Mitglieder der Bewegung zur Messe in einer der heiligen Rita von Casia geweihten Kirche im ehemaligen Nobelviertel Miramar der Hauptstadt Havanna. In der katholischen Kirche ist Santa Rita eine populäre Heiligenfigur, die das Unmögliche möglich macht. Im kubanischen Volksglauben steht sie für die Yoruba-Gottheit Obba, die mit dem mächtigen Changó verheiratet ist. Sie verkörpert die Ehefrau, die treu und ergeben auf die Rückkehr des Kriegers wartet.

Vor kurzem ist die Gruppe der «Frauen in Weiss» vom Europäischen Parlament in Strassburg mit dem Sacharow-Preis für geistige Freiheit ausgezeichnet worden. Die Bewegung bildete sich im März 2004, als erstmals 16 weiss gekleidete Frauen durch die Strassen Havannas zogen. Sie überreichten den Behörden einen Brief, in dem sie die Freilassung ihrer Familienangehörigen forderten. Ein Jahr zuvor war eine neue Eiszeit für Kubas Dissidenten ausgebrochen. 3 Bootsentführer, die mit einer Fähre nach Florida fliehen wollten, liess das Regime standrechtlich erschiessen. 75 Regimekritiker, unter ihnen Schriftsteller, Journalisten und Bibliothekare, wurden verhaftet und nach einem summarischen Prozess zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Die Bootsentführer waren für das Castro-Regime simple «Terroristen», die Regimekritiker «Handlanger im Solde der USA».

Nach den Erschiessungen und Verhaftungen kühlte sich das Verhältnis zwischen Kuba und der EU merklich ab. Brüssel reagierte auf die Verschlechterung der Situation der Menschenrechte mit diplomatischen Sanktionen, die zum bis heute nicht ausgestandenen «Krieg der Canapés» um die Frage der Einladung von Dissidenten zu Nationalfeiertagen in europäischen Botschaften in Havanna führte. Von den 75 Dissidenten wurden inzwischen 14 aus gesundheitlichen Gründen auf freien Fuss gesetzt. 3 von ihnen haben die Erlaubnis erhalten, Kuba zu verlassen, unter ihnen der Schriftsteller Raúl Rivero, der sich nach Spanien absetzte.

Kampf für die Freilassung
Die meisten Frauen der Protestbewegung hatten vor der Verhaftung ihrer Familienangehörigen nichts mit Politik zu tun. Heute gilt ihr Kampf der Freilassung aller unrechtmässig Verurteilten in kubanischen Gefängnissen. Zur nächsten Kraftprobe zwischen Dissidenten und Regierung wird es kommen, wenn eine Delegation der «Damen in Weiss» die Ausreisegenehmigung beantragen wird, um zur Verleihung des Sacharow-Preises nach Europa zu reisen. Bereits zum zweiten Mal stammt ein Träger des Sacharow-Preises aus Kuba.

http://www.nzz.ch/2005/11/03/al/articleDAB12.html

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